Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten sind Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

Der 1953 geborene Kläger leidet an Beschwerden im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Er war von Mai 1976 bis September 1999 in der Schleiferei und Dreherei der S. werke GmbH beschäftigt und bearbeitete an verschiedenen Maschinen Bremsscheiben von unterschiedlicher Schwere. Sie hatten ein Gewicht zwischen sieben und zehn Kilogramm in den Arbeitszeiten von Mai bis Oktober 1976, Juni 1990 bis Oktober 1995 und Mai 1996 bis September 1999, zwischen zehn und 12 Kilogramm in den Arbeitszeiten von November 1976 bis März 1978 und März 1982 bis Mai 1990 sowie von 12,5 Kilogramm in den Arbeitszeiten von April 1978 bis Februar 1982 und November 1995 bis April 1996. Die Bremsscheiben wurden von einer Palette oder aus einer Box genommen, in die Maschine eingelegt, nach der Bearbeitung wieder herausgenommen und auf die Palette oder in die Box zurückgelegt. Die Stückzahl der in einer Schicht von acht Stunden, bis 1979/1980 teilweise in einer Zehnstundenschicht bearbeiteten Bremsscheiben lag bei einem Gewicht von sieben Kilogramm bei 1000 (Juni 1991 bis Oktober 1992), zwischen sieben und zehn Kilogramm bei 250 (ab Juni 1990) und bei schwereren Bremsscheiben zwischen 200 und 500, in den Zehnstundenschichten bei bis zu 563.

Die Beklagte lehnte die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 und Nr. 2109 der Anlage (ab 1. Juli 2009 Anlage 1) zur BKV (im Folgenden BK 2108 oder BK 2109) ab, weil es an geeigneten schädigenden Einwirkungen fehle (Bescheid vom 27. November 2001; Widerspruchsbescheid vom 10. April 2002). Klage und Berufung blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen (SG) vom 12. August 2004 - S 4 U 1133/02; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 26. Januar 2006 - L 10 U 4236/04).

Darüber hinaus lehnte die Beklagte die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV ab, da eine konkret individuelle Gefahr der Entstehung einer BK nicht vorliege (Bescheid vom 2. August 2004; Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2005). Das SG hat die Klage abgewiesen, denn die Tätigkeiten des Klägers seien nicht geeignet gewesen, eine BK 2108 oder 2109 zu verursachen (Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2006). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25. September 2008). Dass eine BK 2108 und 2109 nicht bestehe, sei bindend festgestellt. Für den Kläger habe aber auch nicht die Gefahr bestanden, dass eine solche BK entstehe. Eine belastende Tätigkeit i.S. der BK 2109 habe der Kläger nicht ausgeübt. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2108 seien ebenfalls nicht erfüllt. Der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Modifikation der dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell zugrunde liegenden Orientierungswerte sei nur in der Unbeachtlichkeit einer Tagesdosis und in der Halbierung der Gesamtdosis, nicht aber in der Herabsetzung der Druckkraftschwelle je Arbeitsvorgang auf 2.700 Newton (N) zu folgen, die auch zur Berücksichtigung leichter sowie mittelschwerer Lasten führe und damit nicht mit dem Wortlaut der BK 2108 zu vereinbaren sei. Einer deutlich über 2.700 N liegenden Druckkraftschwelle, wie der aus Sicht des Senats zumindest zu fordernden 2.925 N, sei der Kläger nicht ausgesetzt gewesen. Auf wirbelsäulengefährdende Umstände unterhalb oder außerhalb der von der BK 2108 geforderten Belastungen komme es nicht an.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 3 Abs. 2 BKV. Der Anspruch auf Übergangsleistungen setze nur voraus, dass die Fortsetzung der schweren Trage- und Hebetätigkeit arbeitsmedizinisch kontraindiziert gewesen sein müsse.

Der Kläger beantragt sinngemäß, 

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. September 2008 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Oktober 2006 sowie die Ablehnungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 2. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen wegen der Gefahr einer Berufskrankheit nach Nr. 2108, hilfsweise nach Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, 

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger habe keine gefährdenden Tätigkeiten i.S. der BK 2108 oder 2109 ausgeübt. Damit scheide die individuelle konkrete Gefahr aus, an einer solchen BK zu erkranken.

 

II.

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Übergangsleistungen nicht aus.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten, der die gefährdende Tätigkeit unterlässt, weil die Gefahr, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Liegen diese Voraussetzungen vor, besteht ein Anspruch auf Gewährung einer Übergangsleistung, deren Höhe, Dauer und Zahlungsart allerdings im Ermessen des Unfallversicherungsträgers steht. Insoweit hat der Versicherte gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Als Übergangsleistung wird gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BKV ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt (vgl. BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 1/03 R - BSGE 93, 164 = SozR 4-5671 § 3 Nr. 1 jeweils RdNr. 6 m.w.N.).

§ 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV regelt einen eigenständigen ("kleinen") Versicherungsfall, der nicht den Eintritt des ("großen") Versicherungsfalls einer BK voraussetzt. Auf der anderen Seite genügt weder eine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr (§ 1 Nr. 1, § 14 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)) noch ein Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII), denn die Übergangsleistungen sind immer auf mindestens eine bestimmte BK bezogen. Für den Anspruch auf Übergangsleistungen ist es vielmehr ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen auf seine Gesundheit ausgesetzt ist, die aktuell eine konkrete individuelle Gefahr (u.a.) des Entstehens einer BK begründen, wegen der fortbestehenden Gefahr die gefährdende Tätigkeit eingestellt wird, und es dadurch zu einer konkreten Verdienstminderung und/oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen kommt. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV, der eine Gefahr voraussetzt, "dass eine Berufskrankheit entsteht" und "fortbesteht", als auch aus der präventiven Zielrichtung der Vorschrift. Die von vergangenheitsbezogenen Leistungen zur Entschädigung bereits eingetretener Versicherungsfälle zu unterscheidende zukunftsgerichtete Übergangsleistung (vgl. BR-Drucks 642/97 S 10 zur Begründung von § 3 BKV sowie schon BSGE 19, 157, 158 = SozR Nr. 2 zu § 5 der 3. BKVO) soll vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen und dient der Vorbeugung sowie Krankheitsverhütung. Damit wird die vorrangige Aufgabe der Unfallversicherung konkretisiert, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle, BKen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten (§ 1 Nr. 1 SGB VII). Um der Gefahr, an einer BK zu erkranken zu entgehen, bedarf es der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit (vgl. BSG a.a.O. jeweils RdNr. 14, 17 ff; vom 20. Februar 2001 - B 2 U 10/00 R - SozR 3-5670 § 3 Nr. 5 S 24; vom 5. August 1993 - 2 RU 46/92, Juris RdNr. 20; vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 57/88 - Juris RdNr. 14).

Diese Maßstäbe hat das LSG verkannt. Es hat rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, dass der Kläger "nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 2108 nicht" erfülle und dementsprechend "auch die Gefahr der Entstehung einer solchen BK nicht bestehen" könne. Diese Gefahr setzt aber gerade nicht voraus, dass die im BK-Tatbestand umschriebenen Einwirkungsvoraussetzungen " durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung " erfüllt sind. Ein Unterlassen gefährdender Tätigkeiten kann auch schon zu einem Zeitpunkt geboten sein, zu dem der BK-Tatbestand noch nicht erfüllt ist.

Die mit berufsbedingten Einwirkungen auf den Gesundheitszustand verbundene Gefahr, dass eine BK entsteht, liegt vor, wenn das Risiko einer Schädigung für den Versicherten im Vergleich zu anderen Versicherten mit einer gleichartigen Tätigkeit erhöht ist. Erforderlich ist die auf den einzelnen Versicherten konkret bezogene Feststellung, ihm drohe bei Fortsetzung der gefährdenden Tätigkeit (u.a.) das Entstehen einer BK (vgl. BSG vom 5. August 1993 a.a.O. RdNr. 21; vom 25. Oktober 1989 a.a.O. RdNr. 15). Dabei kommt es individuell auf die Besonderheiten des Einzelfalls, auch auf den Gesundheitszustand sowie die Konstitution des Betroffenen an. Eine abstrakte Gefahr reicht nicht aus. Bei der zur Gefahrenfeststellung erforderlichen "Risikoprognose", die eine hypothetische "Kausalitätsprognose" umfasst, ist die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Standes der arbeitsmedizinischen Erkenntnisse entscheidend.

Zudem darf die Gefahr nicht anders zu beseitigen sein als durch die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit. Diese muss der Versicherte wegen der Gefahr unterlassen haben (vgl. BSG vom 20. Februar 2001 - B 2 U 10/00 R - SozR 3-5670 § 3 Nr. 5 S 26).

Ferner setzt ein Anspruch auf Übergangsleistungen voraus, dass der Versicherte wegen der Aufgabe seiner bisherigen gefährdenden Tätigkeit eine konkrete Verdienstminderung und/oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erlitten hat. Deshalb muss ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden BK und der Arbeitseinstellung sowie andererseits zwischen dieser Einstellung und der Verdienstminderung oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile bestehen (BSG vom 20. Februar 2001 a.a.O. S 24).

Zu diesen Voraussetzungen hat das LSG keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Es hat sich auf eine Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen beschränkt und im Wesentlichen dargelegt, weshalb entgegen der Rechtsprechung des BSG für die Herabsetzung der Druckkraftschwelle je Arbeitsvorgang auf 2.700 N kein Raum sei. Ob der Kläger in der Vergangenheit Einwirkungen i.S. der BK 2108 oder 2109 ausgesetzt war, ist für den Anspruch auf Übergangsleistungen aber unerheblich. Bei ihm muss vielmehr aktuell am Tag der Aufgabe seines Berufes die konkret-individuelle Gefahr bestanden haben, dass eine BK entsteht. Das LSG wird daher zu klären haben, wann und aus welchen Gründen der Kläger welche Tätigkeit aufgegeben hat, um einer ebenfalls noch zu prüfenden konkret-individuellen Gefahr einer drohenden BK zu entgehen, und ob er wegen der gefährdungsbedingten Arbeitseinstellung eine konkrete Verdienstminderung und/oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erlitten hat.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.