BSG - B 9 SB 76/15 B - Beschluss vom 12.1.2016
Nach dem im Ergebnis durch das Bundessozialgericht bestätigten Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.08.2015 - L 6 SB 425/15 - besteht zur Klärung der Frage nach der Höhe des Grades der Behinderung (GdB) kein Anspruch des behinderten Menschen auf eine quantitative sensorische Testung - QST -, die der Erfassung von Symptomen dienen soll, die auf spezifische neurobiologische Mechanismen von chronischem Schmerz hinweisen. Für die Bemessung des GdB kommt es maßgeblich allein auf die vorhandenen Funktionseinschränkungen an, die die Teilhabe des Betroffenen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigten, unabhängig davon, welche Symptomatik ihnen zugrunde liegt. Die QST-Testung ist deshalb im Schwerbehindertenrecht nicht entscheidungserheblich.
Gründe
I.
In der Hauptsache begehrt der Kläger die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 70 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Bei dem Kläger war zuletzt ein GdB von 50 ab 1.7.2009 festgestellt (Bescheid vom 16.2.2010; Funktionsstörung der Wirbelsäule, chronisches Schmerzsyndrom, Einzel-GdB 50; Armfunktionsstörungen, Einzel-GdB 10). Der Antrag auf Neufeststellung war erfolglos (Bescheid vom 26.3.2012; Widerspruchsbescheid vom 10.7.2012). Das SG hat im anschließenden Klageverfahren schriftliche Auskünfte der behandelnden Ärzte eingeholt und aus einem parallelen Rentenverfahren von Amts wegen im Verwaltungs- bzw Klageverfahren veranlasste chirurgische, orthopädische und neurologische Gutachten, weitere nach § 109 SGG eingeholte orthopädische und neurologisch-psychiatrische Gutachten beigezogen und zudem ebenfalls nach § 109 SGG ein orthopädisches sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, welche zu dem Ergebnis kamen, der GdB sei anhand der objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen mit 50 ausreichend bewertet. Auch bestünden keine Anhaltspunkte für die Voraussetzungen des Merkzeichens G. Daraufhin hat das SG die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.12.2014). Im Berufungsverfahren hat der Kläger den im SG-Verfahren als verspätet zurückgewiesenen Antrag auf Einholung eines anästhesiologischen Gutachtens nach § 109 SGG zur Durchführung einer quantitativen sensorischen Testung (QST-Untersuchung) weiterverfolgt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, sich zur Begründung auf die vorliegenden Beweisergebnisse gestützt und ergänzend ausgeführt, dem weiteren Antrag nach § 109 SGG sei nicht nachzugehen gewesen, weil das Antragsrecht verbraucht sei. Die vorrangig angestrebte QST-Untersuchung sei zur Feststellung der allein relevanten Funktionseinschränkungen auch unerheblich (Urteil vom 27.8.2015).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt die grundsätzliche Bedeutung wie auch Verfahrensfehler.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Sache sowie des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl. § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG).
1. Der Kläger legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl. z.B. BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr. 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 33 S 151 f m.w.N.). Der Kläger muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl. BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr. 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger formuliert als Frage, "ob es im Schwerbehindertenrecht einen Anspruch des Behinderten darauf gibt, dass eine quantitative sensorische Testung - QST - zur Ermittlung des Grades der Behinderung durch das Gericht im Rahmen des richterlichen Amtsermittlungsgrundsatzes nach den §§ 103, 106 SGG vorgenommen wird". Zweifelhaft ist bereits, ob es sich bei dieser Frage um eine Rechtsfrage handelt, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals abzielt, und nicht um eine (unzulässige) Tatfrage bezogen auf die Feststellung tatsächlicher Umstände des Einzelfalls. Dessen unbeschadet legt der Kläger aber jedenfalls den Klärungsbedarf nicht dar. Die Beschwerdebegründung beschäftigt sich bereits nicht mit der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Umfang der Amtsermittlungspflicht im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. Müller in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 103 RdNr. 6 ff, 11 ff, 24 ff m.w.N.).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde zudem darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs. 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger trägt vor, der gerügte Verfahrensmangel bestehe in dem Übergehen des hilfsweise gestellten Antrags auf gutachterliche Anhörung nach § 109 SGG des Herrn N. M. zu den Funktionseinschränkungen aufgrund des bei ihm gegebenen Schmerzzustandes. Damit ist ein Verfahrensfehler nicht aufgezeigt. Abgesehen davon, dass eine Verletzung des § 109 SGG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht von Bedeutung wäre (vgl. BSG Beschluss vom 8.5.2012 - B 5 R 48/12 B - Juris RdNr. 8 m.w.N.), liegt auch keine sinngemäß geltend gemachte Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) vor. Zur Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung des § 103 SGG muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG Beschluss vom 15.9.2015 - B 13 R 201/15 B - Juris RdNr. 5). Denn auch wenn der Kläger seinen Hilfsantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat, fehlt es bereits an einer Auseinandersetzung mit dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des LSG, für die Bemessung des GdB komme es maßgeblich allein auf die vorhandenen Funktionseinschränkungen an, die die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigten, unabhängig davon, welche Symptomatik ihnen zugrunde liege. Die QST-Testung, die der Erfassung von Symptomen diene, die auf spezifische neurobiologische Mechanismen von chronischem Schmerz hinwiesen, sei deshalb im Schwerbehindertenrecht nicht entscheidungserheblich. Der Kläger behauptet im Übrigen nicht einmal, dass sein chronisches Schmerzsyndrom bei der Feststellung des GdB unberücksichtigt geblieben sei.
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 160a Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.