BSG - B 9a/9 V 8/03 R - Urteil vom 25.11.2005
Ein während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangener Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit - Teilnahme an Erschießungen von Zivilpersonen - führt zum Ausschluss von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Der Täter kann sich nicht darauf berufen, er habe auf Befehl gehandelt, wenn er ohne unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben die Möglichkeit einer Befehlsverweigerung hatte. Der Ausschluss von Versorgungsleistungen gilt jedoch nicht für Ansprüche, die auf schädigende Einwirkungen zurückzuführen sind, denen es an einem engen Bezug zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat fehlt (z.B. während der Kriegsgefangenschaft erlittene Schädigungsfolgen).
Gründe
I
Streitig ist die Entziehung einer Grundrente und in ihrer Folge eines
Heilbehandlungsanspruchs wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
während der Herrschaft des Nationalsozialismus nach § 1a Bundesversorgungsgesetz
(BVG).
Der am 23. April 1922 in S./Pommern geborene Kläger meldete sich nach seinen
eigenen Angaben 1940 freiwillig zur Waffen-SS. Seinen Dienst trat er im Juni
1941 bei der 1. SS-(Totenkopf)-Infanterie-Brigade (mot), Regiment 10, in der 9.
Kompanie des III. Bataillons an. Nach den vom Landessozialgericht
Baden-Württemberg (LSG) beigezogenen Unterlagen der Deutschen Dienststelle für
die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen
Wehrmacht (WASt) vom 30. April 2002 erlitt der Kläger am 8. Januar 1942 einen
Frostschaden an beiden Füßen und wurde am 12./13. Januar 1943 an der Rollbahn
Podberesi-Wel-Luki verwundet. Der Kläger gab im Verwaltungsverfahren an, ab Mai
1945 zunächst in sowjetischer und anschließend bis zum 21. April 1950 in
polnischer Kriegsgefangenschaft gewesen zu sein. In Polen habe er als
Kriegsgefangener in einem Bergwerk unter Tage arbeiten müssen und sei im Februar
1948 an einer Rippenfellentzündung erkrankt.
Mit Bescheid vom 18. November 1950 bewilligte die Landesversicherungsanstalt
(LVA) Schleswig-Holstein dem Kläger ab 1. November 1950 eine
Kriegsbeschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH,
die durch Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamtes Flensburg vom 20. Februar
1951 in eine Grundrente nach dem BVG umgewandelt wurde. Ab 1. Juli 1953 gewährte
ihm das Versorgungsamt Grundrente nach einer MdE von 100 vH (Bescheid vom 30.
November 1953). Als Schädigungsfolgen wurden dabei anerkannt: Geschlossene
Lungentuberkulose rechts, Erfrierungsfolgen an der rechten Großzehe und
belanglose Narbe an der linken Ellenbeuge. Später wurde die MdE auf 80 vH
(Bescheid vom 17. Februar 1959) und danach auf 60 vH (Bescheid vom 20. September
1962) herabgesetzt.
Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war der Kläger zunächst als
Hilfsarbeiter beschäftigt. Vom 3. Juli 1953 bis zum 30. Juni 1961 bezog er eine
Invaliden- bzw Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
(GRV). Anschließend ging er bis zum 31. Juli 1983 wiederum einer
versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Das Erwerbsleben beendete er zum
1. August 1983 mit dem Bezug eines flexiblen Altersruhegeldes.
Im Juli 1998 - nach dem Inkrafttreten des § 1a BVG im Januar diesen Jahres -
ersuchte der Beklagte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in
Ludwigsburg (Zentralstelle) um Auskunft, ob dort Erkenntnisse über einen
möglichen Verstoß des Klägers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit während seines Dienstes bei der Waffen-SS vorlägen. Die
Zentralstelle übersandte alsdann Protokolle über Vernehmungen des Klägers aus
den Jahren 1961 und 1979.
Im Rahmen eines Vorermittlungsverfahrens hatte der Kläger am 8. August 1961
gegenüber Beamten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg "Sonderkommission -
Zentrale Stelle -" (Az: 202 AR-Z 1212/60) in Alpirsbach angegeben: Er sei am 9.
Juni 1941 zur SS-Totenkopfstandarte nach Brünn-Kuhberg einberufen worden. Bei
Ausbruch des Russlandfeldzuges am 22. Juli 1941 sei er zur 1.
SS-Infanterie-Brigade (mot) nach Krakau zur weiteren Ausbildung und anschließend
zu einem Truppenübungsplatz nach Lidice verlegt worden. Ende August 1941 sei die
Einheit zum Fronteinsatz in die Pripjetsümpfe abgerückt. Noch im sowjetisch
besetzten Teil Polens habe der damalige Kompanieführer Storch den Befehl
erteilt, sämtliche Bewohner einer Stadt ohne Altersunterschied aus ihren Häusern
zu holen und auf dem Marktplatz zusammenzutreiben. Hieran habe er sich
beteiligt, wobei ihm nicht klar geworden sei, um welche Bevölkerungsgruppen es
sich gehandelt habe; insbesondere nicht, ob es Juden gewesen seien. Sein Zug
habe dann den Befehl erhalten, sich an einer genauer bezeichneten Stelle
außerhalb der Stadt einzufinden. Nach weiteren ein bis zwei Stunden hätten sie
den Befehl zur gruppenweisen Erschießung der zwischenzeitlich dorthin
verbrachten Stadtbewohner erhalten. Zunächst hätten sich ca 30 männliche
Zivilpersonen an dem Rand einer zuvor ausgehobenen Grube, mit dem Gesicht zur
Grube, in einer Reihe aufstellen müssen. Anschließend seien sie von hinter ihnen
in zwei Reihen stehenden Schützen seines Zuges erschossen worden, wobei immer
zwei Schützen auf eine Person zu zielen gehabt hätten. Bei dieser ersten
Exekution, an der er beteiligt gewesen sei, seien alle Opfer sogleich tot
gewesen. Nach einer Pause hätte sich eine zweite Gruppe zur Exekution
aufgestellt, in der sich auch Frauen, Kinder im Alter zwischen 12 und 14 Jahren
sowie Säuglinge auf den Armen ihrer Mütter befunden hätten. Die zu
Exekutierenden seien, weil einige Schützen absichtlich daneben geschossen
hätten, nicht alle sogleich tot gewesen. Um eine ausgesprochene
Befehlsverweigerung habe es sich jedoch nicht gehandelt. Bereit stehende
Unterführer hätten dann Nachschüsse mit Pistolen abgegeben. Die Erschießung
zweier weiterer Gruppen, ebenfalls mit Frauen und Kindern, sei nicht mehr
erfolgt; wahrscheinlich habe ein höherer Wehrmachtsoffizier das Ende der
Erschießungen befohlen, zumindest seien sie anschließend nicht wieder
aufgenommen worden.
Gegenüber dem Kriminalkommissariat Freudenstadt hatte der Kläger am 28. Februar
1979 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hannover gegen
unbekannt wegen Kriegsverbrechen im Raum Beresino/Tscherwen (Az: 11 Js 12/74)
als Zeuge angegeben: Ende Juli/Anfang August sei seine Einheit in den Raum Minsk
zum Fronteinsatz verlegt worden. Während dieses Einsatzes sei es nicht zu
Erschießungen von Gefangenen oder Dorfbewohnern gekommen. Ferner berichtete er
gegenüber der Kriminalpolizei von seinen Verwundungen und späteren Einsätzen.
Ihm sei kein Fall bekannt geworden, in dem die 1. SS-Infanterie-Brigade an der
Ostfront Erschießungen von gefangenen Russen oder Dorfbewohnern vorgenommen
habe.
Auf seine Anhörung zu diesen Unterlagen durch den Beklagten erwiderte der
Kläger: Er sei auf Grund der Angaben im Protokoll vom 8. August 1961 nicht
verurteilt worden. Im Übrigen habe er auch keine Möglichkeit gehabt, sich als
19-Jähriger gegen die Erschießungsbefehle zu wehren und habe nicht abschätzen
können, dass die Befehle offenbar illegal gewesen seien.
Durch Bescheid vom 1. Dezember 1999 entzog der Beklagte dem Kläger die
Versorgungsleistungen ab dem 1. Januar 2000 mit der Begründung: Der Kläger habe
durch die aktive Beteiligung an der Erschießung unschuldiger Zivilpersonen im
September 1941 - während der Herrschaft des Nationalsozialismus - gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Von Bedeutung
sei insoweit, dass weitere Angehörige der Einheit, in der der Kläger gedient
habe, sich durch "Vorbeischießen" geweigert hätten, die illegalen Erschießungen
durchzuführen, was schließlich zum Abbruch der Aktion geführt habe. Auf einen
Befehlsnotstand könne er sich daher nicht berufen. Es sei auch nicht
nachgewiesen, dass im Falle der Befehlsverweigerung eine unmittelbare Gefahr für
sein Leben bestanden hätte. Hinweise auf einen Versuch, sich dem Befehl zu
entziehen, lägen nicht vor. Die Illegalität der Erschießungen habe dem Kläger
bekannt gewesen sein müssen, sodass er einen Beitrag zur Verwirklichung des
Völkermordes geleistet habe. Angesichts der Schwere des Verstoßes sei das
Vertrauen des Klägers in die Fortzahlung der bisherigen Versorgungsbezüge nicht
schutzwürdig.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor: Er bestreite die
Erschießungen nicht; zu seiner Entlastung seien jedoch sein damaliges Alter und
die Unerfahrenheit zu berücksichtigen. Er sei zudem davon ausgegangen, dass eine
Befehlsverweigerung zumindest Festungshaft, wenn nicht eine standrechtliche
Erschießung nach sich gezogen hätte. Er habe nicht gewusst, warum die Bewohner
der Stadt damals zusammengetrieben worden seien, und es sei auch nicht auf
Kinder geschossen worden; insoweit sei die Vernehmung 1961 unvollständig und
lückenhaft aufgenommen worden. Das "Vorbeischießen" könne nicht als
Befehlsverweigerung gewertet werden, sondern sei vielmehr darauf zurückzuführen,
dass viele Angehörige der Einheit bestürzt und unsicher gewesen seien. Er sei
zudem durch die Kriegsfolgen sein ganzes Leben lang benachteiligt worden; habe
also bereits für die Kriegsteilnahme gebüßt. Durch Widerspruchsbescheid vom 17.
März 2000 schloss der Beklagte das Vorverfahren ab.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Reutlingen (SG) hat der Klage durch
Urteil vom 11. April 2001 stattgegeben, indem es die angefochtenen Bescheide
aufhob und den Beklagten verurteilte, dem Kläger auch über den 31. Dezember 1999
hinaus Versorgung zu gewähren. In den Entscheidungsgründen heißt es: Der Kläger
habe Anfang September 1941 den objektiven Tatbestand des Mordes nach § 211
Strafgesetzbuch (StGB) verwirklicht. Dennoch führe dieses Verhalten nicht zu dem
Entzug der Leistungen. Der Nachweis der Rechtswidrigkeit des Handelns des
Klägers sei nicht erbracht. Der Kläger sei hier durch einen Befehlsnotstand
gerechtfertigt. Er sei erst zwei Monate bei der Waffen-SS gewesen und nach einer
solch kurzen Zeit erstmals vor diese harte Probe gestellt worden, ohne in seinem
Leben Erfahrungen gesammelt zu haben, wie man ohne Verstoß gegen das Gesetz und
ohne Gefährdung des eigenen Lebens eine derartige Situation meistern könne. Mit
seinen damals 19 Jahren habe sich der Kläger zudem in einem Alter befunden, in
dem der Entscheidung Älterer Beachtung geschenkt und eigene Bedenken
zurückgestellt würden. Einen Ausweg aus dem Dilemma habe er nicht gefunden, vor
allem wegen des Drucks der Gruppe und weil er die Folgen eines absichtlichen
"Vorbeischießens" nicht habe abschätzen können. Er habe für den Fall der
Befehlsverweigerung um sein Leben gefürchtet; insbesondere ggf der gleichen
illegalen Härte zu begegnen, wie die von ihm exekutierten Opfer. Auf Grund der
Einbuße an Gesundheit durch die Folgen des Krieges sowie wegen seines geringen
Einkommens sei es zudem unbillig, dem Kläger 60 Jahre nach der Tat die
Versorgungsleistungen zu entziehen.
Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten Auskünfte eingeholt und Akten
beigezogen von der Staatsanwaltschaft Hannover zu dem Verfahren 11 Js 12/74, der
WASt, dem Bundesarchiv - Militärarchiv - (Schreiben vom 13. September 2002), dem
Institut für Zeitgeschichte (Schreiben vom 15. Oktober 2002), dem
Zentral-Militärarchiv in Prag (Schreiben vom 18. November 2002) sowie ein
Sachverständigengutachten vom 16. Februar 2003 bei dem Militärhistoriker Dr. B.
(Freiburg) eingeholt. In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger vor dem
Berufungssenat angehört worden.
Durch Urteil vom 13. November 2003 hat das LSG mit der nachfolgenden Begründung
das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen:
Der Ermächtigungstatbestand des § 1a BVG sei insoweit hinreichend bestimmt, als
die Voraussetzungen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit zu prüfen seien. Die gewählte Formulierung "Grundsätze der
Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit" entspreche der in zahlreichen
Entschädigungs- und Wiedergutmachungsgesetzen und sei durch die Rechtsprechung
als der Kernbestand an unabdingbaren Rechten der Einzelperson, der materiell
niemals beseitigt oder beschränkt werden könne und auch in Zeiten des
Nationalsozialismus Geltung behalten habe, bestimmt worden. In tatsächlicher
Hinsicht habe der Kläger, nach seinen eigenen Angaben von August 1961, einen
Verstoß gegen diese Grundsätze begangen, indem er im Spätsommer/Frühherbst 1941
an der Erschießung von Zivilpersonen (Männer, Frauen und Kinder) teilgenommen
habe. Soweit er erstmals im Widerspruchsverfahren ausführe, auf Kinder sei nicht
geschossen worden, sei dieses ebenso wenig glaubhaft, wie die in der mündlichen
Verhandlung aufgestellte Behauptung, es sei nur auf Männer geschossen worden.
Auch der Vortrag, seine Aussage im Jahre 1961 sei durch Krankheit beeinflusst
worden, könne nicht nachvollzogen werden.
Diese Handlungen seien ihm auch subjektiv vorwerfbar. Da nicht der
strafrechtliche Verschuldensbegriff zu Grunde zu legen sei, reiche es aus, wenn
der Betroffene die Tatsachen kenne, aus denen sich die Unmenschlichkeit und
Rechtswidrigkeit seines Handelns ergebe. Dieses sei dem Kläger bewusst gewesen,
denn er habe angegeben, seine Kameraden hätten gezittert und ihm habe
anschließend zwei Wochen lang das Essen nicht geschmeckt; er habe die Sache
schon vor den Erschießungen satt gehabt und sei damals unheimlich schockiert
gewesen.
Auf Befehlsnotstand könne sich der Kläger nicht berufen. Ein offensichtlich
rechtswidriger, insbesondere verbrecherischer Befehl könne einen
Rechtfertigungsgrund objektiv nicht auslösen. Ebenso wenig komme hier ein
entschuldigender Notstand in Betracht, denn nach der Arbeit von Herbert Jäger
"Verbrechen unter totalitärer Herrschaft - Studien zur nationalsozialistischen
Gewaltkriminalität" sowie dem Sachverständigengutachten des Dr. B. sei kein
einziger Fall nachgewiesen, in dem ein Befehlsempfänger wegen der Ablehnung oder
Nichtausführung eines verbrecherischen Befehls Schaden an Leib oder Leben
genommen habe. Somit verbleibe nur noch der subjektive Befehlsnotstand oder die
Putativnotwehr. Deren Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor, da sich der
Senat nicht davon habe überzeugen können, dass der Kläger alles in seinen
Kräften Stehende getan habe, um das Unrechtsverhalten zu vermeiden. Weder habe
er sich nach dem Sinn der Erschießungsaktion erkundigt, noch sei es glaubhaft,
dass er sich mit niemandem habe beraten können. Zudem sei - anders als er selbst
- ein Teil seiner Kameraden offensichtlich nicht bereit gewesen, den zweiten
Erschießungsbefehl zu befolgen.
Das Vertrauen des Klägers in die Weitergewährung von Grundrente und
Heilbehandlung sei angesichts der Schwere des begangenen Verstoßes auch nicht
überwiegend schutzbedürftig. Dem Kläger seien zwar sein jugendliches Alter zum
Zeitpunkt der Tat, seine hieraus folgende Unerfahrenheit sowie die jahrelange
Indoktrination mit nationalsozialistischem Gedankengut, die gesundheitlichen
Auswirkungen der Schädigungsfolgen und die hieraus sich ergebenden mangelnden
beruflichen Möglichkeiten zu Gute zu halten. Andererseits hätte sich der
Umstand, dass auf Grund der erst zehn Jahre nach der Entlassung aus der
Kriegsgefangenschaft aufgenommenen Erwerbstätigkeit Rentenversicherungsbeiträge
fehlten, nicht stark rentenmindernd ausgewirkt, da an Stelle von Beiträgen eine
Rentenbezugszeit bei der Berechnung der heutigen Altersrente rentensteigernd
berücksichtigt worden sei. Angesichts einer GRV-Rente in Höhe von 954,41 EUR sei
der Entzug der Grundrente nach dem BVG (272,00 EUR) nicht gravierend. Der Kläger
sei zudem in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) krankenversichert.
Danach sei im Hinblick auf das begangene Verbrechen kein überwiegendes Interesse
des Klägers an der vollständigen oder teilweisen Fortgewährung der
Versorgungsleistungen gegenüber den Belangen der Allgemeinheit und dem mit der
Regelung des § 1a BVG verfolgten Zweck festzustellen. Ebenso wenig sei zu
erkennen, dass die sofortige Entziehung der Versorgungsleistungen zum 1. Januar
2000 zu einer unbilligen Härte führe.
Schließlich sei die Regelung auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision
eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 24.
November 2005 hat er die Klage zurückgenommen, soweit sie (neben der Aufhebung
der angefochtenen Bescheide auch) die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung
von Versorgung über den 31. Dezember 1999 hinaus betrifft. Zur Begründung seiner
Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 1a BVG sowie von Art 3, 14 Abs 1,
3 und Art 20 Grundgesetz (GG). Dazu führt er aus:
Das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es keinen Beweis dazu
erhoben habe, wo und wann die ihm zur Last gelegten Erschießungen stattgefunden
hätten und in welcher Weise er darin verwickelt gewesen sei. Es habe sich
ausschließlich auf das Vernehmungsprotokoll aus dem Jahre 1961 gestützt. Dieses
habe jedoch nicht verwertet werden dürfen, denn er bestreite die Richtigkeit der
dortigen Angaben, insbesondere, dass Kinder erschossen worden seien. Auch hierzu
habe das LSG keinen Beweis erhoben. Das Protokoll unterliege darüber hinaus
bereits aus formellen Gründen einem Verwertungsverbot, da es bei seiner
damaligen Vernehmung an einer Belehrung über sein Recht auf Aussageverweigerung
gefehlt habe. Somit seien nur seine jetzigen Einlassungen zu Grunde zu legen,
die wiederum nicht ausreichten, um von dem Nachweis eines Verstoßes gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ausgehen zu können. Vor
dem Hintergrund der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung bestünden sogar Bedenken,
ob er im sozialgerichtlichen Verfahren hätte angehört werden dürfen.
Zusammenfassend könne angesichts dessen lediglich davon ausgegangen werden, dass
er irgendwann im Jahre 1941 an einem Erschießungskommando teilgenommen habe. Da
eine Befehlsverweigerung eine standrechtliche Erschießung zur Folge gehabt
hätte, sei er gezwungen gewesen, auf Personen zu schießen, von denen er nicht
einmal gewusst habe, was ihnen zur Last gelegt worden sei. Zudem könne nicht
festgestellt werden, dass er tatsächlich getroffen habe; immerhin sei das
Kommando wegen der schlechten Schießergebnisse abgebrochen worden. Die
Beweisführung durch ein historisches Gutachten sei zurückzuweisen, solange die
historischen Tatsachen nicht feststünden.
Auch die subjektive Seite der Tat sei nicht nachgewiesen. Er habe keinen Ausweg
gesehen, der Ausführung des Befehls zu entgehen. Soweit das LSG etwas Anderes
annehme, fehle es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu den äußeren
Umständen, mit denen die inneren Tatsachen belegt werden könnten. Zudem habe das
LSG die Ergebnisse der Befragung zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht
protokolliert und diese auch nicht im Rahmen des individuellen Schuldvorwurfs
berücksichtigt.
Ihm stehe darüber hinaus ein schutzwürdiges Interesse an dem Weiterbezug der
Rente zur Seite. Dabei müsse Berücksichtigung finden, dass er die Rente seit 50
Jahren beziehe, sich in fortgeschrittenem Alter befinde und sein Lebensstandard
wegen der Auswirkungen der Schädigungsfolgen auf seine Erwerbsmöglichkeiten auch
im Rentenalter sehr bescheiden geblieben sei. Unter Abwägung mit der geringen
individuellen Schuld sowie dem Gesetzeszweck sei es mithin nicht gerechtfertigt,
ihm die Leistungen zu entziehen.
§ 1a BVG sei im Übrigen verfassungswidrig. Die Vorschrift bedinge eine unechte
Rückwirkung, die nur dann zulässig sei, wenn gute Gründe des Allgemeinwohls für
die Erforderlichkeit einer derartigen Regelung sprächen, die hier nicht zu
erkennen seien. Eine Überprüfung von nach 60 Jahren kaum noch nachweisbaren
Sachverhalten liege nicht im zwingenden öffentlichen Interesse. Allenfalls wenn
eine strafgerichtliche Verurteilung erfolgt sei, könne der Entzug einer
Rentenleistung für die Zukunft als verfassungsgemäß angesehen werden. Zudem
ergebe sich aus der Einführung strafrechtlicher Gesichtspunkte in das
Sozialrecht eine Systemwidrigkeit, durch die das Gesetz faktisch unanwendbar
werde. Da die Verwaltung den individuellen Schuldnachweis in der Regel nicht
mehr führen könne, entstehe des Weiteren eine nicht zu rechtfertigende
Ungleichbehandlung. Es werde auch keine Gleichbehandlung mit im Ausland lebenden
Berechtigten hergestellt, denn § 64 BVG beinhalte keine "Unwürdigkeitsklausel",
sondern beruhe letztendlich auf außenpolitischen Motiven. Zudem sei die
Bestimmtheit des Gesetzeswortlauts nicht gewahrt; und es fehle an jeglichen
Differenzierungen zwischen den verschiedenen Leistungen des BVG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13. November 2003 aufzuheben sowie die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 11. April 2001 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen im Urteil des LSG für zutreffend und führt ergänzend
aus:
Das LSG habe das Vernehmungsprotokoll aus dem Jahre 1961 verwerten dürfen. Es
sei zudem nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger angebe, erhebliche
Erinnerungslücken zu haben, und gleichwohl wisse, seine damalige Aussage sei in
den wesentlichen Punkten unzutreffend gewesen. Auch die individuelle Schuld des
Klägers sei nachgewiesen. Insoweit reiche ein zurechenbares, vorwerfbares und
damit schuldhaftes Verhalten aus, ohne dass es des Vorsatzes zur Begehung einer
bestimmten Straftat bedürfe. § 1a BVG erlege keine strafrechtliche Sanktion auf,
sondern regele lediglich die Aberkennung einer staatlich gewährten
Sozialleistung.
Dem Kläger sei die Tat auch subjektiv vorwerfbar. Weder objektiv noch subjektiv
habe ein Befehlsnotstand vorgelegen. Eine Zuspitzung auf die Alternativen
Befehlsausführung einerseits oder ausdrückliche Befehlsverweigerung andererseits
werde der Problematik nicht gerecht. In dem Zwischenbereich hätte es zahlreiche
andere Möglichkeiten gegeben, sich dem Erschießungsbefehl zu entziehen. Der
Kläger habe jedoch zu keinem Zeitpunkt angegeben, überhaupt irgendwelche
Überlegungen in Richtung auf eine Umgehung der Beteiligung an den Exekutionen
angestellt zu haben.
Ein Abwägungsfehler im Bereich des Vertrauensschutzes sei ebenfalls nicht
ersichtlich; das Interesse des Klägers an der Weitergewährung der Leistung müsse
wegen der Schwere des begangenen Rechtsverstoßes hinter dem öffentlichen
Interesse an dem Entzug der Leistung zurückstehen.
Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot liege nicht vor; vergleichbare
Formulierungen fänden sich in zahlreichen anderen Entschädigungsgesetzen, seien
also Bestandteil des gesetzgeberischen Programms in Deutschland. § 1a BVG
verhelfe zudem der Grundlage des Wertesystems des GG, der Menschenwürde (Art 1
GG), zum Durchbruch. Diese gebiete es, Leistungen zu entziehen, wenn das
Verbrechen einen Verstoß genau hiergegen darstelle. Ein Wertungswiderspruch
entstehe hingegen, wenn Kriegsverbrechern die Leistungen belassen würden, zumal
dieses zu einer unterschiedlichen Behandlung von Berechtigten im In- und Ausland
führe.
Ein Verstoß gegen Art 14 GG sei ebenfalls nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber
habe hier Inhalt und Schranken des unter dem Eigentumsschutz stehenden Anspruchs
auf Beschädigtenversorgung zutreffend bestimmt. Der Eingriff sei bei unechter
Rückwirkung grundsätzlich zulässig. Der Vertrauensschutz zu Gunsten des
Leistungsbeziehers hindere nicht, die Leistung für die Zukunft zu entziehen,
zumal eine Einzelfallabwägung im Hinblick auf den Grad der Betroffenheit sowie
den Schuldvorwurf und die Schwere der Tat ausdrücklich gesetzlich vorgesehen
sei. Eine entschädigungspflichtige Enteignung liege nicht vor.
II
Die Revision des Klägers ist teilweise begründet und teilweise unbegründet.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass das Urteil des
SG vom 11. April 2001 durch die diesbezüglich vom Kläger vor dem Senat erklärte
Klagerücknahme insoweit gegenstandslos geworden ist, als der Beklagte dadurch
(gesondert) verurteilt worden ist, dem Kläger über den 31. Dezember 1999 hinaus
Versorgung zu gewähren. Die betreffende Klagerücknahme war sachgerecht, weil die
neben der Anfechtung des Entziehungsbescheides erhobene Leistungsklage
unzulässig war. Soweit der Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 1999 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2000 keinen Bestand hat, ergibt
sich die Pflicht des Beklagten zur Weitergewährung von Versorgung bereits aus
dem bindenden Neufeststellungsbescheid vom 20. September 1962.
Dem Kläger sind die Versorgungsleistungen nach dem BVG zu Recht entzogen worden,
soweit sie die Erfrierungsfolgen an der rechten Großzehe und die belanglose
Narbe an der linken Ellenbeuge betreffen. Im Hinblick auf die Versorgung für die
Schädigungsfolge "geschlossene Lungentuberkulose rechts" ist die Entscheidung
des Beklagten jedoch rechtswidrig. Zwar hat der Kläger während der Herrschaft
des Nationalsozialismus im Sinne von § 1a BVG gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit verstoßen; er ist insoweit Täter geworden. Der in § 1a BVG
geregelte Ausschluss einer Versorgung erfasst in verfassungskonformer Auslegung
jedoch solche Ansprüche nicht, die auf schädigende Einwirkungen zurückzuführen
sind (Opferlage nach dem BVG), denen es an einem engen Bezug zum
nationalsozialistischen Unrechtsstaat fehlt, was in der Regel nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges der Fall ist und hier auf die in polnischer
Kriegsgefangenschaft erlittene Schädigung zutrifft, die der Anerkennung der
"geschlossenen Lungentuberkulose rechts" zu Grunde liegt.
Die streitige Entziehung von Versorgungsleistungen des Klägers richtet sich nach
§ 1a BVG. Diese Vorschrift lautet:
(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem
sich die Berechtigung ableitet, während der Herrschaft des Nationalsozialismus
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat
und er nach dem 13. November 1997 einen Antrag auf Leistungen gestellt hat.
Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Überprüfung erforderlich machen, ob
ein Berechtigter durch sein individuelles Verhalten gegen Grundsätze der
Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, können sich insbesondere
aus einer freiwilligen Mitgliedschaft des Berechtigten in der SS ergeben.
(2) Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise zu
entziehen, wenn ein Versagungsgrund im Sinne des Absatzes 1 vorliegt und das
Vertrauen des Berechtigten auf eine fortwährende Gewährung der Leistungen im
Einzelfall auch angesichts der Schwere der begangenen Verstöße nicht überwiegend
schutzbedürftig ist.
(3) Soweit in den Fällen des Absatzes 2 die sofortige Entziehung oder Minderung
der Leistungen zu unbilligen Härten führt, soll die Entziehung oder Minderung
nach einer angemessenen Übergangsfrist erfolgen.
Der hier einschlägige § 1a Abs 2 BVG sieht die Entziehung von
Versorgungsleistungen vor, die in früherer Zeit bindend bewilligt worden sind (vgl
Frank, br 2000, 125, 129; allg dazu auch BSGE 91, 231 = BSG SozR 4-8850 § 5 Nr
1; BSGE 80, 72 = SozR 3-8850 § 5 Nr 2; BSG SozR 3-8850 § 5 Nr 3; SG Potsdam
Breith 2000, 837, 846). Er stellt insoweit eine Sonderregelung dar, die gemäß §
37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) den Bestimmungen des
Verwaltungsverfahrensrechts (§§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X))
grundsätzlich vorgeht. Ob dieses auch dann uneingeschränkt gilt, wenn der
gewährende Verwaltungsakt nach dem Inkrafttreten des § 1a BVG am 21. Januar 1998
erlassen worden ist, kann hier dahinstehen, denn der Kläger bezieht die hier
fraglichen Leistungen nach dem BVG seit 1950. Ihre Rechtfertigung erfährt diese
spezielle Entziehungsvorschrift - vergleichbar der Regelung des § 5
Entschädigungsrentengesetz ((EntschRG); s hierzu BSGE 91, 231 = SozR 4-8850 § 5
Nr 1 und BSG SozR 3-8850 § 5 Nr 2, 3) - aus der Spezialität des Eingriffsobjekts
(Recht auf Versorgungsleistungen), der Begrenzung des möglicherweise betroffenen
Personenkreises (Versorgungsberechtigte, die während der Herrschaft des
Nationalsozialismus Unrechtstaten begangen haben) und den besonderen
Aufhebungsmaßstäben (Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit). Die Norm ermächtigt zudem zur Kürzung oder Aberkennung des
Rechts auf Entschädigung nur mit Wirkung für die Zukunft, dh für Zeiten ab
Beginn des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Entziehungsbescheid
bekannt gegeben wird.
Die Voraussetzungen der spezialgesetzlichen Aufhebung des zuletzt maßgebenden
Neufeststellungsbescheides vom 20. September 1962 gemäß § 1a Abs 2 BVG sind im
vorliegenden Fall im Hinblick auf die bis zum 8. Mai 1945 beim Kläger
entstandene Opferlage gegeben. Im Gegensatz zu der vom Kläger vertretenen
Auffassung ist der in § 1a BVG verwendete unbestimmte Rechtsbegriff der
Grundsätze der Menschlichkeit hinreichend bestimmt und unabhängig von jeglicher
Kodifizierung auch während der Herrschaft des Nationalsozialismus zu beachten
gewesen (1). Dem Kläger ist auch nachweislich objektiv und subjektiv ein Verstoß
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit während der Herrschaft des
Nationalsozialismus im vorbenannten Sinne zur Last zu legen (2). Gleichwohl ist
eine Entziehung von Versorgungsleistungen für die nach Kriegsende während der
Kriegsgefangenschaft erlittenen gesundheitlichen Schädigungen im vorliegenden
Fall nicht rechtmäßig. § 1a Abs 2 BVG ist verfassungskonform dahin auszulegen,
dass nicht nur die Verstöße, sondern auch die Opferlage selbst einen
hinreichenden Systembezug zu dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat aufweisen
müssen (3). Soweit eine Leistungsentziehung danach in Betracht kommt, steht ihr
kein schutzbedürftiges Vertrauen des Klägers entgegen (4). Einen Verstoß der in
diesem Sinne verstandenen Regelung gegen Art 3 oder 14 GG vermag der Senat nicht
zu erkennen (5).
(1) Das Tatbestandsmerkmal eines Verstoßes gegen die "Grundsätze der
Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit", an das § 1a Abs 1 und 2 BVG für die
Leistungsversagung und -entziehung anknüpft, ist hinreichend bestimmt. Das im
Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) verankerte Bestimmtheitsgebot verpflichtet
das Parlament, grundlegende Wertentscheidungen selbst zu treffen und nicht auf
die Exekutive oder Judikative zu verlagern. Die Norm ist so bestimmt zu fassen,
wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf
den Normzweck möglich ist (vgl BVerfGE 49, 168, 181; 78, 205, 212; 93, 213, 238;
102, 254, 337), um zu gewährleisten, dass der Bürger in der Lage ist, sein
Verhalten daran auszurichten. Die Notwendigkeit der Auslegung macht eine
Vorschrift nicht unbestimmt, wobei die Anforderungen umso strenger sind, je
intensiver der Eingriff in Grundrechte ist (s auch BVerfGE 59, 104, 114; 86,
288, 311 und 78, 205, 212; 89, 69, 84 f).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat zu § 5 EntschRG, der eine dem § 1a Abs 1 BVG
entsprechende Formulierung enthält, festgestellt: Die Vorschrift sei so
hinreichend bestimmt, dass sie in einer für die Betroffenen voraussehbaren Weise
von den Organen der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt ausgelegt und
angewandt werden könne (vgl BSGE 80, 72, 86 = SozR 3-8850 § 5 Nr 2 S 37; s auch
SG Potsdam Breith 2000, 837, 847). Dem ist auch für § 1a BVG zu folgen. Im
Übrigen finden sich die Begriffe "Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit" in diversen Entschädigungsgesetzen; sie sind durch zT
jahrzehntelange Anwendung in Verwaltung und Rechtsprechung hinreichend
präzisiert worden (vgl § 1 Abs 4 Satz 2 Heimkehrergesetz (HkG), § 3 Nr 3a und 3b
Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 GG fallenden
Personen (G 131), § 3 Abs 2 Nr 2 und § 5 Nr 1 Buchst b Gesetz über die
Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz =
BVFG), § 2 Abs 2 Gesetz über die einmalige Zuwendung an die im Beitrittsgebiet
lebenden Vertriebenen (Vertriebenenzuwendungsgesetz = VertrZuwG), § 359 Abs 3 Nr
2 Lastenausgleichsgesetz (LAG), § 16 Abs 1 Nr 2 Reparationsschädengesetz (RepG),
§ 2 Abs 1 Nr 2 Häftlingshilfegesetz (HHG), § 16 Abs 2 Gesetz über die
Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger
Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches
Rehabilitierungsgesetz = StrRehaG), § 2 Abs 2 Gesetz über die Aufhebung
rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran
anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz =
VwRehaG), § 5 Abs 1 EntschRG). Der Gesetzgeber hat damit in § 1a BVG ein
hergebrachtes und auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits gebilligtes
Begriffspaar verwendet, das selbstverständliche ethisch-moralische Grundwerte
zusammenfasst, die Grundlage eines jeden menschlichen Zusammenlebens sind (vgl
BVerfGE 12, 264, 269; 93, 213, 238, 239; s auch BVerwGE 15, 336, 338f; 19, 1, 3;
31, 337, 338, 342; vgl auch Frank, br 2003, 1, 2).
Die Grundsätze der Menschlichkeit beinhalten den Kernbestand der in jeder
Lebenslage unveräußerlichen Menschenrechte, die demnach materiell niemals
beseitigt oder beschränkt werden können (vgl hierzu Entscheidung des SG Potsdam
Breith 2000, 837, 845; Frank, br 2000, 125, 132). Es handelt sich um die
elementaren, für das menschliche Zusammenleben und für ein Mindestmaß an
gerechter staatlicher Ordnung unentbehrlichen Grundsätze, die zum unantastbaren
Bereich des Rechts gehören (s hierzu BVerwGE 19, 1, 5; Frank br 2003, 1, 2;
derselbe, br 2000 125, 132, 141; Schröcker, DÖV 1963, 455, 458; Hellmann, VIZ
1995, 201, 202). Zu den allgemein anerkannten und unveräußerlichen
Menschenrechten gehört vor allem das Recht eines jeden Menschen auf Leben und
körperliche Unversehrtheit. Es ist ein natürliches und stets gültiges Gebot der
Menschlichkeit, dieses Recht vor staatlicher Willkür, auch unrechtmäßigen
Kriegshandlungen zu schützen (vgl BVerwGE 31, 337, 338).
Angesichts dessen kann es dahinstehen, aus welchen Quellen sich diese Grundsätze
im Einzelnen ergeben. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entnimmt sie dem
Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Rechten der
Einzelperson (vgl BVerwGE 15, 336, 338; 19, 1). Letztlich sind sie aus der
Daseinsordnung abzuleiten, in die der Mensch als vernunftbegabtes und
empfindungsfähiges Wesen gestellt ist. In diese hat er sich einzufügen, wenn er
sich selbst und seine Art nicht auf Dauer existentiell gefährden will (vgl dazu
allg Loytved, in Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, 2000, S 707,
720).
Abgesehen davon spiegeln sich die Grundsätze der Menschlichkeit zB in dem Statut
für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg vom 8. August 1945
wieder, wonach Verbrechen gegen die Menschlichkeit Kriegsverbrechen im engeren
Sinne sind. Hintergrund dieser Regelung war es, insbesondere Versklavung,
Deportation, Ausrottung und andere unmenschliche Handlungen, begangen an
irgendeiner Zivilbevölkerung, insbesondere der jüdischen, als Kriegsverbrechen
ahnden und die Täter deswegen aburteilen zu können (vgl Der Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1947,
S 11, 12; Kraus, br 1998, 145, 152). Vergleichbare Bestimmungen fanden sich in
dem Kontrollratsgesetz Nr 10 vom 20. Dezember 1945 (KR Abl 50; Sammlung der vom
Alliierten Kontrollrat und der Amerikanischen Militärregierung erlassenen
Proklamationen, Gesetze, Verordnungen, Befehle, Direktiven, Stuttgart, 1949).
Art 2 dieses Gesetzes sah eine Strafandrohung für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit vor, ua wegen Ausrottung, Freiheitsberaubung, Mord, Verfolgung
aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, Vergewaltigung,
Verschleppung und unmenschlicher Behandlung der Zivilbevölkerung (vgl Kraus, br
1998, 145, 152). Zurückgegriffen werden kann zudem auf das Abkommen der
Vereinten Nationen (UN) zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des
Völkermordes (Convention on the prevention and punishment of the crime of
genozide - UNTS) vom 9. Dezember 1948, dem die Bundesrepublik Deutschland durch
Zustimmungsgesetz vom 9. August 1954 beigetreten ist (BGBl II 1954, 210), Art 2
und Art 15 Abs 2 der UN-Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (BGBl II
1952, 685, 953), aber auch auf die Werteordnung des GG, insbesondere Art 1 Abs 1
GG.
Ohne rechtliche Bedeutung ist dabei, dass die zuvor benannten, in Normen
ausgeformten Grundsätze der Menschlichkeit erst nach der Begehung des im
konkreten Fall relevanten Verstoßes kodifiziert worden sind. Die Grundsätze der
Menschlichkeit galten und gelten unabhängig von jeglicher staatlicher
Anerkennung und Kodifizierung (vgl Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit in der
deutschen Kriegsopferversorgung, 2003, S 241; s auch SG Potsdam Breith 2000,
837, 847). Ihrer Art nach sind sie auch während der Herrschaft des
Nationalsozialismus verbindlich geblieben (s BVerwGE 15, 336, 338, 339; 19, 1;
25, 128, 131; 26, 82; 31, 337, 338) und mit der Stimme des Gewissens erkennbar
gewesen (vgl Schröcker, DÖV 1963, 455, 458). Im Übrigen waren die Grundsätze der
Menschlichkeit zT auch schon vor 1945 kodifiziert. So sah die Haager
Landkriegsordnung (Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs
vom 18. Oktober 1907, RGBl 1910, 107) vor, dass keine kriegsführende Partei in
der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes frei ist (Art 22). § 47
Militärstrafgesetzbuch (MStGB) in den Fassungen der Bekanntmachungen vom 16.
Juni 1926 und 16. Oktober 1940 regelte: Nicht jeder Befehl rechtfertige den
Ausführenden, zumindest dann nicht, wenn der Befehl ein Verbrechen bürgerlicher
oder militärischer Art zum Gegenstand habe (vgl RGBl I 1926, 275, 278; RGBl I
1940, 1347, 1350; Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit , aaO, S 90, mwN; s auch
BGHSt 2, 234, 238).
Die Rechtsfolge der Entziehung von Leistungen wegen Verstoßes gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit stellt - auch wegen der Möglichkeit des Rückgriffs
auf vorkonstitutionelles Recht - keinen Verstoß gegen den Grundsatz des "nulla
poena sine lege, nullum crimen sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz, kein
Vergehen ohne Gesetz) dar (vgl dazu auch die Ausführungen des Internationalen
Militärgerichtshofs von 1946, zitiert nach Kraus, Kontrollratsgesetz Nr 10, S
25). Bei § 1a BVG handelt es sich nicht um eine strafrechtliche Norm. Die
Regelung beinhaltet vielmehr einen ethischen Schuldvorwurf des Staates, sodass
der die Strafbarkeit regelnde Art 103 Abs 2 GG hiervon nicht berührt wird (vgl
hierzu Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit , aaO, S 241 und Frank, br 2000,
125, 133; s auch BVerwGE 25, 128, 129 zu § 3 Satz 1 Nr 3a G 131; BVerfGE 6, 132,
221; 22, 387, 420 f; BVerwGE 19, 1, 3; 26, 82, 88; 31, 337, 342; BSG, Urteile
vom 30. Januar 1997 - 4 RA 23/96, S 16 f; vom 30. Januar 1997 - 4 RA 99/95, S
17; vom 24. März 1998 - B 4 RA 78/96 R, S 25).
(2) Einen derartigen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit hat der
Kläger während der Herrschaft des Nationalsozialismus objektiv nachweisbar
begangen (a). Dieser ist ihm auch zuzurechnen und vorzuwerfen (b).
Die Entziehung der Versorgungsleistungen nach § 1a Abs 2 BVG ist nur dann
gerechtfertigt, wenn im konkreten Einzelfall ein Verstoß gegen die genannten
Grundsätze objektiv und subjektiv nachgewiesen ist, also die individuelle Schuld
festgestellt werden kann (vgl Stenographisches Protokoll der Bundestagssitzung
vom 13. November 1997, 13/18367). Die - hier gegebene - Tatsache einer
freiwilligen Mitgliedschaft in der SS ist für sich allein nicht ausreichend, um
einen derartigen Verstoß annehmen zu können. Zwar ist dieses im Verlaufe des
Gesetzgebungsverfahrens von der Fraktion der Grünen vorgeschlagen (vgl Antrag
vom 23. April 1993, BT-Drucks 12/4788; s auch BT-Drucks 13/1467 vom 19. Mai
1995), jedoch von der Mehrheit der Ausschussmitglieder abgelehnt worden,
insbesondere weil ein Leistungsentzug wegen bloßer Gruppenzugehörigkeit als
verfassungsrechtlich bedenklich angesehen wurde. Im Fall der freiwilligen
Mitgliedschaft in der SS soll vielmehr nun nach der parlamentarischen
Kompromisslösung besonders intensiv zu überprüfen sein, ob ein Berechtigter
durch sein individuelles Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat (vgl § 1a Abs 1 Satz 2 BVG).
Hieraus folgt, dass ein konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten
bewiesen werden muss, das individuell-persönlich zuzurechnen und vorzuwerfen,
schuldhaft ist (vgl SG Potsdam Breith 2000, 837, 847; s hierzu auch BSGE 91, 231
= SozR 4-8850 § 5 Nr 1 RdNr 28; vgl Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit , aaO,
S 211). Dabei reicht es allerdings aus, wenn dem Täter die Unrechtmäßigkeit
seines Handelns bei zumutbarer Gewissensanspannung zumindest hätte offenkundig
werden müssen (vgl Heinz, ZfS 1999, 137, 138). Bei der Versagung oder Entziehung
von Versorgungsleistungen handelt es sich nämlich nicht um eine strafrechtliche
Sanktion, sondern um einen sich im Leistungsrecht niederschlagenden ethischen
Schuldvorwurf des Staates (Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit ..., aaO, S
210). Sie setzt mithin weder eine bestimmte strafrechtliche Teilnahmeform noch
eine Strafbarkeit als Verbrechen oder Vergehen voraus. Vielmehr kommt es
entscheidend darauf an, ob der Berechtigte an einer unmenschlichen oder
menschenunwürdigen Handlung beteiligt war, ihr - durch eigenes Handeln - zum
Erfolg verholfen hat (vgl hierzu BSGE 91, 231 = SozR 4-8850 § 5 Nr 1 aaO).
(a) Die dem Kläger im vorliegenden Fall zur Last gelegte Handlung beinhaltet
einen krassen, in räumlicher und zeitlicher Hinsicht hinreichend konkret
eingrenzbaren Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit. Es ist nach den
vom Kläger nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des
LSG, die damit für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), als nachgewiesen
anzusehen, dass der Kläger als freiwilliges Mitglied der Waffen-SS auf Befehl
eines Vorgesetzten zusammen mit anderen Soldaten im Spätsommer/Frühherbst 1941
im früher russisch besetzten Teil Polens auf unbewaffnete Zivilisten - Männer,
Frauen und Kinder - geschossen hat, die mit dem Rücken zu den Schützen vor einer
zuvor ausgehobenen Grube standen und die er bereits mit anderen Kameraden aus
ihren Häusern herausgeholt und auf dem Marktplatz ihres Wohnortes
zusammengetrieben hatte.
Soweit der Kläger im Revisionsverfahren rügt, diese Feststellungen, die im
Wesentlichen auf seiner 1961 protokollierten Aussage beruhen, könnten nicht zu
Grunde gelegt werden, weil das LSG das Vernehmungsprotokoll nicht habe verwerten
dürfen, kann er damit nicht mehr gehört werden. Unabhängig davon, ob er 1961
über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist, ist ein etwa in der
Verwertung dieses Beweismittels liegender Verfahrensfehler (vgl hierzu BGH,
Urteil vom 12. Februar 1985 - VI ZR 202/83) gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) iVm § 295 Zivilprozessordnung ((ZPO); vgl zur Anwendbarkeit im
sozialgerichtlichen Verfahren BSG, Beschluss vom 22. Januar 1990 - 5 BJ 87/89)
als geheilt anzusehen. Es kommt daher nicht darauf an, ob die unterbliebene
Belehrung auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu einem Verwertungsverbot
führen würde (§ 202 SGG iVm § 384 Nr 2 ZPO). § 295 ZPO ist auch in einem Fall
der Benutzung eines unzulässigen Beweismittels - hier der Aussage ohne vorherige
Belehrung als Urkundenbeweis - anwendbar (vgl zur Verwertung der
strafprozessualen Aussage eines Angehörigen ohne Belehrung im Zivilprozess: BGH,
Urteil vom 19. Januar 1984 - III ZR 93/82 - JURIS RdNr 20; BSG, Beschluss vom
22. Januar 1990 - 5 BJ 87/89 - JURIS). Insoweit greift der Zweck des § 295 ZPO
ein, im Interesse der Prozessökonomie einen schnellen und sicheren Ablauf des
Rechtsstreits zu gewährleisten. Ist das Rügerecht jedoch bereits in der
Berufungsinstanz verloren gegangen, so kann der Beteiligte den Verfahrensmangel
in der Revisionsinstanz nicht mehr geltend machen (vgl BFH, Beschluss vom 26.
März 1991 - VII R 72/90). So liegt der Fall hier.
Die Voraussetzungen des § 295 ZPO für den Verlust des Rügerechts des Klägers
sind gegeben. Nach § 202 SGG iVm § 295 ZPO kann die Verletzung einer das
Verfahren und insbesondere die Form der Prozesshandlung betreffenden Vorschrift
nicht gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet
oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des
betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in Bezug genommen ist, den Mangel
nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder
bekannt gewesen sein musste. Die Aussage des Klägers aus dem Jahre 1961 ist
spätestens durch wörtliches Zitat in dem Tatbestand des SG-Urteils im Wege des
Urkundenbeweises in das sozialgerichtliche Verfahren eingeführt worden. Der
Kläger hat im LSG-Verfahren ua im Rahmen der Anhörung in der mündlichen
Verhandlung jedoch nicht deren Verwendung als solche, sondern lediglich die
inhaltliche Richtigkeit von Teilen seiner damaligen Aufgaben angegriffen.
Dieses Vorbringen beinhaltet keine Rüge des nunmehr geltend gemachten
Verfahrensmangels. Unabhängig davon, ob hier die Tatsachen substantiiert zu
bezeichnen gewesen wären, die den Verfahrensmangel ergeben könnten, und
unabhängig von der Frage, welche Unterlagen des Beklagten im Einzelnen nach
Auffassung des Klägers unverwertbar sein sollen, hat er die unterbliebene
Belehrung als Grund für die Unverwertbarkeit der Aussage in diesem Schriftsatz
nicht einmal im Ansatz erwähnt. Er stellt darin die "Unverwertbarkeit" lediglich
in den Zusammenhang, dass er sich wegen Fehlens eines Strafverfahrens nicht habe
verteidigen können. Insoweit befasst sich der Kläger letztendlich - wie auch
ansonsten in den betreffenden Ausführungen zum Ausdruck kommt - kritisch mit dem
Inhalt der Aussage, den er bisher nur in gewissem Rahmen zugestanden hatte und
nunmehr bezüglich bestimmter Punkte bestreitet. Dass die 1961 protokollierte
Aussage nach Auffassung des Klägers verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen sein
könnte, ergibt sich mithin aus dem Schriftsatz vom 4. September 2001 nicht.
Damit hat sich der auch seinerzeit schon anwaltlich vertretene Kläger in
Kenntnis der unterbliebenen Belehrung auf eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit den 1961 festgehaltenen Angaben eingelassen und ihre Verwertung nicht
spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gerügt. Der
Kläger hat vielmehr erstmals im Revisionsverfahren auf den möglichen
Verfahrensfehler hingewiesen.
Auch mit seinen weiteren Rügen vermag der Kläger nicht durchzudringen. Soweit er
die inhaltliche Richtigkeit der Angaben aus dem Jahre 1961 bestreitet und den
Tathergang nunmehr anders darstellt, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung
des LSG, ohne einen Verfahrensmangel schlüssig darzulegen. Das Gericht
entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), ein Fehler in der Beweiswürdigung ist
somit kein Verfahrensfehler, sofern nicht die Grenzen der Beweiswürdigung
überschritten worden sind. Eine derartige Überschreitung der Grenzen freier
Beweiswürdigung ist nur dann anzunehmen, wenn das Gericht das Gesamtergebnis des
Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt bzw gegen allgemeine
Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen hat. Einen derartigen Fehler des LSG
hat der Kläger nicht dargetan.
Von einem Verstoß gegen Denkgesetze ist nur dann auszugehen, wenn aus den
Gegebenheiten nur eine Folgerung gezogen werden kann, jede andere nicht
"denkbar" ist und das Gericht die allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat.
Sind dagegen verschiedene Schlussfolgerungen denkbar und hält das Gericht eine
davon für die allein richtige oder auch nur für die wahrscheinlich richtige, so
liegt kein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, sondern eine denkgesetzlich
zulässige Beweiswürdigung (vgl BSG KOV 1959, 115, 116; BVerwG DVBl 1973, 373;
BVerwG Buchholz 234 § 7 G 131 Nr 51 und 310 § 108 VwGO Nr 70; BSG SozR 1500 §
164 Nr 31; SozR 3-2200 § 539 Nr 19; SozR 3-2200 § 548 Nr 39; BSG, Urteil vom 15.
Mai 1985, - 7 RAr 40/84, JURIS; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 8. Aufl 2005, § 128 RdNr 12).
Dementsprechend handelt es sich nicht um eine ordnungsgemäße Rüge, soweit sich
der Kläger gegen die Annahme des LSG wendet, sein Vorbringen, es sei "nur" auf
Männer geschossen worden und seine abweichenden Angaben aus dem Jahre 1961 seien
durch Krankheit beeinflusst, sei im Verlaufe des Verfahrens entwickelt worden
und nicht nachvollziehbar. Es wird nicht deutlich, inwiefern diese
berufungsgerichtliche Bewertung angesichts der detaillierten Aussage aus dem
Jahre 1961 gegen Denkgesetze verstoßen soll, zumal zeitlich dem betreffenden
Ereignis nähere Aussagen bei der Beweiswürdigung regelmäßig den Vorzug verdienen
(vgl zu diesem Punkt: Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, 2.
Aufl, RdNr 192). Hinzu kommt, dass die späteren Angaben des Klägers
widersprüchlich erscheinen können, wenn er ausführt, sich nicht an Details
erinnern, gleichwohl sicher sagen zu können, nicht auf Frauen und Kinder
geschossen zu haben.
Der Kläger hat auch keinen Erfolg mit der Rüge, der Inhalt der Anhörung in der
mündlichen Verhandlung vor dem LSG dürfe nicht verwertet werden, weil ihm diese
"abverlangt" worden sei. Abgesehen davon, dass das LSG ihn offenkundig nicht zu
den dortigen Angaben gezwungen hat, kann es nicht darauf ankommen, ob der Kläger
sich persönlich insoweit zu einer irgendwie gearteten Mitwirkung verpflichtet
gefühlt haben könnte. Er war nämlich bei dieser Anhörung anwaltlich beraten. Im
Übrigen hat das LSG die dortigen Angaben des Klägers in seiner Entscheidung
nicht tragend verwertet.
Entgegen der Annahme des Klägers kommt es im sozialgerichtlichen Verfahren
ferner nicht darauf an, ob ein Beteiligter eine ihn belastende Tatsache
zugesteht. Das sozialgerichtliche Verfahren ist vom Amtsermittlungsgrundsatz (§
103 SGG) geprägt. Dass das LSG diesen - ausgehend von seiner materiellen
Rechtsauffassung - im Zusammenhang mit den Feststellungen zum Verstoß gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit verletzt habe, hat der Kläger nicht substantiiert
behauptet.
Aus der Sicht des Senats besteht kein Anlass, weitere Ermittlungen von Amts
wegen zu verlangen. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen zum
objektiven Tathergang reichen aus. Abgesehen von den eigenen Angaben des Klägers
fügen sich die Feststellungen des LSG zur Bestimmung des räumlichen und
zeitlichen Rahmens des Geschehens auch in die historisch überlieferten Abläufe
ein. Das LSG führt - anders als der Kläger meint - keinen Beweis mit
historischen Tatsachen, sondern überprüft lediglich die festgestellten Tatsachen
anhand allgemeiner historischer Erkenntnisse. Dieses ist nicht zu beanstanden
und kann vom BSG mit eigener Prüfungskompetenz nachvollzogen werden (vgl zur
Befugnis des Revisionsgerichts, historische Tatsachen selbst feststellen zu
dürfen: BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7; BSG, Urteil vom 28. April 2005 - B
9a/9 V 4/04 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, JURIS).
Der Kläger hat 1961 den Zeitpunkt der Erschießungsaktion mit Sommer/Frühherbst
1941 angegeben. In örtlicher Hinsicht benennt er den ehemals russisch besetzten
Teil Polens. Diese Angaben ermöglichen eine hinreichend konkrete räumliche und
zeitliche Eingrenzung des Geschehens. Nach den aus allgemeinen Quellen zu
gewinnenden zeitgeschichtlichen Erkenntnissen war die Einheit (1.
SS-Infanterie-Brigade, Regiment 10), in der der Kläger zu Beginn des
"Unternehmens Barbarossa" Dienst verrichtete, auf beiden Seiten der früheren
polnisch-sowjetischen Grenze eingesetzt. Die Region umfasste die südlichen
Ausläufer des Polesje und Wolhynien mit den daran angrenzenden Städten Rowno und
Shitomi (Ukraine) (vgl Cüppers, Wegbereiter der Shoah, Die Waffen-SS, Der
Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939 bis 1945, Darmstadt
2005, S 165). Rowno sowie die gesamte Region "Polesje" mit den Pripjetsümpfen
und der westliche Teil Wolhyniens waren von 1921 bis 1939 nach dem
Friedensvertrag von Riga polnisch und wurden im September 1939 von den
sowjetischen Truppen besetzt (vgl Brockhaus, Bibliographisches Institut und F.A.
Brockhaus AG, 2002, Schlagworte "Rowno" und "Polesien"). Wenn der Kläger sich
auch nicht mehr an einen genauen Ort des Einsatzes erinnern konnte, so ist die
Eingrenzung auf das Grenzgebiet zwischen dem sowjetisch besetzten Teil Polens
und der Ukraine angesichts der Kriegsbedingungen hinreichend konkret, zumal die
Einheiten diesseits und jenseits, also auf ehemals polnischem wie bereits auf
ukrainischem Gebiet agierten. Es ist auch eine zeitgeschichtliche Tatsache, dass
in diesem Grenzbereich zu dem vom Kläger benannten Zeitpunkt massenhaft und
systematisch Erschießungen der unbewaffneten Zivilbevölkerung durch die
Regimenter 8 und 10 der 1. SS-Infanterie-Brigade durchgeführt worden sind;
allein zwischen Juli und Mitte August 1941 sind ca. 7.000 Jüdinnen und Juden
jeden Alters (vgl Cüppers, aaO, S 174; Unsere Ehre heisst Treue, Kriegstagebuch
des Kommandostabes Reichsführer SS, Tätigkeitsberichte der 1. und 2.
SS-Inf.-Brigade, der 1. SS-Kav.-Brigade und von Sonderkommandos der SS, 1965, S
95 - 141) von den Angehörigen dieser Brigade ermordet worden.
Unter den gegebenen Umständen ist es unerheblich, dass die auf den Bekundungen
des Klägers beruhenden Orts- und Zeitangaben des LSG nicht präzise sind. In
zeitlicher Hinsicht hat das LSG kein genaues Datum festgestellt, jedoch einen
kurzen Zeitraum, innerhalb dessen sich die vom Kläger selbst angegebenen
Verstöße nach tatrichterlicher Überzeugung tatsächlich zugetragen haben. Diese
Verfahrensweise ist mit Blick auf die Ausführungen des Dr. B. in dem vom LSG
eingeholten Gutachten vom 16. Februar 2003 gerechtfertigt. Der Sachverständige
weist dort darauf hin, der Kläger habe sich bereits hinsichtlich des Zeitpunkts
des Beginns des Russlandfeldzugs um einen Monat vertan. Der Kläger hat insoweit
den 22. Juli 1941 angegeben, tatsächlich begann die Offensive und damit auch der
Einsatz des Klägers einen Monat früher. Unter Berücksichtigung dessen sind die
vom LSG übernommenen Angaben des Klägers und die historisch belegten Tatsachen
in Einklang zu bringen. Auch spricht nach Meinung des Sachverständigen vieles
dafür, dass der Kläger sich im Hinblick auf die genauen Ortsangaben teilweise
geirrt hat. Die von ihm genannten Orte Lidice und Minsk sind räumlich so weit
von dem historisch nachweisbaren Einsatzgebiet der Einheit entfernt, in der er
Dienst geleistet hat, dass es sachgereicht erscheint, diese Ortsangaben außer
Betracht zu lassen. Dieses rechtfertigt sich auch deswegen, weil die weiteren
Angaben des Klägers, die Operation habe im ehemals besetzten Teil Polens
stattgefunden und anschließend sei ein Einsatz in den Pripjetsümpfen erfolgt,
wiederum historisch belegt sind.
(b) Der Kläger ist bei diesem objektiv festgestellten Verstoß gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit nicht durch einen Befehl gerechtfertigt gewesen.
Der Verstoß ist ihm auch persönlich zuzurechnen (iS von §§ 104, 827 BGB; zur
Schuldfähigkeit vgl auch Dreher/Tröndle, StGB und Nebengesetze, 53. Aufl 2006,
Vor § 13 RdNr 32 ff) und vorzuwerfen.
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger hier zwar auf Befehl gehandelt;
dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht sein Verhalten. Die befohlene Handlung
war nicht rechtmäßig; die den Befehl beinhaltende Erschießung war - wie sich
bereits aus der Begehungsweise ergibt - ein offensichtlicher Verstoß gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit. Ein solches Verhalten ist auch nicht damit zu
rechtfertigen, dass es nationalsozialistischer Anschauung oder formal
nationalsozialistischem Recht entsprochen habe oder damals von der
Strafverfolgung ausgeschlossen gewesen sei: Zeitbedingte Weltanschauungen
begründen ebenso wenig einen Rechtfertigungs- wie Schuldausschließungsgrund. Auf
einer solchen Grundlage beruhende Handlungen sind vorwerf- sowie zurechenbar,
wenn diese Quellen Mord, Vertreibung und Gewalttaten forderten oder zu
rechtfertigen versuchten (vgl BVerwGE 31, 337, 341, 343 und 34, 332, 341; 36,
268, 275 f). Es sind an die Handlungsweise des Betroffenen auch in subjektiver
Hinsicht nachträglich andere Maßstäbe anzulegen als die, die unter der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft üblich waren (vgl BVerwGE 25, 128, 137;
31, 337, 342). Von diesem rechtlichen Standpunkt aus ist es nicht zu
beanstanden, wenn das LSG annimmt, dass der Kläger durch die Beteiligung an der
Erschießung der Zivilisten im Sommer 1941 vorwerfbar, dh schuldhaft, einem
rechtswidrigen Befehl Folge geleistet hat.
Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers ist für diese Feststellung seine
vorherige strafrechtliche Verurteilung nicht erforderlich (s auch SG Potsdam
Breith 2000, 837, 847). Wie bereits dargelegt, bedarf es zur Feststellung der
subjektiven Seite des Tatbestandes keines Verschuldens im strafrechtlichen
Sinne. Die Rechtsordnung kennt in einem abgestuften System zahlreiche Sanktionen
unterschiedlicher Intensität, mit denen einem rechtsfeindlichen oder
gemeinschaftsschädigenden Verhalten begegnet werden kann. Die
Unwürdigkeitsklausel des § 1a BVG ist in dieses außerstrafrechtliche
Sanktionensystem eingebettet. Die Verletzungshandlung gegen die von den
Grundsätzen der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit erfassten Schutzgüter
ist ohne Rücksicht auf ihre Strafbarkeit als Verbrechen oder Vergehen zu
beurteilen (vgl BVerfGE 6, 132, 221; BVerwGE 19, 1, 3; 25, 128 f; 26, 82, 88;
31, 337, 340, 342; 34, 332, 341; BSG, Urteile vom 30. Januar 1997 - 4 RA 23/96,
S 16 f; vom 30. Januar 1997 - 4 RA 99/95, S 17; vom 24. März 1998 - B 4 RA 78/96
R, S 25).
Gleichwohl muss dem Betreffenden, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1a Abs
1 Satz 2 BVG ergibt, die Tat individuell zur Last gelegt werden können. Ein
persönlich schuldhaftes Verhalten muss ihm nachgewiesen werden. Ein solches
Handeln liegt immer dann vor, wenn der Betroffene die Tatsachen kannte, aus
denen sich das unmenschliche oder rechtsstaatswidrige Verhalten ergibt, ihm die
Unmenschlichkeit oder Rechtsstaatswidrigkeit bewusst war oder bei der ihm
zumutbaren Gewissensanspannung hätte bewusst sein müssen und nicht besondere
Gründe die Schuld ausschließen (vgl Heinz, ZfS 1999, 137, 138). Diese Merkmale
sind hier vom LSG ohne Rechtsverstoß bejaht worden. Auch in diesem Zusammenhang
durfte es die Aussage des Klägers aus dem Jahre 1961 verwenden.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war sich der
Kläger bei der Ausführung des Schießbefehls auch bewusst, unrechtmäßige
Handlungen zu begehen. Dieses spiegelt sich nach Auffassung des LSG darin wider,
dass der Kläger gezittert, ihm danach zwei Wochen lang das Essen nicht
geschmeckt und er geäußert habe, die "Sache" schon vor den Erschießungen satt
gehabt zu haben. Dieser Würdigung der Angaben aus dem Jahre 1961 setzt der
Kläger - abgesehen von dem untauglichen Angriff gegen die Verwertung der Aussage
insgesamt - lediglich seine eigene Darstellung der Tatumstände entgegen. Damit
vermag er nicht durchzudringen. Es fehlt insoweit an ordnungsgemäßen
Verfahrensrügen iS von § 164 Abs 2 Satz 3 letzter Halbsatz SGG.
Soweit der Kläger ausführt, aus dem Umstand der psychischen Beteiligung könne
nicht auf sein Bewusstsein um ein menschenrechtswidriges Handeln geschlossen
werden, greift er allgemein die Tatsachenwürdigung des LSG an, ohne einen Fehler
im Berufungsverfahren aufzuzeigen. Insbesondere wird kein Verstoß gegen
allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorgebracht.
Die Überlegungen des Klägers, nach der Argumentation des LSG müsse bei einem
völlig gefühlskalt handelnden Mörder davon ausgegangen werden, diesem fehle das
Bewusstsein, gegen Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen zu haben, führt nicht
dazu, dass aus dem Zeigen von Gefühlen nicht auf das Vorhandensein eines
Bewusstseins für die Menschenrechtswidrigkeit des Handelns geschlossen werden
könnte. Zwar mag die Folgerung des LSG bei einem gefühlskalten Mörder nicht
möglich sein, andererseits ist sie jedoch nicht undenkbar, sondern nach
Auffassung des Senats durchaus nahe liegend.
Soweit der Kläger dem Schuldvorwurf entgegenhält, er habe auf einen - wenn auch
rechtwidrigen - Befehl gehandelt, vermag dieses sein Handeln nicht zu
entschuldigen.
Zwar bedarf es hier keines strafrechtlichen Schuldvorwurfs. Dennoch begegnet es
keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn das LSG insoweit gleichwohl
das Vorliegen eines strafrechtlichen Schuldausschließungsgrundes - hier des
Befehlsnotstandes (vgl §§ 32, 34 StGB, § 47 MStGB) - geprüft hat, den der Kläger
selbst zu seiner Entlastung ins Feld geführt hat. Es ist hier das Prinzip der
Einheit der Rechtsordnung zu beachten. Gründe, wegen derer strafrechtliches
Handlungsunrecht fehlt, sind zwar nicht notwendig auch in anderen Rechtsgebieten
maßgebend (zB für die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts). Spezielle, ihrer
Herkunft nach strafrechtliche Erlaubnissätze gelten aber auch für diese
Bereiche, da insoweit eine Handlung nicht zugleich erlaubt und verboten sein
kann (vgl Lenckner in Schöncke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl 2001,
Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff, RdNr 27; s auch: derselbe, aaO RdNr 8, § 32 RdNr
42a, § 34 RdNr 7). Voraussetzung ist allerdings immer, dass das fragliche
Verbot, auf welches sich der Erlaubnissatz bezieht, für die verschiedenen
Teilbereiche des Rechts ein und dasselbe ist. Das ist hier der Fall, denn ein
früheres Verhalten ist nach § 1a BVG nicht vorwerfbar, wenn seine heutige
strafrechtliche Beurteilung die Schuld ausschließen würde.
Der Senat lässt es offen, ob ein offensichtlich rechtswidriger, weil gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit verstoßender, verbindlicher Befehl dogmatisch als
Rechtfertigungsgrund (vgl Lenckner in Schöncke/Schröder, aaO, Vorbemerkungen zu
§§ 32 ff RdNr 89 mwN) oder als Entschuldigungsgrund (vgl Dreher/Tröndle, StGB,
53. Aufl 2006, Vor § 32 RdNr 8 ff, insbes 16) einzuordnen ist. Der Kläger kann
sich von dem objektiv begangenen und zurechenbaren Verstoß jedenfalls nicht
dadurch freizeichnen, er habe "nur" auf Befehl gehandelt und habe objektiv keine
Möglichkeit gehabt bzw subjektiv eine solche nicht erkennen können, diesen nicht
zu befolgen.
Objektiv lag hier nach den vom Kläger nicht mit zulässigen Verfahrensrügen
angegriffenen Feststellungen des LSG, das sich insoweit auf das Gutachten des
Sachverständigen Dr. B. stützt, kein Befehlsnotstand vor. Danach hätte der
Kläger ohne unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben die Möglichkeit einer
Befehlsverweigerung gehabt (vgl hierzu auch die Ausführungen von Cüppers, aaO, S
168 ff, zu dem Vorfall in Ostrog am 4. August 1941).
Zwar ist nicht auszuschließen, dass dem Kläger dieses nicht bewusst war oder er
geglaubt hat, eine Befehlsverweigerung sei mit einer erheblichen Gefahr für sein
eigenes Leben verbunden. Er könnte sich insoweit in einem Irrtum über die
Notstandslage befunden haben (vgl § 35 Abs 1 Satz 2 StGB). Aber auch dann
besteht - gegenüber einem rechtswidrigen Befehl - zunächst einmal die
Verpflichtung, alles Zumutbare zu tun, um ein eigenes Unrechtsverhalten zu
vermeiden. Es muss letztlich die Ausweglosigkeit der Situation der Grund für die
Begehung der Unrechtstat sein (vgl hierzu Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit,
aaO, S 214; BVerwGE 25, 135; 26, 84 f zur Zugehörigkeit zum Volksgerichtshof
(Richter oder StA) als ein Beweisanzeichen für einen Verstoß, da der Betreffende
es unterlassen habe, das ihm Zumutbare zu tun, um sich der Dienstleistung beim
Volksgerichtshof zu entziehen; s auch SG Potsdam Breith 2000, 837, 847). Dem
Betroffenen wird zugemutet zu versuchen, die Ausführung des unmenschlichen oder
rechtsstaatswidrigen Befehls zu verhindern oder wenigsten sich selbst aus der
Angelegenheit herauszuhalten (Frank, br 2000, 125, 134).
Angesichts der besonderen Schändlichkeit und Ungeheuerlichkeit der befohlenen
Aktion hätte dem Kläger als Befehlsempfänger bei zumutbarer Gewissensanspannung
die Erkenntnis kommen müssen, dass die Ausführung dieses Befehls niemals
rechtens sein könne, er zumindest versuchen müsse, sich der Umsetzung dessen zu
entziehen. Dieses gilt unabhängig von Bildungsgrad, Alter und
Schichtzugehörigkeit, denn allein die Begehungsform der erfolgten Erschießungen
musste in jedem Menschen die Überzeugung von der Verwerflichkeit des Handelns
entstehen lassen (vgl BVerfGE 93, 213, 242). Demjenigen jedoch, der einem Befehl
zu einem unmenschlichen Handeln in blindem Gehorsam folgt, ist vorzuwerfen, dass
er "blind", also ohne sein Gewissen zu prüfen, gehorchte (vgl BVerwGE 31, 337,
343 f). Die Vorwerfbarkeit der Tat wird in einem solchen Fall auch durch den
Befehlsnotstand nicht ausgeschlossen, zumindest dann nicht, wenn sich der Täter
keine Gedanken darüber gemacht hat, dass die Erschießung von Zivilpersonen in
der geschehenen Form eine sittlich zu verurteilende Tat ist. Gerade diese
Gesinnung, ein Menschenleben willkürlich vernichten zu dürfen, nur weil es
befohlen ist, spricht für die Verwerflichkeit und damit für die Vorwerfbarkeit
der Mitwirkung an einer solchen Tat (vgl hierzu auch BVerwGE 14, 142, 146 in
Bezug auf die rechtsähnliche Ausschlussvorschrift des § 8 Abs 1 Nr 1
Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz). So liegt der Fall hier.
Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger nichts unternommen, um der
Ausführung des Befehls zu entgehen. Der Kläger bestreitet diese Feststellung des
LSG nicht, sondern rügt lediglich, das LSG habe in diesem Zusammenhang keinen
Beweis zu seiner Vorbildung, seinen Lebensumständen und seiner Intelligenz
erhoben. Er bemängelt, das LSG habe nicht festgestellt, was er sich davon habe
versprechen sollen, sich bei den Truppenführern nach dem Hintergrund des Befehls
zu erkundigen. Mit diesen Rügen vermag der Kläger nicht durchzudringen. Zum
einen führt er nicht aus, welches Ergebnis die von ihm vermisste Beweiserhebung
hätte erbringen sollen. Zum anderen ist nach Auffassung des Senats unter den
gegebenen Umständen das Bemühen um einen Ausweg unabhängig von Alter, Bildung
und Herkunft zu fordern. Erst im Hinblick auf die Bewertung der Eignung eines
solchen Bemühens als Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund könnte es auf
die vom Kläger geforderten Feststellungen ankommen. Da es aber nach den
bindenden Feststellungen des LSG bereits an dem Bemühen mangelt, kommt es auf
die nach Ansicht des Klägers fehlenden weiteren Ermittlungen hier nicht an.
(3) Wortlaut, systematischer Zusammenhang und Gesetzesbegründung gebieten es,
das Fehlverhalten, das Grundlage einer Entziehung von Versorgungsleistungen ist,
auf ein solches zu beschränken, das einen engen Bezug zu dem System des
nationalsozialistischen Unrechtsstaates hat, sich also aus dem staatlichen
Unrechtsprogramm des Nationalsozialismus ergibt (a). Entsprechendes gilt für die
Opferlage des Versorgungsberechtigten im Sinne des BVG. Auch ihre Entstehung
muss nach verfassungskonformer Auslegung des § 1a BVG einen solchen Systembezug
aufweisen (b).
(a) Versagensgrund ist nach dem Wortlaut des § 1a Abs 1 Satz 1 BVG eine konkrete
Handlung iS eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit während der Herrschaft des Nationalsozialismus. Damit
erfolgt jedoch nicht nur eine zeitliche Eingrenzung des relevanten unwürdigen
Verhaltens, sondern es wird sprachlich zweierlei verdeutlicht: Zum einen kommt
zum Ausdruck, dass Grund für die Rechtsfolge der Verwehrung oder Entziehung von
Versorgungsleistungen nicht die (aktuelle) Unwürdigkeit der Person, sondern
deren Handlungsweise während der NS-Zeit ist. Zum anderen wird eine
Qualifizierung des Fehlverhaltens dahingehend nahe gelegt, dass es im
Zusammenhang mit der Herrschaft des Nationalsozialismus gestanden haben muss.
Letzteres wird durch einen Blick auf die Gesetzesmaterialien bestätigt, wonach
von § 1a BVG lediglich "krasse" Fälle erfasst werden sollten (BT-Drucks 13/7061,
S 3; vgl auch Frank, br 2000, 125, 132). Nun mag man zwar die Auffassung
vertreten können, bei Menschenrechtsverstößen handele es sich immer um "krasse"
Fälle. Gemeint ist damit jedoch vor allem eine Abgrenzung zur "normalen"
("privaten") Kriminalität im Nationalsozialismus. Wäre diese von § 1a BVG mit
erfasst, würden sich unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebotes (Art 3
Abs 1 GG) erhebliche Bedenken dagegen ergeben, dass Kriegsbeschädigte, die vor
oder nach der NS-Zeit schwere Verbrechen (zB Mord, Totschlag, Vergewaltigung)
begangen haben, ihre Versorgungsleistungen behalten können.
Der gewollte Systembezug der in § 1a BVG angesprochenen Verstöße gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit wird umso deutlicher, wenn der im
Gesetzgebungsverfahren geäußerte Wunsch nach Entfaltung einer außenpolitischen
Wirkung der Norm in den Blick genommen wird. Die Bundesrepublik Deutschland
wollte sich durch diese Maßnahme nach außen hin von den menschenverachtenden
Handlungsweisen während der Herrschaft des Nationalsozialismus distanzieren. So
ist die Regelung in der Literatur auch als Instrument der fortdauernden Mahnung
gegen das Vergessen der nationalsozialistischen Gräueltaten und als Baustein des
weiteren Aufbaus der rechtsstaatlichen Ordnung verstanden worden (Heinz, ZfS
1999, 137, 138). Das Verhalten des Individuums muss mithin dem kollektiven
Staatsunrecht des Nationalsozialismus zuzuordnen sein (Frank, br 2000, 125,
133).
Der festgestellte Verstoß des Klägers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
hat unzweifelhaft einen derartigen Systembezug. Die Teilnahme an den
Erschießungen erfolgte im Dienst der Waffen-SS. Die Aktion verhalf der
menschverachtenden Programmatik des nationalsozialistischen Unrechtsstaates,
nämlich der Vernichtung von Juden und anderen als minderwertig eingestuften
Bevölkerungsgruppen, zur Durchsetzung.
(b) Der Wortlaut des § 1a BVG lässt offen, ob sich die darin vorgesehene
Versagung und Entziehung von Versorgung auf alle Leistungen bezieht, unabhängig
davon, auf welchem entschädigungsrechtlichen Tatbestand sie beruhen. Auch
systematischer Zusammenhang und Regelungszweck bieten insoweit keine eindeutigen
Anhaltspunkte. Aus einer undifferenzierten Erstreckung auf alle Fallgestaltungen
kann sich jedoch eine sachwidrige Gleich- bzw Ungleichbehandlung der Kriegsopfer
untereinander ergeben (vgl Art 3 Abs 1 GG), die durch eine verfassungskonforme
Auslegung zu vermeiden ist. Die Unterscheidung zwischen Kriegsopfern, die
Leistungen er- und behalten, und solchen, denen sie nach Maßgabe des § 1a BVG
versagt oder entzogen werden können, ist dann sachlich gerechtfertigt, wenn die
von § 1a BVG erfassten Leistungen auf Opferlagen mit einem hinreichenden
Systembezug zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat beruhen. Das ist bei
Schädigungen, die erst nach dem Ende der NS-Herrschaft (grundsätzlich 8. Mai
1945) eingetreten sind, in der Regel nicht anzunehmen. Ein Leistungsausschluss
nach § 1a BVG ist mithin nur dann sachgerecht, wenn Verstoß und Opferlage in
zeitlicher wie qualitativer Hinsicht dem System des Nationalsozialismus
zuzuordnen sind (vgl allg zur verfassungskonformen Auslegung: BVerfGE 71, 81,
105).
Nach dem Wortlaut des § 1a Abs 2 Halbsatz 1 BVG sind "Leistungen" ganz oder
teilweise zu entziehen. Der Gesetzestext selbst grenzt die hiervon betroffenen
Leistungen nicht ein; denkbar wären - im weitesten Sinne - alle Leistungen nach
Vorschriften des sozialen Entschädigungsrechts, für die - über Verweisungsnormen
- das BVG zur Anwendung gelangen soll. Eine solche Auslegung ist hier jedoch
nicht angebracht.
Ein Blick auf die Verweisungstechnik in den einzelnen sozialen
Entschädigungsgesetzen, in denen auf das BVG als dem "Grundgesetz" der sozialen
Entschädigung Bezug genommen wird, verdeutlicht dieses Ergebnis. Die
entsprechende Anwendung des BVG soll im Hinblick auf Art und Umfang der
Leistungsgewährung erfolgen, nicht im Hinblick auf die Grundtatbestände, in
deren Zusammenhang die "Unwürdigkeitsregelung" des § 1a BVG eingegliedert ist.
So ist in § 1 Abs 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten
(OEG) ebenso wie in § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und in § 60 Abs 1
Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt: Auf Antrag erhält Versorgung in
entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG derjenige, bei dem die
jeweiligen speziellen Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Bereits aus diesem
Grunde kann § 1a BVG für Leistungen nach anderen Entschädigungsgesetzen nicht
zur Anwendung gelangen.
Eine weitergehende Eingrenzung der von § 1a BVG erfassten Leistungen lässt sich
nicht ohne weiteres durch allgemeine Auslegung begründen. Allerdings liegt es
nahe, die Worte "während der Herrschaft des Nationalsozialismus" - in zeitlicher
und qualitativer Hinsicht - nicht nur auf die Verstöße gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit, sondern auch auf den
Entschädigungsgrund zu beziehen, aus dem sich die betreffenden
Versorgungsleistungen herleiten.
Immerhin erschließt sich aus der systematischen Stellung, die § 1a im BVG
einnimmt, in groben Umrissen, auf welche Leistungen sich die Versagung oder die
Entziehung nach § 1a BVG wegen des Verstoßes gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit beziehen soll. Sie stellt mit dem
Buchstaben "a" eine Ergänzung zu § 1 BVG dar. Entschädigungsgrund nach § 1 Abs 1
BVG ist im Wesentlichen eine gesundheitliche Schädigung im Zusammenhang mit
militärischer Dienstleistung. Danach erhält derjenige, der durch eine
militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall
während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch
die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung
erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der
Schädigung auf Antrag Versorgung. Ist eine solche Schädigung während der
Herrschaft des Nationalsozialismus erlitten worden, weist sie im Hinblick auf
die erfolgte Dienstleistung ohne weiteres einen engen Bezug zum damaligen
Unrechtssystem auf.
Allerdings ist die Bandbreite der Entschädigungsgründe nach § 1 BVG weiter. § 1
Abs 2 BVG stellt denen des § 1 Abs 1 BVG zahlreiche andere gleich, deren
Anknüpfungspunkt zeitlich und sachlich weit von der gesundheitlichen Schädigung
beim aktiven Einsatz für das damalige Herrschaftssystem, namentlich in dem
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des Deutschen Reiches, entfernt sein kann,
wie zB die Schädigung als Zivilist durch unmittelbare Kriegseinwirkungen (§ 1
Abs 2 Buchst a iVm § 5 BVG) oder durch Internierung im Ausland (§ 1 Abs 2 Buchst
c BVG). Unter rein formal-systematischen Gesichtspunkten - über die Verweisung
in § 1 Abs 2 BVG - wären zwar auch Leistungen, die auf Grund dieser
Entschädigungstatbestände zu gewähren sind oder gewährt werden, von § 1a BVG
erfasst. Dieses würde jedoch sowohl zu einer Unausgewogenheit der inhaltlichen
Eingrenzungen von Verstoß und Opferlage führen, als auch den erkennbaren Rahmen
des gesetzgeberischen Willens überschreiten sowie dem Regelungszweck und dem
Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 GG) widersprechen.
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt: In der Debatte um § 1a BVG haben
die daran Beteiligten in erster Linie die "originären" Kriegsopfer im Blick
gehabt, also die, die ihre Schädigung im 2. Weltkrieg als "Soldaten" erlitten
haben. Ausgangspunkt für die Initiative zur Einfügung des § 1a BVG war eine 1993
ausgestrahlte Fernsehsendung, in der darüber berichtet wurde, dass 128 ehemalige
lettische Legionäre der Waffen-SS Leistungen nach dem BVG erhielten, darunter
Mitglieder der Schutzmannschaften, die 1941 an Massenerschießungen beteiligt
gewesen seien (vgl Frank, Entschädigungsunwürdigkeit , aaO, S 182). In einem
Antrag vom 23. April 1993 forderten darauf hin Mitglieder der Fraktion der
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Bundestag möge feststellen, es gebe einen
unerträglichen Wertungswiderspruch zwischen Kriegsopferversorgung und
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Kriegsbeschädigte, die im
Zusammenhang mit dem Dienst eine Schädigung erlitten und an schweren
Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen seien, sollten daher von der
Versorgung mit Leistungen nach dem BVG ausgeschlossen werden (BT-Drucks 12/4788,
S 1, 2). In der Begründung des Gesetzentwurfs selbst wird darauf hingewiesen,
durch die zeitliche Beschränkung der Verstöße auf die Zeit der Herrschaft des
Nationalsozialismus werde eine zeitliche Nähe zu den entschädigungsrelevanten
Tatbeständen erreicht (BT-Drucks 13/8705, S 3). Auch wenn der vorgeschlagene
Ausschlusstatbestand der freiwilligen Mitgliedschaft in der SS nicht, wie
beantragt, Gesetz geworden ist, so ist er jedenfalls in die Diskussion um die
Einführung des § 1a BVG eingeflossen und hat in § 1a Abs 1 Satz 2 BVG
Niederschlag gefunden. Dieser Vorgang zeigt deutlich, dass die an dem
Gesetzgebungsverfahren Beteiligten von dem Gedanken durchdrungen waren, wegen
begangener Verstöße gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
insbesondere solche Kriegsopfer von der Entschädigung auszunehmen, die eine
Schädigung erlitten haben, die in Bezug zu dem nationalsozialistischen System
steht. Eine besonders kritische Beziehung zum Herrschaftssystem des
Nationalsozialismus kommt durch die Mitgliedschaft in einer Organisation wie der
SS zum Ausdruck, die nach historischen Erkenntnissen massiv an der
systematischen Ermordung jüdischer Bevölkerungsteile - insbesondere in Polen und
der Sowjetunion - beteiligt war (vgl Cüppers, aaO).
Der Regelungszweck des § 1a BVG unterstreicht die Eingrenzung der Opferlage auf
eine solche mit Bezug zu dem nationalsozialistischen System. Der Gesetzgeber
wollte mit der Einführung des § 1a BVG einerseits einen Wertungswiderspruch
zwischen der entschädigungsrechtlichen Behandlung von Opfern des
Nationalsozialismus und derjenigen von Tätern dieses Systems (zur Frage, ob sich
durch die Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem BVG die tatsächliche
Lage der Opfer des Nationalsozialismus in irgendeiner Weise ändert, vgl die
Ausführungen der Abgeordneten Marschner, Stenographisches Protokoll der Sitzung
des Deutschen Bundestags vom 13. November 1997, S 18369) und andererseits eine
als sachwidrig empfundene Gleichbehandlung unterschiedlich "belasteter"
Kriegsopfer beseitigen. So sollten Kriegsverbrecher nicht in gleichem Maße wie
"nur" an dem Krieg teilnehmende Soldaten und deren Hinterbliebene die
Entschädigungsleistungen der Gemeinschaft in Anspruch nehmen können. Diese Ziele
werden allerdings nur dann verfassungskonform erreicht, wenn auch die von § 1a
BVG erfasste Opferlage einen engen Systembezug aufweist und nicht nur in einem
durch das BVG vorgegebenen, allgemeinen Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg steht.
Diese Einschränkung folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG.
§ 1a BVG stellt eine Abweichung von dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller
Kriegsopfer dar. Insofern bedarf seine konkrete gesetzliche Ausgestaltung und
Anwendung einer an Art 3 Abs 1 GG zu messenden Rechtfertigung. Soweit der
vorgesehene Leistungsausschluss allein auf ehemalige NS-Täter abzielt, lässt er
sich als solcher hinreichend damit begründen, dass dieser Personenkreis nicht
nur persönlich schwere Schuld auf sich geladen, sondern auch durch seine
Mitwirkung im Unrechtssystem des Nationalsozialismus dazu beigetragen hat, dass
dieses die Begehung von Verbrechen geradezu zum Programm erheben und in
ungeheuerlichem Ausmaß verwirklichen konnte. Da § 1a BVG als Anknüpfungspunkt
für den Leistungsausschluss Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
oder Rechtsstaatlichkeit während der Herrschaft des Nationalsozialismus
herausgreift und selbst schwerste andere Verbrechen außer Betracht lässt, wäre
er nach Auffassung des erkennenden Senats allerdings mit Art 3 Abs 1 GG
unvereinbar, wenn er unterschiedslos alle Versorgungsleistungen nach dem BVG
erfassen würde.
Es entstünde eine vor Art 3 Abs 1 GG nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung
der Kriegsopfer untereinander, wenn auch solche Versorgungsleistungen nach dem
BVG wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit entzogen oder versagt werden könnten, die auf einem
schädigenden Ereignis beruhen, das keinen unmittelbaren Bezug zum
Herrschaftssystem des Nationalsozialismus mehr hat. Fehlt nämlich die sachliche
Klammer eines (doppelten) Systembezuges (von Verstoß und Opferlage), so wird das
Merkmal des während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Verstoßes
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit praktisch zu
einem rein persönlichen Unwürdigkeitskriterium, das - gemessen an dem
individuellen Schuldvorwurf - im Vergleich zu anderen erheblichen
Rechtsverstößen nicht generell so viel schwerer wiegt, dass eine gesetzlich
normierte ungleiche Behandlung der betroffenen Kriegsopfer gerechtfertigt werden
könnte. So wäre zB kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, wenn ein ehemaliger
NS-Täter, der weit nach Kriegsende beim Trümmerräumen durch die Explosion einer
liegen gebliebenen Mine geschädigt worden ist, seine Versorgungsleistungen
verlöre, während ein gleichzeitig verletzter Mann, der kurz zuvor ein
Schwerverbrechen begangen hat, seine Ansprüche behielte.
Es ist mithin verfassungsrechtlich geboten, den speziell auf NS-Täter
ausgerichteten Leistungsausschluss nach § 1a BVG auf solche Versorgungsansprüche
zu beschränken, die ihrerseits mit dem Herrschaftssystem des Nationalsozialismus
in einem engen Zusammenhang stehen. Die Rechtsposition des Kriegsopfers muss
gleichsam von dem Makel des von ihm begangenen Verstoßes erfasst werden (vgl
dazu Kloepfer, DÖV 1998, 1, 3). Das ist allerdings nicht nur dann der Fall, wenn
der Täter unmittelbar bei dem Verstoß zu Schaden kommt. Vielmehr reicht es
insbesondere aus, wenn er die versorgungsrechtlich relevante Schädigung im
Dienst für das nationalsozialistische Herrschaftssystem erlitten hat, in dessen
Rahmen er - vorher oder nachher - auch gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
verstoßen hat (vgl dazu BT-Drucks 12/4788, S 2). Denn es würde der Wertordnung
des GG widersprechen, Personen, die derartige Verstöße begangen haben, für
gesundheitliche Beeinträchtigungen zu entschädigen, die sie sich bei der
Unterstützung dieses Systems zugezogen haben (vgl dazu Frank, Die
Entschädigungsunwürdigkeit ..., aaO, S 188).
Auch bei dieser Auslegung des § 1a BVG wird der angesprochene
Wertungswiderspruch gegenüber den Opfern des Unrechtssystems gelöst. Es werden
nämlich die, die in dem Unrechtssystem zugleich (Kriegs-)Opfer und Täter
geworden sind, nicht entschädigt, während dies bei den vom System Verfolgten der
Fall ist. Je weiter die Umstände des erlittenen Kriegsopfers jedoch von dem
Systembezug entfernt sind, desto mehr entfällt der betreffende
Wertungswiderspruch und damit die Rechtfertigung eines Leistungsausschlusses.
Ähnliche Überlegungen hat der 4. Senat des BSG zu der "Unwürdigkeitsklausel" des
§ 5 EntschRG (Versagung von Entschädigungsrenten, die die Ehrenpensionen der DDR
an die Opfer des Nationalsozialismus ersetzen) angestellt (vgl BSGE 80, 72 =
SozR 3-8850 § 5 Nr 2; BSG SozR 3-8850 § 5 Nr 1). Er hält in den von ihm zu
entscheidenden Fällen eine unterschiedliche Behandlung von Opfern des
Nationalsozialismus untereinander dann für gerechtfertigt, wenn Opferlage und
Tatbeitrag (Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit) einen Systembezug (auch in der DDR) aufweisen. Dazu führt
der 4. Senat aus: "Aus der Sicht des an die Menschenwürde gebundenen Staates
wäre es ... wertungswidersprüchlich, denjenigen NS-Opfern, die selbst die
Menschenwürde und die Menschenrechte anderer verletzt und dementsprechend
rechtsstaatliche Grundsätze missachtet haben, die gleichen Entschädigungsrechte
wie den anderen NS-Opfern zuzuerkennen. Dies wäre aus der Sicht des eine
Wiedergutmachung versuchenden Staates wertungswidersprüchlich; es würde ebenso
Treu und Glauben widersprechen, wenn ein solches NS-Opfer von der Bundesrepublik
Deutschland forderte, sie möge die von ihm erlittenen Menschenrechtsverletzungen
gemäß den grundlegenden Anforderungen der Grundsätze der Menschlichkeit und
Rechtsstaatlichkeit wieder gutmachen, diese Grundsätze aber zugleich
hinsichtlich der vom Opfer (in Ausübung obrigkeitlicher Funktionen) begangenen
Menschenrechtsverletzungen unbeachtet lassen. Deswegen verbietet die
verfassungsmäßige Ordnung des GG geradezu, staatliche Wiedergutmachung solchen
früheren Opfern des NS-Regimes - ungeschmälert - zu belassen, die in Ausübung
von Macht in einer Staatspartei oder in dem von dieser dirigierten Staatsgebilde
selbst gerade diese Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
missachtet haben" (BSGE SozR 3-8850 § 5 Nr 1 S 12 f; vgl dazu BVerfGE 22, 387,
418 f; 12, 264, 271).
Hieraus folgt für den vorliegenden Fall: Die Opferlage des Klägers, die auf den
Erfrierungen an den Füßen und der Granatsplitterverletzung beruht, weist den
erforderlichen Bezug zum Herrschaftssystem des Nationalsozialismus auf. Der
Kläger war bei beiden Ereignissen im Dienste des Systems in "militärisch"
operierenden oder mit Sonderaufgaben betrauten Einheiten tätig. Während der
ersten Schädigung (8. Januar 1942) leistete er laut Auskunft der Deutschen
Dienststelle (WASt) noch Dienst bei der 9. Kompanie des "SS-Schützenregiments 10
(mot)", der Einheit, die auch für den Verstoß gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit im Sommer/Frühherbst 1941 verantwortlich war. Die
Granatsplitterverletzung hat er sich am 12./13. Januar 1943 als Freiwilliger der
Waffen-SS in der 5. Panzer-Jäger-Kompanie der 1. SS-Infanterie-Brigade (mot)
ebenfalls im Dienst zugezogen. Dieses gilt jedoch nicht für die Schädigung durch
eine Rippenfellentzündung, die sich nach den Feststellungen des LSG im Januar
1948 in polnischer Kriegsgefangenschaft entwickelt hat.
Gesundheitliche Schädigungen während der Kriegsgefangenschaft bedürfen einer
besonderen Betrachtung. Sie werden zwar gemäß § 1 Abs 2 Buchst b BVG vom
Schutzbereich der Kriegsopferversorgung erfasst. Der dabei zu Grunde gelegte
Zusammenhang mit dem Kriegsdienst reicht jedoch für sich genommen nicht in jedem
Fall aus, um den im Rahmen des § 1a BVG erforderlichen Bezug zum
Herrschaftssystem des Nationalsozialismus zu begründen. Der
versorgungsrechtliche Begriff der Kriegsgefangenschaft beruht auf dem des
Völkerrechts. Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu
einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden ist
und von einer feindlichen (ausländischen) Macht festgehalten wird (vgl dazu BSG
SozR 4-3100 § 1 Nr 1 RdNr 9 mwN). Da die Gefangenschaft grundsätzlich nur dazu
dient, die betreffenden Personen davon abzuhalten, weiter gegen die
Gewahrsamsmacht zu kämpfen, und diese im Falle einer Befreiung auch wieder zum
Einsatz kommen können, spricht viel dafür anzunehmen, dass die
Kriegsgefangenschaft eines Angehörigen der Waffen-SS dessen Dienst für das
Herrschaftssystem des Nationalsozialismus nicht ohne weiteres in relevanter
Weise beendet hat.
Anders verhält es sich hingegen, wenn die Kriegsgefangenen nach Beendigung der
aktiven Feindseligkeiten entgegen Art 118 III. Genfer Abkommen über die
Behandlung von Kriegsgefangenen (BGBl II 1954, 838) nicht ohne Verzug
freigelassen und heimgeschafft werden. Dann ändert sich der Charakter der
Gefangenschaft; sie dient nunmehr anderen, insbesondere politischen Zwecken. Im
vorliegenden Fall kommt entscheidend hinzu, dass mit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges auch das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus zusammengebrochen
ist, dem der Kläger gedient hatte. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Schädigung im
Jahre 1948 kann er in seiner Eigenschaft als Kriegsgefangener mithin nicht mehr
als Unterstützer eines noch existierenden Unrechtsregimes angesehen werden.
Ebenso wenig wie dann noch von § 1a BVG erfasste Verstöße gegen die
Menschlichkeit möglich waren, konnten gesundheitliche Schädigungen im
Zusammenhang mit einer Mitwirkung am NS-System eintreten.
Da demnach der erforderliche Systembezug bei der vom Kläger 1948 in polnischer
Kriegsgefangenschaft durchgemachten Rippenfellentzündung fehlt, bleiben
diejenigen Versorgungsleistungen von § 1a BVG unberührt, die sich auf die als
Schädigungsfolge anerkannte "geschlossene Lungentuberkulose rechts" beziehen,
welche sich aus den Folgen der Rippenfellentzündung entwickelt hat. Der
angefochtene Verwaltungsakt ist insoweit teilweise rechtswidrig und in
entsprechendem Umfang vom SG zu Recht aufgehoben worden.
(4) Nach Maßgabe des in der dargestellten Weise ausgelegten § 1a Abs 2 iVm Abs 1
BVG sind dem Kläger die Leistungen ab 1. Januar 2000 insoweit vollständig zu
entziehen gewesen, als sie auf den Schädigungsfolgen "Erfrierungsfolgen an der
rechten Großzehe und belanglose Narbe an der linken Ellenbeuge" beruhen. In
diesem Zusammenhang kann er sich im Hinblick auf die bisherige
Leistungsgewährung nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen. Die
Entziehung rechtfertigt sich aus der Abwägung der dem Kläger zur Seite stehenden
Vertrauensschutzgesichtspunkte mit der Schwere des begangenen Verstoßes sowie
dem öffentlichen Interesse, nicht weiterhin durch die Gemeinschaft finanzierte
Leistungen dieser Art an Täter des nationalsozialistischen Unrechtssystems zu
gewähren (a). Billigkeitsgesichtspunkte, die für einen späteren Zeitpunkt des
Entzuges, als dem von dem Beklagten gewählten sprechen könnten, kommen hier
nicht zum Tragen (b).
(a) Das Vertrauen des Klägers in die Fortgewährung der von § 1a BVG erfassten
Leistungen ist nicht überwiegend schutzwürdig. Die Abwägung zwischen den
persönlichen Verhältnissen sowie Interessen des Klägers einerseits und den
Interessen der Öffentlichkeit an der Entziehung der Leistung andererseits ergibt
im vorliegenden Fall einen überwiegenden Ausschlag zu Gunsten der
Entziehungsentscheidung. In die Vertrauensschutzabwägung sind auf Seiten des
Berechtigten im Rahmen seiner persönlichen Verhältnisse insbesondere
einzubeziehen: seine finanzielle und gesundheitliche Situation, sein Alter, die
Dauer des Leistungsbezuges und der Umfang der zur Entziehung anstehenden
Leistung. Dagegen abzuwägen ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die
Schwere der Schuld, die der Berechtigte auf sich geladen hat (vgl dazu BT-Drucks
13/8980, S 9: " ... (Es) ist im Einzelfall das Vertrauen des Berechtigten
gegenüber der Schwere des Verstoßes ... abzuwägen ..."). Es soll damit eine
Differenzierung nach der individuellen Schuld ermöglicht werden (vgl BT-Drucks,
aaO). Je gravierender die Unrechtshandlungen des Berechtigten nach Anzahl, Art,
Umfang und Dauer sowie die Verletzungen der Opfer waren, umso höhere
Anforderungen sind an die Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu stellen; denn das
Ausmaß des den Versorgungsanspruch mindernden oder ausschließenden
rechtsstaatlichen Wertungswiderspruchs ist an die Intensität des Fehlverhaltens
gekoppelt (vgl hierzu ausführlich: Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit ...,
aaO, S 199). Aus der Formulierung " ... auch angesichts der Schwere der
begangenen Verstöße ..." in § 1a Abs 2 BVG schließt der Senat zweierlei:
Einerseits soll "trotz" eines sehr schweren Verstoßes die Möglichkeit eines
Überwiegens des persönlichen Vertrauens des Berechtigten bestehen bleiben. Hier
ist etwa an die Fälle zu denken, in denen einem Hinterbliebenen die Leistungen
entzogen werden sollen (s § 1a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 BVG; vgl BT-Drucks
13/8980, S 9; Frank, Die Entschädigungsunwürdigkeit ..., aaO, S 197). Anderseits
ist über die Abwägung dieses Vertrauens mit der Schwere des Verstoßes hinaus das
öffentliche Interesse an der Entziehung der Leistung zu berücksichtigen,
insbesondere geprägt von den Überlegungen, die den Gesetzgeber bei der
Einführung des § 1a BVG geleitet haben (vgl Frank, Die
Entschädigungsunwürdigkeit ..., aaO, S 196 f). Weitere Gesichtspunkte können
sich aus der Wertordnung des GG ergeben.
Das von dem LSG gewonnene Ergebnis der Vertrauensschutzprüfung ist im
vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte nicht zu
beanstanden; zulässige und begründete Verfahrensrügen hat der Kläger zu den vom
LSG dieser Bewertung zu Grunde gelegten Tatsachen nicht geltend gemacht, sodass
der Senat an die Feststellungen des LSG gebunden ist (§ 163 SGG).
Das LSG hat im Hinblick auf die persönliche Situation des Klägers bei Begehung
des Verstoßes zu dessen Gunsten gewertet: das jugendliche Alter und die
Unerfahrenheit sowie die Indoktrination durch das nationalsozialistische System
während einer die Persönlichkeit prägenden Phase des Lebens. Diese Aspekte
vermögen jedoch - hiervon geht auch das LSG aus - kein schutzwürdiges Vertrauen
des Klägers im Verhältnis zur Schwere des Verstoßes zu begründen. Bereits im
Rahmen der Darlegungen zur subjektiven Seite des Verstoßes hat der Senat darauf
hingewiesen, dass ein derart menschenverachtender Befehl, wie er dem Kläger
erteilt worden ist, von diesem unabhängig von Alter, Erfahrung oder
Persönlichkeitsbildung zumindest die Suche nach einem Ausweg gefordert hätte. Da
der Kläger diesem Gedanken nach seinen eigenen Angaben jedoch nicht einmal nahe
getreten ist, können die genannten Aspekte im Verhältnis zur Schwere der
persönlichen Schuld - anders als möglicherweise bei einem Berechtigten, der
einen, wenn auch untauglichen, Versuch unternommen hat, keine Schuld auf sich zu
laden - keinen Vertrauensschutz begründen.
Ähnliches gilt für den Vortrag des Klägers, er habe für den Verstoß "gebüßt",
indem er die Strapazen der Kriegsgefangenschaft durchlitten und einen
erheblichen dauerhaften gesundheitlichen Schaden davon getragen habe. Dem ist
zum einen entgegenzuhalten, dass die sozialrechtlichen Konsequenzen des § 1a BVG
nicht in strafrechtlichen Maßstäben zu messen sind; die Leistungsentziehung ist
keine Strafe, sondern setzt ein moralisch-ethisches Gebot des Rechtsstaates um,
dessen Grundsätze es im Übrigen verbieten, Menschenleben gegen erlittene eigene
Körperschäden aufzuwiegen. Zum anderen werden dem Kläger die auf den
Verhältnissen der Kriegsgefangenschaft beruhenden Versorgungsleistungen auf
Grund einer verfassungskonformen Auslegung des § 1a BVG gerade belassen. Im
Übrigen ist zu bedenken: Die Leistungen sind dem Kläger über 50 Jahre hinweg
auch für diese Schädigungsfolgen gewährt worden, sodass eine Fortgewährung der
Leistung auf Grund einer Art Resozialisierungsgedanken von vornherein
ausscheidet (vgl zur Problematik des Resozialisierungsgedankens, Wulfhorst,
Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung vom 14. Mai 1997 vor dem
Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung, S 3).
Auch der Wertung des LSG, die finanziellen Folgen der Entziehung bedingten
keinen überwiegenden Vertrauensschutz, schließt sich der Senat unter
Berücksichtigung des Ergebnisses der verfassungskonformen Auslegung im konkreten
Fall an. Die finanziellen Folgen der Entziehung der Leistung sind im Verhältnis
zur Schwere des Menschenrechtsverstoßes gerechtfertigt. Der Kläger muss
allenfalls geringfügige Einschränkungen hinnehmen. Der Anteil der von der
Entziehung betroffenen Schädigungsfolgen an der Gesamt-MdE des Klägers fällt
kaum ins Gewicht. Mit der verbleibenden Grundrente wird ihm auch weiterhin ein
menschenwürdiges Leben gewährleistet. Ebenso wenig schlägt der Entzug der
kostenfreien Heilbehandlung der Schädigungsleiden an Arm und Fuß derart zu
Buche, dass das Vertrauen des Klägers in die Weitergewährung der Leistung
überwöge. Der Kläger ist als Mitglied der KVdR gegen das Heilbehandlungsrisiko
abgesichert. Vermögensdispositionen, die ein Vertrauen in die Fortgewährung der
Leistung begründen könnten, hat das LSG nicht festgestellt und sind vom Kläger
auch nicht geltend gemacht worden.
Unberücksichtigt gelassen hat das LSG die bisherige Dauer des Leistungsbezugs.
Nun kann zwar diese für sich genommen keinen Vertrauensschutz begründen.
Allerdings darf insoweit nicht unbeachtet bleiben, dass eine Umstellung in den
Lebensverhältnissen, auf die sich der Kläger - auch ohne verbindliche
Vermögensdispositionen getroffen zu haben - in 50 Jahren des Leistungsbezugs
eingerichtet haben mag, in hohem Alter schwieriger zu bewältigen ist, als in
einem Alter, in dem ein Berechtigter noch leichter in der Lage ist, sich aus
eigenen Kräften an veränderte finanzielle Verhältnisse anzupassen. Unter
Berücksichtigung der vom Gesetzgeber im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens zum
Ausdruck gebrachten Zielsetzung des § 1a BVG, die an Überlegungen bei der
Einführung des BVG anknüpft, kann diesen Schwierigkeiten hier dennoch nicht ein
solches Gewicht beigemessen werden, dass dem individuellen Vertrauen im
Verhältnis zum öffentlichen Interesse an der Entziehung der Vorrang eingeräumt
werden müsste. Dafür ist im konkreten Fall die den Kläger treffende Änderung
seiner Versorgungssituation auch zu geringfügig.
Bei den Beratungen zum BVG war zunächst die Aufnahme einer Art
"Unwürdigkeitsklausel" in den Normenkatalog mit folgendem Text erwogen worden:
"Soweit ein Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen wegen politischer
Belastung nicht besteht, entfällt auch der Anspruch auf Geldleistungen nach
diesem Gesetz" (vgl BT-Drucks 1949 Nr 1466, S 6). Diese Vorschrift ist
letztendlich aus vielfachen - eher pragmatisch-politischen Gründen - nicht
Gesetz geworden. So wurde argumentiert, die Kriegsverbrechen seien
strafrechtlich zu ahnden. Man wolle einer Prolongation der Entnazifizierung,
hier auch noch mit vermögensrechtlichen Konsequenzen, entgegenwirken (vgl
BT-Drucks 1949 Nr 1466, S 6; Stenographisches Protokoll der 84. Sitzung des
Bundestages vom 13. September 1950, S 3178; Protokoll der Verhandlung des 26.
Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestags
über das BVG vom 26. September 1950, S 15). Ferner - und diesem Gesichtspunkt
kommt ein erhebliches Gewicht zu - sollte verhindert werden, einen erheblichen
Teil der Bevölkerung - eine große Zahl der Kriegsopfer - außerhalb der
etablierten Gesellschaft stehen zu lassen, über eine derartige Maßnahme
politisch auszugrenzen und damit den von der politischen Mehrheit unerwünschten
politischen Bewegungen zuzuführen (vgl die Ausführungen des Abgeordneten Mende
in: Stenographisches Protokoll der 84. Sitzung des Bundestages vom 13. September
1950, S 3178). Ein wesentliches Argument war mithin die Sorge um den Aufbau des
demokratischen Rechtsstaats, wofür in Kauf genommen wurde, auch diejenigen mit
staatlichen Leistungen zu versorgen, die sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht
hatten.
Die Überlegungen, die dann letztendlich zwischen 1993 und 1997 zu der Schaffung
des § 1a BVG geführt haben, wurden 1949/50 zwar erkennbar nicht diskutiert,
hatten aber vor dem Hintergrund der Wertordnung des GG auch damals bereits ihre
Gültigkeit. Wenn sich der Gesetzgeber in Kenntnis der damaligen politischen
Bewertung 1997 dazu entschlossen hat, den Personenkreis, der während der NS-Zeit
die Menschenwürde eklatant verletzt hat, nunmehr von den staatlich finanzierten
Leistungen der Kriegsopferversorgung auszunehmen, dann steht dieser späten
"Läuterung" zumindest kein unbedingter Anspruch auf Fortgewährung der Leistungen
entgegen. Denn die Berechtigten hätten, moralisch-ethisch betrachtet, bereits
von Anfang an keinen Anspruch auf diese Leistungen haben dürfen. Allerdings ist
zu prüfen, inwieweit ihr Vertrauen in den Fortbestand der gewährten
Rechtspositionen jetzt im Einzelfall überwiegend schutzwürdig ist. Bei der
erforderlichen Abwägung ist dem öffentlichen Interesse, den Grundsätzen der
Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch eine Regelung, die bei
unmenschlichem oder rechtsstaatswidrigem Verhalten einen Leistungsentzug
vorsieht, nunmehr zum Durchbruch zu verhelfen, grundsätzlich Vorrang vor dem
individuellen Leitungsinteresse zu gewähren.
Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Achtung der Würde der Opfer
des Nationalsozialismus durch eine solche Regelung nur symbolisch Rechnung
getragen werden kann. Zumindest im Rahmen der im Gesetzgebungsverfahren immer
wieder betonten außenpolitische Wirkung einer solchen Regelung kommt diesem
symbolischen Akt auch eine konkrete politische und damit eine im Interesse der
Öffentlichkeit liegende Bedeutung zu. Gleiches gilt für die mit der Regelung
bewirkte Gleichstellung von im In- und Ausland lebenden Kriegsopfern, die
Verstöße gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen haben. Zwar
ist es zutreffend, wenn darauf hingewiesen wird, § 64 BVG (Auslandsversorgung)
enthalte keine eigene "Unwürdigkeitsklausel" (Wulfhorst, Wortprotokoll der 110.
Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 14. Mai 1997, Protokoll
Nr 100, S 12). Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit wird jedoch als wichtiger Grund iS dieser Vorschrift
angesehen, weil die Entschädigung eines Kriegsopfers, das sich dessen schuldig
gemacht hat, den Interessen der Bundesrepublik zuwiderlaufen würde (vgl
BT-Drucks 13/8246, S 5), also außenpolitischen Interessen entgegen stehen könnte
(vgl hierzu auch Wulfhorst, aaO).
(b) Billigkeitsgesichtspunkte iS des § 1a Abs 3 BVG, die zu der Einräumung einer
Übergangsfrist bis zur endgültigen Entziehung führen könnten, sind nicht
ersichtlich. Das LSG hat keine entsprechenden Tatsachen festgestellt, und der
Kläger hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben.
(5) Die Regelung des § 1a Abs 2 BVG ist in der vom erkennenden Senat gefundenen
Auslegung verfassungsgemäß. Verstöße gegen Art 3 oder 14 GG liegen nicht vor.
Zum Bestimmtheitsgrundsatz wird auf die Ausführungen unter (1) verwiesen.
(a) Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist nicht verletzt. Im Hinblick auf
die Vergleichsgruppen der im In- und Ausland lebenden Kriegsopfer, die zugleich
ehemalige NS-Täter sind, stellt die Regelung eine sachlich gebotene
Gleichbehandlung her. Konnten zuvor nur im Ausland lebenden Kriegsopfern über §
64 Abs 1 Nr 2 BVG wegen des Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
oder Rechtsstaatlichkeit Leistungen versagt oder entzogen werden, hat sich diese
Lage am 21. Januar 1998 durch das Inkrafttreten des § 1a BVG geändert (vgl auch
Frank, br 2000, 125, 131, der sogar die Auffassung vertritt, § 64 BVG sei durch
§ 1a BVG überflüssig geworden). Soweit innerhalb der Gruppe der
leistungsberechtigten Opfer danach differenziert wird, ob der Kriegsbeschädigte
während der Herrschaft des Nationalsozialismus einen Verstoß gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen hat, ist diese
unterschiedliche Behandlung - wie dargelegt - dann sachlich gerechtfertigt, wenn
der Leistungsberechtigte im NS-System sowohl Täter als auch Opfer geworden ist.
Als Vergleichsgruppen, bei denen sich im Verhältnis zu dem von § 1a BVG
verfassten Personenkreis die Frage nach dem Differenzierungsgrund stellt, ist an
solche Kriegsopfer zu denken, die in einem anderen staatlichen System Täter
geworden sind, sowie an NS-Täter, die kein Kriegsopfer erlitten haben, aber im
Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus Leistungen aus anderen
Sozialsystemen erhalten (zB Ersatzzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
als rentenrechtlicher Tatbestand). Bei der erstgenannten Gruppe rechtfertigt
sich die günstigere Behandlung gegenüber den Kriegsopfern, die mit Bezug zum
nationalsozialistischen Unrechtssystem Täter geworden sind, dadurch, dass die
von ihnen begangenen Verstöße weder mit den Leistungen der Kriegsopferversorgung
noch mit dem NS-System in Beziehung stehen. Hingegen zielt § 1a BVG auf
Personen, die Täter und Opfer in ein und demselben System geworden sind, und
zwar in einem System, dessen staatliches Programm auf die massenhafte
Vernichtung menschlichen Lebens angelegt war. In diesem System haben sie die
gesundheitliche Schädigung erlitten und auch bei der Umsetzung der
menschverachtenden Staatsziele als Täter gewirkt. Insoweit handelt es sich um
eine historische Ausnahmesituation, die angesichts der Schwere und Menge der
begangenen Verstöße eine besondere Behandlung rechtfertigt. Im Hinblick auf die
zweite Gruppe der NS-Täter, die Leistungen aus anderen sozialen
Sicherungssystemen beziehen, ist darauf zu verweisen, dass die dortigen
Leistungen vielfach eine andere finanzielle Grundlage haben, wie beispielsweise
die Beitragsfinanzierung in der gesetzlichen Rentenversicherung, also ggf auf
einer Eigenleistung des betroffenen Täters beruhen. Insoweit reichen bereits
Unterschiede der Sozialsysteme als Differenzierungsgrund aus.
Vor diesem Hintergrund bewirkt die Versagung oder Entziehung von
Versorgungsleistungen wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit
oder Rechtsstaatlichkeit auch keine Systemwidrigkeit, die zu einer
verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führt (vgl hierzu Wulfhorst, ZfS 2001,
266; s zur Systemgerechtigkeit als Aspekt der Gleichbehandlung: BVerfGE 24, 75,
100; 34, 103, 115; 59, 36, 49; 61, 138, 148; 76, 130, 140). Selbst wenn ein
Eingriff in das gewachsene System der Kriegsopferversorgung vorläge, könnte dies
jedenfalls für sich allein genommen nicht eine Verfassungswidrigkeit der Norm
begründen. Grundsätzlich unterliegt es der Entscheidung des Gesetzgebers, nach
welchen Prinzipien er eine Materie ordnen will. Eine Regelung kann daher nur
nach den Maßstäben der Verfassung, nicht aber allein unter dem Gesichtspunkt
einer Systemwidrigkeit verfassungswidrig sein.
Die gesetzgeberische Entscheidung, solchen Kriegsopfern, die im NS-System eine
gesundheitliche Schädigung erlitten und zugleich Menschenrechte verletzt haben,
Entschädigungsleistungen zu verwehren, bricht aus guten, einsichtigen und
vernünftigen Gründen mit dem allgemeinen Grundsatz der Kriegsopferversorgung,
ohne Ansehen der Person allein wegen der entstandenen Opferlage Leistungen zu
gewähren. Dabei wird nicht das Recht auf Kriegsopferversorgung iS eines
Aufopferungsanspruchs, also eines Ausgleichs für das dem Staat an Gesundheit und
Leben erbrachte Opfer (vgl BSG SozR 3100 § 56 Nr 3, S 6 unter Hinweis auf
BVerfGE 48, 281, 288 und BSGE 26, 30, 36 = SozR Nr 7 zu § 7 BVG), grundsätzlich
in Frage gestellt, insbesondere nicht zu einer Entschädigung für ein während des
Ehrendienstes auf dem Felde erlittenes Opfer zurückentwickelt (vgl Wulfhorst ZfS
2001, 266). Es wird vielmehr einer bestimmten Opfergruppe wegen der
schwerwiegenden Besonderheit, dass die Betroffenen in demselben System Täter von
Menschenrechtsverstößen geworden sind, Versorgung versagt oder entzogen. Die
Abweichung von dem bisherigen Strukturprinzip wird insoweit durch ein Gebot der
grundgesetzlichen Werteordnung gerechtfertigt und im Übrigen durch die Schaffung
einer innergesetzlichen Systemgerechtigkeit (betreffend In- und
Auslandsversorgung) kompensiert (vgl Kloepfer, DÖV 1998, 1, 8). Im Übrigen ist
die "Entschädigungsunwürdigkeit" auch sonst kein der sozialen Entschädigung
unbekanntes Strukturelement (vgl kritisch dazu Wulfhorst ZfS 2001, 266, 267).
(b) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob Ansprüche auf
Versorgungsrentenleistungen aus der Kriegsopferversorgung dem Eigentumsschutz
des Art 14 Abs 1 GG unterfallen (vgl hierzu die allerdings für die Entscheidung
nicht tragenden Ausführungen in der Entscheidung des BSG SozR 3100 § 56 Nr 3).
Selbst wenn ein derartiger Eigentumsschutz gegeben sein sollte, stellt der
Eingriff durch § 1a BVG eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des
Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar (vgl hierzu auch Kloepfer, DÖV 1998, 1, 3; Frank, br
2003, 1, 5). Die Regelung zur Leistungseinschränkung ist durch legitime
öffentliche Interessen gerechtfertigt sowie geeignet und erforderlich, den
gesetzgeberischen Zweck zu erfüllen (vgl auch Frank, br 2003, 1, 5 f; derselbe,
Die Entschädigungsunwürdigkeit ..., aaO, S 253 f); darüber hinaus ist sie im
engeren Sinne verhältnismäßig. Das ergibt sich bereits aus den vom Senat zur
verfassungskonformen Auslegung angestellten Erwägungen. Die Regelung bietet
überdies durch die vorgesehene Vertrauensschutzprüfung eine hinreichende
Differenzierungsmöglichkeit je nach der Schwere des Schuldvorwurfs und den
persönlichen Verhältnissen des Betroffenen (vgl auch hierzu Frank, br 2003, 1,
6).
Grundsätzlich schützt das auch im Rahmen des Art 14 GG zu berücksichtigende
Rückwirkungsverbot zwar das Vertrauen des von einer Regelung - hier einem
Leistungsgesetz - Begünstigten in die Kontinuität der unter der Geltung des GG
erlassenen Normen sowie der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Dieses
Vertrauen ist jedoch nicht schrankenlos schutzwürdig. Es muss ein Ausgleich
zwischen den Kontinuitätsinteressen des Einzelnen und den Regelungsbelangen des
Staates gefunden werden. Je nachdem wo der Eingriff ansetzt, muss sich der
Vertrauensschutz des Leistungsbeziehers der Abwägung mit legitimen öffentlichen
Interessen oder zwingenden Gründen des Allgemeinwohls stellen. Diese
Vertrauensschutzprüfung hat der Gesetzgeber - sich des rückwirkenden oder
rückanknüpfenden Eingriffs wohl bewusst - bereits "einfachrechtlich" in § 1a Abs
2 BVG vorgeschrieben. Nach verfassungskonformer Eingrenzung des Tatbestandes
durch Hinzufügen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des "Systembezugs"
lässt die Vorschrift selbst hinreichenden Raum für Vertrauensschutzerwägungen im
Einzelfall.
Eine echte Rückwirkung iS der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG, die dann
vorliegt, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der
Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (vgl BVerfGE 11, 139, 145), ist
im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insoweit ist hier insbesondere nicht zu
prüfen, ob zwingende Gründe des Gemeinwohls dem Anspruch des Bürgers auf
Vertrauensschutz vorgehen (vgl dieses verneinend Azzola, Schriftliche
Stellungsnahme zur öffentlichen Anhörung vor dem Bundesstagsausschuss für Arbeit
und Sozialordnung vom 14. Mai 1997) oder ob der Betroffene schon in dem
Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen ist, nicht mehr mit dem Fortbestand
der Regelung rechnen durfte, weil zB ernsthafte Zweifel an ihrer
Verfassungsmäßigkeit bestanden. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass ein
Vertrauensschutz nicht Platz greift, wenn durch die Rückwirkung nur ein ganz
unerheblicher Schaden verursacht würde (vgl BVerfGE 13, 261, 272; 30, 367, 387
ff; 88, 384, 404). In jedem Fall endet der Schutz des Vertrauens in den Bestand
des alten Rechts mit dem Beschluss des neuen Rechts (vgl BVerfGE 13, 206, 213; s
auch BVerfGE 95, 64).
Hier ist vielmehr ein Fall der unechten Rückwirkung iS der Terminologie des 1.
Senats bzw eine tatbestandliche Rückanknüpfung nach der Dogmatik des 2. Senats
des BVerfG anzunehmen (vgl zur Terminologie BVerfGE 30, 392, 402; BVerfGE 92,
277, 344; 97, 67, 78). Die unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für
die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition
nachträglich entwertet. Die tatbestandliche Rückanknüpfung betrifft nicht den
zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm: Die
Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren
Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk
gesetzt" worden sind (vgl BVerfGE 31, 275, 292 ff; 72, 200, 242). In beiden
Fällen unterliegt die Rückwirkung weniger strengen Beschränkungen als eine
solche, die sich auf die Rechtsfolgen bezieht (vgl BVerfGE 92, 277, 344; 97, 67,
78). Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl BVerfGE 30, 392,
402). Jedoch können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der
Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung
des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die
Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers
überwiegen (BVerfGE 95, 64). Dem wird in § 1a BVG jedoch bereits durch die
vorgeschriebene Vertrauensschutzprüfung hinreichend Rechnung getragen, sodass
Fälle, in denen sich unter diesem Gesichtspunkt eine Verfassungswidrigkeit
ergeben könnte, nicht denkbar sind.
Zutreffend hat der Beklagte die Leistungen, soweit sie die Schädigungsfolgen an
Fuß und Arm betreffen, auch mit Wirkung ab dem 1. Januar 2000 entzogen, also für
die Zukunft, nach Bekanntgabe des rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes vom 1.
Dezember 1999.
Der Beklagte hat dem Kläger 9/10 der außergerichtlichen Kosten für alle drei
Rechtszüge zu erstatten (§ 193 SGG). Dabei berücksichtigt der Senat, dass die
erfolgte Leistungsentziehung größtenteils keinen Bestand hat. Nach einer
Mitteilung des Versorgungsamtes vom 16. Oktober 1962 entfällt auf die als
Schädigungsfolge erhalten gebliebene "geschlossene Lungentuberkulose rechts"
mindestens eine MdE von 50 vH.