Landessozialgericht NRW 10 Senat
Az.: L 10 SB 48/99
Datum: Beschluss vom 28. Juni 2002
Leitsätze:
1. Auf einen Antrag eines Sachverständigen auf richterliche Festsetzung der Vergütung für ein Gutachten kann das Gericht die Vergütung niedriger festsetzen als in der Vergütungsfestellung des Kostenbeamten, die mit dem Antrag auf gerichtliche Festsetzung "angefochten" wurde.
2. Bei Statusgutachten mit nicht durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad kann ein Stundensatz von unter 75 DM festgesetzt werden.
3. Zur Vergütung des Sachverständigen..
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -.
Auf die Beweisanordnung des Senats vom 16.02.2001 hat der Antragsteller (ASt) das augenärztliche Gutachten vom 27.04.2001 erstattet und dafür folgende Entschädigung geltend gemacht:
Gutachtergebühren 18 Stunden a 95,-- DM
1.710,00 DM
Sachkosten
160,30 DM
Schreibgebühren 15 Seiten a 4,-- DM
60,00 DM
Kopien und Handakten 30 Seiten a 1,-- DM
30,00 DM
-----------------
1.960,30 DM
zuzüglich 16 % MwSt
313.65 DM
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2.273,95 DM
Die Kostenbeamtin des Landessozialgerichts Nordrhein Westfalen (LSG NRW) hat mit Schreiben vom 13.12.2001 die geltend gemachte Entschädigung auf 1.388,52 DM festgestellt. Sie ist von einem Stundensatz von 75,-- DM und 13 Stunden für die Erstellung des Gutachtens ausgegangen. Für die Schreibgebühren hat sie 5,-- DM pro Seite angesetzt und den in Ansatz gebrachten Betrag von 30,-- DM für Kopien und Handakte nicht berücksichtigt. Bei der Ermittlung der Sachkosten hat die Kostenbeamtin für die Leistungsziffer 490 einen Betrag von 6,40 DM anstatt von 6,30 DM angesetzt. Die Sachkosten für die Leistungsziffer 1217 (Sehschule) hat sie abgelehnt und insgesamt für Sachkosten einen Betrag von 147,-- DM in Ansatz gebracht.
Hiergegen hat der ASt mit Schreiben vom 17.12.2001 richterliche Festsetzung beantragt.
II.
Der Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung ist gemäß § 16 Abs. 1 Gesetz über die Entschädigung von Zeugen, und Sachverständigen (ZSEG) zulässig. Die Entschädigung ist auf 988,32 DM (505,32 EUR) festzusetzen.
Gemäß § 3 Abs. 2 ZSEG beträgt die Entschädigung des Sachverständigen für jede Stunde der erforderlichen Zeit
50,--DM bis 100,-- DM, wobei für die Bemessung des Stundensatzes der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistungen, ein nicht anderweitig abzugeltender Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen und besondere Umstände maßgebend sind, unter denen das Gutachten zu bearbeiten war. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des LSG NRW (Beschlüsse vom 10.04.2000 - L 4 B 14/99 -; vom 31.07.2000 - L 4 B 8/00 -, vom 19.01.2001 - L 4 B 10/00 -) rechtfertigt eine Sachverständigenleistung, die normale Fachkenntnisse voraussetzt und keine wesentlichen Schwierigkeiten enthält, auch keinen besonderen technischen Aufwand verlangt und auch nicht unter schwierigen Umständen bearbeitet werden muss, keine über den Durchschnitt des Entschädigungsrahmens hinausgehende Entschädigung, so dass 75,-- DM pro Stunde angemessen sind.
Bei einem Gutachten, das in einem Verfahren auf Statusfeststellung nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) erstellt wird, handelt es sich vielfach um reine Zustandsgutachten ohne Kausalitätsbeurteilungen, die nach vorgenannter Rechtsprechung als von mittlerer Schwierigkeit zu bezeichnen sind. Der Senat tritt dem bei, denn in solchen Verfahren stellt der Sachverständige in der Regel auf der Grundlage von Anamnese, Befunderhebungen und Diagnosen medizinische Normabweichungen fest und schlägt dann unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem sozialen Entschädigungsrecht einen GdB vor. Kausalitätserwägungen sind dabei nicht notwendig. Etwas anderes gilt allerdings bei Gutachten mit umfassenden und vielschichtigen Überlegungen zu diagnostischen und ätiologischen Fragestellungen (so LSG NRW vom 19.01.2001 - L 4 B 10/00 -) oder ggf. Gutachten, in denen der Sachverständige nicht nur die psychischen und/oder physischen Normabweichungen beschreibt, sondern näher darlegt, inwieweit diese zu Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Derartige Ausführungen stehen den Kausalitätsbeurteilungen des sozialen Entschädigungsrechts (SER) oder der gesetzlichen Unfallversicherung nahe, denn maßgebend ist nach § 2 Abs. 1 SGB IX nicht irgendeine Teilhabebeeinträchtigung; rechtserheblich ist diese vielmehr nur dann, wenn sie kausal auf eine zuvor festgestellte physische und/oder psychische Normabweichung zurückgeführt werden kann. In einem solchen Fall liegt ggf. kein Gutachten mittlerer Schwierigkeit mehr vor; die Kausalitätserwägungen können es rechtfertigen, das Gutachten nunmehr als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten und damit eine Entschädigung von mehr als 75 DM (38,35 EUR) anzusetzen. Vergleichbares gilt, wenn der Sachverständige die einzelnen, durch die Normabweichung bedingten Teilhabebeeinträchtigungen (vgl. § 4 SGB IX) konkret beschreibt, eingehend in ihrem Zusammenwirken und ihrer wechselseitigen Beziehung zueinander würdigt (vgl. § 69 Abs. 3 SGB IX) und hieraus mit abgewogener und nachvollziehbarer Begründung einen "Gesamt-GdB" vorschlägt. Ein überdurchschnittlich schwieriges Zustandsgutachten kann ferner dann vorliegen, wenn der Sachverständige namentlich bei neurologisch-psychiatrischen Fragestellungen medizinische Normabweichungen durch aufwendige Verfahren von Simulation bzw. Aggravation abgrenzt oder ein GdB nur mittels eines hohen Begründungsaufwandes konkretisiert werden kann.
Eine über den Mittelwert von 75 DM (38,35 EUR) hinausgehende Entschädigung käme hier schon deswegen nicht in Betracht, weil das Gutachten des Antragstellers diesen Anforderungen nicht ansatzweise genügt. Es handelt sich um ein reines Zustandsgutachten ohne Kausalitätserwägungen. Teilhabebeeinträchtigung hat der Sachverständige nicht beschrieben; rechtlich unerheblich ist dabei, dass dies schon deswegen nicht möglich war, weil er ophthalmologisch keine Normabweichungen festgestellt hat. Zwar hat der Antragsteller mitgeteilt, es habe sich kein sicherer Anhalt für eine Aggravation ergeben, indessen rechtfertigt allein dies nicht die Annahme, es handele sich um ein überdurchschnittlich schwieriges Zustandsgutachten. Zum einen ist diese Wertung rechtlich nicht beachtlich, weil der Antragsteller ohnehin keine Normabweichung festgestellt hat. Zum anderen hat der Antragsteller nicht nachvollziehbar begründet, wie er überprüft hat, ob und inwieweit der Kläger aggraviert. Sollte dies nur der "Eindruck" des Antragstellers sein, belegt dies ohnehin, dass insoweit keine höhere Entschädigung gerechtfertigt ist.
Im übrigen ist aber auch keine Entschädigung nach dem Mittelwert von 75 DM (38,35 EUR), gerechtfertigt. Der Antragsteller hat ein unterdurchschnittlich schwieriges Gutachten verfasst. Wären eine Reihe von Organen oder gar Organsystemen Gegenstand der Untersuchung, läge es zwar nahe, die Entschädigung am Mittelwert zu orientieren (z.B. Untersuchung mehrerer innerer Organe); geht es jedoch lediglich um ein Organ, kann es angezeigt sein, die Entschädigung deutlich niedriger anzusetzen. So liegt es hier. Zu begutachten war nur ein Funktionssystem. Es handelt sich um eine reine "Punktsache". Die Diagnose der zu beurteilenden Krankheiten war leicht zu stellen. Gegenstand der Begutachtung war lediglich das begrenzte Funktionssystem "Auge" (hierzu AHP Nr. 18 Abs. 4). Zudem sind zur Befunderhebung nur messtechnische Untersuchungen durchgeführt worden (S. 6 bis 13), für deren Auswertung keine besondere augenärztliche Fachkunde notwendig war. Für ein unterdurchschnittlich schwieriges Gutachten spricht überdies, dass das Ergebnis der messtechnischen Untersuchungen auf lediglich 1 1/2 Seiten zusammengefasst und beurteilt werden konnte.
Der Senat setzt die Entschädigung bei unterdurchschnittlich schwierigen Gutachten - wie hier - grundsätzlich auf 62,50 DM fest. Dies entspricht dem Durchschnitt aus dem unteren Bereich des Entschädigungsrahmens von 50 DM bis 75 DM.
Der Entschädigungsanspruch des Antragstellers ist um weitere 10 DM je Stunde zu reduzieren. Anerkannt ist, dass ein Entschädigungsanspruch dann entfällt, wenn ein Gutachten durch inhaltliche Mängel, die der Sachverständige verschuldet hat, unverwertbar geworden ist; das ist beispielsweise dann gegeben, wenn das Gutachten nicht dem Auftrag des Gerichts entspricht (Meyer/Höver/Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, 21. Auflage, 2000, § 3 Rdn. 12.4 m.w.N.). Der Senat ergänzt diesen Ansatz wie folgt: Ist das Gutachten zwar noch verwertbar, indessen nur mit geminderter Beweiskraft, so bleibt der Entschädigungsanspruch dem Grund nach zwar bestehen, er ist indessen zu kürzen; pauschalierend setzt der Senat das Kürzungsvolumen dabei mit 10 DM je Stunde an.
Der Antragsteller hat für die Fertigung des Gutachtens auftragswidrig seinen Chefarzt, Prof. K., hinzugezogen. Demgemäss haben sowohl Prof. K. als Leitender Oberarzt der Klinik als auch der Antragsteller in seiner Funktion als Oberarzt das Gutachten jeweils unter dem Passus "einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Beurteilung" unterzeichnet. Ein derartiges Gutachten kann im Wege des Sachverständigenbeweises nur noch schwerlich genutzt werden (vgl. BSG SozR 1500 § 128 Nr. 24, 33). Nach derzeitiger Einschätzung geht der Senat zugunsten des Antragstellers aber davon aus, dass dieses auftragswidrig gefertigte Gutachten jedenfalls im Wege des Urkundsbeweises mit - allerdings geminderter - Beweiskraft verwertet werden kann. Daher ist die Entschädigung - wie dargestellt - um weitere 10 DM auf nunmehr 52,50 DM zu kürzen.
Für die Erstattung des Gutachtens ist ein Zeitaufwand von lediglich 12 Stunden zu entschädigen.
a. Für das Sichten der Akten (ca. 300 Blatt) sind keinesfalls mehr als 6 Stunden anzusetzen. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des LSG NRW (vgl. schon Beschluss vom 22.07.1980 - L 5 11/80 -) kann ein durchschnittlich befähigter medizinischer Sachverständiger etwa 50 Seiten mit medizinischen Angaben durchsetztes Aktenmaterial in einer Stunde erfassen (a.A. z.B. LSG Baden-Württemberg vom 27.09.2001 - L 12 U 1404/01 KO-A: eine Stunde für 200 Blatt). Der Senat hält die Annahme, es könnten lediglich 50 Seiten/Stunde erfaßt werden, für eher fernliegend und neigt dazu, hier einen höheren Wert anzusetzen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit geht der Senat dennoch zunächst weiterhin davon aus, dass lediglich ca.50 Seiten/Stunde erfaßt werden können.
b. Ein über zwei Stunden hinausgehender Zeitaufwand für die Untersuchung des Klägers kommt gleichermaßen nicht in Betracht. Maßgebend dabei ist der für die Untersuchung erforderliche Zeitaufwand. Dieser ist naturgemäß nur schwerlich exakt zu bestimmen, da er von einer Vielzahl individueller Umstände abhängt. Der Senat schätzt den notwendigen Zeitaufwand auf zwei Stunden. Denn ihm ist aus einer Reihe anderer Streitverfahren, in denen augenärztliche Gutachten eingeholt worden sind, bekannt, dass die beauftragten Sachverständigen hierfür überwiegend in etwa zwei Stunden ansetzen.
c. Für die Abfassung des Gutachtens kann gleichermaßen lediglich ein Zeitaufwand von zwei Stunden berücksichtigt werden. Maßgeblich hierfür ist vornehmlich der Inhalt des Gutachtens, in dem Grad und Intensität sowie Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommen. Hierdurch wird die eigentliche Gedankenarbeit im Zusammenhang mit der Auswertung der Befunde, deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen sowie die diktatreife Vorbereitung des Konzepts abgegolten. Dieser Teil umfasst die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen sowie die diktatreife Vorbereitung des Konzepts. Die Durchsicht des Gutachtens des ASt zeigt, dass die Seiten 1 und 2 als Deckblatt und Wiedergabe der Beweisfragen keinen gutachtlichen Inhalt haben, auf den Seiten 3 bis 12 folgen Beschwerdeschilderungen, Anamnese und der Untersuchungsbefund. Die Ausführungen von Seite 14 mitte bis 15 befassen sich mit datenschutz- und urheberrechtlichen Fragen. Der Zeitaufwand für die Abfassung der Beschwerdeschilderung, Anamnese und die Wiedergabe der Untersuchungsbefunde überschneidet sich erfahrungsgemäß weitgehend mit dem gesondert berücksichtigten Aufwand für Aktenstudium und Untersuchung, weil der Akteninhalt regelmäßig während der Aktendurchsicht und die Angaben des Untersuchten sowie die Untersuchungsbefunde während der Exploration und Untersuchung festgehalten werden. Erst die wesentliche gedankliche Arbeit des Gutachtens, die Auswertung der Befunde und die Beantwortung der Beweisfragen, die auf Seite 13 und 14 des Gutachtens des ASt enthalten sind, dürfte mehr Zeit in Anspruch genommen haben (LSG - Baden-Württemberg - Beschluss vom 27.09.2001 - L 12 U 1404/01 KO -). Diese Arbeit kann von einem erfahrenen Gutachter in 2 Stunden erledigt werden.
d. Für Diktat und Korrektur des Gutachtens (15 Schreibmaschinenseiten) ist ein Zeitaufwand von max. 2,5 Stunden erforderlich. Dabei wird davon ausgegangen, dass in der Regel Diktat und Durchsicht einen Zeitaufwand von etwa 1 Stunde für 6 Gutachtenseiten erfordern. Dies ergibt bei einem Gutachten von 15 Seiten 2,5 Stunden, aufgerundet 3 Stunden (ständige Rechtsprechung des LSG NRW seit Beschluss vom 06.06.1980 -L 5 S 26/1979-)
e. Hieraus resultiert - pauschaliert - ein Zeitaufwand von 13 Stunden. In seiner Einlassung vom 14.05.2002 hat der Antragsteller allerdings erklärt, lediglich 12 Stunden angesetzt zu haben. Das trifft zwar nicht zu, denn in der Rechnung 130/8759 hat er einen Zeitaufwand von 18 Stunden behauptet. Der Senat geht dem nicht weiter nach, denn wenn der Antragsteller nunmehr "nur" von einem Zeitaufwand von 12 Stunden ausgeht, besteht keinerlei Anlass, die Entschädigung auch nur nach einem Aufwand von 13 Stunden zu berechnen
Sachkosten waren in Höhe von 147,-- DM zu erstatten. Für die Leistungsziffer 490 (Oberflächenanästhäsie) war ein Betrag von 6,40 DM anstatt 6,30 DM anzusetzen. Die in Rechnung gestellten Kosten für die Leistungsziffer 1217 (Sehschule) in Höhe von 13,40 DM sind außer Acht zu lassen, weil sie bereits durch den Zeitaufwand für die Untersuchung mit abgegolten sind.
Neben den Schreibgebühren von 4,-- DM pro Seite (§ 8 Abs. 1 Ziffer 3 ZSEG) ist gemäß § 115 Gerichtskostengesetz, Anlage 1 Nr. 9000 noch 1,-- DM pro Kopie für die Handakte des Antragstellers anzusetzen. Weitere Kopien hat der Senat nicht verlangt.
Die Gesamt-Entschädigung ist wie folgt festzusetzen:
12 Stunden je 52,50 DM
630,-- DM
Sachkosten
147,-- DM
Schreibgebühren 15 Seiten a 5,-- DM
75,-- DM
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852,-- DM
zzgl. 16 % MwSt
136,32 DM
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988,32 DM
(505,32 EUR)
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 16 Abs. 2 Satz 4 ZSEG).