Bundessozialgericht - B 2 U 31/04 R - Urteil vom 07.02.2006
Zur Frage, wann der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist, wenn die Berufskrankheit zu Lebzeiten noch nicht festgestellt worden ist.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten wegen der Gewährung von Hinterbliebenenrente.
Die Klägerin ist die Witwe des im Jahre 1941 geborenen und am 24. November 1997 verstorbenen Versicherten H. B. (im Folgenden V). Dieser war in der Zeit von 1955 bis 1996 überwiegend als Maurer beschäftigt und war dabei mit asbesthaltigen Arbeitsmaterialien umgegangen. Nachdem bei V im November 1996 ein Lungenkarzinom diagnostiziert worden und eine Berufskrankheitenanzeige erstattet worden war, wurde von der Beklagten ein Feststellungsverfahren zur Berufskrankheit (BK) Nr. 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) eingeleitet. Vom Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten wurde eine Gesamtbelastung von 14,99 Faserjahren angenommen. Zu Lebzeiten des V von der Beklagten eingeholte medizinische Gutachten ergaben zwar eine vermehrte Asbestbelastung der Lunge, verneinten jedoch das Vorliegen einer BK 4104. Nach dem Tode des V wurde eine Obduktion durchgeführt und ein Gutachten des Pathologen Dr. B eingeholt, der zu dem Ergebnis kam, bei V habe neben dem Bronchialkarzinom eine hochgradige Arteriosklerose sowie eine Koronararteriensklerose vorgelegen, die als einzig bestimmende Ursachen zu einem Herzinfarkt und damit zum Tode des V geführt hätten; mangels vorliegender asbestassoziierter Lungen- bzw. Pleuraveränderungen oder Pleuraplaques habe bei V keine BK 4104 vorgelegen.
Daraufhin lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des V die Anerkennung einer BK 4104 sowie die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab (Bescheid vom 2. Juni 1999, Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1999). Nachdem die Klägerin hiergegen Klage bei dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben hatte, lehnte die Beklagte auch die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab (Bescheid vom 12. Dezember 2000).
Das SG hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein schriftliches Sachverständigengutachten der Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der H -Universität Prof. Dr. B eingeholt, die zu dem Ergebnis kam, bei V habe eine durch Asbest induzierte Pleurafibrose bestanden und eine BK 4104 vorgelegen; hinsichtlich der Todesursache sei zu unterstellen, dass sich durch die erfolgte Pneumektomie (Lungenentfernung) eine Sauerstoffunterversorgung des Blutes und dadurch des Herzmuskelgewebes eingestellt habe, das die Folgen der Herzerkrankung so richtunggebend verschlimmert habe, dass der Tod eingetreten sei. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme erließ die Beklagte in Ausführung eines mit Schriftsatz vom 10. August 2001 abgegebenen Teilanerkenntnisses unter dem 11. Oktober 2001 zwei weitere Bescheide. Im ersten Bescheid erkannte sie die Gesundheitsstörungen "Bronchialkarzinom im rechten Lungenlappen mit Einschränkung von Atmung und Kreislauf" als Folgen einer bei V zu Lebzeiten bestehenden BK 4104 an und gewährte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des V rückwirkend Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. für die Zeit vom 21. Oktober 1997 (Ende des Krankengeldbezuges) bis zum 30. November 1997 (Ende des Sterbemonats). Ausdrücklich nicht als Folgen der BK anerkannt wurden die Gesundheitsstörungen "Arteriosklerose, Koronararteriensklerose, rechtsführende Herzinsuffizienz bei Cor pulmonale".
Mit dem zweiten Bescheid gewährte die Beklagte der Klägerin unter Rücknahme des Bescheides vom 12. Dezember 2000 eine einmalige Hinterbliebenenbeihilfe. Die Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte sie weiterhin ab, weil eine BK 4104 nicht vorgelegen habe und der Herzinfarkt - nicht das Lungenkarzinom - die Todesursache gewesen sei. Sie gab den Hinweis, der Bescheid sei nach § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Sozialgerichtsverfahrens geworden.
Das SG hat die nach Erlass der Bescheide vom 11. Oktober 2001 ausschließlich noch auf die Gewährung von Hinterbliebenenrente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 2002). Bei V habe keine BK 4104 vorgelegen. Weder sei eine Exposition von mindestens 25 Faserjahren nachgewiesen noch habe eine Asbestose, Minimalasbestose oder Pleurafibrose vorgelegen. Auf eine rechtsverbindliche Anerkennung der BK durch die Beklagte könne bei der Entscheidung über die Hinterbliebenenansprüche nicht abgestellt werden und auch die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) greife nicht, weil der fehlende Ursachenzusammenhang zwischen Lungenkarzinom und Tod offenkundig sei.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin an Stelle der bereits gewährten Hinterbliebenenbeihilfe Hinterbliebenenrente zu gewähren. Der erst während des Klageverfahrens ergangene Bescheid über Hinterbliebenenleistungen vom 11. Oktober 2001 sei zwar entgegen seiner Rechtsmittelbelehrung nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Sozialgerichtsverfahrens geworden, weil er den ursprünglichen Bescheid vom 2. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1999 weder abgeändert noch ersetzt habe; er sei aber mittels Klageänderung gemäß § 99 SGG zum Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens gemacht und das erforderliche Vorverfahren sei auch mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2004 abgeschlossen worden. Die Klägerin habe Anspruch auf Hinterbliebenenrente, weil der Nachweis zwischen BK und Tod des V aufgrund der Rechtsvermutung nach § 63 Abs. 2 SGB VII nicht erforderlich sei. Deren Voraussetzungen seien hier gegeben, weil die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2001 das Lungenkarzinom des V als Folge einer BK 4104 anerkannt und rückwirkend Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. gewährt habe. § 63 Abs. 2 SGB VII sei auch dann anwendbar, wenn - wie hier - die Feststellung der BK sowie der MdE durch Bescheid erst nach dem Tode des Versicherten gegenüber seinen Rechtsnachfolgern erfolge. Insoweit stütze sich der Senat auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG) Hinweis auf BSGE 15, 85) zur Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Es sei kein Grund erkennbar, weshalb für eine Anwendbarkeit der Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 SGB VII die BK-Feststellung zu Lebzeiten des Versicherten erforderlich sein solle, während die MdE-Bewertung mit mindestens 50 v.H. auch noch posthum erfolgen könne. Die demnach zu Gunsten der Klägerin eintretende Rechtsvermutung sei auch nicht wegen offenkundiger Unrichtigkeit als widerlegt anzusehen, denn es sei nicht offenkundig, dass die Anerkennung des Lungenkarzinoms oder die Feststellung der MdE rechtswidrig gewesen seien. Angesichts des Umstandes, dass Prof. Dr. B und Dr. S , der beratende Arzt der Beklagten, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Exposition des V, seiner Krebserkrankung und seinem Tod begründet hätten, sei ein solcher ursächlicher Zusammenhang jedenfalls nicht offenkundig unrichtig, selbst wenn das SG im Ergebnis zutreffend die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Asbestexposition und der Krebserkrankung verneint haben sollte, weil eine abschließende rechtliche Bewertung der Kausalität nur nach eingehender Würdigung und Bewertung der unterschiedlichen medizinischen Voten möglich sei.
Mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte zunächst eine Verletzung des § 63 Abs. 2 SGB VII. Diese Vorschrift sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die darin vorgesehene Rechtsvermutung sei vor allem aus Gründen der Pietät durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) eingeführt worden. Es habe eine klare Regelung zu Gunsten der Hinterbliebenen getroffen werden sollen, um einen postmortalen medizinischen Streit über die Todesursache bei den BKen, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tod und der BK regelmäßig nur durch eine Obduktion festzustellen sei, zu vermeiden. Da durch diese Vorschrift eine Obduktion vermieden werden solle, werde der - hier gegebene - Fall, dass die Feststellung des Vorliegens der BK erst nach bereits durchgeführter Obduktion getroffen werden könne, vom Sinn und Zweck der Rechtsvermutung nicht mehr erfasst. Da nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 SGB VII eine Obduktion zum Zwecke der Offenkundigkeitsfeststellung nicht gefordert werden dürfe, sei ein weiterer Schutzzweck dieser Norm nicht mehr erkennbar, wenn eine Obduktion bereits durchgeführt worden sei. Der vom LSG angenommene Wertungswiderspruch sei daher nicht gegeben. Auch die abweichende Auslegung in den zu § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen lasse sich durch die Unterschiedlichkeit der zu beurteilenden Sachverhalte begründen. Der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin sei mithin nach den allgemeinen Beweislastregeln des § 63 Abs. 1 SGB VII zu beurteilen und zu verneinen.
Darüber hinaus habe das LSG bei der Beurteilung der Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Kausalzusammenhangs zwischen der BK und dem Tod des V die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Diese Frage könne kaum ohne Hinzuziehung medizinischer Sachverständiger entschieden werden, wobei eine genaue Klärung der zum Tode führenden Umstände in der Regel nur durch eine Obduktion erfolgen könne. Eine aus anderem Anlass bereits durchgeführte Obduktion sei mithin die alles entscheidende medizinische Grundlage der Bewertung. Da V nach den medizinischen Feststellungen eindeutig an einem Herzinfarkt verstorben sei und bei ihm eine allgemeine Arteriosklerose bestanden habe, die zu einer Muskelmassenvermehrung und damit Unterversorgung vor allem des linken Herzens geführt habe, seien wiederholt Herzinfarkte, eine Verschlimmerung der Herzinsuffizienz und schließlich der Tod durch einen letzten Herzinfarkt eingetreten. Alleinige Todesursache sei hier daher ein von der BK unabhängiges zentrales Herzversagen. Da die Obduktion nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. B eindeutig eine Linksherzinsuffizienz ergeben habe, durch die BK-bedingte Einschränkung der Lungenfunktion aber grundsätzlich immer nur eine Rechtsherzinsuffizienz entstehe, rechtfertige dies bereits die Annahme von "Offenkundigkeit" iS des § 63 Abs. 2 SGB VII. Die vom LSG aufgrund der Ausführungen von Prof. Dr. B angenommene Verschlechterung durch die Lungenentfernung habe lediglich die Qualität einer Hypothese, die durch den Krankheitsverlauf und das Ergebnis der Obduktion nicht bestätigt werde. Da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bronchialkarzinom und den bei V festgestellten Herz- und Gefäßerkrankungen nach den Darlegungen des Dr. B zweifelsfrei ausgeschlossen und diese Krebserkrankung mithin mit einer jeden Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit als Todesursache ausgeschlossen werden könne, habe der Tod des V offenkundig mit der BK nicht in ursächlichem Zusammenhang gestanden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. August 2004 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 24. Januar 2002 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat sie zu Recht unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann zu gewähren.
Die prozessualen Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Hinterbliebenenrentenanspruch haben vorgelegen, wie das LSG im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Zwar sind entgegen der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung weder der ursprüngliche Bescheid vom 12. Dezember 2000 noch der spätere, ihn ersetzende Bescheid vom 11. Oktober 2001 über die Ablehnung der Hinterbliebenenrente kraft Gesetzes Gegenstand des zuvor wegen Anerkennung einer BK und Zahlung einer Verletztenrente angestrengten Klageverfahrens geworden, denn ein Anwendungsfall des § 96 Abs. 1 SGG liegt insoweit ersichtlich nicht vor. Die Bescheide sind jedoch in zulässiger Weise mit Einwilligung der Beklagten im Wege der (gewillkürten) Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) in das Verfahren einbezogen worden. Die geänderte Klage ist ihrerseits zulässig, nachdem das bis dahin fehlende Vorverfahren auf Veranlassung des Berufungsgerichts nachgeholt worden ist (s BSG SozR 1500 § 78 Nr. 16 mwN).
Hinterbliebene haben Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der Tod des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm Satz 2 SGB VII). Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Der Tod selbst ist dagegen kein eigener Versicherungsfall, sondern kann lediglich der "ultimative" Folge- und Spätschaden eines Versicherungsfalles sein (vgl. BSGE 88, 226, 228 = SozR 3-2700 § 63 Nr. 1 mwN).
Der Tod des Versicherten ist infolge eines Versicherungsfalls eingetreten, wenn er durch einen Arbeitsunfall oder eine BK verursacht wurde, dh wenn diese mit Wahrscheinlichkeit eine rechtlich wesentliche Bedingung hierfür waren. Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es hat die Auffassung vertreten, der Nachweis einer Kausalität zwischen der hier als Versicherungsfall allein in Betracht kommenden BK 4104 und dem Tod des V sei nicht erforderlich, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsvermutung nach § 63 Abs. 2 SGB VII erfüllt seien. Dies ist nicht zu beanstanden.
Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VII steht dem Tod infolge eines Versicherungsfalles der Tod von Versicherten gleich, deren Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer BK nach den Nummern 4101 bis 4104 der Anlage zur BKV um 50 v.H. oder mehr gemindert war. Dies gilt nicht, wenn offenkundig ist, dass der Tod mit der BK nicht in ursächlichem Zusammenhang steht; eine Obduktion zum Zwecke einer solchen Feststellung darf nicht gefordert werden (§ 63 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Es handelt sich hier um eine Rechtsvermutung - nicht eine Fiktion - (vgl. BSGE 28, 38, 40 = SozR Nr. 4 zu § 589 RVO), dass das Vorliegen einer der genannten BKen bei der durch die Höhe der MdE um mindestens 50 v.H. indizierten Schwere der Erkrankung in aller Regel zumindest eine rechtlich wesentliche Ursache für den Tod bildet (vgl. BSG SozR Nr. 11 zu § 589 RVO; BSGE 50, 133, 135 = SozR 2200 § 589 Nr. 3).
Voraussetzung für die Anwendung des § 63 Abs. 2 SGB VII ist nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift, dass eine der dort genannten BKen und die Mindest-MdE um 50 v.H. zum Todeszeitpunkt tatsächlich vorlagen; auf die Anerkennung der BK bzw. die Gewährung oder Feststellung einer Verletztenrente wegen dieser MdE zum Todeszeitpunkt kommt es hingegen nicht an. Diese Voraussetzungen gelten nach der Rechtsprechung des BSG auch dann als erfüllt, wenn für den Versicherten wegen der BK zur Zeit seines Todes bereits eine Verletztenrente mindestens in dieser Höhe bindend festgestellt war, es sei denn, dass die zugrunde liegende MdE offenkundig nicht oder nicht in der erforderlichen Höhe vorgelegen hat (vgl. BSGE 32, 8, 9 = SozR Nr. 7 zu § 589 RVO). Damit hat das BSG im Wege einer ergänzenden Auslegung die Rechtsvermutung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Tod und BK hinaus mit der gleichen Widerlegbarkeitsbeschränkung auf die Richtigkeit der bereits festgestellten durch die BK bedingten Mindest-MdE erstreckt (BSG SozR 2200 § 589 Nr. 5). Diese Auffassung entspricht den praktischen Bedürfnissen im Anwendungsbereich dieser Vorschrift; die Rechtsvermutung umfasst erst recht die Feststellung, dass die in dem Bescheid über die Rentengewährung festgestellte BK auch tatsächlich vorgelegen hat (vgl. Brackmann/Burchardt, SGB VII, § 63 RdNr. 42 mwN).
Das LSG ist in Fortführung dieser Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, dass die BK zu Lebzeiten des Versicherten noch nicht festgestellt sein und dass dementsprechend auch die Höhe der durch sie bedingten MdE noch nicht festgesetzt sein muss, sodass eine erst nach dem Tode erfolgte bescheidmäßige Anerkennung als BK und Festsetzung einer Mindest-MdE (auch) zum Todeszeitpunkt an die Hinterbliebenen für den Eintritt der Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 SGB VII ausreicht (so auch Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 63 RdNr. 23; aA u.a. Ricke in Kasseler Komm, SGB VII, § 63 SGB VII RdNr. 7; Ruppelt in Schulin, Handbuch des Unfallversicherungsrechts, § 49 RdNr. 11; Schmitt, SGB VII, 2. Aufl, § 63 RdNr. 10; Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl, § 63 SGB VII RdNr. 5). Zu Recht weist das LSG auf die Rechtsprechung des BSG zu der vergleichbar gelagerten Rechtsvermutung in § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG hin, nach welcher - trotz der dort sogar ausdrücklich vorausgesetzten rechtsverbindlichen Anerkennung einer Schädigungsfolge und der dafür erfolgten Zuerkennung einer Rente - der Tod eines Beschädigten auch dann als Folge einer Schädigung gilt, wenn dessen Rechtsnachfolger den Bescheid über die Feststellung der Schädigungsfolgen und der Beschädigtenrente erst nach dem Tod des Beschädigten erhalten haben. Der Senat schließt sich für den Anwendungsbereich des § 63 Abs. 2 SGB VII dieser Auffassung an.
Der Ansicht der Revision, Grundlage für die Anwendung der Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 SGB VII könne nur die Feststellung von BK und MdE zu Lebzeiten des Versicherten sein, kann nicht gefolgt werden. § 63 Abs. 2 SGB VII enthält nach der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (BT-Drucks 13/2204, S 91) eine Rechtsvermutung "entsprechend dem geltenden Recht (§ 589 Abs. 2 RVO)". Die dort genannte Vorgängervorschrift, die im Wesentlichen den gleichen Wortlaut wie § 63 Abs. 2 SGB VII hat, war durch das UVNG auf die Initiative des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik in die Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgenommen worden. Danach sollte den Hinterbliebenen bei bestimmten BKen, bei denen die Kausalität zwischen Erkrankung und Tod häufig nicht ohne Obduktion festzustellen sei, die Zwangslage, einer Exhumierung trotz Verletzung ihres sittlichen Empfindens zustimmen zu müssen, erspart bleiben (BT-Drucks IV/938 S 14 zu § 588 Abs. 2). Dieser Zweck des Gesetzes, auf den sich die Beklagte zur Begründung ihrer Revision beruft, gibt für die hier vertretene Auslegung allerdings nichts her, wenn nach dem Tode bereits eine Obduktion erfolgt ist und erst darauf Bescheide an die Angehörigen ergehen, weil dann die in den Materialien genannten Gründe der Pietät nicht mehr gegeben sein können. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm auf Fälle, in denen die BK ohne Obduktion nachträglich festgestellt worden war, wäre indes mit ihrem Wortlaut sowie Sinn und Zweck nicht vereinbar.
Es mag zwar sein, dass Motiv des Gesetzgebers für die Einführung dieser Rechtsvermutung durch das UVNG vor allem die von dem damaligen Bundestagsausschuss genannten Gründe der Pietät waren, die das Verfahren zur Ermittlung der Todesursache zu Gunsten der Hinterbliebenen erleichtern und eine das sittliche Empfinden der Hinterbliebenen verletzende Obduktion vermeiden sollten (vgl. dazu Burchardt, aaO, § 63 RdNr. 41 mwN). Der Wortlaut der dann Gesetz gewordenen Vorschrift enthält indes keinen Hinweis hierauf und fordert keine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf diese Konstellation. Hier wird allein auf das Vorliegen der durch die Folgen der BK bedingten Mindest-MdE beim Versicherten abgestellt. Durch diese klare Regelung zu Gunsten der Hinterbliebenen wird der soziale Rechtsfrieden gefördert, der auch bei einem posthumen Streit mit dem Unfallversicherungsträger über die tatsächliche Todesursache bei bescheidmäßiger Anerkennung der Vermutungsvoraussetzungen unabhängig von der Entscheidung über eine Zustimmung zur Obduktion erheblich gestört wäre. Es ist auch Sinn und Zweck der Norm, regelmäßig ein erneutes Infragestellen der bereits durch bindende Bescheide des Unfallversicherungsträgers getroffenen Feststellungen über das Vorliegen einer BK und die Höhe der dadurch bedingten MdE zu vermeiden und erst im Falle einer offenkundig dem entgegenstehenden Sachlage davon abzuweichen. Dieser Schutzzweck wird nach der hier vertretenen Auslegung erfüllt. Zudem würde bei Zugrundelegung der Rechtsansicht der Revision der Eintritt der Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 SGB VII von der Zufälligkeit der Zeitpunkte des Beginns des BK-Feststellungsverfahrens bzw. dessen Abschlusses abhängig gemacht, was - wie das LSG dargetan hat - zu Wertungswidersprüchen führen würde.
Nach diesen Grundsätzen sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 63 Abs. 2 SGB VII im vorliegenden Fall erfüllt. Nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG hat die Beklagte mit gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des V ergangenem bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2001 das Lungenkarzinom des V als Folge einer BK 4104 anerkannt und rückwirkend - also auch für den Todeszeitpunkt - Verletztenrente nach einer MdE um 100 v.H. gewährt. Damit waren eine in § 63 Abs. 2 SGB VII genannte BK und eine die Mindest-MdE übersteigende MdE bindend festgestellt, sodass die Kausalität zwischen dieser BK und dem Tod des V gemäß § 63 Abs. 2 SGB VII vermutet wird.
Die Rechtsvermutung des § 63 Abs. 2 SGB VII ist hier nicht wegen Offenkundigkeit des Fehlens eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Tod und der BK iS des § 63 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 SGB VII als widerlegt anzusehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn offenkundig wäre, dass die BK den Tod nicht wesentlich verursacht hat (vgl. BSGE 28, 38, 41 = SozR Nr. 4 zu § 589 RVO; BSG SozR 2200 § 589 Nr. 5 und 7). Offenkundigkeit ist gegeben, wenn aufgrund des Beweisergebnisses die BK mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht rechtlich wesentliche Ursache des Todes des Versicherten ist, die BK mithin den Tod des Versicherten weder im medizinischen Sinne erheblich mitverursacht noch ihn um wenigstens ein Jahr beschleunigt hat (vgl. BSGE 28, 38, 41; Brackmann/Burchardt, SGB VII, § 63 RdNr. 47). Ob dies der Fall ist, muss vom Tatsachengericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) entschieden werden. Diese Feststellungen sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG), soweit sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen sind.
Nach den tatsächlichen auf der Grundlage des Beweisergebnisses getroffenen Feststellungen des LSG war das Lungenkarzinom des V nicht mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht rechtlich wesentliche Ursache des Todes des V. Diese Feststellungen sind von der Beklagten nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden. Soweit die Beklagte einen Verstoß des LSG gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung rügt, ist diese Rüge unzulässig. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung beinhaltet sowohl die Befugnis als auch die Pflicht des Tatsachengerichts, nachdem der Sachverhalt vollständig und abschließend ermittelt ist, das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der erhobenen Beweise frei nach der inneren Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände darauf, ob die maßgebenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. im Falle geringerer Anforderungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen, zu würdigen. Die Beweiswürdigung steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht dabei gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt hat (stRspr vgl. BSG, Urteil vom 6. April 1989 - 2 RU 69/87 - HV-Info 1989, 1368; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 19; BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 RU 3/93 - HVBG-Info 1994, 943; BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Das Vorliegen von Verstößen gegen die Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung muss im Einzelnen von dem Beteiligten dargelegt werden, der sich darauf beruft, hier also dem Unfallversicherungsträger. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten, mit dem sie die insbesondere aufgrund der von ihr im hier wesentlichen Teil als bloße Hypothesen bezeichneten gutachtlichen Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B entwickelten Darlegungen des LSG zu einem Kausalzusammenhang angreift und demgegenüber die ihrer Auffassung nach überzeugenderen Erörterungen des Pathologen Dr. B gegenüberstellt, entspricht diesen Anforderungen nicht. Die Beklagte bezeichnet damit weder ein Denkgesetz noch einen Erfahrungssatz, gegen den das Gericht verstoßen haben soll, noch nennt sie eine nicht ausreichende Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Sie setzt vielmehr lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG. Dies reicht indes nicht aus.
Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.