Bundessozialgericht - B 14 AS 86/08 R - Urteil vom 18.02.2010
Eine erst im Leistungszeitraum erhaltene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes ist Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Hiernach sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II als Einkommen zu berücksichtigen. Bei der Abfindung handelt es sich nicht um Vermögenswerte. Bei der Berechnung der Alg II-Leistungen ist als Einkommen grundsätzlich alles zu berücksichtigen, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält. Vermögen ist alles, was er vor Antragstellung bereits hatte. Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Diese Abgrenzung begründet auch keine Ungleichbehandlung i.S. des Art 3 Abs. 1 GG gegenüber Personen, die Vermögenswerte vor Antragstellung bereits innehatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger aus einem arbeitsrechtlichen Vergleich zufließenden Einkünfte in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Mai 2006 als bedarfsminderndes Einkommen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu berücksichtigen sind.
Der im Jahre 1959 geborene Kläger ist Malergeselle. Er schloss mit seinem damaligen Arbeitgeber am 20. Juni 2005 vor dem Arbeitsgericht W. einen Vergleich, in dem sich beide auf das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 4. Juli 2005 einigten. Weiterhin verpflichtete sich der Arbeitgeber zur Zahlung des rückständigen Arbeitsentgelts für die Monate März bis Juli 2005 sowie zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bis spätestens zum 31. Juli 2005. Der Arbeitgeber zahlte bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig. Daraufhin leitete der Kläger die Zwangsvollstreckung ein. Ende Januar 2006 trafen der Kläger und sein ehemaliger Arbeitgeber sodann hinsichtlich des noch ausstehenden Betrages eine Ratenzahlungsvereinbarung über monatliche Zahlungen in Höhe von 400 Euro. In der Zeit von Januar bis Mai 2006 zahlte der ehemalige Arbeitgeber an den Kläger jeden Monat jeweils 400 Euro, wobei die erste Rate am 30. Januar 2006 ausbezahlt wurde. Bis zum 3. Januar 2006 hatte der Kläger Arbeitslosengeld (Alg) nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezogen.
Der Kläger beantragte am 9. Dezember 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24. März 2006 dem Kläger Leistungen in Höhe von 420,82 Euro für den Monat Januar 2006. Für die Zeit von Februar bis einschließlich Mai 2006 bewilligte sie ihm Leistungen in Höhe von monatlich 505 Euro. Die Beklagte ging dabei von einem monatlichen Bedarf in Höhe von 875 Euro aus (Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II in Höhe von 345 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 530 Euro). Für den Monat Januar berücksichtigte sie Einkommen des Klägers in Höhe von 454,18 Euro (400 Euro Nachzahlung des Arbeitgebers und 84,18 Euro Alg nach dem SGB III abzüglich eines Betrags von 30 Euro gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V)). Für die Monate Februar bis Mai 2006 legte sie ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 370 Euro zu Grunde (400 Euro Zahlung des Arbeitgebers abzüglich des Pauschbetrags von 30 Euro).
Der Kläger legte gegen die Berücksichtigung der monatlichen Zahlungen seines Arbeitgebers Widerspruch ein, den die Beklagte durch Bescheid vom 12. September 2006 zurückwies. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, die das Sozialgericht Düsseldorf durch Urteil vom 14. Dezember 2007 abgewiesen hat. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom 4. September 2008 hat das LSG ausgeführt, dass die Beklagte in der Zeit von Januar bis Mai 2006 die geleisteten Zahlungen des ehemaligen Arbeitgebers zu Recht als Einkommen des Klägers anspruchsmindernd berücksichtigt habe. Die Zahlungen stellten zunächst Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II und nicht Vermögen dar. Sie seien dem Kläger auch im Bedarfszeitraum zugeflossen. Auch wenn die Zahlungen aus einer bereits bestehenden Rechtsposition herzuleiten gewesen seien, hätten sie kein Vermögen dargestellt. Vermögen liege nur dann vor, wenn Vermögenswerte, d.h. bewusst angespartes vormaliges Einkommen, umgeschichtet werde. Dies gelte nicht, wenn Einkommen auf Grund einer Forderung erzielt werde, die früher nicht zu realisieren gewesen sei. Die Anrechnung des Einkommens sei auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V ausgeschlossen, weil insofern die Zweckbestimmung der Abfindungszahlungen eine andere sei als diejenige der Leistung nach dem SGB II. Soweit es sich vorliegend um nachgezahltes Arbeitsentgelt handele, liege Zweckidentität vor. Arbeitsentgelt diene der Deckung des Lebensunterhalts und damit den gleichen Zwecken wie die Leistungen nach dem SGB II. Eine dem § 194 Abs. 3 Nr. 7 SGB III entsprechende Norm, wonach Leistungen zum Ersatz eines Schadens nicht als Einkommen angerechnet werden, sei vom Gesetzgeber des SGB II nicht übernommen worden. Auch enthalte die Alg II-V keinen Ausnahmetatbestand für die Gewährung von Abfindungen aus einem Arbeitsverhältnis. Schließlich sei auch Art 3 Grundgesetz (GG) nicht verletzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt sinngemäß eine Verletzung des § 11 SGB II, der §§ 9, 10 KSchG und des Art 3 GG. Der Kläger beanstandet, dass sich das LSG auch für den Bereich des SGB II der sog Zuflusstheorie des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) angeschlossen habe. Diese Theorie könne jedoch nicht ohne weiteres in das SGB II übernommen werden. Des weiteren folge aus §§ 9, 10 KSchG, dass es Ziel einer Abfindungszahlung sei, den sozialen Abstieg nach Arbeitsplatzverlust abzumildern. Damit diene die Abfindung einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Schließlich habe es sich bei den bereits bestehenden Ansprüchen gegen den Arbeitgeber um Vermögenswerte des Klägers und gerade nicht um Einkommen gehandelt. Des weiteren sieht der Kläger den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Realisierbarkeit der Forderungen gegen den Arbeitgeber habe außerhalb seines Machtbereiches gelegen. Hätte er seine Forderungen früher - vor Beginn des Bezugs von Alg II - realisieren können, so wären sie unstreitig Vermögen gewesen. Er werde deswegen gegenüber anderen Grundsicherungsempfängern, bei denen die hohen Vermögensfreibeträge gelten würden, in ungerechtfertigter Weise ungleich behandelt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2008 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2006 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit von Januar 2006 bis Mai 2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Einkommen in Höhe von monatlich 400 Euro zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass die dem Kläger aus dem früheren Arbeitsverhältnis von seinem Arbeitgeber gezahlten monatlichen Leistungen in Höhe von 400 Euro als Einkommen im streitigen Zeitraum zu berücksichtigen waren.
Streitig ist die Höhe der Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Mai 2006 (Bescheid vom 24. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2006). Dem Kläger standen in diesem Zeitraum keine höheren als die bewilligten Leistungen zu. Er war - nach den gesamten Feststellungen des LSG - Berechtigter i.S. des § 7 Abs. 1 SGB II. Hinsichtlich der Höhe seiner Bedarfe - insbesondere der geltend gemachten Kosten der Unterkunft - bestehen keine Bedenken. Die Beteiligten streiten ersichtlich lediglich darüber, ob die dem Kläger aus dem früheren Arbeitsverhältnis zufließenden Leistungen in Höhe von 400 Euro monatlich (abzüglich des Pauschbetrags von 30 Euro) als Einkommen zu berücksichtigen sind. Dies hat das LSG mit zutreffenden Gründen bejaht.
Die Zahlungen des Arbeitgebers stellen zunächst Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar. Hiernach sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II als Einkommen zu berücksichtigen. Bei den Zahlungen des Arbeitgebers handelt es sich - entgegen der Revision - nicht um Vermögenswerte. Der Senat hat bereits mehrfach klargestellt, dass er für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen der sog Zuflusstheorie des BVerwG folgt (Urteile des Senats vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 43/07 R; SozR 4-4200 § 11 Nr. 17; B 14/7b AS 12/07 R). Bei der Berechnung der Alg II-Leistungen ist als Einkommen grundsätzlich alles zu berücksichtigen, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält. Vermögen ist alles, was er vor Antragstellung bereits hatte. Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung (der der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) ebenfalls beigetreten ist, vgl. nur BSG Urteil vom 13. Mai 2009 - B 4 AS 49/08 R; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 47/07 R und BSGE 101, 91 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 15) bestehen keine Zweifel daran, dass das LSG die monatlich zufließenden Beträge von 400 Euro als Einkommen i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II berücksichtigt hat. Diese Abgrenzung begründet auch keine Ungleichbehandlung i.S. des Art 3 Abs. 1 GG gegenüber Personen, die Vermögenswerte vor Antragstellung bereits innehatten.
Die aus dem Arbeitsverhältnis dem Kläger zugeflossene monatliche Zahlung von 400 Euro stellte auch kein privilegiertes Einkommen i.S. des § 11 SGB II dar. Die Abfindungsteilzahlungen erfüllen zunächst schon von ihrem Wortlaut her nicht den eindeutigen Ausnahmetatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II. Sie sind weder eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz noch eine Leistung nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst a SGB II sind Einnahmen nicht als Einkommen beim Leistungsempfänger zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Das BSG hat bereits entschieden, dass Abfindungen aus arbeitsgerichtlichen Vergleichen bzw. Einkünfte aus der Nacherfüllung von arbeitsrechtlichen Ansprüchen keine privilegierten Einkommen i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst a SGB II sind (grundlegend zu Abfindungen BSG Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 47/08 R - BSGE 102, 295). Nach dieser Rechtsprechung ist eine auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung lediglich dann zweckbestimmt i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst a SGB II, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist. Der 4. Senat des BSG versteht hierunter eine Vereinbarung, aus der sich objektiv erkennbar ergebe, dass die Leistung für einen bestimmten Zweck verwendet werden solle (privatrechtlicher Verwendungszweck (BSG, a.a.O., RdNr. 21)). Eine solche privatrechtliche Zweckbestimmung findet sich im Regelfall bei Abfindungszahlungen nicht. Dies ist auch hier nicht vorgetragen und ersichtlich.
Der erkennende Senat tritt dem 4. Senat des BSG dahingehend bei (ebenso bereits im Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 55/08 R), dass es sich bei Abfindungszahlungen in der Regel nicht um zweckbestimmte Einnahmen i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst a SGB II handelt. Insofern kann zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf das Urteil des 4. Senats vom 3. März 2009 (a.a.O., RdNr. 22 ff) verwiesen werden. Soweit in der Literatur gegen diese Rechtsprechung Bedenken erhoben wurden (vgl. insbesondere Ockenga, SozSich 2009, 217 ff), überzeugen diese Bedenken den erkennenden Senat nicht.
Nach alledem hat die Beklagte zu Recht die monatlich zufließenden Zahlungen des früheren Arbeitgebers des Klägers als Einkommen berücksichtigt. Hinsichtlich der konkreten Berechnungsweise sind keine rechtlichen Bedenken erhoben worden und auch nicht ersichtlich, sodass die Revision insgesamt zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.