Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin gegen den Beklagten nach Durchführung eines für sie erfolgreichen Vorverfahrens ein Anspruch auf Erstattung einer Erledigungsgebühr nach der Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1002 Vergütungsverzeichnis (VV = Anlage 1) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zusteht.

Die Klägerin wurde am 7.6.2002 Opfer eines Verkehrsunfalls, bei der sie sich ein Trauma der Halswirbelsäule zuzog. Der Beklagte stellte das Vorliegen einer Behinderung fest, die er zunächst mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40 bewertete (Bescheid vom 26.10.2004). Hiergegen ließ die Klägerin durch ihre bevollmächtigten Rechtsanwälte Widerspruch einlegen. Zur Begründung führten diese aus, dass der GdB zu gering bewertet und die Klägerin schwerbehindert sei. Dabei legten sie ein neurologisches Gutachten vor, das Dr. von K. am 9.9.2004 (nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin) im Auftrag einer privaten Versicherungsgesellschaft erstattet hatte. Dieses Gutachten wurde vom Ärztlichen Dienst des Beklagten ausgewertet, der zu der Auffassung gelangte, dass dadurch die Schwerbehinderteneigenschaft belegt sei. Der Beklagte half nunmehr dem Widerspruch ab und setzte einen GdB von 50 fest. Er erklärte sich außerdem bereit, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren zu erstatten, wobei er die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig hielt (Abhilfebescheid vom 9.2.2005).

Mit ihrer Kostenrechnung machten die Bevollmächtigten der Klägerin neben einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2500 VV RVG in Höhe von 240,00 Euro und einer Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005, 1002 VV RVG in Höhe von 280,00 Euro nebst 16 % Mehrwertsteuer geltend. Der Beklagte lehnte die Erstattung der Erledigungsgebühr ab (Bescheid vom 16.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.4.2005). Die dagegen erhobene Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 12.12.2005).

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 15.12.2006 die angefochtenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen abgeändert und den Beklagten verurteilt, weitere 324,80 Euro an außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren zu erstatten. Es hat ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin richte sich nach den Vorschriften des seit dem 1.7.2004 geltenden RVG. Für eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 i.V.m. Nr. 1005 VV RVG reiche allein die Fertigung der Widerspruchsschrift nebst Begründung nicht aus. Es müsse ein zusätzliches, gerade auf die unstreitige Erledigung gerichtetes Tätigwerden des Rechtsanwalts hinzukommen. Dieses liege hier darin, dass die Bevollmächtigten der Klägerin ein der Verwaltung bis dahin nicht bekanntes neurologisches Gutachten vorgelegt hätten, das von einer privaten Versicherungsgesellschaft in Auftrag gegeben worden sei. Dabei habe es sich um ein vollständiges Gutachten gehandelt, das auf einer klinischen Untersuchung der Klägerin beruhte. Derartige medizinische Unterlagen seien, wie der vorliegende Fall zeige, durchaus geeignet, eine außergerichtliche Erledigung zu fördern. Die Vorlage des Gutachtens sei als Mitwirkungshandlung auch kausal für die streitlose Erledigung des Widerspruchs. Denn aufgrund dieses Gutachtens habe der Beklagte seinen Standpunkt geändert. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin mit der Vorlage des Gutachtens lediglich ihre Mitwirkungspflicht erfüllt habe, denn die besondere, zu einer streitlosen Erledigung führende Mitwirkung und damit die optimale Erfüllung der Mitwirkungspflicht solle durch die Erledigungsgebühr honoriert werden.

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der Nr. 1002 i.V.m. Nr. 1005 VV RVG. Dieser Gebührentatbestand setze voraus, dass sich die Rechtssache durch die anwaltliche Mitwirkung erledige. Es sei ein besonderes Bemühen und Tätigwerden erforderlich, welches über das hinausgehe, was von einem Rechtsanwalt im Rahmen seiner Bevollmächtigung verlangt und erwartet werde. Die einfache Übersendung eines für eine private Versicherungsgesellschaft erstatteten Gutachtens stelle kein besonderes Bemühen dar. Zudem sei dieses Gutachten bereits während des Antragsverfahrens erstattet worden. Die Klägerin sei nach § 60 Abs. 1 SGB I zur Mitwirkung verpflichtet gewesen. Darauf sei sie auch hingewiesen worden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 116 Abs. 4 Satz 2 BRAGO i.V.m. § 24 BRAGO habe bereits den Nachweis eines besondern Bemühens gefordert. Auch in seiner jüngeren Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 22/06 R -) ein auf die Erledigung einer Rechtssache gerichtetes Tätigwerden verlangt, das über eine Widerspruchseinlegung und -begründung hinausgehe.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG vom 15.12.2006 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 12.12.2005 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

II

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das LSG hat den Beklagten zu Unrecht zur Zahlung eines weiteren Geldbetrages von 324,80 Euro (Erledigungsgebühr zuzüglich Mehrwertsteuer) als zu erstattende Kosten für das (isolierte) Vorverfahren verurteilt. Die ablehnende Entscheidung des Beklagen und das die in zulässiger Weise erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) abweisende Urteil des SG sind im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat nach § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1002 VV RVG.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat bei einem erfolgreichen Vorverfahren der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer "die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten". Dabei sind nach § 63 Abs. 2 SGB X "die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war". Da der Beklagte bereits in der Abhilfeentscheidung die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt hatte, richtet sich der Erstattungsanspruch nach den gesetzlichen Bestimmungen über die Vergütung der Rechtsanwälte (zur Kostenerstattung bei Verbandsvertretern vgl. allgemein BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 3/05 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 6, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

Die Vergütung (Gebühren und Auslagen) für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte bemisst sich seit dem 1.7.2004 nach dem RVG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5.5.2004 (BGBl I 2004, 718; vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 RVG). Dieses Gesetz ist hier anzuwenden, da die Klägerin ihren Bevollmächtigten den Auftrag zur Einlegung des Widerspruchs - wie das LSG festgestellt hat - nach dem Inkrafttreten des RVG am 1.7.2004 erteilt hat (vgl. hierzu die Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG).

Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem VV der Anlage 1 zum RVG. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG kommt bei einer "Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG)", in Betracht. Ginge es um ein gerichtliches Verfahren entstünden nach § 3 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihrer Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX geltend gemacht, für den der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 SGG). Unzutreffend ist das LSG jedoch im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass auch die weiteren Voraussetzungen für das Entstehen einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1002 VV RVG erfüllt sind.

Nach den amtlichen Erläuterungen zu Nr. 1002 Satz 1 VV RVG setzt diese Vorschrift voraus, dass "sich die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt". Dem steht nach Satz 2 gleich, dass "sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt". Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, denn das isolierte Vorverfahren hat sich nicht "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigt.

Der 1. Senat des BSG hat am 7.11.2006 in mehreren Verfahren (B 1 KR 23/06 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 13/06 R) entschieden, dass ein Rechtsanwalt für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid dann eine Erledigungsgebühr verlangen kann, wenn er eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat. Nach dem Wortlaut der Erläuterungen zu Nr. 1002 (Satz 2) VV RVG komme es für das Entstehen einer Erledigungsgebühr sowohl in einer Anfechtungssituation als auch bei einem Verpflichtungsrechtsbehelf auf die auf Erledigung gerichtete Mitwirkung des Anwalts an. Auch die Regelungssystematik, der Sinn und Zweck der Regelung sowie ihre Entstehungsgeschichte erforderten eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über das Maß desjenigen hinausgehe, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten werde. Dieser Rechtsprechung hat sich der 11a. Senat mit Urteil vom 21.3.2007 (B 11a AL 53/06 R) angeschlossen. Auch der erkennende Senat stimmt der überzeugenden Rechtsauffassung des 1. Senats zu. Zwar hat er in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 9.8.1995 - 9 RVs 7/94 - SozR 3-1930 § 116 Nr. 7 S 23 f) zu dem vor dem Inkrafttreten des RVG insoweit anzuwendenden § 116 Abs. 3 Satz 2 BRAGO die Auffassung vertreten, dass eine gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung eines Bevollmächtigten nur dann vorlag, wenn sich die Rechtssache durch beiderseitiges Nachgeben erledigt hat. Diese Rechtsprechung ist jedoch aufgrund des Wortlauts der inhaltlich neuen Erläuterung zu Nr. 1002 (Satz 2) VV RVG überholt, mit welcher die teilweise und die vollständige Abhilfe gleichstellt werden ("ganz oder teilweise erledigt").

Entgegen der Auffassung des LSG liegt im vorliegenden Fall keine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende, besondere Tätigkeit im Sinne einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des Rechtsanwalts vor, die ursächlich für die (unstreitige) Erledigung des Vorverfahrens durch Abhilfebescheid war. Denn die Bevollmächtigten der Klägerin haben den Widerspruch nur eingelegt und begründet. Soweit sie zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen (hier einer Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung einer Schwerbehinderung rechtfertigt) als präsentes Beweismittel (unaufgefordert) ein als Urkunde (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X; §§ 415 ff ZPO) zu verwertendes, in einem anderen Verfahren erstelltes Privatgutachten vorgelegt haben, haben sie dem Beklagten damit zwar weitere Ermittlungen erspart (§ 20 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB X). Mit der Vorlage dieser Urkunde haben sie sich aber noch im Rahmen der ihrer Mandantin obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X; § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I) gehalten.

Ein Rechtsanwalt, der nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung verpflichtet ist, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben, hat bei der Begründung des Widerspruchs den Mitwirkungsobliegenheiten seines Mandanten Rechnung zu tragen und daher in der Regel alle ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben (§ 21 Abs. 2 Satz 2 SGB X; § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB I). Zwar sind nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I (u.a. präsente) Beweismittel nur auf Verlangen vorzulegen. Von einem gewissenhaft, sorgfältig und gründlich das Vorverfahren betreibenden Rechtsanwalt kann jedoch erwartet werden, dass er präsente Beweismittel nicht nur bezeichnet, sondern auch (unaufgefordert) vorlegt, wenn diese ohne größeren Aufwand - wie hier - nur vervielfältigt werden müssen. Gebührenrechtlich wird diese anwaltliche Tätigkeit bereits mit der Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Nr. 2500 VV RVG (in der bis zum 1.7.2006 geltenden Fassung des Art 3 KostRMoG) sowie mit der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG abgegolten. Der Ansatz einer weiteren gleich hohen Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1002 VV RVG ist u.a. erst dann gerechtfertigt, wenn der Rechtsanwalt die Beweismittel neu beschafft (beschaffen lässt) und diese dann im Vorverfahren vorlegt (beibringt). So liegt jedenfalls der hier zu entscheidende Sachverhalt nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht (vgl. hierzu den Sachverhalt des ebenfalls am 2.10.2008 entschiedenen Rechtsstreits B 9/9a SB 5/07 R). Entgegen der Auffassung des LSG reicht es nicht aus, dass der Inhalt des Beweismittels zu einer Abhilfeentscheidung geführt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.