BSG - B 9a V 2/05 R - Urteil vom 18.05.2006
Die Art und Weise der ärztlichen Behandlung während des Wehrdienstes und auch während der Kriegsgefangenschaft gehört grundsätzlich zu den diesen Verhältnissen eigentümlichen Bedingungen. Eine Schädigung kann z.B. auch darin liegen, dass ein (schädigungsunabhängiger) Leidenszustand, der bei freier Arztwahl durch entsprechende Behandlungsmethoden wahrscheinlich gebessert worden wäre, in Folge einer unzureichenden truppenärztlichen oder kriegsgefangenenärztlichen Behandlung fortbesteht oder sich sogar verschlimmert.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung
von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Wege der
Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts gemäß § 44 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X).
Der 1925 geborene Kläger leistete ab August 1943 Dienst in der deutschen Wehrmacht und war von April 1945 bis Mai 1947 in Kriegsgefangenschaft. Sein im September 1951 beim Versorgungsamt O gestellter Antrag auf Anerkennung einer posttraumatischen Kyphoskoliose der Wirbelsäule als Schädigungsfolge blieb erfolglos (Bescheid vom 5. Juni 1952, Widerspruchsbescheid vom 9. November 1954). Einen im Mai 1997 gestellten erneuten Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 1998 ab. Den dagegen verspätet am 19. Mai 1998 erhobenen Widerspruch des Klägers behandelte der Beklagte als Antrag gemäß § 44 SGB X, den er durch Bescheid vom 1. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 1998 ablehnte.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Köln hat mit Urteil vom 19. September 2000 die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 9. Oktober 2003 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X zur Abänderung des Bescheides vom 25. Februar 1998 seien nicht erfüllt. Damit sei rechtmäßig ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als Schädigungsfolge iS von § 1 BVG verneint worden. Eine traumatische oder belastungsbedingte Verursachung seiner Wirbelsäulenveränderungen - im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung - sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Ebenso wenig habe eine unzureichende truppenärztliche Versorgung mit Wahrscheinlichkeit zur Verschlimmerung der Skoliose geführt; die vom Kläger angeführten möglichen Therapien - Korsettbehandlung und operative Versteifung - entsprächen zwar dem heutigen Stand der Wissenschaft, nicht aber demjenigen der Jahre 1944 bis 1947.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht: Aus den bereits in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 10. März 2004 ausgeführten Gründen habe das Beweismaß zu seinen Gunsten herabgesetzt werden müssen. Das Übersehen der Skoliose bei der Musterung und sein deshalb erfolgter Einsatz bei schweren körperlichen Arbeiten in einer Gebirgspioniereinheit seien im Sinne der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Arzthaftungsrecht einem "groben Behandlungsfehler" mit der damit verbundenen Rechtsfolge gleichzusetzen. Wenn eine musterungsärztliche Untersuchung, die gerade dazu bestimmt sei, das Risiko der Verschlimmerung einer anlagebedingten Erkrankung zu vermeiden, offensichtlich oberflächlich ausgeführt worden sei und er dadurch dem Risiko der Verschlimmerung seines Leidens ausgesetzt worden sei, dann müsse im Falle der Nichtaufklärbarkeit, ob die Verwirklichung dieses Risikos durch eine sachgerechte Untersuchung hätte vermieden werden können, zu Gunsten des Geschädigten die (haftungsausfüllende) Kausalität angenommen werden. Er sei wehrdienst- bzw kriegsfolgenbedingt nicht zeitgerecht behandelt worden. Insbesondere die Möglichkeit der Korsettbehandlung habe schon in den Jahren 1944 bis 1947 bestanden, was das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft unter Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 128 Abs 2 SGG) nicht überprüft habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9. Oktober 2003 und des SG Köln vom 19. September 2000 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 1998 in der Gestalt des Wiederspruchsbescheides vom 2. September 1998 zu verurteilen, den Bescheid vom 25. Februar 1998 zurückzunehmen und sein Wirbelsäulenleiden als Schädigungsfolge im Sinne des BVG anzuerkennen sowie ihm ab Mai 1997 Versorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 vH zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt - unter näherer Darlegung - die angefochtene Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Allerdings bedarf sein Antrag der Auslegung.
Der Kläger begehrt unter Berufung auf § 44 Abs 1 SGB X ausdrücklich nur die Rücknahme des Bescheides des Beklagten vom 25. Februar 1998. Dabei übersieht er, dass diesem Verwaltungsakt seinerseits ua eine Überprüfung des ablehnenden Bescheides vom 5. Juni 1952 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1954 zu Grunde lag. Bei verständiger Würdigung seines Begehrens (vgl § 123 SGG) zielt der Zugunstenantrag des Klägers damit letztlich und in erster Linie auf die Rücknahme der Bescheide aus den Jahren 1952/54. Dem Bescheid vom 25. Februar 1998 kommt im Rahmen der Prüfung nach § 44 Abs 1 SGB X nur insoweit eine eigenständige Bedeutung zu, als er auch die Ablehnung eines Erstantrages enthält, der auf seit 1954 geänderte Verhältnisse gestützt worden sein könnte (vgl BSGE 58, 27, 28 = SozR 1300 § 44 Nr 16; BSG SozR 1300 § 48 Nr 29 S 86 f). Der weiteren Frage, ob der Kläger sein Leistungsbegehren bewusst und gewollt auf die Zeit ab Mai 1997 beschränkt hat, obwohl § 44 Abs 4 SGB X eine Leistungserbringung für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Antragstellung ermöglichen würde, braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden, da im Revisionsverfahren ohnehin nicht zusprechend über den geltend gemachten Anspruch entschieden wird.
Seinem Revisionsvorbringen ist weiter zu entnehmen, dass der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren nur zum Teil weiter verfolgt. Das LSG hat den erhobenen Versorgungsanspruch unter verschiedenen Gesichtspunkten geprüft und verneint: Es hat die Anerkennung des Wirbelsäulenleidens als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung abgelehnt, soweit der Kläger ein Trauma (kriegsbedingte Verschüttung) oder allgemeine Belastungen (als Gebirgspionier) als Ursachen geltend gemacht hatte. Ferner ist das LSG zu der Auffassung gelangt, dass auch ein bei der Musterung übersehenes Wirbelsäulenleiden weder durch körperliche Belastungen noch durch eine unzureichende ärztliche Versorgung verschlimmert worden sei.
Die Feststellung, ob eine Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung oder (nur) im Sinne der Verschlimmerung anerkannt wird, gehört zum Regelungsinhalt eines entsprechenden Verwaltungsakts (vgl BSGE 9, 80 = SozR Nr 17 zu § 55 SGG). Dementsprechend handelt es sich dabei um selbstständige Streitteile des einheitlichen Versorgungsanspruchs, über die ggf gesondert zu entscheiden ist (vgl dazu BSG SozR Nr 12 zu § 41 VerwVG). Folglich muss sich auch eine Revisionsbegründung auf beide Gesichtspunkte beziehen, wenn sie eine umfassende Überprüfung erreichen will (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12; BSG SozR 4-3100 § 5 Nr 1 RdNr 7). Da sich der Kläger in seiner Revisionsbegründung nur gegen die Versagung der Anerkennung von Schädigungsfolgen im Sinne der Verschlimmerung wendet, ist davon auszugehen, dass er sein Klagebegehren entsprechend beschränkt hat.
B. Die Revision ist teilweise begründet. Auch hier ist danach zu differenzieren,
auf welche Umstände der Kläger die begehrte Anerkennung von Schädigungsfolgen im
Sinne der Verschlimmerung stützt (dazu näher unter 1.). Soweit der Kläger noch
geltend macht, sein bei der Musterung übersehenes Wirbelsäulenleiden sei durch
körperliche Belastungen während des Wehrdienstes verschlimmert worden, ist die
Revision unbegründet (dazu näher unter 2.). Sie ist im Sinne der Aufhebung des
Berufungsurteils und Zurückverweisung der Streitsache an das LSG begründet,
soweit der Kläger im Revisionsverfahren noch Versorgung wegen Verschlimmerung
seines Wirbelsäulenleidens als Folge einer angeblich unzureichenden ärztlichen
Behandlung während des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft geltend macht
(dazu näher unter 3.).
1. Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch wenn er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, ob mithin insbesondere die bestandskräftig gewordenen Bescheide - einmal vom 5. Juni 1952 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1954, zum anderen vom 25. Februar 1998 - bei ihrem Erlass rechtswidrig gewesen sind und dem Kläger antragsgemäß hätte Versorgung gewährt werden müssen, lässt sich vom Senat hinsichtlich des im Revisionsverfahren noch streitigen Sachverhalts auf Grund der vorliegenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in vollem Umfang abschließend klären.
Die maßgebliche Rechtsgrundlage für den Versorgungsanspruch des Klägers findet sich in § 1 BVG (in seiner insoweit unveränderten Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 1953, BGBl I S 866, in Kraft getreten am 1. September 1953): Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung (§ 1 Abs 1 BVG). Einer Schädigung im Sinne des Abs 1 stehen Schädigungen gleich, die durch eine Kriegsgefangenschaft herbeigeführt worden sind (vgl § 1 Abs 2 Buchst b BVG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs 3 (Satz 1) BVG).
Auf dieser gesetzlichen Grundlage hat das LSG einen Versorgungsanspruch des Klägers - soweit er noch im Streit ist - mit der Begründung verneint, es sei nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass die Einwirkungen während des Wehrdienstes das angeborene Wirbelsäulenleiden verschlimmert hätten. Die Behauptung, der jetzt bestehende Zustand seiner Wirbelsäule sei Folge der dem Wehrdienst und der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen Verhältnisse, wird vom Kläger auf folgende Erwägungen gestützt: Die Skoliose sei auf Grund oberflächlicher ärztlicher Untersuchung bei der Musterung übersehen und dann
verschlimmert worden.
Damit hat der Kläger im Revisionsverfahren seinen Sachvortrag ohne Änderung des Klagegrundes, nämlich des umfassenden Leistungs- bzw Versorgungsanspruchs (vgl dazu BSG SozR 4-3200 § 88 Nr 1; SozR 3-3870 § 4 Nr 13), eingegrenzt (vgl § 99 Abs 3 SGG; dazu Hk-SGG/Roller § 99 Rz 2). Zu dieser Beschränkung des Streitgegenstandes (vgl dazu nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Aufl, 2005, § 95 RdNr 4 ff) in tatsächlicher Hinsicht auf zwei Komplexe (vgl zu dieser Abgrenzung bereits Senatsurteil vom 28. April 2005, SozR 4-3800 § 1 Nr 9 RdNr 7; zur Beschränkung des Klageantrags vgl BSGE 89, 199, 200 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 mwN) ist der Kläger kraft seiner Dispositonsbefugnis berechtigt (vgl Leitherer aaO RdNr 5a); sie ist vom Revisionsgericht zu beachten (Argument aus § 168 iVm § 99 Abs 3 SGG; vgl BSGE 8, 178, 180).
Der so umschriebene Streitgegenstand ist seinerseits teilbar, soweit der Versorgungsanspruch auf unterschiedliche Sachverhalte (körperliche Belastungen während des Einsatzes als Gebirgspionier, unzureichende ärztliche Behandlung während des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft) gestützt wird (vgl dazu allgemein BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55 S 159). Zwar dienen die einzelnen Tatsachenkomplexe nur zur Begründung eines einheitlichen Versorgungsanspruchs (vgl BSGE 6, 297 f), auch umfasst die Anerkennung einer Schädigungsfolge nur die betreffende Gesundheitsstörung und nicht auch den zu Grunde liegenden Vorgang (vgl BSG SozR Nr 29 zu § 1 BVG); das ändert aber nichts daran, dass gesonderte, im Revisionsverfahren nicht mehr erweiterungsfähige Sachverhalte (vgl § 163 SGG) eine Teilbarkeit des Streitgegenstandes begründen. Dementsprechend hat der erkennende Senat jeden der beiden Komplexe für sich genommen zu prüfen.
2. Soweit die Revision die behauptete Verschlimmerung des Wirbelsäulenleidens des Klägers infolge körperlicher Wehrdienstbelastungen nach oberflächlicher musterungsärztlicher Untersuchung betrifft, bleibt sie ohne Erfolg. Wie das LSG - mangels durchgreifender Verfahrensrügen für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG) - festgestellt hat, sind die radiologisch nachweisbaren Wirbelsäulenveränderungen typisch für eine angeborene Skoliose, die den höchsten Grad der Verschlimmerung bei Eintritt des pubertären Wachstums aufweist. Danach liegt der Zeitraum des pubertären Wachstums zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr, während der Kläger erst einen Monat vor Erreichen des 18. Lebensjahres zum Wehrdienst eingezogen wurde und auch erst mit 18 ½ Jahren schweren körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen ist. Eine richtungweisende Verschlimmerung durch entsprechende Einwirkungen des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft hält das LSG für möglich, aber nicht für überwiegend wahrscheinlich. Gestützt auf das ärztliche Gutachten von Prof. Dr. S hat es hierzu ausgeführt, selbst unter Zugrundelegung der Annahme, schwere körperliche Belastungen eines jugendlichen Erwachsenen im Alter von 18 ½ Jahren seien generell geeignet, eine Skoliose richtungweisend zu verschlimmern, könne der Nachweis im konkreten Fall des Klägers nicht geführt werden; die Wirbelsäulenverkrümmung habe sich in den Jahren von 1947 bis 2002 nämlich nur in durchschnittlicher Weise weiter entwickelt.
Nach diesen Feststellungen ist es schon fraglich, ob einem (denkbaren) ärztlichen Versagen bei der Musterung überhaupt eine Bedeutung für die Verursachung der skoliotischen Fehlbildung zukommt. Die geschilderte Beweislage nähert sich nämlich dem Nachweis, dass hier eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch die erfolgten Belastungen ausgeschlossen ist, selbst wenn es ärztlich-wissenschaftlich denkbar sein sollte, bei einen Menschen im damaligen Alter des Klägers könnte eine solche Exposition krankheitsverschlimmernd wirken. Dann aber könnte der Senat offen lassen, ob von einem orthopädisch nicht geschulten Musterungsarzt eine skoliotische Fehlbildung beim Kläger nicht ausreichend gewürdigt, dh die sich anbahnende Erkrankung bei der Musterung des Klägers gleichsam "übersehen" wurde. Auf eine solche Gewissheit des Ausschlusses einer wehrdienstbedingten Verursachung brauchte das LSG indessen nicht abzustellen, weil es insoweit schon ausreicht, wenn die Wahrscheinlichkeit dieser Ursache iS von § 1 Abs 3 Satz 1 BVG verneint werden kann.
Selbst wenn denkbar wäre, dass fehlerhaftes musterungsärztliches Verhalten mitwirkende Bedingung beim Krankheitsgeschehen gewesen ist - wobei der versorgungsrechtliche Schutz der Musterung nicht in Frage steht (vgl dazu eingehend BSG SozR 3200 § 81 Nr 2 (Musterung als militärähnliche Dienstverrichtung gleichgestellt); allgemein zur truppenärztlich veranlassten Behandlung auch bei der Wehrmacht BSG SozR 3200 § 80 Nr 2; SozR 3200 § 81 Nr 20 (sanitätsärztliche Behandlung); SozR 4-3200 § 81 Nr 1 (truppenärztlicher Behandlungsfehler), jeweils mwN) -, kommt die von der Revision geforderte (weiter gehende) Absenkung des Beweismaßes zu Gunsten des Klägers - ggf bis hin zur Beweislastumkehr - hier nicht in Betracht.
Es ist in jahrzehntelanger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geklärt, dass im sozialen Entschädigungsrecht (vgl dazu besonders BSG SozR 3850 § 52 Nr 1 S 3) eine Beweislastumkehr wie in Arzthaftpflichtprozessen grundsätzlich nicht zum Tragen kommt. Wie der erkennende Senat (zuletzt im Urteil vom 3. Februar 1999, BSGE 83, 279, 281 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2) dargelegt hat, ist der Rechtsgedanke der Beweislastumkehr mehrfach erwogen, zumeist aber verworfen worden. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung beim Ursachenzusammenhang ist in der Rechtssprechung entscheidend darauf abgestellt worden, dass schon das Gesetz den Beweismaßstab der "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" genügen lässt und damit für die Betroffenen wesentlich erleichterte Anspruchsvoraussetzungen - auch im Vergleich zu den Beweisregeln im Zivilprozess - einräumt (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 1 Rz 15; SozR 3-3200 § 81 Nr 16; BSG SozR 3850 § 52 Nr 1). Auf dieser Grundlage hat es das BSG seit jeher abgelehnt, hinsichtlich der sog haftungsausfüllenden Kausalität (dem Zusammenhang zwischen primärer Schädigung und späterer Gesundheitsstörung) eine Beweislastumkehr zuzulassen (vgl BSG SozR 3100 § 1 Nr 31 = SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 3850 § 52 Nr 1, jeweils mwN). Auch zur sog haftungsbegründenden Kausalität - dh zu der Frage, ob das schädigende Ereignis den Eintritt des Primärschadens wesentlich verursacht hat (zur Problematik der Begrifflichkeit vgl BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 74 f mwN) - genügt die Wahrscheinlichkeit (vgl BSG aaO S 75; so bereits für den Impfschaden: Senatsurteil vom 27. August 1998 - B 9 VJ 2/97 R, USK 98120); die frühere Auffassung, insoweit sei ein "Vollbeweis" erforderlich (vgl noch BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 6), hat das BSG aufgegeben (vgl BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 75). Folglich besteht auch in diesem Zusammenhang kein Grund für weiter gehende Beweiserleichterungen. Eine Differenzierung des Beweisgrades - je nachdem ob es um die haftungsbegründende oder -ausfüllende Kausalität geht - ist nicht angezeigt. Weder der vorliegende Sachverhalt noch das Revisionsvorbringen bieten Anlass dafür, diese geläuterte Rechtsauffassung in Frage zu stellen. Die vom BSG im Opferentschädigungsrecht ausnahmsweise zugelassene Beweiserleichterung (vgl BSGE 77, 1 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 (seelische Erkrankung nach Vergewaltigung)) ist auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar; Gesichtspunkte, die für die Annahme einer solchen besonderen Konstellation sprechen könnten (vgl Urteil vom 27. August 1998 aaO), sind weder vorgetragen worden oder sonst erkennbar.
3. Erfolg hat die Revision hinsichtlich der Entscheidung des LSG, eine unzureichende ärztliche Versorgung während des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft komme als Ursache einer Verschlimmerung nicht in Betracht, da die vom Kläger angeführten möglichen Therapien - Korsettbehandlung, operative Versteifung - in den Jahren 1944 bis 1947 nicht dem Stand der Wissenschaft entsprochen hätten. In diesem Teil des noch anhängigen Streitumfangs ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der vom LSG dazu getroffenen Feststellungen lässt sich für den Senat nicht entscheiden, ob der Kläger eine Schädigung erlitten und wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieses Schadens Anspruch auf Versorgung nach dem BVG hat.
Zunächst gehört die Art und Weise der ärztlichen Behandlung während des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft grundsätzlich zu den diesen Verhältnissen eigentümlichen Bedingungen (vgl dazu BSGE 57, 171 = SozR 3200 § 81 Nr 20; BSGE 73, 37 = SozR 3-3100 § 1 Nr 11). Ferner kann eine Schädigung darin liegen, dass ein (schädigungsunabhängiger) Leidenszustand, der bei freier Arztwahl durch entsprechende Behandlungsmethoden wahrscheinlich gebessert worden wäre, in Folge einer unzureichenden truppenärztlichen (kriegsgefangenenärztlichen) Behandlung fortbesteht oder sich sogar verschlimmert (vgl dazu BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 1; zum Fall des Unterbleibens einer Behandlung vgl zB BSG SozR 3200 § 81 Nr 15). Soweit das LSG seine Auffassung, eine unzureichende ärztliche Versorgung habe wahrscheinlich nicht zu einer Verschlimmerung der Skoliose des Klägers geführt, damit begründet, die vom Kläger angeführten Therapiemöglichkeiten hätten damals noch nicht zur Verfügung gestanden, vermag der erkennende Senat ihm nicht zu folgen. Denn die betreffende Tatsachenfeststellung ist verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen (vgl § 163 SGG).
Der Kläger hat zutreffend gerügt, dass das angegriffene Urteil in diesem Punkt auf einer Verletzung des § 103 (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) iVm §§ 62, 128 Abs 2 SGG (Grundsatz des rechtlichen Gehörs) beruht. Ein Verstoß gegen §§ 62, 128 Abs 2 SGG liegt ua dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12). Das LSG hat den Kläger mit der Aussage überrascht, die im Berufungsurteil angeführten Therapiemöglichkeiten hätten nicht dem Stand der Wissenschaft in den Jahren 1944 bis 1947 entsprochen. Sein Vortrag, durch den Militärdienst, die Kriegsgefangenschaft und die Heimatvertreibung sei eine sachgerechte Behandlung der Wirbelsäulenverkrümmung durch Korsettbehandlung verhindert worden, ist vom LSG trotz des vom Kläger gestellten Beweisantrags zurückgewiesen worden, ohne dass es sich insoweit auf entsprechende Sachkunde stützen konnte. Die Begründung des LSG wird in diesem Punkt von den angeführten fachärztlichen (orthopädischen) Gutachten nicht getragen. Mithin ist der vom Kläger gestellte Beweisantrag ohne Begründung übergangen worden.
Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 29. August 2001 (S 41) lediglich ausgeführt, eine operative Versorgung der damals 60 Grad betragenden Thorakolumbalskoliose sei im Zeitraum direkt nach dem Kriege nicht herrschender medizinischer Standard gewesen. Dass auch eine Therapie durch Korsettbehandlung nicht zu den medizinischen Standards jener Zeit gehört hätte, lässt sich diesem Gutachten nicht entnehmen. Soweit Prof. Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. September 2002 (auf S 4) in der Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Prof. Dr. P. ausgeführt hat: "Es muss festgehalten werden, dass die Skoliosetherapie durch die Einwirkung äußerer Kräfte (das Tragen von Korsetten) positiv beeinflusst werden kann. Diese korrigierenden, über 24 Stunden einwirkenden Kräfte führen zu einer Aufrichtung und geraden Ausrichtung der Wirbelsäule", fehlt eine zeitliche Zuordnung dieser Therapiemöglichkeit. In den weiteren fachärztlichen Gutachten bzw Stellungnahmen von Prof. Dr. S. vom 8. April 2003 und Prof. Dr. M. vom 26. November 2002 ist die Frage nicht behandelt worden. Prof. Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 11. Juli 2002 (mit ergänzender Stellungnahme vom 30. Juli 2002) allein auf die heutigen medizinischen Standards abgestellt.
Der gerügte Verfahrensfehler ist auch wesentlich, denn das angefochtene Urteil kann auf ihm beruhen. Es besteht die Möglichkeit, dass das LSG ohne den Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Wenn das LSG auf Grund der noch zu veranlassenden fachärztlichen Begutachtung zu der Beurteilung gelangt, dass eine Verschlimmerung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit auf einer den seinerzeitigen medizinischen Standards nicht genügenden medizinischen Versorgung beruht, müsste es insoweit der Klage (ggf teilweise) stattgeben. Der vom Beklagten erhobene Einwand, die Ausführungen in dem vom Kläger selbst vorgelegten Lehrbuch bezögen sich auf eine Behandlung im Kindesalter, betrifft Fragen der Beweiswürdigung, die allein dem LSG im wieder aufgenommenen Berufungsverfahren obliegt.
Die Aufhebung des Berufungsurteils ist auf den Teil des Streitgegenstandes zu beschränken, der durch den Mangel des Verfahrens betroffen wird (vgl § 170 Abs 2 Satz 2, § 202 SGG iVm § 562 Abs 2 Zivilprozessordung). Diese Entscheidung wirkt in dem durch Zurückverweisung der Sache neu eröffnetem Berufungsverfahren fort (zur Teilaufhebung und Zurückverweisung vgl auch Hk-SGG/Lüdtke, § 170 RdNr 12). Ohne diese Beschränkung wäre die Dispositionsbefugnis der Beteiligten nach Zurückverweisung auch in tatsächlicher Hinsicht umfassend (vgl Lüdtke aaO RdNr 11; vgl zur Bindung an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts § 170 Abs 5 SGG). Daher ist es schon aus prozessökonomischen Gründen geboten, den weiteren Streitstoff auf den erfolgreichen Teil der Revision zu begrenzen (vgl bereits Senatsurteil vom 28. April 2005, SozR 4-3100 § 5 Nr 1 RdNr 4 ff).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.