Bundessozialgericht - B 14/7b AS 46/06 R - Urteil vom 06.12.2007
Wenn eine Verwertung bzw. Verwertungsmöglichkeit eines Vermögensgegenstandes nicht absehbar ist, etwa weil sie von dem Tod einer bestimmten Person abhängt, so handelt es sich in jedem Falle um tatsächlich nicht verwertbares Vermögen. Eine Ausnahme mag dann gelten, wenn eine zukünftige Verwertbarkeit sicher eintritt, d.h. beispielsweise von dem Eintritt eines bestimmten kalendermäßig ablaufenden Datums abhängt, und nicht von dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses wie hier dem Tod der Mutter. Verwertbarkeit von Vermögen i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II kann nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte in der Lage ist, die Verwertung innerhalb einer bei Antragstellung feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln - autonom - herbeizuführen. Ist dagegen völlig ungewiss, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt, so liegt eine generelle Unverwertbarkeit bereits i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II vor.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger im Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 31. Oktober 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) als Darlehen oder als Zuschuss zusteht.
Der im Jahre 1950 geborene, alleinstehende Kläger, ist Inhaber eines Erbbaurechts an einem Grundstück in N. Das Erbbaurecht wurde ab dem 19. September 1956 für die Dauer von 99 Jahren bestellt. Auf dem Grundstück befindet sich ein Haus, das im Eigentum des Klägers steht. Das Haus wird von der Mutter des Klägers auf Grund eines ihr an dem Haus zustehenden lebenslangen Nießbrauchsrechts bewohnt. Der Kläger selbst wohnt in einer Mietwohnung in einem anderen Ort.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 14. März 2005 Alg II in Höhe von monatlich 940,47 Euro für den Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2005. Die Hilfegewährung erfolgte gemäß § 9 Abs. 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form eines Darlehens. Die Beklagte verwies darauf, dass der Kläger mit dem Erbbaurecht an dem Grundstück und dem darauf befindlichen Haus über verwertbares Vermögen verfüge. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, mit dem er sich gegen die darlehensweise Gewährung des Alg II wandte. Dieser wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2005 zurückgewiesen. Durch Bescheid vom 16. Juni 2005 lehnte die Beklagte die Weiterzahlung von Alg II ab dem 1. Mai 2005 insgesamt ab. Das im Eigentum des Klägers stehende Wohnhaus sei als Vermögen nicht geschützt, sodass insgesamt Hilfebedürftigkeit nicht bestehe. Eine Entscheidung über eine darlehensweise Gewährung von Leistungen müsse einem gesonderten Antrag bzw. Bescheid vorbehalten bleiben. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte durch Bescheid vom 21. Juli 2005 zurück. Gegen diese Bescheide hat der Kläger zunächst getrennt Klagen zum Sozialgericht (SG) erhoben, das diese zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Zur Begründung machte der Kläger geltend, das in seinem Eigentum stehende Gebäude auf dem Erbbaurechtsgrundstück sei nicht verwertbar, weil die dingliche Last des Nießbrauchs nicht zu beseitigen und deshalb kein Käufer zu finden sei. Zudem könne seine Mutter wegen ihrer Sehbehinderung, auf Grund derer sie einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte gestellt habe, nicht aus dem Haus verdrängt werden. Das SG hat mit Urteil vom 4. Oktober 2005 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 verurteilt, dem Kläger vom 1. Februar 2005 bis 30. April 2005 monatlich 940,47 Euro als Leistung (statt darlehensweise) zu gewähren und unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2005 die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai bis 31. Oktober 2005 die Leistungen weiter in gesetzlicher Höhe zu gewähren, wobei ab 1. Juli 2005 nur noch die Leistungen für eine angemessene Unterkunft zu erbringen seien. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, für den streitigen Zeitraum liege eine Nichtverwertbarkeit des Grundstücks vor. Aus den Absagen regionaler Kreditinstitute folge, dass das Hausgrundstück nicht für eine Darlehensgewährung eingesetzt werden könne. Auch sei ein Verkauf aktuell und für die nächste Zukunft nicht vorstellbar, solange der Nießbrauch bestehe. Wegen des dinglichen Nießbrauchs auf Lebenszeit könne das Hausgrundstück von einem Käufer aktuell nicht genutzt werden. Damit sei für den streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit erfüllt. Vom 1. Mai bis 31. Oktober 2005 bestehe weiter Anspruch auf Alg II in gesetzlicher Höhe, wobei die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II nur für die ersten sechs Monate, d.h. bis zum 30. Juni 2005 in tatsächlicher Höhe zu tragen seien. Danach komme eine Tragung der Kosten der Unterkunft nur noch in angemessener Höhe in Betracht.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 31. August 2006 das Urteil des SG Augsburg vom 4. Oktober 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Leistungen als Zuschuss zu. Zwar habe der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff SGB II, weil ein entsprechender Bedarf bestehe. Dieser Anspruch gehe jedoch nur auf Gewährung eines Darlehens, weil der Kläger nur insoweit hilfebedürftig sei. Bei dem Erbbaurecht und dem Eigentum am Wohnhaus handele es sich um Vermögen, das verwertbar sei. Allerdings könne das Vermögen nicht sofort verwertet werden, sodass die Beklagte dem Kläger die Leistungen zu Recht nur als Darlehen angeboten habe. Die Verwertbarkeit sei nicht aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Das Erbbaurecht könne ausweislich des Grundbuchauszuges mit Zustimmung der Grundstückseigentümer veräußert oder belastet werden. Für eine Verweigerung der Zustimmung bestünden keine Anhaltspunkte. Auch das Nießbrauchsrecht der Mutter schließe die Verfügungsbefugnis des Klägers über das Erbbaurecht und das in seinem Eigentum stehende Wohnhaus nicht aus. Die Verwertbarkeit sei auch nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen. Zwar sei auf Grund des Nießbrauchsrechts eine aktuelle Nutzungsmöglichkeit nicht gegeben. Nach Auskünften einer Immobilienmaklerin und verschiedener Banken sei es nicht möglich, das Erbbaurecht aktuell zu verwerten. Jedoch folge aus der mangelnden sofortigen Verwertbarkeit nicht die Unverwertbarkeit des Vermögens i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II aus tatsächlichen Gründen. Für die Frage der tatsächlichen Verwertbarkeit von Vermögen komme es grundsätzlich nicht auf die derzeitige Situation an, sondern auf die Frage, ob das Vermögen überhaupt, ggf. auch erst zu einem späteren Zeitpunkt, verwertbar sei. Dies ergebe sich auch aus dem Regelungszusammenhang der §§ 12 Abs. 1 SGB II und 9 Abs. 4 SGB II. Hieraus folge zugleich, dass eine Verzögerung bei der Verwertung die tatsächliche Verwertbarkeit i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II grundsätzlich nicht ausschließe. Das Wort "sofortige Verwertung" in § 9 Abs. 4 SGB II sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass mit der Grundsicherung immer ein aktuell bestehender Bedarf abgedeckt werde. Diesem Wort lasse sich nur entnehmen, dass bei Vorhandensein verwertbaren Vermögens, das aber nicht sofort zur Deckung des aktuellen Bedarfs eingesetzt werden könne, unmittelbar im Zeitpunkt des Hilfeeintritts Leistungen zu gewähren seien. Damit sei jedenfalls bei sicherer Verwertungsmöglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt die tatsächliche Verwertbarkeit nach § 12 Abs. 1 SGB II zu bejahen. Das die Verwertung behindernde Nießbrauchsrecht werde mit Sicherheit fortfallen, nur der Zeitpunkt sei ungewiss. Dass dieser Zeitpunkt ggf. nach dem Ende der konkreten Hilfebedürftigkeit liege, schade nicht. Im Zeitpunkt des Wegfalls des Nießbrauchs sei von einer Verwertbarkeit der Rechte des Klägers auszugehen. Dafür spreche insbesondere die Restlaufzeit des Erbbaurechts von immer noch 49 Jahren und der gute Zustand des Hauses. Der Kläger werde durch eine Leistungsgewährung als ggf. längerfristiges Darlehen auch nicht unzumutbar belastet, weil das Darlehen zinslos sei. Der Verwertbarkeit des Nießbrauchsrechts und des Eigentums am Hause stehe auch nicht § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II entgegen, wonach ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe zum Schonvermögen zähle. Diese Norm greife hier nicht ein, weil das Haus vom Kläger nicht selbst bewohnt werde. Auch aus § 12 Abs. 3 Nr. 5 SGB II ergebe sich keine Unverwertbarkeit des Vermögens. Dies scheitere bereits daran, dass das Wohnrecht der sehbehinderten Mutter des Klägers durch eine Verwertung nicht gefährdet würde. Denn als dingliches Recht bliebe das Nießbrauchsrecht der Mutter von einer etwaigen Verwertung unberührt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner, vom LSG zugelassenen, Revision. Er rügt eine Verletzung der §§ 9 Abs. 1, 9 Abs. 4, 12 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4, 5 und 6 SGB II. Die sehbehinderte Mutter des Klägers sei ein behinderter Mensch, sodass § 12 Abs. 3 Nr. 5 SGB II eingreife. Das Hausgrundstück sei gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II geschützt, weil der Kläger es später selbst nutzen wollte. Dies sei auf Grund des Lebensalters der Mutter zu erwarten. Auch der in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II definierte Grundsatz, dass von der Geltendmachung von Ersatzansprüchen abzusehen sei, wenn dadurch der Ersatzpflichtige künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch oder nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) abhängig gemachte werde, sei auf seinen - des Klägers - Fall entsprechend anzuwenden. Schließlich stelle die von der Beklagten geforderte Verwertung des Eigenheims eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit i.S. des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II dar. Auch komme eine Darlehensgewährung nicht in Betracht. Der Gesetzgeber habe in § 9 Abs. 4 SGB II eine Darlehensgewährung davon abhängig gemacht, dass dem Hilfebedürftigen der sofortige Verbrauch nicht möglich sei. Der Zusammenhang zwischen dem Begriff des sofortigen Verbrauchs oder der sofortigen Verwertung und der Darlehensgewährung zeige, dass der Gesetzgeber hier nur an eine zeitnahe Verwertung in Verbindung mit einer nicht nur hypothetischen, sondern praktischen Darlehensrückzahlung denke. Insoweit sei diese Gesetzesregelung unvollständig und nicht mit dem Gesamtsystem des SGB II vereinbar, denn derjenige, der vorsätzlich oder grob fahrlässig gemäß § 34 SGB II Hilfebedürftigkeit ohne wichtigen Grund herbeiführe, bleibe von dem Ersatzanspruch befreit, wenn er künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und SGB XII abhängig würde. Auch sei eine Darlehensgewährung im Wege einer dinglichen Absicherung im vorliegenden Fall äußerst fraglich, denn diese Darlehensabsicherung sei von der Zustimmung des Eigentümers des belasteten Grundstücks abhängig. Darüber hinaus fehle es auch an einer Regelung darüber, dass dem "immer währenden Darlehensempfänger" das Darlehen erlassen werden müsse, wenn die Zeitschranken der sofortigen Verwertbarkeit oder des sofortigen Verbrauchs nicht mehr eingehalten werden könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. August 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Oktober 2005 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils. Der Kläger vermenge in unzulässiger Weise Gesichtspunkte des § 34 SGB II mit denen des § 9 Abs. 4 bzw. § 12 Abs. 1 SGB II. Gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II sei lediglich ein selbstgenutztes Hausgrundstück geschützt. Eine Selbstnutzung liege gerade nicht vor und werde auch nicht behauptet. Die Verwertung sei auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich oder bedeute eine besondere Härte i.S. des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II. Im vorliegenden Rechtsstreit sei lediglich der Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 31. Oktober 2005 streitbefangen. Es sei durchaus denkbar, dass sich die Frage einer Darlehensgewährung anders stellen würde, wenn weitere Zeiträume zu betrachten seien. In dem das Revisionsverfahren betreffenden Zeitpunkt könne jedoch ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass verwertbares Vermögen vorhanden gewesen sei, welches der Höhe nach ausreichend gewesen wäre, den Bedarf für diesen Zeitraum vollkommen zu decken.
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Dem Kläger stehen im streitigen Zeitraum vom 1. Februar bis zum 31. Oktober 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Zuschuss und nicht nur als Darlehen zu. Der Kläger ist hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. §§ 9, 12 SGB II (jeweils in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I, 2954). Das Erbbaurecht an dem Grundstück und das Hauseigentum des Klägers sind nicht verwertbar i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II, weil diese Vermögensgegenstände nicht in absehbarer Zeit einer Verwertung zugänglich sind.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass über die Höhe der dem Kläger für den streitigen Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Oktober 2005 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II kein Streit besteht. Die Beteiligten streiten lediglich darum, ob diese dem Kläger bereits als Darlehen gewährten Leistungen als Zuschuss auszuzahlen waren. Mit dieser Maßgabe kann der Tenor des erstinstanzlichen Urteils aufrechterhalten bleiben.
Der Kläger war im streitigen Zeitraum Leistungsberechtigter i.S. des § 7 Abs. 1 SGB II. Der Kläger war auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11, 12 SGB II. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Der Kläger verfügte über kein Einkommen i.S. des § 11 SGB II. Entgegen der Rechtsansicht des LSG lag bei ihm auch kein verwertbares Vermögen i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II vor. Nach dieser Norm sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Obwohl das Gesetz den Begriff der Verwertbarkeit nicht näher umschreibt, ist hier wie in § 6 Abs. 2 Satz 1 Arbeitslosenhilfe-Verordnung 1974 (AlhiV 1974) zunächst davon auszugehen, dass Vermögen verwertbar ist, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AlhiV 1974 war Vermögen nicht verwertbar, soweit sein Inhaber in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann (vgl. hierzu BSG SozR 4-4220 § 4 Nr. 1 und BSG SozR 4-4220 § 6 Nr. 2; vgl. auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12 RdNr. 99, Stand II/2007). Mithin hat der Begriff der Verwertbarkeit in § 12 Abs. 1 SGB II den Bedeutungsgehalt, den das Bundessozialgericht (BSG) bereits in einer früheren Entscheidung zum Recht der Alhi mit dem Begriff der Möglichkeit des "Versilberns" von Vermögen umschrieben hat (vgl. BSG SozR 4100 § 138 Nr. 25).
Darüber hinaus enthält der Begriff der Verwertbarkeit aber auch eine tatsächliche Komponente (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12 RdNr. 32). Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind. Das LSG hat insofern festgestellt, dass das Erbbaurecht des Klägers zum gegenwärtigen Zeitraum wegen des auf ihm lastenden Nießbrauchsrechts zu Gunsten der Mutter des Klägers tatsächlich nicht verwertbar ist. Der Senat ist gemäß § 163 SGG an diese tatsächliche Feststellung gebunden, da insoweit Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind. Das LSG hat jedoch die fehlende tatsächliche Verwertbarkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht ausschlaggebend erachtet, weil feststehe, dass das Erbbaurecht in dem Moment verwertbar sein wird, in dem die Mutter des Kläger stirbt und damit der Nießbrauch erlischt.
Das LSG ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 9 Abs. 4 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB II gefolgert werden kann, dass auch aktuell nicht verwertbares Vermögen grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Nach § 9 Abs. 4 SGB II ist hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Ist ein solcher sofortiger Verbrauch eines Vermögensgegenstandes nicht möglich, sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen (§ 9 Abs. 4 2. Halbsatz aF; jetzt: § 23 Abs. 5 SGB II, der ausdrücklich die Möglichkeit einer dinglichen Sicherung des Darlehens zulässt). § 9 Abs. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB II folgt damit einem Regelungsmodell, wie es bereits in §§ 88, 89 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) enthalten war und jetzt in §§ 90, 91 SGB XII enthalten ist. § 89 BSHG bzw. § 90 SGB XII stimmt insofern mit § 9 Abs. 4 SGB II überein, weil hiernach die Sozialhilfe als Darlehen gewährt werden soll, wenn grundsätzlich verwertbares Vermögen des Hilfesuchenden nicht sofort verbraucht werden kann oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist.
Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat den Regelungszusammenhang der §§ 88, 89 BSHG so ausgelegt, dass hinsichtlich der Verwertbarkeit von Vermögensgegenständen grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll (vgl. die Nachweise bei Brühl in LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 91 RdNr. 2; bzw. ders in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 89 BSHG RdNr. 2). Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit kam es jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Sozialhilferecht auf die aktuellen tatsächlichen Verhältnisse des Einsatzpflichtigen an (BVerwGE 106, 105, 111). Auch im Anwendungsbereich des § 89 Satz 1 BSHG war daher die aktuelle Notlage und damit die aktuelle Einkommens- und Vermögenslage des Einsatzpflichtigen in dem Zeitpunkt in den Blick zu nehmen, in dem die Sozialhilfe, hier also die Darlehensgewährung, eintreten soll (BVerwGE 106, 105, 109; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Juli 2003, 12 S 473/03). In diesem Zeitpunkt musste überhaupt einzusetzendes Vermögen vorhanden sein, wenn es auch nicht sofort verbrauchbar oder verwertbar war oder solches nicht zugemutet werden konnte. Ausschlaggebend sollte die Verwertbarkeit in wirtschaftlicher Hinsicht sein (BVerwGE 106, 105, 109).
Für die Anwendung der Darlehensregelung des § 89 BSHG reichte es danach nicht aus, dass dem Hilfesuchenden (abstrakt) Vermögen zustand, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt bis auf weiteres nicht absehbar war, ob und wann er hieraus einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen konnte. Der Senat geht in Fortführung dieser Rechtsprechung davon aus, dass der Verwertbarkeit i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II eine gewisse zeitliche Komponente innewohnt (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 12 RdNr. 33; so wohl auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 12 RdNr. 116, Stand II/2007). Anders als das BSHG geht das SGB II allerdings nicht mehr von einem "Aktualitätsgrundsatz" i.S. eines täglichen Prüfens der Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit aus (zu den im SGB II weitgehend überholten Prinzipien des Sozialhilferechts vgl. Rothkegel in ders (Hrsg) Sozialhilferecht, 2005, S 43 ff). Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II (ebenfalls i.d.F. des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, a.a.O.) sollen die Leistungen der Grundsicherung jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden. Es könnte daher nahe liegen, das Kriterium der Absehbarkeit einer Vermögensverwertung auf diesen Sechs-Monats-Zeitraum (bzw. Ein-Jahres-Zeitraum, § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I, 1706) zu beziehen. Dies kann hier jedoch dahinstehen. Denn wenn eine Verwertung bzw. Verwertungsmöglichkeit nicht absehbar ist, etwa weil sie von dem Tod einer bestimmten Person abhängt (vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Juli 2003, 12 S 473/03), so handelt es sich in jedem Falle um tatsächlich nicht verwertbares Vermögen. Eine Ausnahme mag dann gelten, wenn eine zukünftige Verwertbarkeit sicher eintritt, d.h. beispielsweise von dem Eintritt eines bestimmten kalendermäßig ablaufenden Datums abhängt, und nicht von dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses wie hier dem Tod der Mutter. Verwertbarkeit von Vermögen i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II kann nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte in der Lage ist, die Verwertung innerhalb einer bei Antragstellung feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln - autonom - herbeizuführen. Ist dagegen völlig ungewiss, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt, wie dies hier in Bezug auf das Ableben der Mutter des Klägers der Fall ist, so liegt eine generelle Unverwertbarkeit bereits i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.