LSG NRW
Az.: L 6 SB 137/01 LSG NW
Datum der Entscheidung : 12. März 2002
Leitsatz:
1. Zur Einstufung eines Fibromyalgiesyndroms.
2. Als Vergleichsmaßstab kommen bei einem Fibromyalgiesyndrom wie auch bei anderen Krankheitsbildern (z.B. chronischesMüdigkeits-Syndrom, Multiple chemical sensivitiy) mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung,Leistungseinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder kein primär organischer Befund zugrunde liegt, amehesten die in Nr. 26.3, Seite 60 der AP unter "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen"genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeitund evtl. sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht (Niederschrift über die Tagung der Sektion"Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 25. bis 26.11.1998).
Entscheidungsgründe (Auszug):
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 (§ 3 SchwbG bzw. §§ 2, 69 SGB IX). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kommt ein höherer GdB als 40 nicht in Betracht.
Ganz im Vordergrund steht bei der Klägerin das Erkrankungsbild des "Ganzkörperschmerzes" (so Dr. R.) bzw. der "Panalgesie als Maximalvariante des FMS" (so Dr. H.). Dabei kann offen bleiben, ob bei der Klägerin die von Dr. H. gestellte Diagnose einer Panalgesie überhaupt zutreffend ist angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Dr. B., dass ein generalisiertes FMS bei relativ schwacher Ausprägung der Tender points wie auch der vegetativen Symptomeund funktionellen Störungen bei der Klägerin nicht nachweisbar sei. Denn für die Bewertung des GdB bei einem FMS ist nicht die Diagnose ausschlaggebend, damit auch nicht, ob es sich etwa um eine Maximalvariante eines FMS handelt, sondern entscheidend ist das tatsächliche Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung unter Berücksichtigung der jeweiligen Organbeteiligung und der Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, AP Nr. 26.18, Seite 136. Dabei nennen die AP für dieBewertung des FMS keine speziellen GdB-Werte, so dass sich der GdB hierfür in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen beurteilt, AP Nr. 26.1, Seite 48.
Der von Dr. H. angenommene GdB von 50 für das FMS in Ausprägung einer Panalgesie und damit verbundener sekundärer neurotisch-depressiven Entwicklung lässt sich nicht aus den nach den AP für entzündlich-rheumatische Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule (z.B. Bechterew-Krankheit) maßgeblichen Bewertungskriterien (AP Nr. 26.18, Seite 135 f.) herleiten. Zwar ist das FMS in Nr. 26.18 der AP den rheumatischen Erkrankungen zugeordnetworden. Dabei sind die AP der Systematik der ICD (International Classifikation of Deseases) - 10 - gefolgt, in der das FMS unter "anderen, nicht näher bezeichneten Weichteilerkrankungen" aufgeführt ist (Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung -BMA- vom 28. bis 29.02.1999). Dies rechtfertigt es aber nicht, für die Bewertung des FMS die für entzündlich-rheumatische Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule (z.B. Bechterew-Krankheit) geltenden GdB-Werte zu übernehmen, wie es Dr. H. getan hat. Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kommt ein GdB von 50 nur bei dauernden erheblichen Gelenkbeteiligungen in Betracht. Denn maßgeblich für die Bewertung ist u.a. Art undUmfang des Gelenkbefalls. Eine solche Gelenkbeteiligung oder anderweitige Organbeteiligung ist bei der Kläger nicht gegeben. So hatte die Universität Köln, Innere, im Bericht von Juli 1999 ausgeführt, dass in Zusammenschau aller erhobenen Befunde eine entzündlich-rheumatische Erkrankung ausgeschlossen werden konnte. Und Dres. R. und B. hatten im Rahmen ihrer Begutachtung festgestellt, dass aus organneurologischer Sicht keine krankhaften Veränderungenvorliegen bzw. rein orthopädisch ausschließlich ein Wirbelsäulen-Syndrom mit leichtgradiger Funktionseinschränkung vorliegt, alle Körpergelenke aber durchgehend frei beweglich sind. Allein die Schmerzsymptomatik, die sich im wesentlichen auf subjektive Empfindungen der Klägerin gründet, rechtfertigt es nicht, den für entzündlich-rheumatische Erkrankungen vorgesehenen GdB von 50 zu übernehmen.
Als Vergleichsmaßstab kommen bei einem FMS wie auch bei anderen Krankheitsbildern (z.B. chronischesMüdigkeits-Syndrom, Multiple chemical sensivitiy) mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung,Leistungseinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder kein primär organischer Befund zugrunde liegt, amehesten die in Nr. 26.3, Seite 60 der AP unter "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen"genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeitund evtl. sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht (Niederschrift über die Tagung der Sektion"Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 25. bis 26.11.1998). Hiernach ist fürleichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein Bewertungsrahmen von 0 bis 20 vorgesehen. Ein GdB von 30bis 40 ist erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit(z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mitKrankheitswert, somatoforme Störungen) gegeben. Ein GdB von 50 kann erst bei schweren Störungen (z.B. schwereZwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Ansatz gebracht werden (AP Nr. 26.3, Seite60 f.).
Unter Berücksichtigung dieser Bewertungskriterien ist der von Dr. H. für das FMS vorgeschlagene GdB von 50 als überhöht anzusehen. Denn das von Dr. H. beschriebene generalisierte Schmerzbild, das mit einer neurotisch-depressiven Entwicklung einhergeht, kann nicht mit schweren Störungen mit mittelgradigen sozialenAnpassungsschwierigkeiten gleichgestellt werden. Die Klägerin ist nach wie vor selbständig im Schaustellergewerbe beruflich tätig - von einem Verkauf ihres Gewerbes hat sie bisher Abstand genommen - und führt ein intaktes Familienleben. Insofern kann schon deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass es wegen der fibromyalgischen Erkrankung, z.B. durch einen Rückzug im Berufs- oder Privatleben, zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten gekommen ist. Unter Berücksichtigung der Feststellungen von Dr. R., dass bei der Klägerin eine depressive Störung mit einer Entwicklung von Krankheitswert, insbesondere eine ausgeprägte somatoforme Störung, vorliegt, und unter Würdigung sämtlicher medizinischer Unterlagen mit besonderer Berücksichtigung der von der Klägerin gegenüber den Sachverständigen gemachten Beschwerdeangaben und des erhobenen psychopathologischen Befundes erscheint aber auch eine Gleichstellung mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen als den Einschränkungen der Klägerin nicht gerecht werdend. Vielmehr sind die bei der Klägerin mit der fibromyalgischenErkrankung einhergehenden Begleiterscheinungen am ehesten mit stärker behindernden Störungen zu vergleichen, so dass hierfür innerhalb des Bewertungsrahmens von 30 bis 40 ein GdB von 30, wie Dr. R. es angeraten hat, in Ansatz gebracht werden kann.
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