LSG NRW – Beschluss vom 20.11.2003 – Az.: L 10 SB 102/02

 

Auch wenn lediglich ein „höherer“ GdB als 30 beantragt  wird, kann das Klageziel ein GdB von 50 sein.


 

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten bestand Streit darüber, ob der bei der Klägerin mit 30 festgestellte Grad der Behinderung (GdB) zu erhöhen war. Nach Beweiserhebung durch den Senat hat der Beklagte ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass ab Antragstellung ein GdB von 40 festgestellt wird. Die Klägerin hat das Anerkenntnis angenommen, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und Kostenantrag gestellt. Das Angebot des Beklagten, die außergerichtlichen Kosten zu einem Drittel zu übernehmen, hat sie abgelehnt, da der "Grad der Behinderung ab Antragstellung mit einem GdB von 40 hätte bewertet werden müssen".

 

II.

Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist die Kostenentscheidung gem. § 193 SGG nach sachgerechtem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalles. Wesentlich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat (Senatsbeschluss vom 17.01.2003 - L 10 B 20/02 KA -). Hierzu rechnet die falsche Sachbehandlung, eine fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides, unrichtige Beratung oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung (Senatsbeschlüsse vom 18.01.1999 - L 10 B 9/98 - und vom 28.05.1999 - L 10 B 6/99 P -). Gleichermaßen ist das Verhalten des Klägers zu würdigen (z.B. verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag). Abweichend vom Zivilprozess und vom Verwaltungsgerichtsprozess sind die Gründe für die Klageerhebung und für die- Erledigung des Rechtsstreits auch dann im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen, wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren durchgedrungen ist (Zeihe, SGG, § 193 Rdn. 7h; Senatsbeschlüsse vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P - und vom 14.03.2000 - L 10 B 1/00 SB -). Für die Kostenentscheidung wesentlich ist im übrigen, ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten zu tragen (vgl. Zeihe § 193 Rdn 7h; LSG Rheinland-Pfalz vom 04.12.1998 - L 7 B 78/98 - sowie LSG Schleswig-Holstein in NZS 1997, 392; Senatsbeschlüsse vom 16.08.1999 - L 10 B 11/99 P - und vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P -).

Davon ausgehend ist es angemessen, dem Beklagten ein Drittel der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen aufzuerlegen.

Nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Beendigung des Rechtsstreits kam nach dem eindeutigen Ergebnis der Beweisaufnahme - auch nach der Erkenntnis der Klägerin - ausschließlich die Feststellung eines GdB von 40 in Betracht.

Damit hat die Klägerin jedoch ihr Klageziel nicht erreicht. Klageziel war die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Etwas anderes ergibt sich nicht etwa deshalb, weil die Klägerin durchgehend beantragt hat, "den Grad der Behinderung" höher als mit 30 festzusetzen".

Ein Antrag auf Feststellung eines Mindest-GdB ("mehr als", "höher als" oder "mindestens von") ist grundsätzlich dahingehend zu verstehen, dass dieser Mindest-GdB - und kein höherer GdB - angestrebt wird (LSG Berlin, Urteil vom 29.10.2002 - L 13 SB 59/01 -). So kann auch, wenn ein Mindest-GdB gefordert und dieses Ziel erstinstanzlich erreicht wird (z.B. Verwaltungsentscheidung: GdB von 30; Urteil des Sozialgerichts: GdB von 40), eine über diese Minimalforderung hinausgehende GdB-Feststellung im Berufungsrechtszug grundsätzlich nicht mehr begehrt werden (vgl. dazu Bayerisches LSG - Urteil vom 25.03.1999 - B 15 Sb 47/97 - m.w.N.). Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich aus dem Klagevorbringen ergibt, dass es dem Kläger tatsächlich darum geht, die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen zu lassen (hierzu eingehend Senatsbeschluss vom 04.01.2002 - L 10 B 22/01 SB -). Denn der Streitgegenstand (§ 92 SGG) wird durch den Antrag unter Berücksichtigung des Vorbringens bestimmt (Senatsbeschluss vom 04.04.2001 - L 10 B 15/01 SB - m.w.N.). Das Gericht ist gehalten, über die erhobenen Ansprüche zu entscheiden, ohne dabei an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).

Den tatsächlich zur Entscheidung gestellten Anspruch hat die Klägerin - in Konkretisierung ihres Klageantrags - mit Schriftsatz vom 15.11.2001 angegeben; sie hat nämlich ausgeführt, dass die Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen sei.

Diesem Ziel ist grundsätzlich höhere Bedeutung zuzumessen als der erreichten Erhöhung des GdB von 30 auf 40, die allenfalls zu einer geringfügig gesteigerten Steuerbefreiung führen kann. Deshalb ist der Beklagte bei einer solchen Fallgestaltung lediglich mit einem Drittel der Kosten zu belasten anstatt mit der rechnerischen Hälfte (vgl. dazu z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.05.1995 - L 6 SVs 2/95 - m.w.N.).

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).