LSG NRW – Beschluss vom 20.02.2003 – Az.: L 6 B 21/02 SB

 

 

1. Zum Anspruch auf Beiordnung eines neuen, weiteren Rechtsanwalts (Mandatswechsel) im PKH- Verfahren.

 

2. Ein Verlangen des Klägers auf Beiordnung eines zweiten Rechtsanwalts im PKH- Verfahren ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn der Kläger das Vertragsverhältnis zu seinem ersten Anwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten zerstört und damit die Entpflichtung dieses Anwalts verursacht .

 

3. Ein sachlich gerechtfertigter Grund für einen Mandatswechsel besteht nicht, wenn ein verständiger Prozessbeteiligter, der den Prozess auf eigene Kosten führen müsste, einen Mandatswechsel nicht vorgenommen hätte.

 

4. Die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung im sozialgerichtlichen Verfahren beurteilt sich im Einzelfall insbesondere danach, ob die Sach- und Rechtslage schwierig oder schwer zu übersehen ist . Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das PKH- Gesuch. Ist zu diesem Zeitpunkt die Beweisaufnahme abgeschlossen und der Rechtsstreit entscheidungsreif, so besteht in der Regel kein Erfordernis mehr einen Anwalt beizuordnen.

 

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Kläger hat in dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft begehrt. Für das erstinstanzliche Klageverfahren ist ihm mit Beschluss des SG vom 05. Juli 2001 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt G...... gewährt worden. Dieser hat am 07.09.2001 mitgeteilt, dass der Kläger ihm das Mandat entzogen habe. Die beigefügte PKH-Schlussabrechnung hat der Kostenbeamte des SG antragsgemäß beglichen. Am 10.09.2001 hat sich Rechtsanwalt L........ als Prozessbevollmächtigter für den Kläger bestellt. Auf Anfrage des Gerichts von Anfang Januar 2002, ob die Klage im Hinblick auf das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zurückgenommen werde, hat Rechtsanwalt L........ Ende März 2002 einen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt. Mit Schriftsatz vom 15.07.2002 hat er weiterhin beantragt, "dem Kläger für das vorliegende Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe zu gewähren". Diesen Antrag hat er auch nach Rücknahme der Klage am 27.08.2002 aufrechterhalten. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Kläger Rechtsanwalt G...... das Mandat entzogen habe, weil das Vertrauensverhältnis erschüttert gewesen sei. Rechtsanwalt G...... habe in einem arbeitsgerichtlichen Prozess für den Kläger einen außergerichtlichen Vergleich abgeschlossen, der womöglich eine viel zu niedrige Abfindung enthalten und zur Verhängung einer Sperrzeit durch das Arbeitsamt geführt habe. Die Zustimmung zu diesem Vergleich sei vom Kläger lediglich deshalb erteilt worden, weil er keine andere Möglichkeit gesehen habe.

 

Das SG hat mit Beschluss vom 11. November 2002 den "Antrag des Klägers, ihm im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe unter Aufhebung der Beiordnung des Rechtsanwalts R. G...... Herrn Rechtsanwalt K...-M...... L........ beizuordnen", abgelehnt. Zur Begründung hat es angeführt, dass ein Anspruch auf Beiordnung eines neuen Rechtsanwalts nur dann bestehe, wenn die Mandatsentziehung gegenüber dem vorigen Anwalt auf einem triftigen Grund beruhe. Dies sei hier nicht der Fall. Im Hinblick insbesondere darauf, dass Rechtsanwalt G...... die Zustimmung des Klägers zu dem im Arbeitsgerichtsprozess abgeschlossenen Vergleich eingeholt habe, könne eine nachträgliche Unzufriedenheit des Klägers nicht als triftiger Grund angesehen werden.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt.

 

Soweit der Kläger - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - ausdrücklich beantragt hat, ihm "ratenfreie PKH zu gewähren", geht dieser Antrag ins Leere, da der frühere PKH-Beschluss des SG vom 05.07.2001 weiterhin Bestand hat. Eine einmal erfolgte Bewilligung der PKH hat Wirkung für das gesamte Verfahren des jeweiligen Rechtszugs (§ 73 a Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 119 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Entpflichtung eines zunächst beigeordneten Rechtsanwalts beeinflusst die Bewilligung von PKH nicht. Dies verdeutlicht die Gesetzessystematik der ZPO, die bewusst und sachgerecht Bewilligung (§ 119 ZPO) und Beiordnung (§ 121 ZPO) trennt, da die PKH zur Deckung der anfallenden Gerichtskosten auch ohne Beiordnung eines Rechtsanwalts möglich ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Eine Aufhebung bzw. Abänderung des Beschlusses durch das Gericht sieht die ZPO ausdrücklich nur bei Änderung der maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (§ 120 Abs. 4 ZPO) oder schweren Verstößen der Partei (§ 124 ZPO) vor. Im übrigen endet die Bewilligung der Prozesskostenhilfe mit Abschluss des Rechtszuges, mit dem Ausscheiden der Partei, der PKH bewilligt worden war oder mit deren Tod (Thomas-Putzo/Reichel, ZPO, 24. Aufl. 2002, Rdnr. 5 zu § 119). Im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem Ziel des Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen der Kostenfreiheit des Verfahrens lediglich die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 73 a Rdnr. 9), gilt nichts anderes, da gemäß § 73 a SGG die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO über die Prozesskostenhilfe entsprechend anzuwenden sind.

 

Auch wenn man den Antrag des Klägers - wie das SG nach dem Tenor des angefochtenen Beschlusses - als Antrag auf Beiordnung eines anderen Anwalts auslegt, kann diesem nicht stattgegeben werden.  Der Antrag scheitert dabei nicht daran, dass das SG Rechtsanwalt G...... nicht ausdrücklich entpflichtet hat. Dieser Anwalt war gemäß § 48 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung berechtigt, die Aufhebung seiner Beiordnung zu beantragen, nachdem der Kläger ihm das Mandat entzogen hatte. Dem entsprechend ist die von ihm im September 2001 eingereichte PKH-Schlussabrechnung auszulegen. Die antragsgemäße Erstattung der geltend gemachten Gebühren und die in der Folgezeit ausschließlich mit Rechtsanwalt L........ vorgenommene Korrespondenz durch das SG beinhaltet stillschweigend die Entpflichtung von Rechtsanwalt G.......

 

Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwalt L........ sind aber nicht erfüllt.  Gem. § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ist Voraussetzung für eine Beiordnung in Verfahren ohne Anwaltszwang, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

 

Die Frage der Erforderlichkeit beurteilt sich im Einzelfall insbesondere danach, ob die Sach- und Rechtslage schwierig oder schwer zu übersehen ist (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr.9b zu § 73 a; Thomas-Putzo, a.a.O., Rdnr. 6 zu § 121). Dies war zum Zeitpunkt der Antragstellung (Juli 2002) und erst recht zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag (November 2002) nicht der Fall. Im Juli 2002 war die im Rahmen der Amtsermittlung vorzunehmende Beweisaufnahme lange abgeschlossen und die Streitsache ohne Aussicht auf Erfolg für den Kläger entscheidungsreif. Dies hatte das SG dem Kläger auch bereits Anfang Januar 2002 mitgeteilt. Darüber hinaus ist der Kläger ausweislich des Schreibens von Rechtsanwalt L........ vom 22. März 2002 über die weitere prozessuale Möglichkeit der Antragstellung gemäß § 109 SGG informiert worden. Ist dem Kläger die Sach- und Rechtslage - wie hier - voll umfänglich bekannt, so kann die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht als erforderlich angesehen werden. Dieser prozessualen Lage hat der Kläger schließlich auch im August 2002 durch Rücknahme der Klage Rechnung getragen.

 

Das Verlangen des Klägers auf Beiordnung von Rechtsanwalt L........ ist darüber hinaus als rechtsmissbräuchlich anzusehen.

 

Rechtsmissbrauch liegt dann vor, wenn der Kläger das Vertragsverhältnis zu seinem Anwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten zerstört und damit die Entpflichtung dieses Anwalts verursacht (BGH, Beschluss vom 31.10.1991, XII ZR 212/90 = NJW-RR 1992, 189). So liegt der Fall hier. Ein sachlich gerechtfertigter Grund für den Mandatswechsel bestand nicht. Ein verständiger Prozessbeteiligter, der den Prozess auf eigene Kosten führen müsste, hätte einen Mandatswechsel nicht vorgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 31.12.1991, XII ZR 212/90; BSG, Beschluss vom 22.04.1999, B 9 VG 16/98 B). Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, genügen die Gründe, die den Kläger bewogen haben, Rechtsanwalt G...... das Mandat zu entziehen, objektiv sachlichen Kriterien nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es dem Kläger möglich gewesen wäre, in seinem arbeitsgerichtlichen Prozess einen besseren Vergleich abzuschließen. Eine derartige Prüfung, von Inhalt und Ergebnis des in einem anderen Verfahren abgeschlossenen Vergleichs würde die Prüfung eines Mandatswechsels innerhalb der Prozesskostenhilfe überfordern. Dies gilt um so mehr, als sich ohnehin im Nachhinein schwierig feststellen lässt, welche Erwägungen die Beteiligten dazu bewogen haben, den Vergleich gerade mit diesem und nicht mit einem anderen Inhalt zu schließen. Der Entzug des Mandats ist vielmehr nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn grobe Pflichtverletzungen des beauftragten Rechtsanwalts offenkundig sind. Solche Mängel der Prozessführung durch Rechtsanwalt G...... führt der Kläger nicht an. Insbesondere hat Rechtsanwalt G...... vor Abschluss des Vergleichs im arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit  die Zustimmung des Klägers eingeholt. Damit aber ist es nicht gerechtfertigt, die Landeskasse erneut zu belasten und den Wechsel der Beiordnung für begründet zu erachten.

 

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).