Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine terminale Niereninsuffizienz des Klägers Folge einer Wehrdienstbeschädigung ist und deshalb Anspruch auf Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) besteht.

Der 1978 geborene Kläger wurde am 30.10.1996 in Berlin gemustert. Dabei fanden sich Eiweiß und Blut im Urin. Eine zunächst auf den 19.11.1996 festgesetzte Kontrolluntersuchung wurde auf Wunsch des Klägers am 28.11.1996 durchgeführt. Der Urinstatus war erneut auffällig; der Kläger wurde deshalb zum B. B., Fachuntersuchungsstelle - Urologie, überwiesen, wo am 17.12.1996 eine fachärztliche Untersuchung und am 19.12.1996 radiologische und urologische Zusatzuntersuchungen stattfanden. Mit Schreiben vom 31.1.1997 teilte das Kreiswehrersatzamt dem Kläger mit, die Zusatzuntersuchungen hätten "gesundheitliche Gesichtspunkte ergeben, von denen Ihr behandelnder Arzt Kenntnis erhalten sollte. Eine ärztliche Behandlung erscheint erforderlich". Der Kläger suchte am 22.2.1997 einen Urologen auf, wurde von dort an eine Nephrologin und von dieser in das V.-Klinikum überwiesen, wo er vom 18.3. bis zum 12.4. 1997 wegen terminaler Niereninsuffizienz behandelt wurde. Anschließend war der Kläger dialysepflichtig. Am 29.9.1998 erhielt er eine Niere transplantiert.

Durch Bescheid des Kreiswehrersatzamtes Berlin vom 13.2.1997 wurde der Kläger als "vorübergehend nicht wehrdienstfähig" eingestuft und bis zum 31.7.1997 vom Wehrdienst zurückgestellt. Später erfolgte nach Angaben des Klägers eine endgültige Zurückstellung.

Der Kläger beantragte am 23.6.1998 Versorgung nach dem SVG mit der Begründung, eine rechtzeitige Verweisung an Fachärzte wegen der im Musterungsverfahren erhobenen Befunde hätte den ungünstigen Verlauf seiner Nierenkrankheit verhindert. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 24.8.1999; Widerspruchsbescheid vom 5.4.2000).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.1.2004). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Zwar sei das "Erscheinen" zur Feststellung der Wehrtauglichkeit (Musterung) dem Wehrdienst gleichgestellt, wehrdiensteigentümliche Umstände der Musterung seien aber - anders als nach § 81 Abs. 1 SVG erforderlich - nicht wesentliche Ursache der gesundheitlichen Schädigung des Klägers. Die Grundsätze zur Wehrdiensteigentümlichkeit truppenärztlicher Behandlung seien hier nicht anzuwenden, weil die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte (Ausschluss freier Arztwahl und gesetzliche Pflicht des Soldaten, sich gesund zu erhalten) bei einer Musterung nicht vorlägen. Selbst wenn die Musterungsärzte den Kläger pflichtwidrig nicht rechtzeitig über seinen Zustand aufgeklärt haben sollten, führe das nicht zu einem Anspruch auf Versorgung nach dem SVG, sondern allenfalls zu - zivilrechtlichen - Schadenersatzansprüchen (Urteil vom 26.4.2005).

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend: Das LSG habe §§ 80, 81 SVG verletzt, indem es zwischen Wehrdienst und - diesem vom Gesetz gleichgestellter - Musterung unterschieden habe. Auch für den bei der Musterung tätigen Arzt bestehe gegenüber dem Wehrpflichtigen eine besondere Fürsorgepflicht zur Gesunderhaltung. Ergebe sich ein kontrollbedürftiger Befund, so habe der Musterungsarzt unverzüglich alle medizinisch indizierten Maßnahmen durchzuführen. Das sei hier nicht geschehen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Berlin vom 26.4.2005 und des SG Berlin vom 28.1.2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24.8.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.4.2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm gemäß den Vorschriften des SVG i.V.m. dem BVG unter Anerkennung einer Niereninsuffizienz als Schädigungsfolge ab 1.8.1997 Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 v.H. Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.

 

II

Die Revision des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob dem Kläger Beschädigtenrente nach dem SVG i.V.m. dem BVG zusteht.

Nach § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Dies gilt entsprechend auch für eine Zivilperson, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat (§ 80 Satz 2 SVG). Eine Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SVG gilt als Wehrdienst auch das Erscheinen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit, zu einer Eignungsprüfung oder zur Wehrüberwachung auf Anordnung der zuständigen Dienststelle.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits zu § 3 Abs. 1 Buchst a BVG entschieden hat, kann als "Erscheinen" zeitlich und örtlich nur der Aufenthalt auf der betreffenden Dienststelle angesehen werden, nicht aber der Hin- und Rückweg, der in § 4 BVG gesondert erfasst wird (vgl. BSGE 7, 243, 244; allg. dazu auch BSG SozR Nr. 73 zu § 1 BVG). Andere Vorgänge, die einen Wehrpflichtigen betreffen, z.B. die Wehrerfassung, werden von dem Schutzbereich des § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SVG nicht erfasst (vgl. dazu BSGE 39, 130 = SozR 3200 § 81 Nr. 2).

Danach war der Kläger während seines Erscheinens beim Kreiswehrersatzamt am 30.10. und 28.11.1996 versorgungsrechtlich geschützt. Dies gilt auch für die Untersuchungen im B. B. am 17. und 19.12.1996, da diese auf Veranlassung des Musterungsarztes ebenfalls der Feststellung der Wehrtauglichkeit des Klägers dienten. Dieser Schutz umfasst nicht nur Schädigungen, die durch aktives Tun der beteiligten Ärzte entstehen konnten, sondern auch schädigende Einwirkungen, die sich möglicherweise dadurch ergeben haben, dass dem Kläger bei den Untersuchungen erhobene, behandlungsbedürftige Befunde nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sind.

Die ärztliche Musterungsuntersuchung dient dem Allgemeininteresse, dass zum Wehrdienst nur körperlich und geistig Taugliche herangezogen werden, sowie dem Interesse des Nichttauglichen, vor Gesundheitsschäden als Folge des Wehrdienstes bewahrt zu werden (vgl. BGHZ 65, 196, 200; BVerwG Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 7 S 5). Dabei geht das staatliche Interesse auch dahin, solchen Wehrpflichtigen, die bei der Musterung infolge einer behandlungsbedürftigen Krankheit vorübergehend nicht wehrdienstfähig sind (§ 8a Abs. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 1, § 17 WPflG), Gelegenheit zu geben, ihren Gesundheitszustand bis zu einer erneuten Musterungsuntersuchung wiederherzustellen (vgl. dazu allg. BVerwG Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 17 S 11; zur Abgrenzung s auch BGH NJW 1994, 2415). Dementsprechend obliegt es den mit der Musterung befassten Ärzten, den Wehrpflichtigen auf behandlungsbedürftige Befunde hinzuweisen. Eine derartige Unterrichtung ist in den Bestimmungen des Bundesministeriums der Verteidigung für die Durchführung der ärztlichen Untersuchung bei Musterung und Diensteintritt von Wehrpflichtigen, Annahme und Einstellung von freiwilligen Bewerbern sowie bei der Entlassung von Soldaten (ZDv 46/1) für das sog Abschlussgespräch ausdrücklich vorgesehen (Nr. 274). Je nach der Art der erhobenen Befunde und dem Ablauf der Musterungsuntersuchung kann auch eine vorherige (ggf. vorläufige) Information des Wehrpflichtigen durch den Arzt erforderlich sein. Je schwerwiegender die Befunde und je dringender die Behandlungsbedürftigkeit, desto schnelleres Handeln ist geboten. Allerdings gehört es nicht zu den Pflichten der Musterungsärzte, in dieser Eigenschaft erkrankte Wehrpflichtige selbst zu behandeln. Insoweit besteht ein deutlicher Unterschied zur truppenärztlichen Behandlung von Soldaten (vgl. dazu z.B. BSG SozR 3200 § 80 Nr. 2, § 81 Nr. 15).

Nach diesen Grundsätzen kam hier ein erster Hinweis auf einen auffälligen Urinbefund bereits am 30.10.1996 bei der Einbestellung des Klägers zu einer Kontrolluntersuchung in Betracht. Dies gilt erst recht bei der Überweisung des Klägers an das B. , nachdem am 28.11.1996 der Befund erneut auffällig war. Auch die Befundungen am 17. und 19.12.1996 können Veranlassung zu entsprechenden - unverzüglichen - Mitteilungen an den Kläger gegeben haben. Da das LSG keine Feststellungen dazu getroffen hat, welche Informationen der Kläger bei diesen Gelegenheiten jeweils über seinen Gesundheitszustand erhalten hat, vermag der erkennende Senat nicht zu entscheiden, ob insoweit pflichtwidrige Unterlassungen vorliegen. Erst recht lässt sich gegenwärtig nicht beurteilen, ob dadurch der Verlauf des Nierenleidens des Klägers wesentlich beeinflusst worden ist.

Die fehlenden Tatsachenfeststellungen können im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. § 163 SGG). Mithin ist die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das LSG geboten (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.