LSG NRW - L 10 B 13/05 SB - Beschluss vom 10.05.2006
Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entsteht nur für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin, die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts oder, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet - nicht aber bei schriftsätzlicher Annahme eines Vergleichsangebots.
Gründe
I.
In dem abgeschlossenen Verfahren, in dem die Beteiligten um die Feststellung des
Grades der Behinderung mit 100 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Gehbehinderung)
gestritten haben, hat das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 28.08.2005 dem
Kläger unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ab Klageerhebung am
03.02.2005 Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Einholung eines ärztlichen
Befundberichts hat sich der Beklagte bereit erklärt, ab Antragstellung die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs
"G" festzustellen und die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des
Klägers zur Hälfte zu übernehmen. Der Kläger hat das Angebot angenommen und den
Rechtsstreit für erledigt erklärt. Er hat die Festsetzung folgender Gebühren
nach dem am 01.07.2004 in Kraft getretenen Gesetz über die Vergütung der
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG)
beantragt:
Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 3, 14 RVG i.V.m. Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro
Terminsgebühr gem. §§ 2, 3, 14 i.V.m. Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro
Erledigungsgebühr gem. §§ 2, 3, 14 i.V.m. Nr. 1006 VV RVG 190,00 Euro
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
16 % Mehrwertsteuer 92,80 Euro
Gesamtbetrag 672,80 Euro.
Der Beklagte hat dagegen keine Einwendungen und angekündigt, in Kürze den
hälftigen Betrag in Höhe von 336,40 Euro zu überweisen.
Mit Beschluss vom 20.07.2005 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die
geltend gemachte Vergütung gegen die Landeskasse in Höhe von 220,40 Euro
festgesetzt und ausgeführt, die geltend gemacht Terminsgebühr sei nicht
anzusetzen, da weder eine gerichtliche Entscheidung noch ein Anerkenntnis
vorlägen. Mit seiner Erinnerung hat der Kläger vorgetragen, das Absetzen der
Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG widerspreche den Vergütungsgrundsätzen des
RVG. Danach ersetze die Terminsgebühr die bisherige Verhandlungs-, Erörterungs-
sowie Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 - 4 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung
(BRAGO). Sie liege mit 1,2 um 0,2 höher als bisher. Ein grundsätzlicher Wegfall
der Terminsgebühr und damit eine Schlechterstellung des Prozessbevollmächtigten
entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers. Es hätte insofern vielmehr eine
Verbesserung eintreten sollen. Des weiteren gelte der Grundsatz der notwendigen
mündlichen Verhandlung, von dem nur mit vorherigem Einverständnis abgewichen
werden dürfe. Wenn sich jedoch wie hier die Beteiligten einigten bzw. der
Rechtsstreit durch ein (Teil)Anerkenntnis der Gegenseite erledige, ändere dies
nichts an diesem Grundsatz und berechtige nicht zur Streichung der
Terminsgebühr. Zudem sehe Nr. 3106 Ziff. 3 VV RVG eine Terminsgebühr vor, wenn
das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung ende.
Gleiches folge aus Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 VV RVG. Die Terminsgebühr solle
lediglich dann entfallen, wenn gem. Nr. 3104 Abs. 3 VV RVG nicht rechtshängige
Ansprüche protokolliert werden sollten.
Das SG hat mit Beschluss am 23.09.2005 die Erinnerung zurück gewiesen und
ausgeführt, in Fällen, in denen in einem Verfahren, für das eine mündliche
Verhandlung vorgeschrieben sei, ein Vergleich geschlossen werde, sehe Nr. 3106
VV RVG eine Terminsgebühr nicht vor. Eine etwaige analoge Anwendung der Nr. 3104
VV RVG scheide insoweit mangels planwidriger Regelungslücke aus, da der
Gesetzgeber diese Vorschrift gerade ausdrücklich nur für anwendbar erklärt habe,
soweit in Nr. 3106 VV RVG nichts anderes bestimmt sei. Hätte er aber gewollt,
dass auch in den von Nr. 3106 VV RVG erfassten Fällen die Regelungen der Nr.
3104 VV RVG Anwendung finden, hätte er keine gesonderte Regelung treffen müssen.
Es sei daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Abschluss schriftlicher
Vergleiche in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren
entstehen, bewusst vom Erheben einer Terminsgebühr habe ausnehmen wollen. Dafür
spreche auch, dass die Regelung der Nr. 3106 VV RVG im übrigen der Nr. 3104 VV
RVG entspreche. Ebenso scheide eine Anwendung der Nr. 3106 Ziff. 3 VV RVG aus.
Unter diese Regelung falle nur ein Anerkenntnis und nicht auch ein "Teilanerkennnis".
Das folge auch aus Nr. 3104 Abs.1 VV RVG, die zwischen einem schriftlichen
Vergleich, also einem gegenseitigen Nachgeben, und einem Anerkenntnis, also dem
Anerkennen des Klageanspruchs im vollen Umfang, unterscheide. Das bewusste
Ausklammern des schriftlichen Vergleichs aus der Regelung der Nr. 3106 VV RVG
könne daher nicht über die Subsumtion eines solchen unter den Begriff des
"Anerkenntnisses" umgangen werden. Es falle deshalb lediglich eine
Einigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1005, 1000 VV RVG an.
Das SG hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden
Rechtsfrage zugelassen.
Gegen den Beschluss hat der Kläger unter Bezugnahme auf seinen Vortrag in der
Erinnerungsschrift Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3, § 33
Abs. 4 Satz 4 RVG).
Sie ist jedoch unbegründet.
Vorliegend sind die Vorschriften des RVG anzuwenden, da der Auftrag zur
Erledigung der Angelegenheit nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erteilt worden
ist.
Zu Recht hat das SG die Erinnerung des Klägers gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20.07.2005 zurückgewiesen. Bei der Festsetzung
der außergerichtlichen Kosten waren lediglich eine Verfahrens- und
Einigungsgebühr zu berücksichtigen. Eine Terminsgebühr ist nicht angefallen.
Für die Bestimmung der Terminsgebühr, auch für das sozialgerichtliche Verfahren,
gilt Nr. 3104 VV RVG, die einen Gebührensatz von 1,2 der Gebühr nach § 13 RVG
bestimmt. Handelt es sich - wie hier - indes um ein sozialgerichtliches
Verfahren, in dem Beitragsrahmengebühren entstehen, findet die Spezialvorschrift
der Nr. 3106 VV RVG Anwendung, auf die in Nr. 3104 VV RVG verwiesen wird. Nach
Nr. 3106 VV RVG beträgt die Terminsgebühr 20,00 - 380,00 Euro.
Die Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV für die
Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder
die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen
anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung
des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei
dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Der
Gesetzgeber hat mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs fördern und
honorieren wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder
Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen,
der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen
soll. Ihm soll nach neuem Recht eine nach früherem Recht geübte Praxis, einen
gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in dem ein ausgehandelter
Vergleich nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" protokolliert wird, um eine
Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr auszulösen, erspart bleiben (vgl.
Gesetzentwurf BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Nach dieser Bestimmung ist keine
Terminsgebühr ausgelöst worden, auch nicht nach der dritten Alternative, weil
der Inhalt des außergerichtlichen Vergleichs nicht in entsprechenden
Besprechungen zwischen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Beklagten
abgestimmt worden ist.
Aber auch die in Nr. 3106 VV RVG aufgeführten Verfahrenskonstellationen sind
nicht gegeben. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn
1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im
Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,
2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid
entschieden wird oder 3.das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne
mündliche Verhandlung endet.
Insbesondere ist das Verfahren nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis
erledigt worden (§ 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das schriftliche
Regelungsangebot des Beklagten vom 08.06.2005 stellt kein Anerkenntnis dar. Denn
der Beklagte hat mit seinem Angebot nicht dem auf Feststellung des GdB mit 100
und der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des
Nachteilsausgleichs "G" gerichteten Anspruch des Klägers im vollen Umfang
entsprochen, sondern lediglich die Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Merkzeichens "G" zugestanden. Ob es sich bei dem Regelungsvorschlag um ein
Teilanerkenntnis oder ein Vergleichsangebot handelt, bedarf keiner
abschließenden Beurteilung. Denn Ziff. 3 der Nr. 3106 VV RVG meint ein
Anerkenntnis, dessen Annahme den Rechtsstreit erledigt. Die bloße Annahme des
Vorschlages, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des
Nachteilsausgleichs "G" festzustellen, hätte den Rechtsstreit nicht beendet.
Dazu war vielmehr noch die Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung
erforderlich. Dies ist durch Erledigungserklärung des Klägers erfolgt.
Eine der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alt. VV RVG entsprechende Regelung -
Entstehen einer Terminsgebühr auch in den Fällen, in denen in einem Verfahren,
für das mündliche Verhandlung vorgesehen ist, ein schriftlicher Vergleich
geschlossen wird - enthält die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV RVG nicht.
Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass insoweit eine
Gesetzeslücke besteht, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden könnte.
Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz
mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu
finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht,
dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch
eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (BSG, Urteil vom 10.05.1995
– 1 RK 20/94 -, BSGE 76, 109 ff.; Senatsbeschluss vom 04.09.2002 - L 10 B 2/02
KA ER -). Weder liegt hier ein absichtliches oder ein versehentliches Schweigen
des Gesetzes vor, noch ist nach Inkrafttreten des RVG eine Gesetzeslücke durch
eine Änderung tatsächlicher Umstände eingetreten. Der Gesetzgeber hat vielmehr
ausdrücklich in Nr. 3104 VV RVG auf die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV RVG
verwiesen, sofern es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt, in dem
Betragsrahmengebühren entstehen. Hätte er eine der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3.
Alt. VV RVG entsprechende Vorschrift auch für diese sozialgerichtlichen
Verfahren treffen wollen, hätte er - wie er das hinsichtlich Nr. 3104 Abs. 1
Ziff. 3 ( "Die Gebühr entsteht auch, wenn ... das Verfahren vor dem
Sozialgericht nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung
angenommen endet") geregelt hat - eine entsprechende Regelung in der Nr. 3106 VV
RVG treffen können. Im übrigen ist der Prozessbevollmächtigte entgegen seiner
Auffassung durch diese Regelung nicht schlechter gestellt als vor Inkrafttreten
des RVG. Nach § 116 der zuvor geltenden BRAGO wurde die Tätigkeit des
Rechtsanwaltes in Verfahren, in denen Beitragsrahmengebühren entstehen, nur mit
einem Gebührenrahmen abgerechnet. Das bedeutete für das vorliegende
erstinstanzliche Verfahren, dass bei der Berechnung der außergerichtlichen
Kosten von einer Mittelgebühr von 355,00 Euro ausgegangen worden wäre (§ 116
Abs.1 Ziff. 1 BRAGO: Rahmen 50,00 - 660,00 Euro). Die Kostenbeamtin des SG hat
ihrer Berechnung nach dem RVG - ebenfalls unter Berücksichtigung einer
Mittelgebühr - eine Verfahrensgebühr von 170,00 Euro ( Nr. 3103 VV RVG: Rahmen
20,00 - 320,00 Euro) und eine Einigungsgebühr von 190,00 Euro (Nr. 1006 VV RVG:
Rahmen 30,00 – 350,00 Euro), insgesamt also 360,00 Euro, zugrunde gelegt.
Hinsichtlich der Verfahrensgebühr ist anzumerken: Diese bestimmt sich in
Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen,
nach der Nr. 3102 und - wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im
Weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren
vorausgegangen ist - nach der Nr. 3103 VV RVG. Ob und inwieweit das hier der
Fall ist, lässt sich der Streitakte nicht entnehmen. Die Verwaltungsakten liegen
nicht vor. Unabhängig hiervon stellt sich die Frage, ob die Nr. 3102 VV RVG im
Verfahren, in dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, überhaupt Anwendung
findet. Letztlich kann all dies dahin gestellt bleiben, weil der
Prozessbevollmächtigte des Klägers ausdrücklich eine Verfahrensgebühr nach Nr.
3103 VV RVG geltend gemacht hat.
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werde (§ 177 SGG).