Landessozialgericht NRW, Az.: L 14 B 8/00 RA, Beschluss vom 2.4.2001 

1. Zur Frage, wer Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.

2. Ein Grund für die Inanspruchnahme der Gerichtsbarkeit kann unabhängig vom äußeren Prozeßerfolg auch gegeben sein, wenn im Verwaltungsverfahren aufgetretene Unklarheiten über die Rechte des Versicherten diesem Veranlassung zur Befürchtung geben mußten, der Versicherungsträger
werde die sich aus dem Verfahrensrecht ergebenden Rechte des Versicherten nicht beachten.
 
 

Gründe
 

Die Antragstellerin bezieht von der Antragsgegnerin Witwenrente. Mit Bescheid vom 22.06.2000 (abgeschickt am 29.06.2000)
stellte die Antragsgegnerin die Witwenrente mit Wirkung für die Zukunft neu fest. Sie setzte die große Witwenrente von
bisher 1.697,52 DM ab 01.08.2000 auf 1.308,65 DM herab.
 

Hiergegen erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 06.07.2000, eingegangen bei der Beklagten am
10.07.2000, Widerspruch und wies darauf hin, dass nach § 86 Abs. 2 SGG zunächst der alte Zahlbetrag der Witwenrente auch
über August 2000 hinaus zu zahlen sei.
Mit Anhörungsschreiben vom 11.07.2000, das an die Antragstellerin persönlich, nicht an den Bevollmächtigten gerichtet
war, teilte die Antragsgegnerin ihr mit, dass beabsichtigt sei, den Rentenbescheid vom 15.02.1999 mit Wirkung ab
01.01.1999 nach § 45 SGB X zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von 1.308,65 DM ab 01.08.2000 laufend zu
zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 01.01.1999 bis 31.07.2000 zurückzufordern. Der Antragstellerin wurde
Gelegenheit gegeben, sich innerhalb von drei Wochen zur beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Weiter heißt es wörtlich:
" Die Aufhebung für die Zukunft war nicht zulässig. Damit jedoch die Überzahlung nicht noch höher ausfällt, wird ab dem
01.08.2000 der im Bescheid vom 22.06.2000 genannte Zahlbetrag weiterhin zur Zahlung gebracht."

Mit Schreiben vom 17.07.2000, eingegangen beim Sozialgericht am 17.07.2000, beantragte die Antragstellerin im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes, der Antragsgegnerin aufzugeben, an sie, die Antragstellerin, die monatliche Rente in Höhe
von 1.697,52 DM auch über den 31.07.2000 hinaus zu zahlen.

Mit Schreiben vom 17.07.2000, abgeschickt an den Bevollmächtigten am 28.07.2000, teilte die Antragsgegnerin mit, dass
aufgrund des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.06.2000 die Rente vorerst in der bisherigen Höhe weitergezahlt werde. Die
verminderte Ren tenzahlung werde eingestellt und die Zahlung in alter Höhe veran laßt.
Die Antragstellerin erklärte daraufhin am 09.08.2000 den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in der Hauptsache
für er ledigt und beantragte gleichtzeitig, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin
aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Anweisung der Rente in Höhe des Bescheides vom 30.04.1999 sei von Amts wegen
erfolgt und bereits am 18.07.2000 unabhängig vom Antrag auf Erlaß der einstwei ligen Anordnung erfolgt.

Mit Beschluss vom 27.11.2000 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten abgelehnt. Zur
Begründung hat es ausgeführt, das Schreiben vom 11.07.2000 sei zwar geeignet gewesen, bei der Antragstellerin die
Befürchtung hervorzurufen, die Rente werde in geminderter Höhe gezahlt. Dennoch habe die An tragsgegnerin den Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz nicht ver anlaßt. Der Antragstellerin wäre es zumutbar gewesen, die Antrags gegnerin vor
Ablauf der im Schreiben vom 11.07.2000 genannten Frist zur Stellungnahme aufzufordern. Die sofortige Einreichung des
Antrags bei Gericht noch vor Ablauf des maßgeblichen Stichta ges sei nicht erforderlich gewesen.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 15.12.2000 beim Sozialgericht Düsseldorf Beschwerde eingelegt, der das
Sozialge richt nicht abgeholfen hat.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, es habe keine Verpflich tung bestanden vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme im
Anhö rungsverfahren, das die Rückforderung von Rentenleistungen für die Vergangenheit betroffen habe, nochmals mit der
Antragsgegnerin Kontakt aufzunehmen zur Frage des § 86 Abs. 2 SGG, nachdem die Antragsgegnerin bereits im Widerspruchsschreiben vom 06.07.2000 auf die Rechtswirkungen des § 86 Abs. 2 SGG hingewiesen worden war.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.

Die Beschwerde ist begründet.
Die Antragstellerin hat Anspruch auf Erstattung der außergericht lichen Kosten durch die Antragsgegnerin. Ob und in
welchem Umfang Kosten zu erstatten sind, ist bei dem ohne gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache erledigten
Verfahren auf Antrag gemäß § 193 Abs 1, 2. Halbsatz SGG durch Beschluss nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei
dieser Billigkeitsentscheidung ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt das Veranlasserprinzip. Es ist darauf abzustellen,
welchem Beteiligten die Durch- bzw. Fortführung des Verfahrens zuzurechnen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob und
inwieweit der Sozialleistungsträger Veranlassung zur Antragserhebung gegeben hat. Ein Grund für die Inanspruchnahme der
Gerichtsbarkeit kann unabhängig vom äußeren Prozeßerfolg auch gegeben sein, wenn im Verwaltungsverfahren aufgetretene
Unklarheiten über die Rechte des Versicherten diesem Veranlassung zur Befürchtung geben mußten, der Versicherungsträger
werde die sich aus dem Verfahrensrecht ergebenden Rechte des Versicherten nicht beachten. Diese Voraussetzungen lagen
hier vor. Das Anhörungsschreiben vom 11.07.2000 war geeignet, die Befürchtung hervorzurufen, die An tragsgegnerin werde
die Vorschrift des § 86 Abs. 2 SGG nicht ein halten. Gerade der ausdrückliche Hinweis auf § 86 Abs. 2 SGG im
Widerspruchsschreiben vom 06.07.2000 und die Erklärung im Schrei ben vom 11.07.2000, dass der Antragsgegnerin bewußt war,
dass die Kürzung für die Zukunft unzulässig sei, aber trotzdem vorgenommen werde, läßt den Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz als geboten erscheinen. Unerheblich ist, ob das Schreiben vom 11.07.2000 auf einer unbeabsichtigten
Nichtbeachtung des eingelegten Widerspruchs beruhte, denn es kommt auf die Außenwirkung an, die das Schreiben für den
betroffenen verständigen Versicherten haben mußte. Die Antragstellerin war auch nicht gehalten, innerhalb der im
Anhörungsschreiben vom 11.07.2000 genannten Frist die Antragsgegnerin um Stellungnahme zu ersuchen. Das Anhörungsschreiben betraf
die teil weise Rücknahme des Witwenrentenbescheides vom 15.02.1999 für die Zeit vom 01.01.1999 bis 31.07.2000. Der
Hinweis auf die als unzu lässig bezeichnete, aber dennoch geplante Kürzung der Rente für die Zukunft wurde am Ende des
Schreibens nach der Fristsetzung zur Stellungnahme erteilt und war offensichtlich nicht von der An hörung nach § 24 SGB X
umfaßt. Der sofortige Antrag auf einst weiligen Rechtsschutz vor Beginn des Monats August 2000 war eine verständliche,
aus der Sicht der Antragstellerin gebotene Maßnahme.
 

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.