Bundessozialgericht - B 14 AS 66/07 R - Urteil vom 13.11.2008
Bedürftige haben unter Berücksichtigung des Rechtscharakters der Mehraufwandsentschädigung i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II keinen Anspruch darauf, dass ihnen zusätzlich zu dem 1 Euro pro Stunde die Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden. Ausgangspunkt für diese Überlegung ist, dass dem Teilnehmer an einer Maßnahme gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II eine Entschädigung für diejenigen Aufwendungen geleistet wird, die ursächlich auf die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit zurückzuführen sind und die ohne die "Arbeitsleistung" nicht anfallen würden. Wie schon aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II folgt, wird die Entschädigung mithin nicht deshalb gezahlt, weil der Bedürftige Tätigkeiten verrichtet, sondern deshalb, weil ihm durch die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit Mehraufwendungen entstehen.
Gründe:
I
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Fahrtkosten für die Fahrten zu einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung.
Der Kläger stand seit Januar 2005 fortlaufend im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei der Beklagten. Zum 10. April 2006 wurde er von der Beklagten in eine Arbeitsgelegenheit bei dem "W. " H. (Beschäftigungsstelle: M. in I. ) vermittelt. Nach der Vereinbarung über die Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit betrug die Arbeitszeit wöchentlich 30 Stunden und die Mehraufwandsentschädigung 1 Euro in der Stunde. Am 7. April 2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Fahrtkosten zu dieser Arbeitsgelegenheit. Die Entfernung zu der Einsatzstelle betrage 4 km. Es sei ihm nicht zuzumuten, diesen Weg zu Fuß zurückzulegen. Die Beklagte lehnte die Übernahme von Fahrtkosten ab (Bescheid vom 2. Mai 2006), die der Kläger im Widerspruchsverfahren sodann auf 51,90 Euro monatlich für eine Monatskarte mit öffentlichen Verkehrsmitteln bezifferte. Der Widerspruch blieb ebenfalls ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2006).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 10. Mai 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe für die Zeit der Ausübung einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II eine angemessene Entschädigung für die dadurch entstehenden Mehraufwendungen zu. Diese Entschädigung müsse einerseits den Mehrbedarf für Fahrtkosten, Arbeitskleidung, Wäsche und Ernährung berücksichtigen. Sie dürfe andererseits nicht so hoch sein, dass sie zusammen mit dem Arbeitslosengeld II (Alg II) einen "Stundenlohn" wie in einem Arbeitsverhältnis ergebe. Diesen Kriterien genüge die von der Beklagten gewährte Mehraufwandsentschädigung von 1 Euro pro Stunde. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der vom Kläger behaupteten Fahrtkostenbelastung von 51,90 Euro monatlich. Die Belastung durch die Fahrtkosten mache hier nur knapp 40 % der regelmäßig im Monat erzielten 130 Euro aus. Dem Kläger verblieben weitere finanzielle Mittel, um möglicherweise andere - im Einzelnen von ihm nicht spezifizierte - Mehraufwendungen abzudecken. Ebenso verbliebe ein zumindest relativ kleiner Anreiz für die Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der - vom SG durch Beschluss vom 8. November 2007 zugelassenen - Sprungrevision. Er rügt eine Verletzung des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II. Nach dieser Norm stehe ihm eine angemessene Mehraufwandsentschädigung zu. Nur wenn ihm die zusätzlichen Fahrtkosten erstattet würden, könne die ihm gewährte Entschädigung in Höhe von 1 Euro pro gearbeiteter Stunde als angemessen bewertet werden. Es sei bereits fraglich, ob der Gesetzgeber der Beklagten die Möglichkeit habe einräumen wollen, die Aufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 SGB II pauschaliert zu erbringen. Vielmehr könne auch davon ausgegangen werden, dass die im Einzelfall tatsächlich anfallenden Aufwendungen zu erstatten seien. Nach der Zielsetzung des SGB II habe die Entschädigung auch einen Anreiz schaffen sollen, diese Art von Tätigkeit überhaupt aufzunehmen. Zwar dürfe durch die gezahlte Entschädigung nicht der normale bzw. durchschnittliche Stundenlohn erreicht werden, der auf dem freien Arbeitsmarkt für solche Tätigkeiten gezahlt würde. Die Entschädigung dürfe aber auch nicht so niedrig bemessen sein, dass sie ihre Anreizfunktion völlig verliere. Er - der Kläger - habe damals Alg II in Höhe von insgesamt 650,90 Euro bezogen. Rechne man die im Schnitt monatlich erzielbaren 120 Euro hinzu, so habe er maximal 770,90 Euro im Monat erhalten. Hieraus würde ein Stundenlohn von gerundet 6,42 Euro folgen. Ziehe man hiervon aber noch die Fahrtkosten ab, so ergebe sich ein Stundenlohn für den "Ein-Euro-Job" von gerundet lediglich 5,99 Euro. Als angemessen könne diese Entschädigung nicht mehr bezeichnet werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Dortmund vom 10. Mai 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Fahrtkosten für den Zeitraum der Ausübung der Arbeitsgelegenheit vom 10. April 2006 bis 5. April 2007 in Höhe von monatlich 51,90 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1 Euro pro Stunde sei hier angemessen, weil die tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere die Fahrtkosten des Klägers, nicht höher seien. Bei einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung werde kein Arbeitsentgelt oder Lohn, sondern zusätzlich zum Alg II eine Mehraufwandsentschädigung gezahlt, weil die dem Alg II-Empfänger durch Ausübung einer Arbeitsgelegenheit zusätzlich entstehenden Aufwendungen in der Regelleistung nicht berücksichtigt würden. Der Kläger habe schließlich selbst vorgetragen, dass die Fahrtkosten nicht die Höhe der gezahlten Mehraufwandsentschädigung erreicht hätten.
II
Die gemäß § 161 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Sprungrevision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Fahrtkosten gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II zusteht.
Der Senat kann hier über die Höhe der angemessenen Mehraufwandsentschädigung entscheiden, ohne dass die Höhe des dem Kläger gewährten Alg II zu überprüfen wäre. Es handelt sich bei der Frage, welche Entschädigung für einen "Ein-Euro-Job" angemessen ist, um einen von dem Grundanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II unabhängigen, abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. zu den Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II, BSGE 97, 217, 222 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, RdNr. 18; zum Anspruch auf Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II, BSG, Urteil vom 13. November 2008 - B 14 AS 36/07 R). Richtigerweise hat der Kläger auch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG erhoben.
§ 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II (i.d.F. des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl I 2014) bestimmt: "Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten nicht als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert, ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen." Der Kläger hat hier zum 10. April 2006 eine solche, zusätzliche Arbeitsgelegenheit i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II aufgenommen. Wie bereits aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II hervorgeht, begründet die Wahrnehmung einer solchen Arbeit kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts. Folgerichtig sind auch die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz mit Ausnahme der Regelungen über das Urlaubsgeld nur entsprechend anzuwenden.
Dementsprechend ist der Anspruch auf eine höhere Mehraufwandsentschädigung bzw. die Erstattung von Fahrtkosten gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Die angemessene Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1 Euro wird von der Beklagten (dem Grundsicherungsträger) und gerade nicht von dem Maßnahmeträger als "Arbeitgeber" geleistet. Es handelt sich insofern also nicht um Arbeitslohn, sondern um eine Sozial-Leistung nach dem SGB II, die etwa gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht als Einkommen des Hilfebedürftigen gilt. Dies hat zur Konsequenz, dass die "Einnahme" aus dem "Ein-Euro-Job" zusätzlich - und ohne jede Einschränkung bzw. Abzüge - zum Alg II gewährt wird.
Der Kläger hat unter Berücksichtigung des Rechtscharakters der Mehraufwandsentschädigung i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II keinen Anspruch darauf, dass ihm zusätzlich zu dem ihm bereits gewährten 1 Euro pro Stunde die Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe erstattet werden. Ausgangspunkt für diese Überlegung ist, dass dem Teilnehmer an einer Maßnahme gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II eine Entschädigung für diejenigen Aufwendungen geleistet wird, die ursächlich auf die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit zurückzuführen sind und die ohne die "Arbeitsleistung" nicht anfallen würden (vgl. Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 16 RdNr. 439, Stand 4/2008). Wie schon aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II folgt, wird die Entschädigung mithin nicht deshalb gezahlt, weil der Kläger Tätigkeiten verrichtet, sondern deshalb, weil ihm durch die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit Mehraufwendungen entstehen (vgl. auch Hafenrichter in Hohm GK-SGB II § 16 RdNr. 310; Stand 10/07). Als "durch die Arbeit" bedingter Mehrbedarf kommen dabei in erster Linie Fahrtkosten in Betracht, jedoch ist auch ein Mehrbedarf für Arbeitskleidung und Wäsche, Körperreinigung, zusätzliche Kosten für Wäschewaschen und Reinigung sowie Ernährung denkbar.
Die Aufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II muss sich an dem tatsächlich erforderlichen Aufwand des Leistungsempfängers orientieren (vgl. auch Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 16 RdNr. 230; Hammel, ZfSH/SGB 2007, 659, 664; Bieritz-Harder, ZfSH/SGB 2005, 259, 262; Voelzke in Hauck/Noftz, a.a.O., RdNr. 441). Hieraus kann allerdings nur abgeleitet werden, dass die Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II zumindest so zu bemessen ist, dass die zusätzlichen Aufwendungen auf Grund des "Ein-Euro-Jobs" nicht aus der Regelleistung bzw. dem sonstigen Alg II bestritten werden müssen (vgl. auch Niewald in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 16 RdNr. 57). Mithin besteht ein höherer Anspruch auf Mehraufwandsentschädigung immer dann, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige im Einzelnen nachweist, dass er mit der ihm - pauschal - gewährten Mehraufwandsentschädigung von etwa 1 Euro in der Stunde die tatsächlich anfallenden Unkosten, die durch die Arbeitsgelegenheit verursacht werden, nicht decken kann. Dies kann etwa bei ungewöhnlich hohem Bedarf an Kleidung oder einer sehr großen Entfernung zur Arbeitsstelle der Fall sein. Insofern kann sich der Grundsicherungsträger dann auch nicht auf eine Pauschalierung der Leistung bzw. eine pauschale Abgeltung des Mehraufwands berufen. Rechtliche Gründe dafür, die anfallenden Fahrtkosten in jedem Falle zusätzlich zu der pauschalierten Entschädigung in Höhe von etwa 1 Euro zu übernehmen, sind nicht erkennbar (a.A. Hafenrichter, a.a.O., RdNr. 314 ohne weitere Begründung).
Ob eine Entschädigung, die genau die Mehrkosten deckt und darüber hinaus keinerlei "Entlohnung" bzw. Anreiz für den Leistungsempfänger mehr enthält, noch angemessen i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II wäre (zweifelnd Stark in Estelmann, SGB II, § 16 RdNr. 389 ff; Stand 09/2008), kann hier dahinstehen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er im Schnitt 130 Euro im Monat pauschale Mehraufwandsentschädigung für die Mehrkosten aus dem "Ein-Euro-Job" erhalten hat. Die von ihm geltend gemachten Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel in Höhe von 51,90 Euro monatlich, deren Notwendigkeit innerhalb der Ortschaft I. hier im Einzelnen nicht zu überprüfen ist, waren mithin in jedem Fall von der Mehraufwandsentschädigung gedeckt. Darüber hinaus blieb dem Kläger immer noch ein - zwar geringer, aber im Übrigen nicht als Einkommen berücksichtigter - Restbetrag, der als "Anerkennung" für die Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II gewertet werden kann. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers soll die Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II aber gerade nicht das Niveau eines Mindestlohns erreichen bzw. als Anreiz dafür dienen, dauerhaft in sog "Ein-Euro-Jobs" zu verbleiben.
Da der Kläger die Arbeitsgelegenheit "angenommen" und auch keinen Widerspruch gegen die Zuweisung eingelegt hat, braucht hier auch nicht erörtert zu werden, inwieweit die dem Kläger angebotene Maßnahme dem Grunde nach rechtmäßig war. Denn selbst wenn die Maßnahme möglicherweise nicht zusätzlich bzw. im öffentlichen Interesse gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II i.V.m. § 261 Sozialgesetzbuch Drittes Buch oder aus sonstigen Gründen unzumutbar gewesen sein sollte, so könnte der Kläger aus einer eventuellen Rechtswidrigkeit der Maßnahme keinen Anspruch darauf ableiten, eine höhere Mehraufwandsentschädigung oder gar ein Arbeitsentgelt aus den Grundsätzen des sog faktischen Arbeitsverhältnisses zu erhalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.