L 15 SB 77/00 Bay. LSG - Urteil vom 18. März 2003   

 

 

Muss erst nach einer Wegstrecke von 300 Metern eine Pause eingelegt werden,
ist die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht gerechtfertigt. 

 

 Tatbestand:  

 

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. seit 01.07.2001 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) streitig sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" wegen außergewöhnlicher Gehbehinderung. 

 

Der am 1950 geborene Kläger stellte erstmals am 29. Oktober 1997 Antrag auf Feststellung seiner Behinderung sowie auf die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "B". Der Beklagte zog Unterlagen der Neurologischen Klinik B. bei, wonach sich der Kläger kurz zuvor wegen eines am 25.07.1997 erlittenen Schlaganfalls dort in stationärer Behandlung befunden hatte. Es wurde außerdem ein Befundbericht des Internisten Dr. P. mit zahlreichen Fremdbefunden eingeholt und nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr. M. am 05.02.1998 ein Bescheid erteilt, in dem wegen einer "Halbseitenteillähmung rechts" ein GdB von 60 sowie das Merkzeichen "G" festgestellt wurden. 

 

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, weil einerseits der GdB viel zu niedrig angesetzt worden sei und außerdem das Merkzeichen "aG" zuerkannt werden müsse. Wegen der ständig erforderlichen Arztbesuche bei Dr. P. am H. in M. und Prof. Dr. F. in P. sei eine Inanspruchnahme eines Behindertenparkplatzes dringend erforderlich. Nach Beiziehung eines Befundberichts von Prof. Dr. F. und eines Pflegehilfsmittelgutachtens vom 18.12.1997 von Dr. P. sowie nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr. W. erging am 22.06.1998 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid. 

 

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben und geltend gemacht, dass aus dem Widerspruchsbescheid nicht ersichtlich sei, ob alle gesundheitlichen Defizite berücksichtigt worden seien. 

 

Das Sozialgericht hat nochmals einen Befundbericht von Dr. P. angefordert und anschließend den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. Im Gutachten vom 12.05.1999 hat der Sachverständige ausgeführt, der Kläger habe 1997 einen ischämischen Infarkt im Versorgungsbereich der rechten mittleren Hirnarterie erlitten. Dies habe zu einer zentralen Halbseitenlähmung links mit sensomotorischer Ausprägung geführt, die sich durch stationäre und ambulante Behandlungen zuletzt bei Prof.Dr. F. allmählich gebessert habe. Letzterer habe in einem Befundbericht vom 18.03.1998 einen GdB von 80 auf neurologischem Gebiet attestiert, wobei auch neuropsychologische Einbußen angegeben worden seien. Zum Zeitpunkt der Untersuchung am 11.05.1999 habe noch eine leichte zentrale Facialis-Mundastschwäche links bestanden, ferner eine mittelgradige, sowohl den Arm als auch das Bein erfassende zentrale Hemispastik links mit deutlicher Beeinträchtigung des Gangbilds. Es handle sich dabei um eine Streckspastik im Bein und eine Beugespastik im linken Arm. Der linke Arm habe nur bis zur Horizontalen gehoben werden können, die Greiffunktion sei angedeutet erhalten gewesen. Es habe eine zentral bedingte Schwäche der Fußhebung links vorgelegen. Der festgestellte GdB von 60 sei nicht eindeutig zu beanstanden, wenngleich er sicherlich an der unteren Grenze der Norm liege. Es bestehe zwar eine erhebliche, jedoch nicht eine außergewöhnliche Gehbehinderung. 

 

Das Sozialgericht hat daraufhin am 28.10.1999 die Klage abgewiesen und sich dabei insbesondere auf das Gutachten von Dr. K. gestützt. 

 

Anschließend hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26.04.2000 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. 

 

Nach Beiziehung eines Befundberichts von Dr. P. vom 15.02.2001 durch den Senat, wonach seit Juli 1998 eine Verschlechterung der Befunde des Klägers eingetreten sei, hat der Kläger in der Berufungsbegründung vom 05.03.2001 das dem Urteil zugrunde liegende Gutachten von Dr. K. u.a. auch deshalb kritisiert, weil nicht berücksichtigt worden sei, dass Prof. Dr. F. am 18.03.1998 ein Gehen ohne Stütze über eine Distanz von nur ca. 30 Metern als möglich angesehen habe. Auch sei die vorliegende Uveitis posterior nicht einbezogen worden. 

 

In einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 23.03.2001 hat der Beklagte eingeräumt, dass der angefochtene Bescheid fälschlich eine Halbseitenteillähmung rechts statt links festgestellt habe. Hinsichtlich der von Dr. P. angegebenen Verschlechterung seit Juli 1998 fehle es jedoch an aussagekräftigen Befunden. Es werde eine weitere Sachaufklärung in das Ermessen des Gerichts gestellt. 

 

Nach Beiziehung von Befundberichten von Prof. Dr. H. vom Klinikum G. sowie von Prof. Dr. F. ist der Neurologe Dr. P. , Chefarzt des Neurologischen Krankenhauses T. in M. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt worden. Am 19.09.2001 ist auch die Einholung eines von Dr. P. erbetenen neuropsychologischen Zusatzgutachtens genehmigt worden. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 07.11.2001 unter Einbeziehung des von der Leitenden Diplompsychologin Dr. M. erstellten Zusatzgutachtens vom 30.10. 2001 vorgeschlagen, beim Kläger als Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen: "linksseitige spastische sensomotorische armbetonte Hemiparese mit deutlicher Funktionseinschränkung der linken Hand/des linken Arms und Gangstörung; leichtgradige kognitive Leistungseinbußen im Bereich Aufmerksamkeit/Arbeitsgedächtnis." Beim Gehen sei eine leichte Zirkumdiktion des linken Beines und eine Fußheberschwäche mit gelegentlichem "Schleifen" des Vorfußes am Boden feststellbar. Der linke Arm sei kaum einsetzbar, die linke Hand diene nur als Beschwerhand. Sie befänden sich beim Gehen in Flexionsstellung. Ein sicheres Gehen über längere Stecken sei dennoch ohne Hilfe bzw. ohne Hilfsmittel möglich. Der GdB sei folgendermaßen zu staffeln: Vom 24./25.07.1997 bis Ende Oktober 1997: bezüglich der Hemiparese GdB 100, bezüglich der kognitiven Leistungseinbußen GdB 30; Gesamt-GdB: 100. Von Anfang November 1997 bis Ende Februar 1998: bezüglich der Hemiparese GdB 80, bezüglich der kognitiven Leistungseinbußen GdB 30; Gesamt-GdB: 90. Ab März 1998 auf Dauer: bezüglich der Hemiparese GdB 60, bezüglich der kognitiven Leistungseinbußen GdB 30; Gesamt-GdB: 80. 

 

Zur Frage des vom Kläger in erster Linie begehrten Merkzeichens "aG" hat Dr. P. ausgeführt, es stehe außer Zweifel, dass die Inanspruchnahme von Schwerbehindertenparkplätzen für den Kläger bei der Ausübung einer Vielzahl seiner Aktivitäten (u.a. auch Berufsausübung als Rechtsanwalt mit Gerichts- und Behördenterminen), die er in bewunderungswürdiger Weise trotz seiner Behinderung durchführe, eine Erleichterung darstellen würde. Dennoch erfülle der Kläger die in den Anhaltspunkten vorgegebenen Kriterien nicht, da sein Gehvermögen nicht wie bei dem beispielhaft genannten Personenkreis aufs Schwerste eingeschränkt sei. Der Kläger könne längere Stecken sicher ohne fremde Hilfe bzw. ohne Hilfsmittel gehen. Er sei weder aufgrund der Schwere der Gehstörung noch wegen der (nicht über das übliche Maß hinausgehenden) Schmerzen aufgrund der statischen Fehlbelastung außergewöhnlich gehbehindert. Auch lägen die Voraussetzungen für Merkzeichen "B" nicht vor. 

 

Die Diplompsychologin Dr. M. hat in ihrem Gutachten wegen der Skepsis des Klägers gegenüber der Untersuchung keine sicheren Aussagen über das tatsächliche Leistungsniveau des Klägers machen können. Eine Reduktion der kognitiven Dauerbelastbarkeit sei nicht auszuschließen. Leichte konzentrative Schwankungen sowie Einbußen der kognitiven Flexibilität könnten im Rahmen einer depressiven Symptomatik gesehen werden. 

 

Der Beklagte hat sich daraufhin mit Schriftsatz vom 18.12.2001 im Rahmen eines Vergleichsangebots bereit erklärt, ab 29.10. 1997 einen GdB von 90 und ab 01.03.1998 einen GdB von 70 für folgende Funktionsbeeinträchtigung festzustellen: "Halbseitenlähmung links, Beeinträchtigung der Gehirnfunktion". 

 

Mit Schriftsatz vom 28.03.2002 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, das Vergleichsangebot könne nicht angenommen werden, soweit für den Zeitraum ab 01.03.1998 ein GdB von 70 festgestellt werden solle. Es sei nicht verständlich, weshalb der Beklagte den GdB auf Dauer niedriger als 80 einschätze und damit den Vorschlag von Dr. P. und Prof. Dr. F. unterschreite. Es sei auch keine Besserung beim Kläger eingetreten. Prof. Dr. F. habe in seinem Befundbericht vom 03.05.2001 sogar eine leichte Verschlechterung des funktionellen Status festgestellt. Außerdem sei die Verneinung der Voraussetzungen für Merkzeichen "aG" fehlerhaft. Es ist ergänzend eine Stellungnahme des Neurologen Dr. S. vom 02.04.2002 vorgelegt worden. Danach werde der Kläger seit seinem Schlaganfall 1997 von ihm mit Marcumar und Sortes behandelt, zusätzlich werde ein Antidepressivum (Zoloft) eingenommen. Es bestehe eine chronisch-depressive Erkrankung mit Antriebsmangel, fehlendem Schwung, sozialem Rückzug und Störung der Vitalgefühle. Die Gehbehinderung mit angegebener Gehstrecke von max. 20 bis 50 Metern werde kompliziert durch belastungsabhängige intensivste Schmerzen im LWS-Bereich bei gleichzeitig zunehmender Spastik. Der Kläger sei seines Erachtens außergewöhnlich gehbehindert bei einem GdB von 100. 

 

Im Erörterungstermin am 09.04.2002 hat der Kläger nach § 109 SGG die Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. G. beantragt. In dem vom Senat eingeholten Gutachten vom 04.07.2002 hat der Sachverständige, Oberarzt im Krankenhaus B. B. in M. , aufgrund seiner Untersuchung dargelegt, dass beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen bisher nicht festgestellt worden seien: 1. Mittelschweres, chronisch-rezidivierendes degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit länger dauernden Muskelreizerscheinungen bei Aufbrauch der letzten beiden Bandscheiben, vornehmlich lumbosakral mit begleitender arthrotischer Degeneration der Kleinwirbelgelenke. Keine radikulären Symptome, keine Nervenreizerscheinungen. 2. Belastungsabhängige Coxalgie rechtsseitig mit endgradiger Bewegungsschmerzangabe. Hierdurch sei ein GdB von 30 bedingt. Das lähmungsbedingte linkshinkende Gangbild, verbunden mit der unkontrollierbaren Spastik ergebe eine permanente Überbelastung der deutlich vorgeschädigten Lendenwirbelsäule beim Gehen mit glaubhaftem Beschwerdebild. Die Hüftgelenksbeschwerden rechtsseitig seien mit einem GdB von unter 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB betrage rückwirkend ab 01.01.2000 90. Die Summe der auf neurologischem und orthopädischem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen führe zu einer schwerwiegenden Gehbehinderung. Der Kläger komme funktionell z.B. einem einseitig Oberschenkelamputierten gleich. Daher seien die Voraussetzungen für Merkzeichen "aG" gegeben. Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei der Kläger aufgrund einer deutlich verringerten Standfestigkeit und ungenügender Sicherung durch die Hände bzw. Arme regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen. Auf gerichtliche Anfrage hat Dr. G. in seiner ergänzender Stellungnahme vom 25.07.2002 geantwortet, dass beim Kläger ein fortschreitendes, klinisch erhebliches Lumbalsyndrom bestehe, das durch das spastisch veränderte Gangbild verstärkt werde und eine "schonende Gehweise" des Klägers verhindere. Daher komme der Kläger funktionell in seiner Behinderung einem Oberschenkelamputierten gleich, der dauernd außer Stande sei, ein Kunstbein zu tragen, oder der nur eine Beckenkorbprothese tragen könne. 

 

Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 09.10.2002 sein Vergleichsangebot vom 18.12.2001 dahingehend erweitert, dass zusätzlich als Gesundheitsstörung ab 01.01.2000 festzustellen sei: "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, muskuläre Verspannungen." Der Einzel-GdB betrage hierfür nicht 30, sondern nur 20, der Gesamt-GdB ab 01.01.2000 80. Der Versorgungsmediziner Dr. H. hat sich in seiner chirurgischen Stellungnahme vom 12.09.2002 diesbezüglich auf die Prüfkriterien von Bruns für die Begutachtung von Wirbelsäulenschäden nach dem Schwerbehindertengesetz (Medizinischer Sachverständiger 2000, 76) bezogen. Auch nach Auffassung von Dr. K. in seinen nervenärztlichen Stellungnahmen vom 28.08. und 04.10.2002 könne Dr. G. hinsichtlich seiner Argumentation nicht gefolgt werden, soweit er die Voraussetzungen für Merkzeichen "aG" und "B" als vorliegend ansehe. 

 

Auf nochmalige gerichtliche Anfrage hat der Beklagte am 20.01. 2003 versorgungsärztlich (Dr. K.) ausgeführt, dass der Kläger in Anbetracht einer von Dr. G. mitgeteilten maximalen Gehstrecke von ca. 300 m nicht einem Hämophilie-Kranken - wie im BSG-Urteil vom 12.02.1997 beschrieben - gleichgesetzt werden könne, auch wenn weder die Länge der Gehstrecke noch der GdB direkte Rückschlüsse auf die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" erlauben würden. 

 

Die chronische Augenerkrankung ohne Sehbehinderung bedinge keinen GdB. Die antidepressive Medikation sei unklar. Leistungseinschränkungen, die auch durch eine Depression hervorgerufen sein können, seien mit GdB 30 ausreichend berücksichtigt. 

 

In der mündlichen Verhandlung am 18.03.2003 haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen in dem der Kläger das Angebot des Beklagten angenommen hat, den GdB des Klägers vom 29.10.1997 bis 28.02.1998 mit 90, vom 01.03.1998 bis 31.12. 1999 mit 70 und ab 01.11.2000 mit 80 festzustellen. 

 

Im übrigen beantragt der Kläger, 

 

     den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 28.10.1999 und Änderung des      Bescheides vom 05.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.06.1998 zu verurteilen,      den GdB ab 01.01.2000 mit 90 festzustellen und ihm ab 01.01. 2000 das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. 

 

Der Beklagte beantragt, 

 

     die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.10.1999 zurückzuweisen. 

 

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Beklagten nach dem Schwerbehindertengesetz, die Akte des vorangegangenen Streitverfahrens vor dem Sozialgericht München sowie der Berufungsakte Bezug genommen. 

 

  

 

Entscheidungsgründe: 

 

Die Berufung des Klägers ist nach § 4 Abs.6 SchwbG bzw. seit 01.07.2001 nach § 51 Abs.4 SGB IX i.V.m. § 143 SGG statthaft; sie ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig (§ 151 SGG). 

 

Die zulässige Berufung erweist sich jedoch nicht als begründet. 

 

In Anbetracht des zwischen den Beteiligten am 18.03.2003 geschlossenen Teilvergleiches beschränkt sich der Rechtsstreit nur noch auf die Frage, ob dem Kläger das Merkzeichen "aG" sowie ab 01.01.2000 ein GdB von 90 statt 80 zustehen. 

 

Der gerichtliche Sachverständige Dr. G. hat zwar in seinem Gutachten vom 04.07.2002 und der ergänzenden Stellungnahme vom 22.07.2002 überzeugend dargelegt, dass beim Kläger infolge von Abnutzungserscheinungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ab 01.01.2000 eine wesentliche Leidensverschlimmerung eingetreten ist. Die von ihm mitgeteilten funktionellen Auswirkungen dieser zusätzlichen Gesundheitsstörung bedingen jedoch nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" 1996 (AP) keinen Einzel-GdB von 30 und begründen auch nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Der Kläger hat daher über den mit dem Beklagten abgeschlossenen Teilvergleich hinaus keinen Anspruch auf weitere Feststellungen. 

 

Nach § 4 Abs.1 SchwbG bzw. seit 01.07.2001 nach § 69 Abs.1 SGB IX hat ein behinderter Mensch Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer Behinderung sowie des Grades der Behinderung. Sofern mehrere Funktionsbeeinträchtigungen bzw. Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 4 Abs.3 SchwbG bzw. § 69 Abs.3 SGB IX). Nach § 69 Abs.1 Satz 4 SGB IX gelten die im Rahmen des § 30 Abs.1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend. Bei diesen festgelegten Maßstäben handelt es sich um die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung seit Jahrzehnten erarbeiteten AP, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 11.10.1994 SozR 3-3870 § 3 Nr.5 und des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 06.03. 1995 SozR 3-3870 § 3 Nr.6), als Beurteilungsgefüge mit rechtsnormähnlicher Qualität bezeichnet wurden, das darauf angelegt ist, eine gleichmäßige Gutachtertätigkeit und eine gleichmäßige Rechtsanwendung zu gewährleisten. Demzufolge ist auch im vorliegenden Fall auf die Vorgaben der AP unter Nr.26.18, betreffend die GdB-Bewertung von Wirbelsäulenschäden, abzustellen. 

 

Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 04.07.2002 ein mittelschweres, chronisch-rezidivierendes degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit länger dauernden Muskelreizerscheinungen festgestellt ohne radikuläre Symptome und Nervenreizerscheinungen. Die AP sehen für einen Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit häufig rezidivierender oder anhaltender Bewegungseinschränkung oder häufig rezidivierenden und Tage andauernden Wirbelsäulensyndromen einen Einzel-GdB von 20 vor. Der von Dr. G. vorgeschlagene GdB von 30 würde nach den AP einen Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit häufig rezidivierenden und Wochen andauernden ausgeprägten Wirbelsäulensyndromen voraussetzen. Ein solch schweres Lendenwirbelsäulensyndrom kann jedoch durch die von Dr. G. erhobenen Befunde nicht begründet werden. Bei der Untersuchung gab der Kläger an, er leide seit ca. zwei Jahren zunehmend an Rückenschmerzen, vornehmlich im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Schmerzen träten vorzugsweise beim Gehen, jedoch auch beim Stehen auf. Einseitige zusätzliche Belastungen (z.B. durch eine Aktentasche) führten zur Zunahme dieser Beschwerden, die manchmal so stark seien, dass es ihm übel werde. Die von dem gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Bewegungseinschränkungen nach Ott und Schober ergaben teils normale Werte, teils einen Wert, der allenfalls für eine mittelgradige Bewegungseinschränkung spricht (vgl. S.16 der AP). Hierauf hat zu Recht der Chirurg Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 12.09.2002 für den Beklagten hingewiesen. Nach den AP Nr.19 wird ein GdB von 20 für eine zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung nicht zum bisherigen Gesamt-GdB hinzuaddiert; der Gesamt-GdB erhöht sich vielmehr lediglich um 10 oder auch unter Umständen gar nicht, wenn es nicht gerechtfertigt erscheint, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen. 

 

Der Kläger hat im Rahmen des in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Teilvergleichs das Angebot des Beklagten angenommen, wonach ihm ab 01.03.1998 wegen "Halbseitenteillähmung links, Beeinträchtigung der Gehirnfunktion" ein Gesamt-GdB von 70 zusteht. Auch wenn Dr. P. in seinem Gutachten vom 07.11.2001 unter Berücksichtigung des Zusatzgutachtens von Dr. M. vom 30.10.2001 ab 01.03.1998 die von ihm angenommenen Einzel-GdB von 60 (Hemiparese links) sowie 30 (leichte kognitive Leistungseinbußen) zu einem Gesamt-GdB von 80 zusammengefasst hat, hält der Senat die Einwendungen des Beklagten dagegen für gerechtfertigt, insbesondere weil die neuropsychologischen Defizite und die kognitiven Leistungseinbußen mit GdB 30 eher großzügig eingeschätzt sein dürften und der neurologische Befundbericht von Prof. Dr. F. vom März 1998 eine so deutliche Besserung der Befunde beschreibt, dass eine Herabsetzung des bisherigen GdB von 90 auf 70 ab 01.03.1998 gerechtfertigt erscheint. Das Hinzutreten einer weiteren Funktionsstörung im Bereich der Lendenwirbelsäule ab 01.01.2000 mit Einzel-GdB 20 zum bisherigen Gesamt-GdB 70 führt zwar zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesamtleidenszustands des Klägers. Jener ist allerdings mit einem um 10 erhöhten Gesamt-GdB von 80 ab 01.01.2000 ausreichend bewertet. 

 

Der Kläger ist außerdem auch nicht außergewöhnlich gehbehindert. Er kann sich wegen der Schwere seines Leidens nicht dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahzeugs bewegen. Dies trifft nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Straßenverkehrsordnung auf folgende Personen zu: Querschnittgelähmte, Doppel-Oberschenkelamputierte, Doppel-Unterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Mit diesen Personen kann der Kläger nicht auf eine Stufe gestellt werden. 

 

Das Bundessozialgericht hat zuletzt am 10.12.2002 in einer grundsätzlichen Entscheidung zu den Voraussetzungen für Merkzeichen "aG" Ausführungen gemacht (B 9 SB 7/01 R). Danach handele es sich bei den oben genannten, beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen nicht um einen homogenen Personenkreis. Auch wenn unter Umständen Doppelunterschenkelamputierte nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können, könne bei der Prüfung, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt, weder auf diese Ausnahmefälle abgestellt werden noch der vollständige Verlust der Gehfähigkeit wie bei einem Querschnittgelähmten gefordert werden. Maßgebend sei vielmehr, ob das ggf. erst durch orthopädische Versorgung ermöglichte Restgehvermögen so stark eingeschränkt sei, dass es dem Betroffenen unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Eine genaue Qualifizierung oder Quantifizierung dieser Wegstrecke sei jedoch nicht möglich. Im Einzelfall komme es darauf an, ob sich jemand praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen könne. 

 

Im vorliegenden Fall kann sich der Kläger laut sämtlichen übereinstimmenden Befunden ohne orthopädische Hilfsmittel und ohne fremde Hilfe, wenn auch wegen der linksseitigen Lähmung, langsam fortbewegen. Nach seinen eigenen Angaben bei der Untersuchung durch Dr. G. war ihm damals eine maximale Gehstrecke von 300 m möglich, nach der er wegen vor allem in der Wirbelsäule auftretender Beschwerden eine Pause einlegen müsse. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass sich der Kläger praktisch gleich nach dem Verlassen seines Kraftfahrzeuges nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann und sich bereits nach kurzer Weg- strecke erschöpft ausruhen muss. Der Kläger kann auch nicht mit einem Hämophiliekranken verglichen werden, der trotz eines GdB unter 80 vom Bundessozialgericht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen wurde, weil er bei jedem Schritt sowohl im Bereich der Wirbelsäule als auch der Knie- und Sprunggelenke unter erheblichen Schmerzen litt (vgl. BSG-Urteil vom 12.02. 1997, 9 RVs 11/95). Beim Kläger stellen sich die Schmerzen erst nach längerem Gehen und nicht schon bei den ersten Schritten ein. Schließlich kann der Kläger auch nicht mit einem an einer arteriellen Verschlusskrankheit leidenden Behinderten mit einer Wegstrecke von deutlich unter 50 m verglichen werden. Für diese Personengruppe (mit GdB 70 bis 80 nach AP 1996 Nr.26.9) hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Beschluss vom 10.04.1991 unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere einer schmerzfreien Gehstrecke von deutlich unter 50 m, eine außergewöhnliche Gehbehinderung bejaht. Das Restgehvermögen des Klägers ist jedoch deutlich größer. 

 

Aus diesen Gründen war die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. 

 

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.