Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte bei dem schwerkriegsbeschädigten Kläger eine Grundrentenerhöhung wegen besonderen beruflichen Betroffenseins (bbB) sowie eine Bewilligung von Berufsschadensausgleich (BSA) als rechtswidrig zurücknehmen durfte.

Der 1928 geborene Kläger lebt im Beitrittsgebiet. 1945 verlor er infolge Kriegsverletzung den linken Arm. Nachdem er zuletzt als Direktor des Kreisgerichts J. tätig gewesen war, bezog er ab 1. Dezember 1988 Invalidenrente. In dem zu Grunde liegenden ärztlichen Gutachten vom 6. Mai 1988 wurde festgestellt, dass die Invalidität hauptsächlich durch eine chronische Mangeldurchblutung des Gehirns bedingt sei. Sie liege auch ohne Berücksichtigung der Kriegsbeschädigung vor.

Mit Vorbehaltsbescheid vom 22. April 1992 stellte der Beklagte bei dem Kläger nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) den "Verlust des linken Armes im Oberarm" als Schädigungsfolge fest und gewährte ihm ab 1. Januar 1991 Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH. Mit - im Übrigen unverändertem - Erstanerkennungsbescheid vom 15. Mai 1995 erhöhte der Beklagte die MdE wegen bbB um 10 Prozentpunkte auf 80 vH, weil der Kläger durch das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben einen schädigungsbedingten Einkommensverlust erlitten habe; mit Bescheiden vom 10. Juli und 1. August 1995 wurde die Grundrente neu berechnet und auch BSA bewilligt. Gegen den Erstanerkennungsbescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem Ziel einer Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und der Feststellung einer höheren MdE. Nach Zurückweisung des Widerspruchs (Widerspruchsbescheid vom 3. April 1997) verfolgte er dieses Begehren im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) weiter.

Nachdem dem Beklagten das ärztliche Gutachten vom 6. Mai 1988 bekannt geworden war, traf er nach Anhörung des Klägers durch Bescheid vom 5. Mai 1997 folgende Regelungen: Zum einen werde der Bescheid vom 15. Mai 1995 insoweit mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen, als darin eine MdE um 80 vH festgestellt worden sei; wegen Fehlens eines bbB sei der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit nur um 70 vH gemindert. Zum anderen würden auch die Bescheide vom 10. Juli und 1. August 1995 mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen, soweit dem Kläger BSA gewährt worden sei. Während des anschließenden Widerspruchsverfahrens erging im Anschluss an einen inzwischen vor dem SG geschlossenen Vergleich der Ausführungsbescheid des Beklagten vom 16. September 1999, durch den die Schädigungsfolgen des Klägers neu bezeichnet und (nach § 30 Abs 1 BVG) eine schädigungsbedingte MdE um 80 vH festgestellt wurde. In der Anlage dazu wurde die Grundrente des Klägers ab Juni 1997 nach einer MdE um 80 vH neu berechnet. Ferner findet sich dort der Hinweis: "Für den Zeitraum 01/91 - 05/97 wurde die Grundrente nach einer MdE um 80 vH gewährt." Im Widerspruchsbescheid vom 29. November 1999 hielt der Beklagte daran fest, dass bei dem Kläger eine Höherbewertung der MdE wegen bbB nicht möglich sei und ihm mangels schädigungsbedingten Einkommensverlustes auch kein BSA zustehe.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des SG Potsdam vom 28. Februar 2002); das Landessozialgericht für das Land Brandenburg (LSG) hat die Berufung - nach Beiladung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund) - im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 3. Dezember 2004): Der Beklagte habe seine Entscheidungen über bbB und BSA zu Recht nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückgenommen. Die vorzeitige Invalidität des Klägers sei nur dann schädigungsbedingt, wenn sie allein auf Schädigungsfolgen beruhe. Nicht kriegsbedingte Gesundheitsstörungen blieben außer Betracht. Beim Kläger hätten von Anfang an weder ein bbB noch die Voraussetzungen für BSA vorgelegen. Insbesondere falle es schwer, die Invalidität des Klägers ab 1. Dezember 1988 in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Kriegsbeschädigung zu sehen. Der Kläger sei zwar etwas vorzeitig invalidisiert worden, aber nicht aus schädigungsbedingten Gründen. Hierfür spreche im Wesentlichen der Befund der Invalidisierung: Chronische Mangeldurchblutung des Gehirns.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger ein Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen, dass ihm unter Änderung des Bescheides vom 16. September 1999 für die Zeit von Januar 1991 bis Mai 1997 Beschädigtengrundrente nach einer MdE um 90 vH zu gewähren sei. Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe § 30 BVG und § 45 SGB X verletzt; darüber hinaus habe es den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Dazu trägt er vor:

Anders als vom LSG zu Grunde gelegt, sei die MdE nach § 30 Abs 2 BVG auch dann höher zu bewerten, wenn der Beschädigte erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen und schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen beruflich besonders betroffen sei, vorausgesetzt, die Schädigungsfolgen seien wesentliche Ursache. Bei ihm hätten neben anderen Umständen im Wesentlichen die Amputationsfolgen zum vorzeitigen Ende seines Berufslebens geführt. Damit bestehe auch Anspruch auf BSA.

Voraussetzung für die teilweise Rücknahme eines Bescheides nach § 45 SGB X sei dessen erwiesene Rechtswidrigkeit. Das LSG habe sich hier vor allem auf das Gutachten vom 6. Mai 1988 gestützt und in dem dort aufgeführten Befund die Ursache für sein - nicht schädigungsbedingtes - Ausscheiden aus dem Berufsleben schon mit 60 Jahren gesehen. Dieses Gutachten habe das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft verwertet. Er habe dessen Richtigkeit unter Hinweis auf andere medizinische Befunde qualifiziert bezweifelt. Diesen Zweifeln hätte das LSG - wie von ihm beantragt - durch weitere Sachaufklärung nachgehen müssen.

Der Kläger beantragt, die Urteile des LSG für das Land Brandenburg vom 3. Dezember 2004 und des SG Potsdam vom 28. Februar 2002 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Mai 1997 sowie Änderung des Bescheides vom 16. September 1999, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1999, zu verurteilen, ihm für die Zeit ab Juni 1997 Beschädigtengrundrente nach einer MdE um 90 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.

Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert.

 

II

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klage richtet sich nicht nur - wie die Vorinstanzen angenommen haben - gegen den Rücknahmebescheid vom 5. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1999. Vielmehr ist der Ausführungsbescheid vom 16. September 1999 nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Vorverfahrens geworden, weil er die im Bescheid vom 5. Mai 1997 mit 70 vH festgestellte MdE auf 80 vH angehoben hat. Im Hinblick darauf reicht dem Kläger, soweit er sich gegen die Rücknahme der auf § 30 Abs 2 BVG gestützten Grundrentenerhöhung wendet, auch nicht eine bloße Anfechtung des Bescheides vom 5. Mai 1997. Folglich hat er (nachdem der Streit für die Zeit von Januar 1991 bis Mai 1997 insoweit durch angenommenes Teilanerkenntnis erledigt ist) vor dem Senat - in Klarstellung seines Begehrens - zu Recht iS von § 54 Abs 4 SGG die Verurteilung des Beklagten beantragt, ihm ab Juni 1997 Beschädigtengrundrente nach einer MdE um 90 vH zu gewähren.

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach Maßgabe des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Die Bescheide vom 15. Mai, 10. Juli und 1. August 1995 (teilweise geändert durch den Bescheid vom 16. September 1999) haben den Kläger durch Bewilligung von Versorgung, darunter Beschädigtenrente nach einer wegen bbB höher bewerteten MdE und BSA, begünstigt. Sie sind rechtswidrig, wenn nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses die gesetzlich bestimmten Anspruchsvoraussetzungen hierfür nicht vorgelegen haben. Deren Fehlen muss erwiesen sein; nachträgliche Zweifel am Vorliegen der - in den begünstigenden Bescheiden bejahten - Leistungsvoraussetzungen reichen zur Rücknahme nicht aus.

Die MdE ist nach § 30 Abs 2 BVG ua dann höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem nach Eintritt der Schädigung ausgeübten Beruf besonders betroffen ist. Besonders beruflich betroffen ist insbesondere, wer schädigungsbedingt vor Erreichen der Altersgrenze sein Berufsleben beenden muss. Ein damit eintretender Einkommensverlust begründet nach § 30 Abs 3 BVG die Gewährung von BSA.

Danach ist hier zur Rücknahme der begünstigenden Bescheide die Feststellung erforderlich, dass der Kläger nachweislich nicht schädigungsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Eine solche Feststellung hat das Berufungsgericht nicht rechts- und verfahrensfehlerfrei getroffen.

Das LSG hat zunächst - wie der Kläger mit der Revision zu Recht geltend macht - nicht beachtet, dass die Schädigungsfolgen nicht alleiniger Grund für das vorzeitige Ende des Berufslebens sein müssen. Die MdE ist auch dann höher zu bewerten, wenn der Beschädigte in seinem Beruf erst durch das Zusammenwirken von Schädigungsfolgen mit anderen - zur Zeit der Schädigung bereits vorliegenden oder später aufgetretenen schädigungsunabhängigen - Gesundheitsstörungen besonders betroffen ist und hierfür die Schädigungsfolgen wesentlich und damit Ursache im Sinne der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm sind (BSGE 36, 285, 290 f = SozR Nr 69 zu § 30 BVG). Das Berufungsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob hier die Armamputationsfolgen neben anderen Ursachen annähernd gleichwertig zum vorzeitigen Ende des Berufslebens beigetragen haben. Dabei durfte es schädigungsbedingte Schmerzzustände nicht mit der Begründung außer acht lassen, Schmerzen seien bei der allgemeinen ("medizinischen") MdE bereits berücksichtigt. Denn damit sind besondere berufsspezifische Auswirkungen nicht ausgeschlossen.

Das LSG hat außerdem einen falschen Beweismaßstab zu Grunde gelegt, indem es sich von der schädigungsunabhängigen Invalidisierung des Klägers überzeugt hat, ohne zu berücksichtigen, dass sich der für das Ende beruflicher Tätigkeit maßgebliche Grund nach Erreichen des 60. Lebensjahres regelmäßig nicht mehr nachweisen lässt. Anders als bei Beschädigten in mittlerem Lebensalter fehlen von diesem Alter an typischerweise äußere Anhaltspunkte dafür, dass der schädigungsbedingte Motivanteil für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wesentlich ist. Denn Beschädigte und Nichtbeschädigte verhalten sich aus den verschiedensten, auch gebündelten Motiven bei diesem Schritt ununterscheidbar gleichförmig (BSGE 77, 147, 149 = SozR 3-3100 § 30 Nr 15).

Der Senat hat deshalb besondere Beweisregeln entwickelt. Für die erstmalige Zuerkennung eines bbB nach Ausscheiden aus dem Berufsleben ist der Beweis erschwert: Ein schädigungs-bedingtes Ende beruflicher Tätigkeit lässt sich nach Erreichen des 60. Lebensjahres regelmäßig nicht mehr nachweisen (BSGE 77, 147, 149 = SozR 3-3100 § 30 Nr 15). Demgegenüber wird der Zugang zum BSA einem Beschädigten mit diesem Alter erleichtert. Die Schädigungsfolgen sind schon dann für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust als ursächlich anzusehen, wenn der Beschädigte sich zur vorzeitigen Erlangung einer Altersversorgung auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muss (BSGE 74, 195, 196 ff = SozR 3-3100 § 30 Nr 10).

Die zitierte Rechtsprechung wendet diese Regeln zwar auf Fälle an, in denen danach gefragt wird, ob das vorzeitige Ende des Berufslebens schädigungsbedingt und damit die Voraussetzungen für bbB und BSA erfüllt sind. Die Regeln gelten jedoch entsprechend auch für den umgekehrten Fall, in dem - wie hier - zu beweisen ist, dass die zunächst festgestellte Voraussetzung schädigungsbedingter Verkürzung des Berufslebens fehlt. Denn das Motiv- und Ursachenknäuel ist nahezu unentwirrbar, gleichgültig, ob ein wesentlicher schädigungsbedingter Anteil festgestellt oder ausgeschlossen werden soll.

Ob hier mit dem im Invalidisierungsgutachten vom 6. Mai 1988 dokumentierten Befund ausnahmsweise aus der Gemengelage privater, familiärer, gesundheitlicher, beruflicher und "kaderpolitischer" Gesichtspunkte der alleinige oder auch nur der entscheidende Grund für das vorzeitige Ende des Berufslebens des Klägers isoliert werden kann, lässt sich im Revisionsverfahren nach den vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren werden im angegriffenen Urteil im Einzelnen noch nicht benannte andere Teilursachen für das vorzeitige Ausscheiden des Klägers aus dem Berufsleben festzustellen und ihrer Bedeutung nach zu gewichten sein. Von der Richtigkeit des Befundes im Invalidisierungsgutachten wird das LSG dabei ohne weitere - vom Kläger im Berufungsverfahren bereits beantragte - Ermittlungen nicht ausgehen können. Denn der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass an dem dort angegebenen Befund "chronische Mangeldurchblutung des Gehirns" im Hinblick auf den Bericht des Neurologen Dr. O. vom 9. Mai 1997 Zweifel bestehen. Nach diesem Bericht haben beim Kläger keine Hinweise auf hämodynamisch bedeutsame Stenosierungen und Anomalien der hirnversorgenden Arterien vorgelegen. Ebenso zu Recht hat der Kläger aus dem Bericht der Bezirksnervenklinik B. vom 29. Juli 1988 Bedenken gegen die Richtigkeit des im Invalidisierungsgutachten genannten Befundes hergeleitet. Darin wird - zeitnah - die Diagnose des Gutachtens vom 6. Mai 1988 nicht bestätigt.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.