Gründe:

I

Im Streit ist (noch) die (teilweise) Erstattung von Kosten des Mittagessens für die Zeit vom 1. März 2005 bis 27. Juni 2006 in der von der Klägerin besuchten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).

Die 1976 geborene Klägerin ist geistig behindert bei einem Grad der Behinderung von 80. Sie bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Seit 16. September 1998 ist die in einem Haushalt mit ihrer Mutter lebende Klägerin teilstationär in der C -Werkstatt am G (N ) unterbracht. Die dort anfallenden Kosten waren zunächst von dem Beklagten mit Bescheid vom 21. Januar 2002 "bis auf weiteres zu den für die Sozialhilfeträger geltenden Kostensätzen" übernommen worden. Ein Kostenbeitrag durch die Klägerin wurde nicht verlangt. Für die Zeit ab 1. März 2005 lehnte der Beklagte jedoch die Übernahme der Mittagessenskosten mit der Begründung ab, diese seien aus dem eigenen Einkommen der Klägerin bzw. vom örtlichen Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Grundsicherung zu tragen (Bescheid vom 15. Februar 2005; Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2005). Die Klägerin hat die Kosten deshalb selbst getragen; ihr wurden 2,76 Euro täglich vom Entgelt (einschließlich des Arbeitsförderungsgelds) für die Tätigkeit in der WfbM - dem einzigen Einkommen der Klägerin - abgezogen, soweit sie am Mittagessen teilgenommen hat.

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat den Beklagten "verpflichtet, die Kosten des Mittagessens in der C -Werkstatt N ab 01.03.2005 zu übernehmen" und den Bescheid vom "22.02.2005" (richtig: 15. Februar 2005), "und" den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2005 aufgehoben, soweit sie "entgegenstehen" (Urteil vom 25. Januar 2006). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juni 2006). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte sei als überörtlicher Träger der Sozialhilfe gemäß § 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) i.V.m. Art 11 Abs. 1 Satz 1 des (bayerischen) Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuchs (AGSGB) nicht für die Übernahme der Verpflegungskosten in teilstationären Einrichtungen zuständig. Zwar seien nach Art 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst b AGSGB die überörtlichen Träger der Sozialhilfe u.a. für alle Hilfen sachlich zuständig, die in Einrichtungen zur teilstationären Betreuung gewährt würden; abweichend hiervon seien sie für Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) aber nur dann zuständig, wenn der Leistungsberechtigte zugleich Hilfen in einer (voll-)stationären Einrichtung nach anderen Kapiteln des SGB XII erhalte (Art 11 Abs. 1 Satz 2 AGSGB). Die Klägerin befinde sich demgegenüber in einer teilstationären Einrichtung. Mit § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sei seit Januar 2005 die zuvor in § 27 Abs. 3 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geregelte Verklammerung der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Hilfe in besonderen Lebenslagen aufgelöst worden. Die Hilfe in den teilstationären oder stationären Einrichtungen umfasse nicht mehr den dort gewährten Lebensunterhalt, der vielmehr gesondert festgesetzt und geleistet werden müsse. Hierfür sei gemäß § 97 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB XII die Beigeladene als des örtlichen Trägers der Sozialhilfe zuständig. Eine Zuständigkeit des Beklagten als überörtlichen Träger ergebe sich auch nicht aus § 97 Abs. 4 SGB XII, der nur vollstationäre Einrichtungen betreffe. Ob die Beigeladene Leistungen zu erbringen habe, sei nicht zu entscheiden, weil er in diesem Verfahren nicht nach § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung verurteilt werden könne.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 35, 92 und 75 ff SGB XII sowie des Art 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz (GG). Das Mittagessen in der WfbM sei integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe und könne nicht aus der Gesamtmaßnahme der WfbM herausgelöst werden. Bei der Tätigkeit in der WfbM handele es sich um eine Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben. Dort würde behinderten Menschen die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung ermöglicht. Die Werkstatt sei gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) u.a. verpflichtet, den behinderten Menschen zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Hierzu gehöre ein strukturierter Tagesablauf, bei dem die Mittagsbetreuung zu gewährleisten sei und auch die Einnahme einer warmen Mittagsmahlzeit eingeübt werden müsse. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 35 SGB XII ergebe sich, dass auch ab 1. Januar 2005 eine der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage entsprechende Regelung beabsichtigt gewesen sei. Wollte man der Auffassung des LSG folgen, hätte die Regelung über einen Kostenbeitrag nach § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII keinerlei Anwendungsbereich mehr. Zudem übernehme der Beklagte in seinem Zuständigkeitsbereich für einige Hilfeempfänger die Kosten des Mittagessens, wenn die Einrichtungsträger diese Kosten in ihren Pflegesätzen nicht gesondert ausgewiesen hätten. Im Hinblick auf Art 74 Abs. 1 Nr. 7 GG sei es verfassungsrechtlich nicht haltbar, es dem Landesrecht oder gar untergeordneten Pflegesatzvereinbarungen zu überlassen, welche Ansprüche oder Kostenbeteiligungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beständen.

Die Klägerin beantragt, 

das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2005 abgeändert und der Beklagte verurteilt wird, ihr für die Zeit vom 1. März 2005 bis 27. Juni 2006 die von ihr übernommenen Kosten für Mittagessen in der C - Werkstatt N zu erstatten, soweit diese die im maßgebenden Regelsatz enthaltenen Kosten für das Mittagessen übersteigen.

Die Beklagte beantragt, 

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Der Beigeladene hat weder einen Antrag gestellt noch sich zur Sache geäußert.

 

II

Die Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. März 2005 bis 27. Juni 2006 dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) einen Anspruch auf Erstattung der von ihr selbst getragenen Kosten für ein tägliches Mittagessen in der WfbM, soweit diese die Kosten übersteigen, die für das Mittagessen im Regelsatz enthalten sind.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 15. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2005 (§ 95 SGG), soweit mit diesem "bis auf weiteres" die Übernahme der Mittagessenskosten in der WfbM unter Abänderung des früheren Bewilligungsbescheides (vom 21. Januar 2002) abgelehnt worden ist. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG), mit der sie statt einer Sachleistung (s dazu das Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 22/07 R) einen Erstattungsanspruch geltend macht, weil sie sich die Leistung selbst beschafft hat.

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Kostenerstattung ist insoweit § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Danach besteht eine Erstattungspflicht u.a., wenn der Rehabilitationsträger eine (Sach-)Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl. näher das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008 - B 8/9b SO 10/07 R). Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte die Leistung i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX "zu Unrecht abgelehnt". Zwar handelt es sich hier nicht um die von der Norm unmittelbar erfasste rechtswidrige Ablehnung einer (bisher) nicht erbrachten Sachleistung. Dieser Fallkonstellation ist jedoch der vorliegende Sachverhalt einer rechtswidrigen (teilweisen) Aufhebung einer bindend zuerkannten Sachleistung gleichzustellen (näher dazu das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008, a.a.O.).

Insofern misst sich die Begründetheit der Revision im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX an § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), weil der Beklagte als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die Kosten in der WfbM mit dem früheren Bescheid vom 21. Januar 2002 "bis auf weiteres", d.h. auf unbestimmte Dauer, bewilligt hatte, ohne die Kosten des Mittagessens hiervon auszunehmen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dürfte dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft nur aufgehoben bzw. geändert werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil auch nach Inkrafttreten der Regelungen des SGB XII (ab 1. Januar 2005) die Kosten für das Mittagessen der Klägerin in der WfbM als Leistung der Eingliederungshilfe zu übernehmen waren. Der Beklagte war weiterhin als überörtlicher Sozialhilfeträger für die Übernahme dieser Kosten in der WfbM zuständig (§ 97 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. Art 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst b AGSGB), weil das Mittagessen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse behinderter Menschen integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe war (näher dazu das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008, a.a.O.). Insoweit ist der Senat nicht an die Ausführungen des LSG gemäß § 202 SGG i.V.m. § 560 Zivilprozessordnung und § 162 SGG gebunden, weil es sich nicht um die Auslegung von Landesrecht, sondern um die Abgrenzung des Leistungsinhalts bundesrechtlicher Normen handelt.

Nach § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (jeweils in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27. Dezember 2003 - BGBl I 3022) erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (ebenfalls i.d.F. des Gesetzes vom 27. Dezember 2003) i.V.m. §§ 5 Nr. 2, 39, 41 Abs. 1 i.V.m. § 136 SGB IX u.a. Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM. Mit dem von dem Beklagten im Verhandlungstermin abgegebenen und von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis ist für den Senat bindend festgestellt, dass die Leistungsberechtigung der Klägerin auf diese Eingliederungshilfe dem Grunde nach zu bejahen ist.

Die Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten WfbM sind nach §§ 39, 41 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX u.a. gerichtet auf die Weiterentwicklung der Persönlichkeit (näher dazu das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008, a.a.O.); die Leistungen im Arbeitsbereich einer WfbM dienen damit auch der Eingliederung in die Gesellschaft. Produktion und Umsatz stehen mithin nicht im Vordergrund der Werkstatttätigkeit. Die Maßnahme in einer WfbM verfolgt insoweit vielmehr ein ganzheitliches Förderkonzept, zu dem normativ und nach den Bedürfnissen der Maßnahmeteilnehmer ein gemeinsames Mittagessen gehört (näher dazu das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008, a.a.O.).

Dem Umstand, dass im Regelsatz der Grundsicherungsleistung, die der Klägerin von der Beigeladenen gewährt wurde, bereits Essenskosten enthalten sind, hat die Klägerin mit ihrem beschränkten Klageantrag Rechnung getragen (näher dazu das Senatsurteil vom 9. Dezember 2008, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Klage auf Erstattung der Kosten für das Mittagessen im Revisionsverfahren teilweise zurückgenommen worden ist.