LSG NRW – Urteil vom 30.07.2003 – Az.: L 10 SB 28/03

 

 

1. Sowohl ein rechtsunkundiger Kläger als auch ein rechtskundig vertretener Kläger muss in der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG (Ankündigung eines Gerichtsbescheides) zumindest darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt.

 

2. Ein Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn das Ergebnis der Beweisaufnahme im Tatbestand nicht (wenigstens kurz) dargestellt wird. Dieser Mangel wird auch nicht dadurch geheilt, dass das SG hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf die eingeholten Gutachten bzw. auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug nimmt.

 

3. Folgt das Gericht in den Entscheidungsgründen der Auffassung eines Sachverständigen, so genügt es nicht, wenn zur Begründung des Urteils lediglich  Sachverstand und Erfahrung des Sachverständigen angeführt werden.

 

 

 

Tatbestand

 

 Der am 25.04.1946 geborene Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

 

Mit Bescheid vom 02.07.1996 stellte der Beklagte bei dem Kläger einen GdB von 30 fest. Dieser Entscheidung lag die gutachtliche Stellungnahme vom 05.05.1996 zu Grunde, die folgende Beurteilung enthält:

 

     1. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden Beschwerden, Schulter-Arm-Syndrom = GdB 20

 

     2. Knie- und Hüftgelenksarthrose = GdB 10

 

     3. Chronische Bronchitis = GdB 20

 

     4. Magenleiden, Leberschaden = GdB 10

 

     5. Herz-Kreislaufbeschwerden bei seelischer Beeinträchtigung = GdB 10.

 

Einen Änderungsantrag des Klägers vom Dezember 1998 der lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, dass die neu aufgetretene Funktionsbeeinträchtigung "Chronische Bronchitis, Schlafapnoe-Syndrom mit Maskenbeatmung" nicht zu einer Erhöhung des bisher festgestellten GdB führe (Bescheid vom 07.04.1999).

 

Am 02.03.2000 beantragte der Kläger, einen höheren GdB festzustellen. Zur Begründung gab er an, die von den Wirbelsäulenveränderungen ausgehenden Beschwerden hätten sich verschlimmert; er leide an Dauerschmerzen im Schulter-, Arm- und Rückenbereich sowie an beiden Knien. Die wegen des Schlafapnoe-Syndroms erforderliche Maskenbeatmung sei nicht erfolgreich; es bestünden erheblich beeinträchtigende Auswirkungen; zudem hätten sich die Herzbeschwerden verschlimmert.

 

Der Beklagte holte einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin S. ein. Nach gutachtlicher Stellungnahme lehnte er den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 17.04.2000 ab. Auf Widerspruch des Klägers veranlasste der Beklagte eine Untersuchung des Klägers durch den Vertragsarzt Dr. L.. Dieser gelangte zu folgende Beurteilung (Gutachten vom 30.10.2000):

 

     1. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit rezidivierenden  Beschwerden, Schulter-Arm-Syndrom = GdB 20

 

     2. Knie- und Hüftgelenksarthrose = GdB 10

 

     3. Chronische Bronchitis, Schlafapnoe-Syndrom mit Maskenbeatmung = GdB 20

 

     4. Herz-Kreislaufbeschwerden, Rhythmusstörungen = GdB 10

 

     5. Hirnleistungsschwäche = GdB 20

 

 Dem Vorschlag des Dr. L. folgend stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 06.11.2000 einen GdB von 40 fest und wies den weitergehenden Widerspruch nach ergänzender versorgungsärztlicher Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2001 zurück.

 

Mit seiner Klage vom 23.04.2001 hat der Kläger einen GdB von mindestens 50 begehrt.

 

Der Kläger hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,

 

     den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.04.2000 in der Fassung
     des Bescheides vom 06.11.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2001 zu verurteilen, den GdB ab
     02.03.2000 mit mindestens 50 fest zusetzen.

 

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

     die Klage abzuweisen.

 

Das Sozialgericht (SG) Münster hat einen Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin S. und Gutachten von dem Internisten und Sozialmediziner Dr. N., dem Orthopäden Dr. J. sowie auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie Prof. Dr. St. eingeholt. Dr. J. (Gutachten vom 15.03.2002) hat Wirbelsäulenveränderungen einen GdB von 20 und Beinveränderungen (Knie und Krampfaderbildung) sowie Armveränderungen (Schulter- und Ellebogengelenke) jeweils einen GdB von 10 zugemessen. Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 15.04.2002 ein gemischtförmiges Schlafapnoe-Syndrom mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung mit einem GdB von 20, eine chronisch rezidivierende Bronchitis mit einem GdB von 10, leichtgradige Herzrhythmusstörungen mit einem GdB von 10 sowie eine Hirnleistungsschwäche mit einem GdB von 20 beschrieben. Den Gesamt-GdB hat er unter Berücksichtigung der Feststellungen des Dr. J. mit 40 eingeschätzt. Prof. Dr. St. (Gutachten vom 07.10.2002) hat demgegenüber ausgeführt, es liege keine chronische Bronchitis, sondern ein intrinsisches Asthmabronchiale vor. Dieses bedinge auf Grund der dauerhaften Lungenfunktionseinschränkung und der häufig schon nach moderater Belastung auftretenden Luftnot einen GdB von 20 und sei getrennt von dem Schlafapnoe-Syndrom zu berücksichtigen. Die Auswirkungen des Asthma bronchiale bestünden nämlich in Luftnot und einer körperlichen Leistungseinschränkung; dagegen wirke sich das Schlafapnoe-Syndrom im Bereich der Vigilanz und der Konzentrationsfähigkeit aus. Schlafapnoe-Syndrom und Hirnleistungsstörungen seien zusammenzufassen, da die Auswirkungen beider Leiden ähnlicher Natur seien. Beide äußerten sich in Tagesmüdigkeit und in einer Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit und des Gedächtnisses. Diesen Beeinträchtigungen sei ein GdB von 30 zuzumessen. Daneben bestünden die Auswirkungen des Asthma bronchiale und die Wirbelsäulen- bzw. Gelenkbeschwerden, die jeweils zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um 10 führten, sodass der Gesamt-GdB 50 betrage. Dazu hat Dr. N. ausgeführt (19.12.2002), er habe keine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion feststellen können. Auch wenn man von dem Krankheitsbild eines Bronchialasthmas ausgehe, komme allenfalls ein schwacher Einzel-GdB von 20 in Betracht, weil offensichtlich bislang eine entsprechende medikamentöse Therapie nicht erforderlich gewesen und das Krankheitsbild auch im letzten hausärztlichen Befundbericht nicht aufgeführt worden sei. Deshalb komme er zu der Einschätzung, dass bei einem GdB von 30 für den Komplex Schlafapnoe-Syndrom / Hirnleistungsstörungen, einem GdB von 20 für den orthopädischen Bereich und einem allenfalls schwach anzunehmenden 20-Wert für das Atmungsorgan auch weiterhin ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden sei.

 

Das SG hat den Beteiligten die gutachtliche Stellungnahme des Dr. N. vom 19.12.2002 zur Kenntnis- und etwaigen Stellungnahme übersandt und weiter aus geführt: "Auf § 105 SGG wird hingewiesen. Auch insoweit besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb derselben Frist."

 

Der Kläger hat dazu angegeben (Schriftsätze vom 26. und 30.01.2003), seit Jahren regelmäßig in lungen- und hno-fachärztlicher Behandlung zu stehen; er leide an Hustenreiz und sofortiger Luftnot sowohl bei Geruchseinwirkung als auch bei körperlicher Belastung. Sein Hausarzt Dr. St. sei auf Anfrage des Gerichts bereit zu bestätigen, dass er an einer bedeutsamen Atemfunktionsstörung leide und deswegen seit Jahren ständig behandelt werde.

 

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.02.003 abgewiesen. Im Tatbestand des Gerichtsbescheides hat es angegeben, dass Gutachten von Dr. N., Dr. J. und Prof. Dr. St. eingeholt worden sind. Die Entscheidungsgründe lauten:

 

"Die Klage ist unbegründet.

 

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 17.04.2000 in der Fassung des Bescheides vom 06.11.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2001 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil dieser Verwaltungsakt nicht rechtswidrig ist.

 

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erhöhung des GdB über 40 hinaus. Eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung ist gemäß § 48 SGB X gegenüber den Verhältnissen, die den Bescheiden vom 02.07.1996 und vom 07.04.1999 zugrundegelegen haben, nur in soweit eingetreten, als der Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen gewesen ist. Dies hat der Beklagte mit Bescheid vom 06.11.2000 zutreffend getan. Die Einschätzung des Gesamt-GdB mit 40 wird bestätigt durch das internistische Gutachten des Dr. N. in Recklinghausen vom 15.04.2002, der das orthopädische Zusatzgutachten des Dr. J. in Recklinghausen vom 15.03.2002 berücksichtigt. Das Gericht folgt der gutachtlichen Beurteilung der von Amts wegen gehörten Gerichtssachverständigen. Zwar hat Prof. Dr. St., Clemenshospital Münster, in seinem gem. § 109 SGG unter dem 07.10.2002 erstellten Gutachten den Gesamt-GdB mit 50 ein geschätzt. In einer gutachtlichen Stellungnahme dazu hat jedoch Dr. N. unter dem 19.12.2002 die Einschätzung des Gesamt-GdB mit 40 bestätigt. Das Gericht gibt der Beurteilung durch Dr. N. den Vorzug. Dieser Sachverständige ist als besonders erfahren in der Beurteilung von Behinderungen bekannt und wird sehr häufig mit der Erstellung von Gerichtsgutachten beauftragt.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides gem. § 105 SGG mit Verfügung vom 10.01.2003 ausdrücklich hingewiesen worden."

 

Gegen den am 15.02.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 03.03.2003 Berufung eingelegt und ausgeführt, der Gerichtsbescheid seit der art rechtsfehlerhaft, dass der Rechtsstreit an das SG Münster zurückzuverweisen sei. Das SG habe sich mit der medizinischen Problematik überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern sei ausschließlich Dr. N. mit der Begründung gefolgt, dieser Sachverständige sei in der Beurteilung von Behinderungen be sonders erfahren und würde sehr häufig mit der Erstellung von Gerichtsgutachten beauftragt. Das SG habe auch weder sein Vorbringen auf die Anhörung vom 10.01.2003 berücksichtigt noch Nachfrage bei Dr. S. gehalten.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

     den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 12.02.2003 aufzuheben      und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.04.2000 in der Fassung des Bescheides vom      06.11.2000 und des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2001 zu verurteilen, ab März 2000 den GdB mit mindestens 50      festzustellen,

 

     hilfsweise

 

     den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 12.02.2003 aufzuheben      und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Münster zurückzuverweisen.

 

 Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

     die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

 

 

 

 Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet.

 

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel im Sinn dieser Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (Senatsurteile vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -; Urteil des 6. Senats des LSG NRW vom 11.07.1995 - L 6 Vs 67/95 -; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 159 Rdn. 3 m.w.N.; Zeihe, SGG, § 159 Rdn. 2a, 8a; Frehse in Jansen, Berliner Kommentare, Sozialgerichtsgesetz, 2003, § 159 Rdn. 2, 6). Gleichermaßen kommt eine Zurückverweisung bei Verstößen gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung (Zeihe, a.a.O. Rdn. 8d) oder bei unzureichender Begründung (vgl. Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002, a.a.O.; Urteil des 7. Senats LSG NRW vom 14.05.1998 - L 7 SB 146/97 -; Frehse, a.a.O. Rdn. 6 m.w.N.) der angefochtenen Entscheidung in Betracht.

 

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, weil

 

     1. der Tatbestand nicht den Mindestanforderungen des § 136 Abs. 2 SGG  genügt,

 

2. die Entscheidungsgründe nicht den Mindestanforderungen der §§ 136 Abs. 1, 202 SGG i.V.m. § 313 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) genügen, insbesondere keine zureichende Beweiswürdigung enthalten,

 

     3. das SG sich zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müsse

 

     4. das SG das Recht auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG verletzt hat.

 

 Zu 1.  Der Tatbestand beurkundet das schriftliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten (Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Auflage, § 313a Rdn. 11). Er beweist, dass wiedergegebene Tatsachen vorgetragen und nicht wiedergegebene nicht vor getragen worden sind (BGH, NJW 1983, 885; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 136 Rdn. 6). Nach § 136 Abs. 2 Satz 1 SGG kann die Darstellung des Tatbestandes durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. Als Mindestanforderung verlangt § 136 Abs. 2 Satz 2 SGG, dass die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben sind. Bezugnahmen dürfen keine Unklarheiten zur Folge haben; der Tatbestand muss noch in sich  verständlich sein (Meyer-Ladewig, § 136 Rdn. 6c). Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinn des § 136 Abs. 2 Satz 2 SGG sind die des § 282 Abs. 2 ZPO. Dabei handelt es sich um jegliche zur Begründung des Sachantrags oder zur Verteidigung gegen diesen vorgebrachte tatsächliche und rechtliche Behauptungen, Einwendungen, Bestreiten, Einreden und Beweisanträge, nicht aber um all gemeine Rechtsausführungen (Zöller/Greger, ZPO, 22. Auflage, § 282 Rdn. 2 ff; Humpert in Jansen, Berliner Kommentare, Sozialgerichtsgesetz, 2003, § 136 Rdn. 7 f).

 

Den Mindestanforderungen des § 136 Abs. 2 SGG genügt der Tatbestand des Gerichtsbescheides, für den die Vorschriften über Urteile entsprechend gelten (§ 105 Abs. 1 Satz 3 SGG), nicht.

 

a)  Er ist unvollständig, weil das SG das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit geteilt hat (hierzu Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdn. 6; Humpert, a.a.O. Rdn. 8). Es hat lediglich dargelegt, dass eine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist und hierzu drei Gutachten eingeholt worden sind. Zwar soll der Tatbestand nur eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes enthalten. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist aber regelmäßig (knapp) mitzuteilen, da ansonsten die Verständlichkeit leidet (Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002, a.a.O.). Dahinstehen kann die Frage, ob diese Anforderung entfällt oder deren Voraussetzungen zu verringern sind, wenn das Ergebnis der Beweisaufnahme ausführlich in den Entscheidungsgründen dargelegt und behandelt wird; ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides zu entnehmende Hinweis, dass nach den eingeholten Gutachten ein Gesamt-GdB von 40 (oder 50) angemessen sei, behebt den Mangel erkenntlich nicht.

 

b)  Der Tatbestand ist ferner deswegen unvollständig, weil das SG nicht deutlich gemacht hat, dass sich der Kläger - substantiiert - gegen das Ergebnis der Beweisaufnahme gewandt hat (insbesondere Schriftsätze vom 26. und 30.01.2003). Bei diesem Vorbringen handelt es sich um Angriffsmittel im Sinn des § 282 Abs. 2 ZPO, die im Tatbestand zu dokumentieren sind. Dieses ist auch rechtserheblich, weil deswegen eine weitere Beweisaufnahme geboten ist oder in den Entscheidungsgründen dargelegt werden muss, warum hierauf verzichtet werden konnte.

 

c)  Diese Mängel werden auch nicht dadurch geheilt, dass das SG hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf die eingeholten Gutachten bzw. auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen hat. Hierdurch hat das SG nämlich allenfalls erreicht, dass der gesamte Akteninhalt Gegenstand der Entscheidung geworden ist (vgl. BGH NJW 1992, 2148; a.A. Schumann, NJW 1993, 2786). Hiervon losgelöst ist dem Gericht aber auferlegt, das Ergebnis der Beweisaufnahme nach Maßgabe des § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG jedenfalls in gedrängter Form im Tatbestand zu dokumentieren. Der hiermit verbundenen Beurkundungs- und Darstellungsfunktion genügt ein solcher Tatbestand nicht, der sich - wie hier - auf die Mitteilung beschränkt, dass eine Beweisaufnahme durch Einholung von Sachverständigengutachten durchgeführt worden ist, und der das erhebliche Beteiligtenvorbringen nur unzureichend wiedergibt.

 

 Zu 2.  Das Sozialgerichtsgesetz sagt über die Entscheidungsgründe nichts. Das Urteil bzw. der Gerichtsbescheid muss sie nur enthalten (§ 136 Abs. 1 SGG). Deswegen ist über § 202 SGG die Regelung des § 313 Abs. 3 ZPO maßgebend. Die Beteiligten sollen Kenntnis erhalten, von welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Gericht ausgegangen ist (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 136 Rdn. 7c). Eine kurze Begründung für jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtlich erheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist geboten und ausreichend (BSG, SozR 1500 § 136 Nr. 10; Bayer. LSG in NZS 1996, 48). Es ist verfahrensfehlerhaft, wenn in keiner Weise erkennbar ist, welche Gründe für die richterliche Überzeugung maßgebend waren (BGHZ 39, 333 ff.). Hierzu sind die entscheidungserheblichen Erwägungen des Gerichts in den Entscheidungsgründen kurz zu formulieren (BSGE 76, 233; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 136 Rdn. 7; Baumbach/Hartmann, ZPO, 56. Auflage, § 313 Rdn. 14). Das Gericht muss sich dabei zwar nicht mit jedem Beteiligtenvorbringen auseinandersetzen, insbesondere wenn es offensichtlich unerheblich ist oder wenn sich aus dem Urteil zweifelsfrei ergibt, dass das Gericht das Vorbringen auch ohne ausdrückliche Erwähnung für unerheblich hält. Mindestinhalt ist aber eine ausreichende Angabe der angewandten Rechtsnormen, der für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und der dafür ausschlaggebenden tat sächlichen oder rechtlichen Gründe (BSG, SozR 1500 § 136 Nr. 10; LSG NRW vom 30.10.1997 - L 7 Vs 41/97 -, vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und vom 23.01.2002 - L10 SB 150/01 -; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 136 Rdn. 7a; Baumbach/Hartmann, a.a.O. § 313 Rdn. 14 ff; Humpert, a.a.O. § 136 Rdn. 13).  Wesentlicher Teil der Entscheidungsgründe ist ferner die Beweiswürdigung. Ein grober Verfahrensfehler liegt vor, wenn eine Beweiswürdigung völlig fehlt (BGHZ 39, 333, 337, BFH NVwZ-RR 1995, 329; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 136 Rdn. 7f) oder wenn den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen ist, aufgrund welcher Tatsachen und Erwägungen das Gericht zu seinen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Folgerungen gekommen ist (BGH vom 07.03.2001 - X ZR 176/99 -; BFHE 86, 219; Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdn. 7f). Das SG hat nach § 202 SGG i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen. Von einer eigenen Bewertung ist es auch dann nicht enthoben, wenn es ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Denn die Aufgabe des Sachverständigen ist darauf beschränkt, dem Richter aufgrund seines Erfahrungswissens die Kenntnis von Tatsachen zu verschaffen, zu denen dieser wegen seiner fehlenden - beispielsweise medizinischen Sachkunde - nicht kommen kann. Dem Richter obliegt es sodann, aufgrund seiner juristischen Kenntnisse zu entscheiden, ob die ihm vom Sachverständigen vermittelten Tatsachen den gesetzlichen Tatbestand erfüllen (BSG vom 24.06.1981 - 9 RVs 2/81 -).

 

Die Ergebnisse des Sachverständigen dürfen nicht ohne weiteres übernommen werden; auch sachverständige Äußerungen sind eigenverantwortlich darauf hin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein vom erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH vom 07.03.2001 a.a.O.). Wesentliche Aufgabe des Gerichts ist dabei die Prüfung, ob der Sachverständige von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und diesen vollständig berücksichtigt hat. Sodann sind die medizinischen Befunderhebungen des Sachverständigen - soweit möglich - zu überprüfen. Das wird gerade im orthopädischen Be reich anhand von Messdaten eher möglich sein als vergleichsweise bei inneren Erkrankungen oder neurologisch-psychiatrischen Beeinträchtigungen. In einem nächsten Schritt ist zu klären, welche Funktionsbeeinträchtigungen mit den vom Sachverständigen festgestellten Normabweichungen einhergehen. Aufgabe des Sachverständigen ist es, diese aus medizinischer Sicht unter Berücksichtigung von Anamnese und Befund zu beschreiben. Wiederum hat das Gericht die Äußerungen des Sachverständigen auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Stimmigkeit zu überprüfen und dies im Urteil nachvollziehbar zu begründen. Sodann hat das Gericht zu klären, ob sich die Meinungsäußerungen und Bewertungen des Sachverständigen auf der Grundlage der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) bewegen. Die einzelnen Schritte der vorgenommenen Prüfung und Würdigung müssen in dem daraufhin ergehenden Urteil zwar nicht in allen Einzelheiten dargelegt werden (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO); das Urteil muss jedoch erkennen lassen, dass das Gericht die erforderlichen Schritte vollzogen hat; es muss die tragenden Gründe für die der Entscheidung zugrundeliegenden Überzeugung in der Begründung nachvollziehbar darlegen (BGH vom 07.03.2001 a.a.O.).

 

All diesen Anforderungen genügen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides offensichtlich nicht. Das SG hat sich allein auf die Behauptung beschränkt, ein GdB von 40 sei angemessen; dies ergebe sich aus dem eingeholten Gutachten des Dr. N.. Soweit es weiter ausführt, dessen Einschätzung sei gegenüber der abweichenden Beurteilung des Prof. Dr. St. der Vorzug zu geben, weil Dr. N. als besonders erfahren in der Beurteilung von Behinderungen bekannt sei und sehr häufig mit der Erstellung von Gerichtsgutachten beauftragt werde, kann dieser Hinweis allenfalls der letzte Punkt einer in sich geschlossenen Argumentationskette sein; er macht die erforderliche Auseinandersetzung mit dem Streitstoff und eine Beweiswürdigung nicht entbehrlich. Jegliche nachvollziehbare Ausführungen dazu fehlen.

 

Zu 3. Das SG hat den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Das SG hätte sich zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen.

 

a)  Aus den Gutachten des Dr. N. und des Prof. Dr. St. ergibt sich, dass die Sachverständigen unterschiedlicher Auffassung insbesondere hinsichtlich der Beurteilung der Beeinträchtigungen des Atmungsorgans und des letztlich daraus resultierenden Gesamt-GdB sind. Dabei scheint sich Dr. N. in seiner Stellungnahme vom 19.12.2002 der von Prof. Dr. St. gestellten Diagnose eines intrinsischen Asthmas bronchiale genähert zu haben; er bewertet dessen Auswirkungen allerdings sowohl für sich gesehen als auch im Hinblick auf das Gesamtausmaß der Beeinträchtigung des Klägers geringer und gibt - da bei der Bewertung eines Bronchialasthmas zunächst nicht (sondern nur zusätzlich) auf eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion abzustellen ist (AHP Nr. 26.8, S. 84) - zur Begründung an, dass bisher keine medikamentöse Behandlung er folgt und das Krankheitsbild nicht im hausärztlichen Befundbericht aufgeführt sei. Dies kann allerdings nicht überzeugen; beide Begründungen sind keine Beurteilungskriterien i.S.d. AHP. Entscheidend sind vielmehr - sofern tatsächlich ein Bronchialasthma vorliegen sollte - dessen Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, die sich nach den Vorgaben der AHP in der Häufigkeit und Schwere von Anfällen zeigen. Diese sind wegen des wechselhaften Krankheitsbildes in der Regel nur schwer aufgrund einmaliger Untersuchung zu erfassen. Deshalb hätte es sich - auch ohne des ausdrücklichen Hinweises des Klägers in seinem Schriftsatz vom 30.01.2003 - aufgedrängt, dazu den ihn behandelnden Arzt gezielt zu befragen und dazu dann den von Amts wegen bestellten Sachverständigen zu hören.  Zumindest dies wird das SG nachzuholen haben.

 

 Zu 4.  Der Rechtsstreit ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs an das SG zurückzuverweisen. Die Anhörung des Klägers vor Erlass des Gerichtsbescheides genügt nicht den rechtlichen Anforderungen.  Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG sind die Beteiligten als Ausfluss des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) vor Erlass eines Gerichtsbescheides an zuhören. Eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall genügt nicht (BVerwG DVBl. 1991, 156; LSG NRW vom 17.09.1993 - L 4 J 109/93 -; LSG NRW vom 14.09.1995 - L 2 Kn 69/95 -; Eschner in Jansen, Berliner Kommentare, Sozialgerichtsgesetz, 2003, § 105 Rdn. 9 f). Seine Rechtsauffassung muss das Gericht allerdings nicht mitteilen (BSG vom 16.03.1994 - 9 BV 151/93 - und vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - zu § 153 Abs. 4 SGG; Meyer-Ladewig, a.a.O. § 105 Rdn. 10a m.w.N.). Andererseits soll die Anhörungsmitteilung sicherstellen, dass die Beteiligten sachgerechte Einwendungen erheben können (Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 207). Deshalb hält der Senat es für erforderlich, dass sowohl ein rechtsunkundiger Kläger als auch ein rechtskundig vertretener Kläger in der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG zumindest darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt (vgl. dazu eingehend Senatsurteil vom 05.09.2001, a.a.O.).

 

Das an Kläger und Beklagten gerichtete Schreiben des SG vom 10.01.2003 enthält im Wesentlichen nur die Mitteilung, dass auf § 105 SGG hingewiesen wer de. Dieser Hinweis ist unzureichend, denn er lässt nicht erkennen, wie das SG - wenn sein Hinweis überhaupt so zu verstehen ist, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid in Betracht zieht - zu entscheiden beabsichtigt. Damit liegt ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 62 SGG vor.  Der Senat hat bereits entschieden, dass von dem Hinweis, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt, ausnahmsweise abgesehen werden kann, wenn sich für die Beteiligten aus dem Sach- und Streitstand nur eine Entscheidung aufdrängt (Urteil vom 23.01.2002, L 10 SB 142/01). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Das SG hat dem Kläger zwar die zunächst eingeholten Gutach ten des Dr. N. und des Dr. J. mit der Anfrage übersandt, ob die Klage zurückgenommen werde. Entsprechende Hinweise enthält das Schreiben vom 10.01.2003 aber nicht. Im Hinblick darauf, dass zuvor sowohl das - dem Kläger positive - Gutachten des Prof. Dr. St. als auch die - dem Kläger negative - ergänzende Stellungnahme des Dr. N. vom 19.12.2002 eingeholt worden sind, bestand damit zumindest die Möglichkeit, dass das SG bei der gebotenen nochmaligen Beschäftigung mit der Sach- und Rechtslage zu einer anderen Rechtsauffassung als der zunächst geäußerten gelangt ist. Nach dem Sach- und Streitstand am 10.01.2003 drängte sich somit dem Kläger nicht nur eine - ihm negative - Entscheidung auf; ebenso hätte das SG seinem Klageantrag entsprechen können.

 

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch wesentlich; sie entziehen der Entscheidung des SG die ordnungsgemäße Grundlage. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das SG bei ordnungsgemäßer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung eine andere Entscheidung getroffen hätte.

 

Bei Abwägung der Interessen der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits und dem Verlust einer Instanz anderseits überwiegen die Schutzinteressen der Beteiligten an einem ordnungsgemäßen Verfahren. Zudem hat der Kläger selber die Zurückverweisung an das SG angeregt. Darüber hinaus sind auch weitere Ermittlungen geboten.

 

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).