LSG Berlin – Urteil vom 29.10.2002 – Az.: L 13 V 16/00
Eine Demenz vom Alzheimerschen Typus kann nicht als ein Folgeleiden eines Schädel-Hirn-Trauma anerkannt werden
Die Kläger machen als Rechtsnachfolger ihres am 4. Februar 1999 verstorbenen Vaters dessen Anspruch auf Pflegehilfe im Sinne von § 35 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz -BVG- in der Zeit ab 28. September 1995 bis zu dessen Tode geltend.
Bei dem Vater der Kläger waren durch Bescheid vom 17. Dezember 1953 vom Versorgungsamt Hildesheim folgende mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- von 100 v.H. bewertete Schädigungsfolgen festgestellt worden:
Erblindung des rechten Auges und Verlust des linken Auges. Verformung des kleinen Beckens mit Verschiebung des Schambeines, ausgesprengtem isoliertem Knochenstück und Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke leichten Grades. Bewegungseinschränkung des linken Armes und verformende Veränderungen des Schultergelenkes nach Bruch des Schlüsselbeines und Schulterblattes. Flächenhafte Narbenbildung der Bauchhaut. Weichteilnarben am Hals und rechten Unterarm. Zahnverlust.
Neben der Versorgungsrente erhielt der Versorgungsberechtigte (VB) u.a. zunächst Pflegezulage nach Stufe III des § 35 BVG.
Am 7. Januar 1993 machte er wegen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes einen höheren Pflegeaufwand geltend. Die von dem Versorgungsamt Hildesheim daraufhin eingeleiteten Ermittlungen (internistisches Gutachten des Dr. B. vom 27. August 1993 und HNO-Gutachten des Dr. Z. vom 18. Mai 1994) führten zu einer Erhöhung der Pflegezulage nach Stufe IV. Dr. B. führte insoweit u.a. in seiner Beurteilung aus, die schädigungsfremden Leiden würden vornehmlich repräsentiert durch die Schwerhörigkeit einerseits und durch die allgemeinen Hirndurchblutungsstörungen andererseits, während etwaige Gesundheitsstörungen am Haltungs- und Bewegungsapparat, die schädigungsfremder Natur wären, wegen ihrer Bedeutungslosigkeit im vorliegenden Fall unerwähnt bleiben dürften. Bei Dr. Z. heißt es u.a., dass die Kommunikation mit dem VB wegen offensichtlich zerebraler Fehlfunktion nur noch sehr schwer möglich sei. Im Bescheid vom 14. Juli 1994 wurde die Erhöhung wie folgt begründet: Es sei durch die anerkannten Schädigungsfolgen und die eingetretene Verschlimmerung in der schädigungsunabhängigen Hörstörung eine gesteigerte Hilflosigkeit eingetreten.
Am 16. Januar 1995 meldete der VB dann Bedarf für eine weitere Pflegeperson an. Seine nunmehr 75 Jahre alte Ehefrau, die schwerbehindert sei, sehe sich nicht mehr in der Lage, seine Pflege angemessen zu betreiben. Er beantrage gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 BVG die Bereitstellung eines ausgebildeten Krankenpflegers, dessen Pflegevertrag über 4 Stunden laufen sollte. Am 27. Februar 1995 beantragte er, die Pflegezeit auf 6 Stunden zu erweitern. Er untermauerte seine Forderung mit einem Attest des Arztes Dr. P. vom 6. Februar 1995, wonach es zu einer ausgeprägten Verschlechterung der zerebralen Situation gekommen sei. Im Vordergrund ständen Verwirrtheitszustände, die eine andauernde intensive Betreuung und Pflege erforderlich machten. Bei einer weiteren Verschlechterung werde eine Unterbringung in einem Pflegeheim erforderlich werden.
In einem versorgungsärztlichen Bericht des Dr. Sch. vom 9. März 1995 über einen Hausbesuch bei dem VB heißt es dann u.a., dieser leide unter den Folgen einer schwersten Hirnsklerose mit Desorientierung. Dieser Leidenszustand sei ausschließlich und eindeutig überwiegend durch Nichtschädigungsfolgen geprägt. Die eventuelle Aufnahme in ein Pflegeheim sei ausschließlich auf Nichtversorgungsleiden zurückzuführen. Eine Übernahme der Heimpflegekosten nach BVG werde nicht empfohlen. Auch die jetzige Pflege "rund um die Uhr" sei weitaus überwiegend auf Nichtschädigungsfolgen gegründet. Auch wenn eine eigenständige Pflegebedürftigkeit durch das Versorgungsleiden gar nicht mehr bestehe, so habe der Antragsteller dennoch weiterhin Anspruch auf eine Betreuung durch das Versorgungsamt. Bei dem desorientierten Kriegsblinden sei ein eigentlicher Tagesablauf nicht mehr gegeben. Die vom Betreuer wie auch vom Beauftragten übersandte Tagesstrukturierung könne nur ein grober Anhalt sein, z.B. sei es unmöglich anzugeben, zu welchen Zeiten der Antragsteller sich einnässe oder das Bedürfnis verspüre, Nahrung aufzunehmen. Von der Ehefrau des VB sei vermutlich keine wirtschaftlich verwertbare Pflegeleistung mehr zu erwarten. Er empfehle für den hier bestehenden Einzelfall einen Pflegebedarf von 12 Stunden (10 Stunden plus 2 Stunden Fürsorge) täglich anzunehmen. Der VB sei eigentlich nur noch als Pflegefall der höchsten Betreuungsstufe in einem Pflegeheim zu betreuen, die Umsiedlung nach Berlin in eine derartige Institution sei geplant.
Nach weiteren medizinischen Ermittlungen zur Situation des VB und seiner Ehefrau lehnte das Versorgungsamt Hildesheim den Antrag auf Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 BVG und - gegenüber dem mit Beschluss vom 22. Mai 1995 als Betreuer zur Wahrnehmung sämtlicher Angelegenheiten des VB eingesetzten Sohne US. - den Antrag auf Übernahme von Heimpflegekosten nach § 35 Abs. 6 BVG ab (Bescheide vom 10. u. 11. August 1995). Es fehle hierfür an den medizinischen Voraussetzungen. Unter Berücksichtigung der medizinischen Erkenntnisse, zu denen auch das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Aufgaben durch eine von diesem eingeholte versorgungsärztliche Stellungnahme vom 13. Juli 1995 beigetragen habe, ergebe sich allein aus den bei dem VB neben den Schädigungsfolgen nach dem BVG vorliegenden schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen (ausgeprägte Hirnleistungsschwäche mit organisch-psychischen Störungen, Mobilitätseinschränkung, Harn- und Stuhlinkontinenz, Schwerhörigkeit), die gesteigerte Hilflosigkeit, die nunmehr in umfassender Weise die Betreuung durch eine fremde Pflegekraft erfordere. Die bei dem VB als Schädigungsfolge anerkannte Blindheit sei hierfür nicht als annähernd gleichwertige Ursache verantwortlich. Sie habe nicht annähernd gleichwertig zum Eintritt der jetzigen Hilflosigkeit beigetragen. Damit seien die schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen alleinige Ursache für den jetzigen Zustand der gesteigerten Hilflosigkeit und der deswegen ab 16. Januar 1995 erforderlichen Pflegeverrichtungen und der eine Heimpflege rechtfertigenden gesteigerten Hilflosigkeit.
Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben durch Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1996 zurück. Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen seien zumindest ab Januar 1995 bei fehlendem Nachweis einer wesentlichen Verschlimmerung im Bereich der anerkannten Schädigungsfolgen die schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen für die gesteigerte Hilflosigkeit ursächlich. Die Schädigungsfolgen träten als Ursache für die gesteigerte Hilflosigkeit nunmehr in den Hintergrund, seien also nicht mehr wesentliche Bedingung für den nunmehr bestehenden Pflegebedarf. Damit seien sowohl die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Pflegezulage nach § 35 Abs. 2 BVG als auch die für eine Übernahme von Heimpflegekosten nach § 35 Abs. 6 BVG nicht erfüllt. Hiergegen rief der VB das Sozialgericht an. Bei der Erhöhung der Pflegezulage von Stufe III auf Stufe IV durch Bescheid vom 14. Juli 1994 sei davon ausgegangen worden, dass seine Kriegsblindheit nicht als nachrangig im Verhältnis zu den schädigungsunabhängigen Leiden einzustufen sei. Die kausale Gleichwertigkeit seiner Blindheit und der vermeintlich leidensunabhängigen Hirnerkrankung, die die Heranziehung einer Pflegekraft erforderlich gemacht habe, sei bis August des Jahres 1995 im Versorgungsamt Hildesheim unstreitig gewesen. Seinerzeit wie heute habe er an hirnorganischen Veränderungen mit Demenzerscheinungen vom Alzheimertyp gelitten. Der Einfluss seiner Erblindung hierauf sei nie untersucht worden. Die nur kurzzeitigen Untersuchungen durch die Versorgungsärzte könnten hierüber keine aussagekräftigen Erkenntnisse liefern, da sie nur Momenteindrücke vermittelten, die die in der medizinischen Wissenschaft umstrittene Frage nach den Ursachen des Entstehens einer Alzheimer-Erkrankung nicht beantworten könnten. Er könne deshalb die Begründung, bei dem Hirnleiden handele es sich um ein schadensunabhängiges Leiden, nicht nachvollziehen. Außerdem werde verkannt, dass erst der krankheitsbedingte Ausfall der Ehefrau als Pflegerin dazu geführt habe, ab Januar 1995 zunächst eine Pflegevereinbarung mit einem externen Pfleger (Herr O.) zu treffen und den Antragsteller schließlich in einem Pflegeheim unterzubringen. Dem hielt der Beklagte u.a. mit einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. T. vom 13. Februar 1997 entgegen, es sei nach der Aktenlage unwahrscheinlich, dass der VB bei dem schädigenden Ereignis im Januar 1942 eine Hirnschädigung erlitten habe. Jetzt bestehe das Vollbild einer Demenz. Die Demenz gehöre zu den organisch bedingten psychischen Syndromen. Eine Demenz könne sich aus einem Hirntrauma, besonders dann, wenn sich ein chronisches subdurales Hämatom einstelle, entwickeln. Es sei nach Aktenlage im Falle des VB unwahrscheinlich, dass es bei dem schädigenden Ereignis zu einem Hirntrauma gekommen sei, es fehlten diesbezügliche Anhaltspunkte. Bei der Demenz vom Alzheimertypus handele es sich um eine primär degenerative Demenz. Für diese gebe es aber auch noch eine Fülle anderer ätiologischer Faktoren, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis bzw. den anerkannten Schädigungsfolgen unwahrscheinlich sei. Nach wie vor gelte, die Heimunterbringung erfolge in weitaus überwiegendem Maße wegen der Nicht-Schädigungsfolgen.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz -SGG- hat das Sozialgericht dann von Frau Dr. D. ein gerontopsychiatrisches Gutachten sich aber auf andere Weise herstellen. Sie halte die Annahme für gerechtfertigt, dass das Kriegstrauma ein Schädelhirntrauma mit beinhalte, das epidemiologisch als Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz vom Alzheimertyp gewertet werden könne. Einen weiteren Risikofaktor für diese Erkrankung stelle die erhebliche Beeinträchtigung in den Aktivitäten des täglichen Lebens schon vor den ersten Anzeichen einer Demenz dar. Da die Ehefrau ohnehin der Erblindung wegen kompensatorisch einen großen Teil der Alltagsfunktionen des VB übernommen habe und dieser ohne sie anerkanntermaßen hilflos gewesen sei, habe sich durch die Demenz in der kompensatorischen Symbiose von fester Tagesstruktur und vertrautem Milieu zunächst nichts Wesentliches geändert. Durch den Wegfall der orientierenden kompensierenden und die Demenz mittragenden Ehefrau sei dann das Ausmaß der Demenz quasi demaskiert worden und es sei zu einem Verwirrtheitszustand mit Fehlhandlungen gekommen. Verwirrung und Fehlhandlungen könnten sich nach Gewöhnung in einem anderen Milieu und bei guter Pflege wieder stabilisieren, ohne dass sich die Basis der kognitiven Beeinträchtigung verändere. Zu dem angesprochenen Zeitpunkt habe das Leitsyndrom Demenz das Leitsyndrom Blindheit abgelöst, wobei die Kriegsfolgen in oben geschilderter Weise als Mitbedingungen für die Demenz gelten könnten. Insoweit sei die Notwendigkeit der Einstellung einer fremden Pflegekraft als überwiegend demenzbedingt zu werten. Mitbedingung für die Entwicklung und den Verlauf der Alzheimer Demenz sei wahrscheinlich ein Schädelhirntrauma als Risikofaktor sowie die Entwicklung von Abhängigkeit und mangelnder Fertigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens, die mittelbar als Kriegsfolgen (Erblindung) zu werten seien. Das sei mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, nicht aber im Einzelfall nachzuweisen.
Dem Gutachten hat der Beklagte mit einer Stellungnahme der Nervenärztin Dr. D. vom 9. September 1998 u.a. entgegen gehalten, die Diskussion eines Zusammenhanges zwischen den anerkannten Schädigungsfolgen und der Jahrzehnte später eingetretenen Demenz, ohne dass während des Berufslebens Zeichen für hirnorganische Leistungseinschränkungen bestanden, sei nicht nachvollziehbar. Ein Schädelhirntrauma des VB könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Hierfür gebe es weder eine bildgebende Diagnostik noch die entsprechende Symptomatik. Im Verlauf habe sich, wie dargestellt, das Leitsyndrom der Demenz gegenüber dem Leitsyndrom der Blindheit verstärkt. Insoweit sei die Notwendigkeit der Einstellung einer fremden Pflegekraft als überwiegend demenzbedingt zu werten. Allein aufgrund der Blindheit, die gut kompensiert gewesen sei, wäre der VB nicht im Heim pflegebedürftig geworden.
Das Sozialgericht hat im Anschluss hieran im Zuge weiterer medizinischer Ermittlungen die Unterlagen des Krankenbuchlagers Berlin, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. T. vom 16. Februar 1995, die Auswertung eines cranialen Computertomogramms vom 27. Februar 1992, Arztberichte des Krankenhauses S. vom 20. Mai 1997, 4. Juni 1998 und 1. Oktober 1998 sowie eine Krankengeschichte des Klinikums der Universität G. über eine Zahnextraktion im Mai 1995 beigezogen und dem Beklagten zur Auswertung überlassen. Aus dessen Sicht haben diese Unterlagen eine Erhöhung der schädigungsbedingten Pflegezulage nicht rechtfertigen können. Der durch Kriegsblindheit bedingte Pflegebedarf werde durch die zusätzlich bestehende schädigungsunabhängige Demenz wesentlich überstiegen.
Durch Urteil vom 17. Februar 2000 hat das Sozialgericht den Beklagten dazu verurteilt, durch Erhöhung der Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 2 BVG die den Klägern in der Zeit vom 16. Januar bis 27. September 1995 entstandenen Kosten für die Einstellung einer fremden Arbeitskraft als Pfleger und ab dem 27. September 1995 gemäß § 35 Abs. 6 BVG die durch die Unterbringung des VB in den B.-Blindenwohnstätten entstandenen Kosten zu übernehmen.
Aufgrund der vorliegenden Beweise, insbesondere des Gutachtens der Dr. D. habe zu seiner Überzeugung festgestanden, dass sowohl der erhöhte Pflegeaufwand für den externen Pfleger als auch für die Heimunterbringung des VB überwiegend wahrscheinlich auf die kriegsbedingte Schädigung zurückzuführen sei. Die seit 1991 bekannte und in den Folgejahren manifestierte Demenz vom Alzheimertyp sei überwiegend wahrscheinlich im Sinne der sozialrechtlichen Kausalitätstheorie auf den erlittenen Kriegsschaden zurückzuführen, und zwar unmittelbar und nicht mittelbar aufgrund der Kriegsblindheit. Zwar hätten bis heute keine Unterlagen über den akuten Verletzungsverlauf, insbesondere einer dabei aufgetretenen traumatischen Schädelverletzung bzw. einer dadurch verursachten Bewusstlosigkeit ermittelt werden können. Entgegen der Behauptung des Beklagten seien jedoch seit 1947 praktisch jährlich Brückensymptome im Sinne von Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, nervöser Übererregbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schweißausbrüchen dokumentiert, ohne dass diese von der Versorgungsverwaltung jemals auch nur im Ansatz von Amts wegen in Bezug zu der erlittenen Granatsplitterverletzung gebracht worden seien, etwa durch Veranlassung eines neurologisch-psychiatrisch-versorgungsärztlichen Gutachtens. In den Badekurbeurteilungen sei die nervöse Übererregbarkeit immer getrennt von den Schädigungsfolgen aufgeführt, jedoch ohne jede weitere Begründung. Das einzig existierende craniale Computertomogramm vom 27. Februar 1992 zeige immerhin einen großen Substanzdefekt, als dessen Ursache neben einer Hypoplasie oder einer ischämischen Läsion auch ein Altenkontusionsherd (z.B. von dem schweren Schädelhirntrauma 1942) in Betracht gezogen wurde. Die Sachverständige halte die Annahme, dass das Kriegstrauma ein Schädelhirntrauma mitbeinhaltet habe, für berechtigt.
Die genannten Risikofaktoren bzw. Brückensymptome könnten sicherlich nicht jeweils für sich genommen die Grundlage für eine tragfähige Kausalkette bilden. Die erstmals von der Sachverständigen herausgearbeiteten Faktoren zusammengenommen reichten jedoch zur Überzeugung der Kammer angesichts ihrer Häufung aus, jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges zwischen Granatsplitterexplosion und Morbus Alzheimer zu begründen, wenn auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Für sich genommen seien die einzelnen Faktoren als Ursache möglich, zusammengenommen überwiegend wahrscheinlich. Selbst wenn entsprechend der Ansicht des Beklagten unterstellt werde, dass die Demenz weder unmittelbar noch mittelbar auf die Granatsplitterverletzung zurückzuführen sei, bestehe im vorliegenden Fall jedenfalls eine zur Stattgabe führende annähernde Gleichwertigkeit von Kriegsblindheit und Demenz hinsichtlich des notwendig gewordenen Pflegebedarfs. Nach der als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung sei die Pflegezulage auch dann zu erhöhen, wenn sich die Hilflosigkeit ohne Änderung der Schädigungsfolgen durch einen schädigungsunabhängigen „Nachschaden“ verschlimmert habe und die Schädigungsfolgen zumindest annähernd gleichwertig den Leidenszustand mitverursacht hätten. Das sei hier der Fall. Die vom Beklagten zur Unterstützung seiner Auffassung vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen koppelten den bisherigen, auf der Kriegsblindheit beruhenden Pflegeaufwand des VB schlichtweg aus und führten den Pflegebedarf nunmehr allein auf die Demenz zurück. Diese isolierte Wertung und die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen für die streitigen Ansprüche würde verkennen, dass schon zuvor Hilflosigkeit vorgelegen habe.
Gegen das am 28. April 2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. Mai 2000 eingelegte Berufung des Beklagten, mit der er zunächst eine Aufhebung des angefochtenen Urteils im Ganzen beantragt hatte.
Durch Schriftsatz vom 18. Januar 2001 erkannte der Beklagte dann an, durch Erhöhung der Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 2 BVG die in der Zeit vom 16. Januar bis 27. September 1995 entstandenen Kosten für die Einstellung einer fremden Arbeitskraft als Pfleger zu übernehmen.
Die Folgen der Blindheit hätten nach Erkrankung der Ehefrau noch durch eine Pflegekraft ausgeglichen werden können. Insoweit sei es gerechtfertigt, diese Pflegezeit als schädigungsbedingt anzusehen. Die Heimaufnahme sei jedoch Folge der Demenz gewesen, die zur völligen Desorientiertheit geführt habe, abgesehen von den fehlenden sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten und der fehlenden Aufnahme von Kommunikation und Information durch Hörbehinderung und grundsätzlich fehlender Orientierung hinsichtlich der Person des VB und seiner Umgebung. Diese Störungen seien in ihrem Ausmaß mit der Blindheit nicht gleichwertig, sondern sie gingen aus medizinischer Sicht deutlich darüber hinaus.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2000 insoweit aufzuheben, als er verurteilt worden ist, die durch die Unterbringung des verstorbenen Herrn WS in den B.-Blindenwohnstätten in xxxxx Berlin den Klägern entstandenen Kosten gemäß § 35 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz zu übernehmen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat von Amts wegen das Gutachten der Prof. Dr. St. und des Dr. Sch. vom April 2002 - bei Gericht eingegangen am 16. April 2002 - eingeholt. In diesem wird - zusammengefasst - die Auffassung vertreten, das im Rahmen der Kriegsereignisse erlittene Schädel-Hirn-Trauma des VB sei nicht als Risikofaktor für das Entstehen einer Demenz vom Alzheimer-Typ zu werten. Die schicksalhaften, zum Teil genetisch bedingten Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz von gemischtem Typ würden in ihrem Gewicht die Folgen des kriegsbedingten möglichen Schädel-Hirn-Traumas mit Blindheit überwiegen. Aufgrund der fehlenden Brückensymptomatik und der multifaktorellen Genese einer Demenz sei eine Kausalität zwischen Kriegsschädigungsfolgen und Entwicklung einer Demenz nicht hinreichend wahrscheinlich. Die gesteigerte Hilflosigkeit des VB, die sich progredient verhalten habe, sei überwiegend als Folge der dementiellen Erkrankung anzusehen. Eine alleinige Blindheit hätte wahrscheinlich bei entsprechender Unterstützung eine Verlegung in ein Pflegeheim nicht erfordert.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten, auf 8 Bände Verwaltungsakten und eine Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat ihn zu Unrecht dazu verurteilt, die Kosten der Heimpflege des VB ab 28. September 1995 bis zu seinem Tode (4. Februar 1999) gemäß § 35 Abs. 6 BVG zu tragen.
Streitig ist allein noch die Übernahme der Kosten der Heimpflege, nachdem der Beklagte im Berufungsverfahren durch den Schriftsatz vom 18. Januar 2001 die zunächst gleichfalls streitbefangen gewesene Erhöhung der Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 2 BVG für die Zeit vom 16. Januar bis 27. September 1995 anerkannt hat. Die Forderung der Kläger, der Beklagte müsse auch für die Kosten der nicht nur vorübergehenden Heimpflege des VB ab 28. September 1995 gemäß § 35 Abs. 6 BVG aufkommen, wäre nur dann begründet, wenn hierfür ein Erfordernis "infolge der Schädigung" im vorsorgungsrechtlichen Sinne bestanden hätte. Für dessen Annahme reicht es aus, dass dafür die durch den Militärdienst des VB bedingten Gesundheitsstörungen mit anderen Krankheitsursachen gleichwertig zusammenwirken (vgl. BSGE 41/80, 82 ff. = SozR 3100 § 35 Nr. 2). Die Kosten der Heimpflege müssten also mindestens annähernd gleichwertig durch die Schädigungsfolgen verursacht sein. Es kommt bei der Kausalitätsprüfung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - nicht darauf an, ob die Kriegsverletzung zeitlich die "letzte" die Heimpflege auslösende Bedingung ist, sofern nur die Voraussetzungen für den Anspruch auf Versorgung im Anspruchszeitraum noch gegeben sind. Auch Gesundheitsschäden, die nach der Schädigung und unabhängig von dieser auftreten - so genannte Nachschäden (vgl. BSGE 23/188, 191) - sind als Mitursachen der Hilflosigkeit nicht auszuschließen. Die Mitursache muss nur wesentlich auf die Kriegsversehrtheit zurückgehen. Der Grundsatz, dass die versorgungsrechtlich erhebliche Ursachenkette mit dem Ende des schädigenden Ereignisses, d.h. mit dem Bewirken der gesundheitlichen Schädigung und der unmittelbar an sie geknüpften gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen abgeschlossen ist, gilt nicht für den Tatbestand der Hilflosigkeit (BSG a.a.O., m.w.N.).
Wird die Pflege bisher im häuslichen Bereich durchgeführt und tritt eine weitere, die Unterbringung in einem Heim erfordernde, Gesundheitsstörung - wie hier - hinzu, ist unter Beachtung der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung zu prüfen, ob die weitere Gesundheitsstörung - wie die Kläger meinen - dem anerkannten Kriegsleiden zugerechnet werden kann (a) oder ob es sich um eine schädigungsunabhängige Gesundheitsstörung handelt (b). Liegt die Variante zu b) vor, findet § 35 Abs. 6 BVG keine Anwendung. Die Frage, ob sich ein weiteres Leiden aus einem Kriegsleiden entwickelt hat oder ob es sich um eine eigenständige schadensunabhängige Gesundheitsstörung handelt, ist eine medizinische Frage, die nur von einem qualifizierten medizinischen Sachverständigen beantwortet werden kann.
Der Senat hat die Kausalitätsfrage durch das von Amts wegen eingeholte medizinische Sachverständigengutachten der Frau Prof. Dr. St. vom April 2002 geklärt. Hiernach steht zu seiner Überzeugung fest, dass die auf die kriegsbedingte Blindheit zurückzuführende Hilflosigkeit des VB nicht als wesentliche Ursache für dessen dauernde Heimpflege anzusehen ist. Weiterhin hält es der Senat für medizinisch geklärt, dass die von der Sachverständigen als überwiegend wesentlich für die Heimpflege angesehene Demenz vom Alzheimerschen Typus nicht als ein Folgeleiden des durch ein Schädel-Hirn-Trauma verursachten Kriegsleidens anerkannt werden kann, mit diesem also nicht ursächlich in Verbindung zu bringen ist. Der Senat folgt den Erkenntnissen der medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. St., die mit geronto-psychiatrischen Fragen als Leiterin einer entsprechenden Fachklinik besonders vertraut ist. Ihr Gutachten lässt keine Mängel, Inkompetenz oder Unschlüssigkeit erkennen. Mit ihrer Auffassung und der der kompetenten Beratungsärzte des Beklagten geht auch der Senat davon aus, dass die eine ständige Heimbehandlung des VB erfordernde Hilflosigkeit nicht ursächlich auf die bei ihm anerkannte Kriegsbeschädigung zurückzuführen ist. Die Sachverständige erklärt das damit, dass es sich bei der über viele Jahre fortschreitenden Demenz vom gemischten Typ um eine eigenständige Erkrankung handele, die sich wahrscheinlich auf dem Boden einer Arteriosklerose entwickelt habe. Ein erhöhtes Risiko für eine Demenz nach dem im Kriege erlittenen Schädel-Hirn-Trauma schließt sie nach den ihr bekannt gewordenen Studien, aus denen sie zitiert, aus. Außerdem weist sie auf eine der Gutachterin Dr. D. nicht bekannt gewesene Computertomographie des Kopfes aus dem Jahre 1992 hin, die ein ischämisches Ereignis (Schlaganfall) im Jahre 1991 sehr wahrscheinlich mache, während sich Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas 1942 nicht mit Sicherheit nachweisen ließen. Neben der aus dem Schlaganfall zu schließenden Arteriosklerose nennt die Sachverständige andere Risikofaktoren des VB, die eine gemischte Form der Demenz vom Alzheimer-Typ mit vaskulären Ursachen wahrscheinlich machten. Das Gutachten der Prof. Dr. St. überzeugt den Senat mehr als das gewissenhaft von ihr widerlegte Gutachten der Dr. D. Er hält ihr Gutachten auch deshalb für nachvollziehbar, weil sich der dem Senat zugänglichen populärwissenschaftlichen medizinischen Literatur (u.a. "Der Gesundheitsbrockhaus", 5. Auflage - 1999, Stichwort Alzheimer-Demenz und Pschyrembel, 258. Aufl. - 1998, S. 51) entnehmen lässt, dass die Ursachen dieses Erkrankungsbildes bis heute unbekannt sind und dass zu den bekannten Risikofaktoren jedenfalls nach dem gegenwärtigen medizinischen Erkenntnisstand Schädel-Hirn-Traumen nicht zählen.
Nach alledem lässt sich nicht feststellen, dass der zur Heimpflege des VB führende Gesundheitszustand im Sinne der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung durch die kriegsbedingte Schädigung verursacht worden ist. Das Urteil des Sozialgerichts, das das anders gesehen hat, kann deshalb keinen Bestand haben. Es war, soweit es in dieser Streitfrage zu Gunsten der Kläger entschieden hat, aufzuheben.
Die Kostenentscheidung, die sich aus § 193 SGG ergibt, berücksichtigt, dass die Kläger mit einem Teil ihres Anspruchs, den der Beklagte durch sein Teilanerkenntnis im Schriftsatz vom 18. Januar 2001 anerkannt hat, Erfolg hatten.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.