LSG NRW - L 10 B 6/07 SB LSG NRW - Beschluss vom 31.05.2007
Es besteht kein objektiver Erfahrungssatz, dass der Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch unter dem der sonstigen sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten wie z.B. eines Rentenstreitverfahrens oder eines Verfahrens nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung liegt.
Gr�nde:
I.
Mit seiner Klage hat der Kl�ger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen f�r die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgeb�hrenpflicht) begehrt. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat ihm f�r die Durchf�hrung des sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollm�chtigten bewilligt. In dem Rechtsstreit hat das SG einen Befundbericht und nach Beiziehung der Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Rheinland ein Gutachten von dem Arzt f�r Innere Krankheiten Dr. R. eingeholt. Im Er�rterungstermin vom 08.11.2006 hat der Kl�ger die Klage zur�ckgenommen.
Der Kl�ger hat die Festsetzung folgender Geb�hren nach dem Rechtsanwaltsverg�tungsgesetz (RVG) beantragt:
Verfahrensgeb�hr nach 3102 VV RVG 250,00 EUR
Terminsgeb�hr nach 3106 VV RVG 200,00 EUR
Entgelt f�r Post und Telekommunikationsleistungen 20,00 EUR
Fahrkosten nach 7003 VV RVG 46,80 EUR
Abwesenheitsgeld nach 7005 VV RVG 20,00 EUR
insgesamt: 536,80 EUR
16% Umsatzsteuer 85,89 EUR
insgesamt: 622,69 EUR.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15.11.2006 hat der Urkundsbeamte der Gesch�ftsstelle die zu erstattenden Geb�hren wie folgt festgesetzt:
Verfahrensgeb�hr 125,00 EUR
Terminsgeb�hr 100,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 EUR
Fahrtkosten 46,80 EUR
Abwesenheitsgeld 20,00 EUR
insgesamt: 311,80 EUR
16% Umsatzsteuer 49,89 EUR
Summe 361,69 EUR.
Zur Begr�ndung hat er angegeben, das Merkzeichen "RF" sei von der Bedeutung f�r den Kl�ger eher gering. Der Termin sei ebenfalls als gering einzusch�tzen (5 Minuten lang); Fachgutachten seien �blich.
Auf die Erinnerung des Kl�gers hat das SG die Entscheidung des Urkundsbeamten best�tigt und die zu erstattenden Geb�hren mit 361.69 EUR festgesetzt: Verfahrens- und Terminsgeb�hr seien weit unterhalb der Mittelgeb�hr anzusetzen. Der anwaltliche Aufwand sei mit Klageerhebung, Klagebegr�ndung, Besprechungstermin mit dem Mandanten und erforderlicher Stellungnahme zum eingeholten Gutachten als durchschnittlich zu werten. Der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sei allerdings nicht durchschnittlich, da lediglich der Nachteilsausgleich "RF" streitig gewesen sei. Gemessen an dem Schwierigkeitsgrad der sonstigen beim Sozialgericht zu behandelnden Rechtsstreitigkeiten wie z.B. Rentenstreitverfahren bzw. Verfahren nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung weiche die Schwierigkeit des Verfahrens deutlich nach unten ab. Auch nach der Bedeutung der Angelegenheit f�r den Kl�ger sei lediglich der untere Bereich des Geb�hrenrahmens anzusetzen. Gegen�ber der erstmaligen Anerkennung als Schwerbehinderter komme einem Rechtsstreit �ber den Nachteilsausgleich "RF" lediglich eine untergeordnete Rolle zu (Beschluss vom 14.03.2007).
Gegen den am 21.03.2007 zugestellten Beschluss wendet sich der Kl�ger mit seiner Beschwerde vom 03.04.2007 Beschwerde.
II.
Die Beschwerde ist nach � 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. � 33 Abs. 3 S. 1 und 3 RVG zul�ssig Der Beschwerdewert �bersteigt 200,00 EUR; die Beschwerde ist binnen 2 Wochen eingelegt worden.
Die Beschwerde ist auch zum Teil begr�ndet.
Pr�fungsma�stab ist � 14 RVG. Nach � 14 Abs. 1 Satz RVG bestimmt bei den in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit entstehenden Rahmengeb�hren (� 3 RVG) der Rechtsanwalt die Geb�hr im Einzelfall unter Ber�cksichtigung aller Umst�nde, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen T�tigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Verm�gensverh�ltnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Geb�hr - wie vorliegend - von einem Dritten zu ersetzen, ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (� 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Entspricht die Bestimmung der Rahmengeb�hr durch den Rechtsanwalt nicht der Billigkeit, ist sie richterlich zu korrigieren.
Dabei sind die vom Gesetzgeber vorgegebenen festen Anhaltspunkte (Mindest-, Mittel- und H�chstgeb�hr) sowie der in Rechtsprechung und Literatur akzeptierte Toleranzrahmen von bis zu 20 v.H. zu ber�cksichtigen; d.h. nur eine Bestimmung des Rechtsanwalts, die um 20 v.H. oder mehr von der Vorstellung der anderen Stelle abweicht, ist unbillig (BSG, Urteil vom 26.02.1992 - 9a RVs 3/90 -; Beschluss des Senats vom 16.08.2006 - L 10 B 7/06 SB -; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, Rdn. 9).
1. Unter Ber�cksichtigung der Umst�nde des Einzelfalls liegen die Voraussetzungen f�r eine richterliche Korrektur der vom Prozessbevollm�chtigten des Kl�gers getroffenen Bestimmung der Verfahrensgeb�hr nicht vor. Die Geb�hr ist nicht unbillig; zu Recht ist der Geb�hrenrechnung die Mittelgeb�hr i.H. von 250,00 EUR zugrunde gelegt worden.
Nach dem Verg�tungsverzeichnis (VV) in Anlage 1 zu � 2 Abs. 2 RVG angef�gten erh�lt der Anwalt in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengeb�hren entstehen, eine Geb�hr zwischen 40,00 und 460,00 EUR, entsprechend einer Mittelgeb�hr von 250,00 EUR (Geb�hr Nr. 3102), wenn - wie vorliegend - keine T�tigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist.
Die Verfahrensgeb�hr erh�lt der Anwalt f�r das Betreiben des Verfahrens. Dabei steht ihm nach dem Willen des Gesetzgebers in Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung f�r den Mandanten die Mittelgeb�hr zu. Entscheidend ist eine Gesamtabw�gung. Es m�ssen s�mtliche den Geb�hrenanspruch potentiell beeintr�chtigenden Faktoren miteinander im Einzelfall abgewogen werden.
Diese Abw�gung ergibt vorliegend, dass f�r die Verfahrensgeb�hr Nr. 3102 VV die angesetzte Mittelgeb�hr nicht zu korrigieren ist.
Der Senat schlie�t sich der Beurteilung des SG an, dass der Umfang der anwaltlichen T�tigkeit unter Ber�cksichtigung der Faktoren Klagebegr�ndung, Besprechungstermin mit dem Kl�ger, Stellungnahme zum eingeholten Gutachten als ann�hrend durchschnittlich zu werten ist.
Nicht zu folgen ist dem SG allerdings hinsichtlich seiner Beurteilung, der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens und die Bedeutung der Angelegenheit seien weit unterdurchschnittlich. Auch hier besteht kein Ansatzpunkt, vom Durchschnitt abzuweichen.
Soweit das SG einen dahingehenden Erfahrungssatz propagiert, dass der Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch unter dem der sonstigen sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten wie z.B. eines Rentenstreitverfahrens oder eines Verfahrens nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung liege, gibt es daf�r keinen objektiven Ansatzpunkt. So ist gerade der vorliegende Rechtsstreit exemplarisch f�r eine subjektive Fehleinsch�tzung der zu pr�fenden rechtlichen Voraussetzungen und der damit verbundenen rechtlichen Schwierigkeiten: Mit seinen angegriffenen Entscheidungen vom 18.04.2005 bzw. 11.05.2005 hat der Beklage den auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" gerichteten Antrag des Kl�gers mit der Begr�ndung abgelehnt, dass die Voraussetzungen des � 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB) nicht erf�llt seien, weil keine wesentliche �nderung in den gesundheitlichen Verh�ltnissen des Kl�gers eingetreten sei. Dies hat das SG mit seiner Beweisanordnung vom 25.01.2006 mit der Beweisfrage zu 4. aufgegriffen, obwohl die Voraussetzungen des � 48 SGB X nicht zu pr�fen waren. � 48 SGB X findet n�mlich dann keine Anwendung, wenn ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung als Vergleichsma�stab nicht vorliegt bzw. die zum Vergleich herangezogene Verwaltungsentscheidung sich in der Ablehnung eines begehrten Nachteilsausgleichs ersch�pft.
Entgegen der Auffassung des SG ist vorliegend auch nicht von einer deutlich unterdurchschnittlichen, sondern von einer zumindest durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit f�r den Kl�ger auszugehen. Denn die angestrebte Befreiung von der Rundfunkgeb�hrenpflicht (Wert in etwa 17,00 EUR / Monat) ist gemessen an den dem Kl�ger gew�hrten Rentenleistungen von 506,00 EUR / monatlich erheblich; dahin stehen kann dabei, ob auch noch Vorteile des sog. Sozialtarifs f�r Verbindungen im T-Net der Deutsche Telekom AG f�r den Kl�ger in Betracht gekommen w�ren. Bei der Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit sind auch die weiteren Auswirkungen auf die pers�nlichen Lebensumst�nde des Kl�gers zu ber�cksichtigen. Mit einer Befreiung von der Rundfunkgeb�hrenpflicht w�re f�r den pflegebed�rftigen Kl�ger (Pflegestufe II i.S. des � 15 Abs. 1 Nr. 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) eine Teilnahme am allgemeinen und �ffentlichen Leben zumindest �ber Rundfunk und Fernsehen gew�hrleistet gewesen.
Als weiteres Bemessungskriterium sind auch die Verm�gens- und Einkommensverh�ltnisse des Auftraggebers zu ber�cksichtigen; dabei k�nnen bessere wirtschaftliche Verh�ltnisse grunds�tzlich eine h�here Verg�tung und schlechtere wirtschaftliche Verh�ltnisse eine M��igung der Geb�hr begr�nden. Die schlechten wirtschaftlichen Verh�ltnisse des Kl�gers allein rechtfertigen es jedoch nicht, die von seinem Prozessbevollm�chtigten getroffene Bestimmung der Mittelgeb�hr als unbillig zu bewerten. Denn in F�llen, in denen - wie hier - Prozesskostenhilfe gew�hrt worden ist, liegen grunds�tzlich schlechte Einkommens- und Verm�gensverh�ltnisse vor (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert a.a.O. � 12, Rdn. 15). Zu ber�cksichtigen sind alle Umst�nde des Einzelfalls. Anderenfalls k�nnte ein Rechtsanwalt, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist, in einem solchen Fall nicht die Geb�hr erhalten, die aufgrund des Vorliegens der �brigen Bemessungskriterien gerechtfertigt w�re (Beschluss des Senats vom 16.08.2006 - L 10 B 7/06 SB -).
2. Etwas anderes gilt allerdings hinsichtlich der Terminsgeb�hr nach Nr. 3106 VV. Hier ist der Ansatz der Mittelgeb�hr von 200,00 EUR bereits deshalb unbillig, weil der Termin vom 08.11.2006 lediglich f�nf Minuten gedauert hat. Der Umfang der anwaltlichen T�tigkeit war auch unter Ber�cksichtigkeit einer etwaigen Vorbereitungszeit au�erordentlich gering, so dass der Senat mit dem SG eine Geb�hr von 100,00 EUR (H�lfte der Mittelgeb�hr) f�r angemessen erachtet. Fahrt- und Abwesenheitszeiten des Prozessbevollm�chtigten sind nicht in die Bewertung einzubeziehen, da diese von den Nrn. 7003 bzw. 7005 VV abgedeckt werden.
Die Verg�tung des Prozessbevollm�chtigten des Kl�gers ist somit wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgeb�hr nach 3102 VV RVG 250,00 EUR
Terminsgeb�hr nach 3106 VV RVG 100,00 EUR
Entgelt f�r Post und Telekommunikationsleistungen 20,00 EUR
Fahrkosten nach 7003 VV RVG 46,80 EUR
Abwesenheitsgeld nach 7005 VV RVG 20,00 EUR
insgesamt: 436,80 EUR
16% Umsatzsteuer 69,88 EUR
insgesamt: 506,68 EUR.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (� 177 SGG).