Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger außergewöhnlich gehbehindert ist.

Bei dem 1947 geborenen Kläger war zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G") festgestellt worden (Bescheid vom 10. Januar 2002). Auf seinen Antrag vom 23. Mai 2003 erkannte das beklagte Land einen GdB von 80 an, verneinte dagegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (<außergewöhnliche Gehbehinderung> Bescheid vom 17. September 2003). Die Feststellung des GdB von 80 beruhte auf einer chronisch entzündlichen Lungenerkrankung (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50) sowie auf Osteoporose, Wirbelsäulenleiden (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 50). Die darüber hinaus bestehenden degenerativen Gelenkveränderungen (verwaltungsinterner Einzel-GdB: 20) berücksichtigte der Beklagte nicht, weil sie sich seiner Ansicht nach nicht mehr GdB-erhöhend auswirkten. Der auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2004).

Mit Bescheid vom 20. Februar 2004 erteilte die Stadt Lüneburg dem Kläger eine auf das Stadtgebiet von Lüneburg begrenzte und (zunächst) bis zum 19. August 2004 befristete Ausnahmegenehmigung zur Bewilligung von Parkerleichterungen; diese entspricht inhaltlich den in Abschnitt I der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) geregelten Parkerleichterungen.

Das gegen die Versagung des Merkzeichens "aG" angerufene Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Februar 2005). Auf die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen ein fachinternistisches Gutachten sowie Befundberichte des behandelnden Allgemeinmediziners eingeholt und sodann die Beklagte unter Abänderung der Bescheide und des SG-Urteils verpflichtet, beim Kläger die Voraussetzungen des "Nachteilsausgleiches aG" für die Zeit ab 1. Mai 2004 festzustellen; für die Zeit davor hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Dezember 2005).

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung seien nach Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählten Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande seien, ein Kunstbein zu tragen, nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien, sowie andere Schwerbehinderte, die - auch auf Grund von Erkrankungen - dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen seien. Zwar gehöre der Kläger nicht zu dem erstgenannten Personenkreis; er sei diesem jedoch gleichzustellen.

Bei der Prüfung einer Gleichstellung sei maßgeblich auf Satz 1 der Verwaltungsvorschrift abzustellen, wobei der Gesetzeszweck des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX), nämlich die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilnahme des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft, hinreichend zu beachten sei. Dieser Gesetzeszweck könne bei außergewöhnlich gehbehinderten schwerbehinderten Menschen insbesondere durch die Nutzung von sog Behindertenparkplätzen erreicht werden. Erst durch die Vermeidung längerer Fußwege werde dem außergewöhnlich gehbehinderten Menschen das Erreichen vieler öffentlicher und medizinischer Einrichtungen überhaupt erst ermöglicht. Ob dieser Nachteil im Einzelfall durch Zuerkennung von "aG" auszugleichen sei, stelle damit letztlich eine wertende Entscheidung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls dar, wobei dem Kriterium der Zumutbarkeit besonderes Gewicht zukomme. Es sei deshalb nicht erforderlich, dass der Betroffene - wie etwa ein Querschnittsgelähmter - nahezu unfähig sei, sich fortzubewegen. Die Gehfähigkeit müsse vielmehr so stark eingeschränkt sein, dass dem Betroffenen das Zurücklegen von längeren Wegen zu Fuß unzumutbar sei.

Entgegen der Auffassung des SG hätten die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" beim Kläger seit Mai 2004 vorgelegen. Dessen Gesundheitszustand habe sich zwischen Herbst 2003 und Frühjahr 2004 verschlechtert. Nach den Befundberichten des Allgemeinmediziners Dr. W. habe der Kläger im Oktober 2003 noch Wegstrecken von 200 m - wenn auch mit Hilfe eines Rollators - zurücklegen können. Dies begründe noch keine schwerste Einschränkung der Gehfähigkeit; die ablehnende Entscheidung des Beklagten sei insoweit rechtmäßig. Im Mai 2004 habe sich der Kläger aber auch mit Hilfe des Rollators nur noch langsam über maximal 30 m fortbewegen können. Diese Einschätzung Dr. W. , die sich mit den Angaben des Klägers deckten, sei auch vom gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. P. bestätigt worden.

Die beim Kläger bestehende Limitierung der schmerzfreien Gehstrecke führe zur Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Denn wäre der Kläger auf die Nutzung allgemeiner Parkmöglichkeiten angewiesen, müsste er praktisch ausnahmslos auf dem erforderlichen Fußweg zwischen Kraftfahrzeug und eigentlichem Ziel Pausen einlegen. Bei Großparkplätzen betrage die Entfernung zwischen Parkplatz und Eingang oftmals deutlich mehr als 100 m. Der multimorbide Kläger wäre bei Nutzung der allgemeinen Parkmöglichkeiten gezwungen, auf dem Fußweg zwischen Auto und Eingang noch auf dem Parkplatzgelände (u.U. sogar mehrfach) zu pausieren, was seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unzumutbar erschwere.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt das beklagte Land die Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO. Der Kläger gehöre unstreitig nicht zu einer der dort einzeln aufgezählten Gruppen; er sei auch nicht gleichzustellen. Zwar sei diesbezüglich aus Gründen der Gleichbehandlung eine Betrachtungsweise zu begrüßen, die sich an objektiven Kriterien, wie der Wegstrecke oder das Vorliegen bestimmter Erkrankungen, orientiere. In der Wertung des konkreten Einzelfalles könne jedoch dem LSG, dessen Einschätzung der Gehfähigkeit auf den subjektiven Angaben des Klägers beruhe, nicht gefolgt werden, da der gerichtlich bestellte Sachverständige auch nach Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ab Mai 2004 eine Gleichstellung verneint habe.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14. Dezember 2005 aufzuheben, soweit es die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" für die Zeit ab dem 1. Mai 2004 betrifft, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 15. Februar 2005 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündlichen Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

 

II

 

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG) begründet. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen lassen noch keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Kläger seit dem 1. Mai 2004 außergewöhnlich gehbehindert ist.

Zu entscheiden ist nicht mehr über ein Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" in der Zeit vor dem 1. Mai 2004. Insoweit hat das LSG eine Verpflichtung des Beklagten abgelehnt. Diese Entscheidung ist mangels Revision des Klägers rechtskräftig geworden.

1. Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 SGB IX. Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen i.S. von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (z.B. vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von drei Stunden). Darüber hinaus führt sie u.a. zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und ggfs. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (vgl. Landmann/Rohmer, Umweltrecht Bd I, § 40 BImSchG, RdNr. 30). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeugs, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen i.S. von § 33 Einkommensteuergesetz in angemessenem Umfang möglich (vgl. BFHE 116, 378, 380 f; BFHE 206, 525).

Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr. 21, S 1419; vgl. zur insoweit unveränderten Fassung vom 22. Oktober 1998: BAnz 1998, Nr. 246b, S 47). Die VwV-StVO selbst ist als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) wirksam erlassen worden (vgl. BSGE 90, 180, 182 = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 = Behindertenrecht 2003, 112, 113). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.

Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme zu bewerkstelligen. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSGE 82, 37, 38 f = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23 = Behindertenrecht 1998, 141, 142). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 S 87; BSGE 90, 180, 182 = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht ankommen (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22; BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von "aG" bezweckten Nachteilsausgleiches nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StvO bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSGE 90, 180, 183 = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BT-Drucks 8/3150, S 9 f in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSGE 82, 37, 39 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 23).

Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R; BSGE 90, 180 ff = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen.

Auch soweit die o.g. großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein - so wie es das LSG getan hat - auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen (vgl. hierzu Gebauer, MedSach 1995, 53), ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichen jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes bzw. - wie hier - der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich ua aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar.

Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten wie dem Kläger liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines vom Beklagten besorgten Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 GG.

Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festgestellt werden (vgl. dazu "Anhaltspunkte für ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht <AHP> 2005", Nr. 30). Denn für das Merkzeichen "aG" gelten gegenüber "G" nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 11 S 45 = Breith 1995, 623).

Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens "aG" herleiten. Insofern kommt es entgegen der Ansicht des LSG nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Das Merkzeichen "aG" soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG SozR 3870 § 3 Nr. 18 S 58 = Breith 1986, 335, 336 = Behindertenrecht 1987, 95, 96). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahe legen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2001, Az L 11 SB 4527/00, juris; vgl. auch Strassfeld, VersorgVw 2003, 21, 23). Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie z.B. die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot (lit a), gewährt.

2. Das LSG hat im angefochtenen Urteil festgestellt, dass der Kläger sich nur langsam und selbst mit Hilfe des Rollators nur über maximal 30 m am Stück fortbewegen kann. Danach muss er eine Pause einlegen, wobei er sich auf den Rollator setzt. Darüber hinaus treten beim Gehen Schmerzen und Unsicherheiten auf. Diese Feststellungen sind für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG), weil der Beklagte sie nicht zureichend gerügt hat. Denn er hat lediglich ausgeführt, dass dem LSG in der Wertung des konkreten Einzelfalles nicht gefolgt werden könne. Die Einschätzung der Gehfähigkeit beruhe überwiegend auf den subjektiven Angaben des Klägers. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe auch nach Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ab Mai 2004 eine Gleichstellung verneint. Hiermit hat der Beklagte das Ergebnis der Beweiswürdigung des LSG angegriffen. Bei der Ermittlung solcher Erkenntnisse handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, die das Tatsachengericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen hat und die der Revision daher nur beschränkt zugänglich ist, weil das Revisionsgericht keine eigenen Tatsachen feststellen kann (BSG SozR 1500 § 162 Nr. 7 S 6 f). Es reicht daher nicht aus, wenn die Revision - wie hier - lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Es ist dem Revisionsgericht nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder sie sonst zu bewerten (vgl. BSG SozR 1500 § 164 Nr. 31 S 50).

Aus diesen Feststellungen ergibt sich allerdings nur, dass der Kläger in seiner Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist. Ob er sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen kann wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personen, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Denn es fehlen Feststellungen zu der Art und dem Ausmaß der Pausen, die beim Kläger auf Wegstrecken von über 30 m erforderlich sind. Da der erkennende Senat die gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird davon ausgehen können, dass in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkte schwerbehinderte Menschen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen und dass die für "aG" geforderte große körperliche Anstrengung dann gegeben sein dürfte, wenn die im aufgehobenen Urteil festgestellte Wegstreckenlimitierung auf 30 m darauf beruht, dass der Kläger bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann (vgl. BSGE 90, 180, 184 f = SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.