LANDESSOZIALGERICHT NORDRHEIN-WESTFALEN, Beschluss vom 11.02.2000, Az.: L 10 SB 54/98 |
Leitsatz:
Ist unklar, ob eine Gesundheitsstörung bereits zum Zeitpunkt der ablehnenden Bescheide bestanden hat oder ob sie erst im Klageverfahren aufgetreten ist oder sich entsprechend verschlechtert hat und ist damit unklar, ob die Klage zum Zeitpunkt ihrer Erhebung begründet war oder noch nicht, so hat der Beklagte die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Gründe:
Nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht nach billigem Ermessen darüber zu befinden, ob und in
welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn der Rechtsstreit anders als durch Urteil geendet
hat. Dabei ist neben der Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, der vermutliche Verfahrensausgang zu
berücksichtigen, der unter summarischer Prüfung nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung des
Rechtsstreits zu beurteilen ist. Für die Kostenentscheidung kann weiter von Bedeutung sein, ob sich die Sach- und
Rechtslage nach Erlass des Bescheides geändert hat. Trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten
zu erstatten (Zeihe, SGG, 7. Auflage, § 193 Anm. 7 h; BSG, Beschluss vom 24.05.1991 - Az. 7 RAr 2/91 - in Breithaupt
1992, 172 ff m.w.N.; Senatsbeschlüsse vom 16.08.1999 - Az. L 10 B 11/99 - und vom 13.09.1999 - Az. L 10 B 15/99 P -).
Danach ist es angemessen, dem Beklagten die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden
Rechtszügen aufzuerlegen.
Nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Beendigung des Rechtsstreits durch außergerichtlichen Vergleich -
Teilanerkenntnis des Beklagten und Rücknahme der weitergehenden Klage - kann nicht einmal mit annähernder
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ab wann die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen einen GdB von 50
(oder ggf. sogar mehr) bedingt haben. Es ist sowohl möglich, dass die von den Beteiligten getroffene Regelung, ab April
1999 von einem GdB von 50 auszugehen, zutreffend ist, als auch, dass bereits sogar im Zeitpunkt der Antragstellung oder
aber zumindest im Zeitpunkt der Klageerhebung im Juni 1997 ein GdB von 50 angemessen war. Der Umstand, dass sichere
Feststellungen nun nicht mehr getroffen werden können, beruht ausschließlich darauf, dass die zur weiteren Klärung
erforderlichen Ermittlungen durch ausführliche Befragung von medizinischen Sachverständigen aufgrund der Erledigung des
Rechtsstreits nicht mehr durchgeführt werden können, aber keineswegs darauf, dass der Kläger bei Fortführung des
Rechtsstreits den ihm obliegenden Nachweis von vornherein nicht hätte erbringen können. Entsprechend dem damit
hypothetisch offenen Ausgang des Rechtsstreits trifft beide Beteiligten das Prozesskostenrisiko gleichermaßen.
Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, unverzüglich einer Änderung der Sachlage durch Verschlechterung
der gesundheitlichen Verhältnisses des Klägers auf der Grundlage des Gutachtens des Dr. F. vom 31.06.1999 Rechnung
getragen zu haben. Es spricht zwar Einiges dafür, dass in etwa zu diesem Zeitpunkt - oder wegen einer längeren
Leidensprogredienz einige Zeit davor - eine Verschlechterung des Wirbelsäulenleidens eingetreten ist und schon allein
deswegen ein GdB von 50 festzustellen war. Dies schließt aber nicht aus, dass ein GdB von 50 nicht bereits zu einem
wesentlichen frühen Zeitpunkt hätte festgestellt werden müssen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz lagen bei dem Kläger nämlich schon zuvor eine Schwerhörigkeit
mit einem GdB von 30, ein Wirbelsäulenschaden mit einem GdB von 20 und ein Teilverlust des Magens mit rückfälliger
Schleimhautentzündung und Bauchdeckenschwäche mit einem GdB von 20 bis 30 vor. Bereits aufgrund dieser
Gesundheitsstörungen drängt sich die Frage nach den Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen unter
Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander auf. Dieser Frage sind weder die Beteiligten noch die
Sachverständigen noch das Sozialgericht in befriedigendem Ausmaß nachgegangen. Die bloße Behauptung des Sachverständigen
Dr. B., der Gesamt-GdB sei mit 40 einzustufen, ist nicht ausreichend und nicht überzeugend, da für diese Auffassung
schon jede Begründung fehlt. Vielmehr liegt es nahe, dass die Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen
voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Lebensbereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Dies spräche
aber dafür, dass ein GdB von 50 gerechtfertigt sein, also das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung des Klägers einer
Gesundheitsstörung entsprechen könnte, für die in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit ein GdB von 50
vorgesehen ist. Dies würde umso mehr gelten, wenn bestätigt werden könnte, dass Wirbelsäulenleiden und Magenbeschwer den
zueinander in einem nachteiligen Verhältnis stehen, weil z.B. die von der Wirbelsäule ausgehenden Beschwerden wegen des
Magenleidens nur ungenügend therapierbar sind. Ebenso können im Bereich der Fortbewegungsmöglichkeit ggf. wechselseitig
nachteilige Einschränkungen aufgrund der Beeinträchtigung des Gehörs und der eingeschränkten Beweglichkeit insbesondere
der Halswirbelsäule bestehen. Nicht zuletzt wäre zudem der Frage nachzugehen, ob das Wirbelsäulenleiden des Klägers mit
einem GdB von 20 bei der Untersuchung vom 18.12.1997 zutreffend bewertet wurde und ob nicht bereits damals ein GdB von 30
hätte eher in Betracht gezogen werden müssen. Während Dr. G. nämlich keine neurologischen Ausfälle hat feststellen
können, ist Dr. S. in seinem Gutachten vom 29.09.1997 (SG Köln, Az. S 11 J 52/97) von einer leicht bis
mittelgradigen Fußheberschwäche links ausgegangen. Zudem hat er einen - wohl - halswirbelsäulenbedingten, im Gutachten
des Dr. G. nicht weiter berücksichtigten Kopfschmerz und zudem ein psychovegetatives Syndrom beschrieben, das bei der
Bemessung des GdB bislang überhaupt nicht berücksichtigt wurde.