BSG - B 9 VH 2/10 B - Beschluss vom 02.12.2010
Der Inhalt der Anhaltspunkte, die antizipierte Sachverständigengutachten darstellen, ist nicht ausschließlich mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln. Vielmehr sind Zweifel vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber (dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin bzw. bei dem für diesen geschäftsführend tätigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales) zu klären.
Gründe
Die Klägerin ist die Tochter und Rechtsnachfolgerin des am 1.12.1987 verstorbenen Beschädigten S. L. Streitig sind noch ursprünglich diesem zustehende Leistungsansprüche nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), und zwar - gestützt auf § 44 SGB X - betreffend eine höhere Schwerstbeschädigtenzulage für die Zeit vom 1.1.1982 bis zum 31.5.1987 sowie bezüglich höherer Versorgungsleistungen für die Zeit vor dem 1.1.1982 wegen einer wesentlichen Änderung hinsichtlich der mit Bescheiden vom 8.1.1957 und 14.4.1959 anerkannten Schädigungsfolgen (vgl. § 48 SGB X). Insoweit hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) mit Schlussurteil vom 11.3.2010 Ansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht verneint. Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung macht die Klägerin Verfahrensmängel und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Der Rechtsstreit betrifft zwei voneinander unabhängige Streitpunkte (Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage für die Zeit vom 1.1.1982 bis zum 31.5.1987 und Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 1.1.1982 wegen Verschlimmerung anerkannter Schädigungsfolgen). Daher ist das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen für jeden Gegenstand gesondert zu prüfen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 160 RdNr. 5a). Nach § 160 Abs. 2 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; dabei kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr. 3). In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs. 2 Satz 3 SGG).
1. Soweit sich das Berufungsurteil - entsprechend der Zurückverweisung durch Urteil des BSG vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - auf die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage für die Zeit vom 1.1.1982 bis zum 31.5.1987 bezieht, beruht es auf einem von der Klägerin ordnungsgemäß gerügten Verstoß gegen die in § 103 SGG geregelte Pflicht des Gerichts zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG). Das LSG ist einem Beweisantrag der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.
Mit Schreiben ihres nicht rechtskundigen, prozessbevollmächtigten Sohnes vom 9.3.2010 hatte die Klägerin u.a. beantragt, zum Beweis für ihre Interpretation des Befund- und Behandlungsberichtes der sachverständigen Zeugin Dr. R., die den Beschädigten seinerzeit behandelt hatte, diese Zeugin zu befragen. Im Zusammenhang mit ihren dazu gemachten Ausführungen ist dieser Antrag dahin zu verstehen, Dr. R. zur Klärung des Inhaltes des betreffenden Befundberichtes ergänzend zu hören, sofern das LSG diesen anders interpretieren sollte als sie, die Klägerin. Darin ist entgegen der Ansicht des LSG kein unzulässiger Beweisantrag zu sehen. Ist eine schriftliche Zeugenaussage unklar oder sonstwie interpretationsbedürftig, so ist es grundsätzlich geboten, beim Zeugen nachzufragen, wie er bestimmte Angaben gemeint hat. Die Beweiswürdigung des Gerichts setzt erst dann ein, wenn sich Unklarheiten (z.B. wegen vorhandener Erinnerungslücken) auf diese Weise nicht beheben lassen.
Das LSG hätte sich zu der von der Klägerin beantragten weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen. Nach seiner Rechtsauffassung kommt es unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes für die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage entscheidend darauf an, wie die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Beschädigten hinsichtlich des Organsystems Herz-Kreislauf im streitigen Zeitraum zu bewerten ist. Dabei richtet sich die MdE-Bemessung nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen (AHP), Ausgabe 1973, sowie den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) Ausgabe 1983. Nach beiden Ausgaben der AHP sind die vorgesehenen MdE-Werte danach gestaffelt, bei welcher Belastung eine Leistungsbeeinträchtigung auftritt, wobei die AHP 1983 die Art der Belastung und der Leistungsbeeinträchtigung jeweils näher umschreiben. Dementsprechend ist im vorliegenden Fall das damalige, an diesen Kriterien orientierte funktionale Zustandsbild des Beschädigten möglichst genau festzustellen. Mangels anderer aussagekräftiger Beweismittel haben die Angaben der seinerzeit behandelnden Internistin (Kardiologin) Dr. R. insoweit eine ausschlaggebende Bedeutung.
Deren schriftliche Äußerungen sind in dieser Hinsicht nicht ausreichend klar. So ist das Schreiben vom 8.7.1987 zur Übergabe des Beschädigten in die Behandlung von Frau Dr. S. recht allgemein gehalten, wobei insbesondere der Satz "Herr L. war im gesamten Behandlungszeitraum kardial kompensiert gewesen" als interpretationsbedürftig erscheint. Ihre Stellungnahme vom 18.10.1989 beantwortet die Fragen des SG, die sich im Wesentlichen auf die Behandlung des Beschädigten wegen dessen Herzleidens, insbesondere hinsichtlich einer Arteriosklerose, nicht jedoch auf die für die MdE-Bemessung maßgeblichen Merkmale beziehen. Die Äußerung Dr. R. vom 1.8.2009 gegenüber dem LSG ist - auch infolge einer zwischenzeitlichen Vernichtung der Patientenunterlagen - von Erinnerungslücken und dementsprechend allgemein gehaltenen Angaben geprägt.
Unter diesen Umständen war es geboten, Frau Dr. R. wie von der Klägerin sinngemäß beantragt - gezielt zu den nach den AHP 1973 und 1983 maßgebenden Umständen zu befragen, insbesondere dazu, ob und gegebenenfalls welche Leistungsbeeinträchtigungen bei dem Beschädigten bereits in Ruhe eintraten. Dabei wäre insbesondere zu prüfen gewesen, ob nicht eine persönliche Anhörung der sachverständigen Zeugin angezeigt war, um der Klägerin konkrete Fragen und Vorhalte zu ermöglichen.
Auf dem insoweit verfahrensfehlerhaften Unterlassen entsprechender weiterer Ermittlungen kann das Berufungsurteil beruhen, soweit es die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage betrifft. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Herzschaden des Beschädigten nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme als schwerer dargestellt hätte als das LSG bisher angenommen hat. Bereits die Anhebung der diesbezüglichen MdE von 60 vH auf 70 vH hätte - wovon auch das LSG ausgegangen ist - zu einer höheren Schwerstbeschädigtenzulage geführt.
2. Soweit das angegriffene Urteil eine Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 1.1.1982 wegen einer Verschlimmerung anerkannter Schädigungsfolgen betrifft, beruht es i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG - wie die Klägerin zutreffend im Einzelnen gerügt hat - auf einer Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG, §§ 62, 112 SGG).
Zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) gehört grundsätzlich auch das Recht der Beteiligten darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sowie zu der relevanten Rechtslage zu äußern (vgl. z.B. BVerfGE 86, 133, 144). Dabei hat das Gericht zwar nicht die Pflicht, seine Auffassung zur Sach- und Rechtslage vor der Entscheidung zu erkennen zu geben. Jedoch darf ein Urteil nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, mit denen die Beteiligten nicht haben rechnen müssen. Daraus können sich Hinweispflichten des Gerichts ergeben (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 62 RdNr. 8a ff m.w.N.). In der mündlichen Verhandlung dient auch die Darstellung des Sachverhalts (§ 112 Abs. 1 Satz 2 SGG), die Anhörung der Beteiligten (§ 112 Abs. 2 Satz 1 SGG) und die Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses mit den Beteiligten (§ 112 Abs. 2 Satz 2 SGG) der Gewährung rechtlichen Gehörs.
Nach Auffassung des LSG richtet sich der hier streitige Beginn höherer Versorgungsleistungen nach § 60 Abs. 2 BVG, der eine rückwirkende Leistungsgewährung vorsieht, wenn der Beschädigte ohne sein Verschulden an einer früheren Antragstellung gehindert war. Das LSG ist insoweit bereits in seinem Urteil vom 26.6.2007 - L 13 VH 7/94 W04*11 - davon ausgegangen, dass der Beschädigte durch die Folgen eines schweren Schlaganfalls von Januar 1973 bis zu seinem Tode im Dezember 1987 selbst gehindert war, einen Antrag auf höhere Leistungen nach dem HHG zu stellen. Dementsprechend war noch zu prüfen, ob dem Beschädigten das Verschulden eines Vertreters zuzurechnen ist. Während das LSG in seinem Urteil vom 26.6.2007 angenommen hatte, die Ehefrau und Tochter des Beschädigten seien nicht als seine Vertreter anzusehen, ist es - nach Zurückverweisung der Sache durch das BSG - im angefochtenen Berufungsurteil zu dem Ergebnis gelangt, dass spätestens ab Oktober 1984 eine stillschweigende Bevollmächtigung der Ehefrau sowie eine funktionale Vertretung durch die Tochter gegeben gewesen seien. Da keine der beiden Vertreterinnen innerhalb eines halben Jahres einen Neufeststellungsantrag für den Beschädigten gestellt habe, scheide eine Vorverlegung des Leistungsbeginns aus. Damit hat das LSG ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BVG mit einer doppelten Begründung ausgeschlossen. Es hat nämlich dem Beschädigten das Unterlassen der Antragstellung ab Oktober 1984 im Hinblick auf eine Vertretung sowohl durch dessen Ehefrau als auch durch dessen Tochter (der Klägerin) zugerechnet. Dementsprechend muss für jeden der beiden Begründungsstränge ein Zulassungsgrund - hier also ein Gehörsverstoß - geltend gemacht worden sein und tatsächlich vorliegen. Das ist der Fall.
Soweit das LSG eine stillschweigende Bevollmächtigung der Ehefrau des Beschädigten angenommen hat, handelt es sich um eine Überraschungsentscheidung. Während das LSG in seinem Urteil vom 26.6.2007 - vom BSG insoweit unbeanstandet - noch davon ausgegangen ist, dass dem an die Versorgungsbehörde gerichteten Schreiben der Ehefrau des Beschädigten vom 18.10.1984 (betreffend eine Änderung der Adresse und des Kontos) ein Auftrag, weitergehende Anträge zu stellen, nicht entnommen werden könne, hat es in dem angefochtenen Urteil - ohne einen vorherigen Hinweis an die Klägerin - die Ansicht vertreten, aus diesem Schreiben ergebe sich das Vorliegen einer stillschweigenden Bevollmächtigung der Ehefrau des Beschädigten. Gerade auch im Hinblick darauf, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin noch mit Schreiben vom 9.3.2010 an das LSG festgestellt hatte, dass zeitlich vor der der Klägerin am 9.6.1986 vom Beschädigten erteilten Generalvollmacht keine stillschweigende, funktionale oder sonst wie zu Lasten des Beschädigten geltend zu machende Vertretungsmacht bestanden habe, wäre es für das LSG geboten gewesen, in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 11.3.2010 die Möglichkeit einer von der früheren Entscheidung abweichenden Beurteilung anzudeuten. Das ist nach dem glaubhaften Vorbringen der Klägerin nicht geschehen, zumal die Sitzungsniederschrift keinen entsprechenden Hinweis enthält (zur Protokollierung derartiger Hinweise vgl. § 202 SGG i.V.m. § 139 Abs. 4 ZPO; dazu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 122 RdNr. 4e).
Ähnlich verhält es sich mit der Annahme des LSG, die Klägerin sei in der streitigen Zeit funktionale Vertreterin des Beschädigten gewesen. Auch auf dieses Begründungselement hat das LSG seine Entscheidung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gestützt.
Zur Begründung der Feststellung, dass seinerzeit u.a. keine funktionale Vertretung für den Beschädigten bestanden habe, hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin kurz vor der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 9.3.2010 ausgeführt:
"Die Klägerin hat sich aus Achtung gegenüber ihrem Vater immer darum bemüht, nichts was ihn betraf ohne sein ausdrückliches Einverständnis zu unternehmen, da sie wusste, dass er trotz seiner körperlichen Handlungsunfähigkeit noch vernünftig denken konnte. Es wurde also immer, selbst bei alltäglichen Kleinigkeiten, gefragt: 'Papa, soll ich das so machen? Willst du das?' Auf solche Fragen konnte Herr L. mit 'Ja' oder 'Nein' antworten, so dass eine Verständigung möglich war. D.h., es wurde in der Zeit vor der Erteilung der Generalvollmacht immer die ausdrückliche Genehmigung im Einzelfall eingeholt; als 'stillschweigende' oder 'funktionale' Vertretung kann man ein solches, auf den jeweiligen Einzelfall bezogenes (und vor allem beschränktes) Erbitten einer Zustimmung nicht ansehen."
Diese Angaben hat das LSG in seinem Urteil vom 11.3.2010 dahin gewertet, dass die Klägerin damit praktisch den klassischen Fall einer funktionalen Vertretung dargestellt habe. Denn einerseits ergebe sich aus ihrem Vortrag, dass es sich um einen dauerhaften, sich immer wiederholenden Vorgang in den verschiedensten Lebensbereichen und bei den verschiedensten Belangen des Beschädigten ("selbst bei alltäglichen Kleinigkeiten") gehandelt habe und dass sie die jeweiligen Aspekte stets so vorbereitet gehabt habe, dass es nur noch der abschließenden Entscheidung des Beschädigten bedurft habe. Damit ist das LSG im Ergebnis von einem (stillschweigenden) Auftrag des Beschädigten an die Klägerin (seine Tochter) ausgegangen, sich um alle seine Angelegenheiten (einschließlich der Versorgungsangelegenheit) zu kümmern und jeweils alles Erforderliche für eine abschließende Entscheidung des Beschädigten vorzubereiten. Mit dieser Beurteilung brauchte die Klägerin nicht zu rechnen, zumal sich auch den Ausführungen des LSG nicht entnehmen lässt, aus welchen Erklärungen oder aus welchem Verhalten des Beschädigten es einen solchen umfassenden Betreuungsauftrag hergeleitet hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Berufungssenat seiner Entscheidung die Ansicht zugrunde gelegt hat, dass die späte Antragstellung dem Beschädigten selbst wegen seines Gesundheitszustandes nicht als schuldhaft angelastet werden könne. Das LSG hat damit also offenbar auch angenommen, dass dieser von sich aus keine konkreten Aufträge zur Stellung von Versorgungsanträgen mehr erteilen konnte.
Unter diesen Umständen war es für die Klägerin überraschend, dass der Berufungssenat aus ihren Angaben das Gegenteil von dem geschlossen hat, was sie damit geltend machen wollte, ohne ihr zuvor Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Ein entsprechender Hinweis des LSG wird von der Klägerin verneint und ist auch nicht aktenkundig (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 139 Abs. 4 ZPO).
Auf dem danach gegebenen doppelten Gehörsverstoß kann der betreffende Teil des Berufungsurteils beruhen. Der erkennende Senat geht dabei davon aus, dass die im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertretene Klägerin alles ihr Zumutbare getan hat, um sich zur Frage einer stillschweigenden oder funktionalen Vertretung rechtliches Gehör zu verschaffen. Insbesondere hat sie glaubhaft vorgetragen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vom 11.3.2010 keine Gelegenheit gehabt habe, diesen Punkt von sich aus anzusprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Sitzungsniederschrift weder der Sachverhalt dargestellt noch das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert worden ist (vgl. dazu § 112 SGG). Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass es der Klägerin bei Kenntnis der Annahmen des LSG zum Vorliegen einer stillschweigenden oder funktionalen Vertretung durch entsprechendes Vorbringen sowie durch Beweisanträge gelungen wäre, das LSG zu weiteren Ermittlungen zu veranlassen, die zu einem für die Klägerin günstigen Ergebnis hätten führen können.
3. Da mithin für das Berufungsurteil insgesamt die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG vorliegen, macht der Senat - auch zur im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer besonders dringlichen Beschleunigung des Verfahrens - von der Möglichkeit Gebrauch, in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 160a Abs. 5 SGG). Dabei berücksichtigt er, dass die von der Klägerin auch geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) nicht i.S. von § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG hinreichend dargelegt worden ist. Die Klägerin hat insbesondere nicht deutlich gemacht, warum sich die von ihr aufgeworfenen Fragen nicht anhand der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. dazu BSG SozR 3-1500 § 146 Nr. 2). Der Beschluss des LSG über die Anhörungsrüge der Klägerin, auf den sich diese in ihrer Beschwerdebegründung ebenfalls bezieht, ist nicht zulässiger Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens (vgl. dazu auch § 178a Abs. 4 Satz 3 SGG).
Der Senat sieht davon ab, die Sache - entsprechend der Anregung der Klägerin - gemäß § 202 SGG i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an einen anderen Senat des LSG zurückzuverweisen. Angesichts des großen Umfangs der vorliegenden Akten wäre damit voraussichtlich eine erhebliche Verzögerung der ohnehin schon überlangen Verfahrensdauer verbunden. Darüber hinaus hat sich die Besetzung des 13. Senats des LSG im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Von den Richtern, die an dem ersten Urteil des LSG vom 5.5.1998 mitgewirkt haben, gehört niemand mehr dem 13. Senat an. Zuletzt hat der Richter, der die hier angegriffene Entscheidung als Berichterstatter vorbereitet hat, den Berufungssenat verlassen. Insofern muss nicht davon ausgegangen werden, dass dem 13. Senat Fehler, wie sie dem jetzt aufgehobenen Schlussurteil vom 11.3.2010 zugrunde liegen, erneut unterlaufen werden. Im Übrigen hat der erkennende Senat keine Veranlassung, an der Unvoreingenommenheit der jetzigen Richter des 13. Senats des LSG zu zweifeln, zumal sich auch die Klägerin - bei aller Kritik an der Vorgehensweise der Berufungsrichter - nicht in diese Richtung geäußert hat.
Bei der Fortführung des Berufungsverfahrens wird das LSG insbesondere Folgendes zu berücksichtigen haben:
Die AHP 1973 und 1983 haben zwar nach der Rechtsprechung des BSG normähnlichen Charakter, ihrem Inhalt nach handelt es sich jedoch um antizipierte Sachverständigengutachten. Dementsprechend ist deren Inhalt nicht (ausschließlich) mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden zu ermitteln; vielmehr sind diesbezügliche Zweifel vorzugsweise durch Nachfrage bei dem verantwortlichen Urheber, hier also beim Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin bzw. bei dem für diesen geschäftsführend tätigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales (§ 3 Versorgungsmedizin-Verordnung), zu klären (vgl. z.B. dazu BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 6/06 R - juris RdNr. 21). Entgegen der Ansicht des LSG gehört die Klärung des Inhalts eines antizipierten Sachverständigengutachtens auch zur Erforschung des Sachverhalts i.S. von § 103 SGG. Nur geht es dabei nicht um individuelle, sondern um allgemeine Tatsachen (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 103 RdNr. 7c m.w.N.). Der so festgestellte Inhalt der AHP unterliegt sodann einer rechtlichen Inhaltskontrolle (vgl. z.B. BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 RdNr. 25).
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.