L 10 SB 82/03 LSG NRW - Urteil vom 8. September 2004

 


Tatbestand

Der 1956 geborene Kläger begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB) sowie die Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "H" (Hilfslosigkeit), "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Mit Bescheid vom 08.10.1976 stellte der Beklagte bei ihm wegen einer "Hirnschädigung mit Leistungsbeeinträchtigung" eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, nunmehr GdB) von 80 fest. Den nachfolgend zuerkannten Nachteilsausgleich "G" entzog der Beklagte dem Kläger 1985 wieder. Ansonsten lehnte der Beklagte - teilweise unter Abänderung der Leidensbezeichnung - eine Erhöhung des GdB sowie die Feststellung von Nachteilsausgleichen wiederholt ab (Bescheid vom 09.11.1982; Bescheid vom 15.10.1984; Bescheid vom 28.10.1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.03.1986; Bescheid vom 12.12.1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1987; Bescheid vom 26.06.1987 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 08.12.1987 und des Widerspruchsbescheides vom 11.04.1988; Bescheid vom 03.07.1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.01.1991; Bescheid vom 24.08.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1994; Bescheid vom 29.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.1996; Bescheid vom 15.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1998). Dagegen erhobene Klagen blieben ohne Erfolg.

Am 27.10.2000 beantragte der Kläger den Nachteilsausgleich "RF"; gleichzeitig machte er eine "starke Gehbehinderung mit Hilflosigkeit" geltend. Der Beklagte lehnte den auf das Merkzeichen "RF" gerichteten Antrag mit Bescheid vom 07.12.2000 mit der Begründung ab, dass mit Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 21.08.2000 (S 31 SB 86/00) die auf Feststellung eines GdB von 100 sowie der Nachteilsaugleiche "G" und "B" gerichtete Klage abgewiesen und eine seitdem eingetretene Verschlimmerung nicht plausibel dargelegt worden sei. Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" seien nicht erfüllt. Mit seinem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass der genannte Rechtstreit sich nicht auf den Nachteilsausgleich "RF" bezogen habe. Ferner beantragte er unter dem 06.04.2001 die Feststellung eines höheren GdB sowie der Nachteilsausgleiche "G", "B", "H" und "RF" mit der Begründung, er sei zunehmend hilflos, die erhebliche Gehbehinderung habe ebenfalls zugenommen. Der Beklagte holte daraufhin zunächst Befundberichte ein von dem Arzt für Orthopädie Dr. L., dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. I., dem Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. T. sowie der Ärztin für Innere Medizin C. und veranlasste zudem ärztliche Untersuchungen durch den HNO-Arzt Dr. Q. und den Internisten Dr. L. Die Einschätzung des Dr. Q. (Gutachten vom 19.09.2001), der GdB auf HNO-ärztlichem Gebiet betrage unter Berücksichtigung einer Schallempfindungsschwerhörigkeit mit einem GdB von 30 und wiederkehrenden Nasennebenhöhlenentzündungen mit einem GdB von 10 insgesamt 30, änderte der ärztliche Dienst des Beklagten auf 20, weil der Hörverlust für Zahlen nur 35 dB betrage. Dr. L. (Gutachten vom 16.11.2001) schätzte den Gesamt-GdB weiterhin mit 80 ein. Er ging dabei von der Einzelbewertung aus:

  1. Geistige Behinderung mit neurotischer Persönlichkeitsentwicklung = GdB 80
  2. Fehlstellung und Verschleiß der Wirbelsäule mit zeitweiliger Nervenwurzelreizung = GdB 20
  3. Sehnenansatzerkrankung der Ellenbogengelenke = GdB 10
  4. Verschleiß der Kniegelenke, Fußverformung, Hüftgelenksreizung beidseits bei Hüftdyplasie = GdB 10
  5. Hörminderung beidseits, wiederkehrende Nebenhöhlenentzündungen nach Kieferhöhlenfensterung und Nasenscheidewandoperation = GdB 20.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche verneinte er.

Dieser Bewertung folgend lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 06.04.2001 mit Bescheid vom 28.11.2001 ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2001 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 07.12.000 unter Einbeziehung des Bescheides vom 28.11.2001 zurück. Zudem erteilte der Beklagte hinsichtlich der von dem Kläger begehrten Erhöhung des GdB in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf am 17.06.2003 einen abschlägigen Widerspruchsbescheid.

Der Kläger hat am 17.12.2001 Klage mit der Begründung erhoben; er sei schwer gehbehindert und auf ständige Hilfe angewiesen. Im Straßenverkehr und bei der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei er auf ständige Hilfe und Begleitung angewiesen. Von öffentlichen Veranstaltungen sei er gänzlich ausgeschlossen. Nach Rücksprache mit seinen behandelnden Ärzten lägen alle Nachteilsausgleiche vor.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 07.12.2000 und des Bescheids vom 28.11.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2001 und 17.06.2003 zu verurteilen, einen GdB von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "H", "B" und "RF" festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat u.a. vorgetragen: Aus den eingeholten Befundberichten ergebe sich lediglich ein neu aufgetretenes Augenleiden, das mit einem Einzel-GdB von 10 in den Katalog der Behinderungen aufzunehmen sei. Der Gesamt-GdB erhöhe sich dadurch jedoch nicht.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von dem Arzt für Orthopädie Dr. L., dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. I., der Ärztin für Innere Medizin C., dem Augenarzt Dr. T. und dem Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. Tx.

Ferner hat das SG ein Gutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr. Wu., Ratingen, eingeholt. Dr. Wu. (Gutachten vom 06.11.2002) hat einen Gesamt-GdB von 70 vorgeschlagen. Er hat bei dem Kläger leichte Funktionsstörungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit einem GdB von jeweils 10 beschrieben; wegen einer ungünstigen Kombination der vermehrten Rundung der Brustwirbelsäule und der massiven Adipositas hat er den GdB für das Funktionssystem "Rumpf" mit 20 beurteilt. Einen höheren GdB als 10 hat er dem Weichteilreizzustand beider Schultergelenke nicht zuzumessen vermocht. Ferner hat der Sachverständige einen Knorpelschaden mit schmerzhaftem Reiben der Kniescheibe im Gleitweg festgestellt, dem er einen GdB von 10 zugemessen hat. Zur Begründung hat er angeführt, ein höherer GdB komme nicht in Betracht, da der röntgenologische Befund altersentsprechend sei und keine Bewegungseinschränkung vorliege. Fußdeformitäten mit statischen Auswirkungen geringen Grades hat er einen GdB von 10 zugemessen; Bewegungseinschränkungen der Fußgelenke hat er ebenso wenig wie Funktionseinschränkungen der Ellenbogen oder Hüftgelenke feststellen können. Insgesamt hat er ein ausgeprägt kräftig muskulär geführtes Achsenorgan beschrieben und ausgeführt, dass der Kläger während der gezielten Untersuchungen heftig willkürlich gegengespannt habe. Während der Anamneseerhebung, des An- und Auskleidens und bei der Untersuchung anderer Abschnitte des Bewegungsapparates habe sich die Beweglichkeit alters- und konstitutionsentsprechend dargestellt. Dr. Wu. hat in die Bewertung des Gesamt-GdB den Vorgaben des SG entsprechend des Weiteren eine intellektuelle Retardierung im Grenzbereich zur Debilität mit seelischer Unausgeglichenheit und sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 50, eine beidseitige Hörminderung mit Nasennebenhöhlenentzündungen nach Kieferhöhlenfensterung und Nasenscheidewandoperation mit einem Einzel-GdB von 20 und ein Augenleiden mit Sehminderung mit einem Einzel-GdB von 10 einbezogen. Die Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche hat der Sachverständige verneint. Hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "G" lägen die Voraussetzungen der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (seit 2004 "nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" = AHP) nicht vor. Zudem wiesen sowohl die kräftig erhaltene Muskulatur der unteren Extremitäten als auch die starke Fußsohlenbeschwielung darauf hin, dass eine wesentliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit des Klägers nicht bestehe.

Das SG ist dem Gutachten gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 17.06.2003 abgewiesen und u.a. ausgeführt: Eine Erhöhung des GdB komme nicht in Betracht, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Vergleich zum Bescheid vom 08.12.1987 nicht festzustellen sei (§ 48 Abs. 1 Zehntes Buches Sozialgesetzbuches (SGB X)). Bei dem Kläger seien bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen:

  1. Geistige Behinderung mit neugotischer Persönlichkeitsentwicklung mit einem Einzel-GdB von 50
  2. Fehlstellung und Verschleiß der Wirbelsäule mit zeitweiliger Nervenwurzelreizung mit einem Einzel-GdB von 20
  3. Weichteilreizzustand beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von 10
  4. Kniescheibenknorpelschaden, Knick- und Senk-Spreizfuß beidseits mit einem Einzel-GdB von 10
  5. Hörminderung beidseits, wiederkehrende Nebenhöhlenentzündungen nach Kieferhöhlenfensterung und Nasenscheidewandoperation mit einem Einzel-GdB von 20
  6. Sehminderung mit einem Einzel-GdB von 10.

Insgesamt ergebe sich unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieser Gesundheitsstörungen ein Gesamt-GdB von 70, so dass der Kläger nicht beschwert sei. Im Übrigen seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nicht erfüllt.

Das SG hat das Urteil am 02.07.2003 als Einschreiben mit Rückschein an den Kläger abgesandt. Es wurde am 15.07.2003 von der Deutschen Post mit dem Bemerken "Nicht abgeholt" zurückgesandt. Das nachfolgend mit einfachem Brief zugesandte Urteil hat der Kläger am 29.07.2003 erhalten.

Mit seiner Berufung vom 07.08.2003 verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er weist darauf hin, dass er sich - ausweislich des eingereichten vorläufigen Entlassungsberichts der E-Klinik - vom 29.07. bis 06.08.2003 wegen einer Abzessentfernung in stationärer Behandlung befunden hat und deshalb nicht früher habe Berufung einlegen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.06.2003 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 07.12.2000 und des Bescheids vom 28.11.2001 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30.11.2001 und 17.06.2003 zu verurteilen, jeweils ab Antragstellung einen GdB von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G", "H", "B" und "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Der Senat hat zunächst einen Behandlungsbericht von der E.-Klinik sowie Befundberichte von dem Arzt für Orthopädie Dr. Ty. und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Tz. eingeholt. Ferner hat der Senat Gutachten eingeholt von dem Arzt für Orthopädie Dr. Ta. (14.01.2004), dem Chefarzt des Instituts für Neurologie / Psychiatrie der Kliniken St. B. in W., Dr. W. (02.06.2004) und dem Facharzt für Innere Medizin Dr. G. (02.07.2004).

Dr. Ta. hat einem rezidivierenden Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom einen Einzel-GdB von 30, einer Periarthropathie beider Schultergelenke einen Einzel-GdB von 20, sowie einer beginnenden Arthrophie beider Hüftgelenke, einer beginnenden Arthrophie beider Kniegelenke und Knick- Senk-Füßen beiderseits jeweils einen Einzel-GdB von 10 zugemessen. Für das Funktionssystem Wirbelsäule hat er einen GdB von 30 und für die Funktionssysteme Arme und Beine einen GdB von jeweils 20 vorgeschlagen. Er hat den Kläger für in der Lage gesehen, ortsübliche Wegstrecken von 2 km zu Fuß zurücklegen; die Zeit dafür hat er auf 1 bis 1,5 Stunden geschätzt. Ein Regelfall nach der Nr. 30 Abs. 3 AHP - so der Sachverständige - liege nicht vor; weder sei für den Wirbelsäulenschaden ein GdB von 50 noch für die Funktionsstörungen der unteren Extremitäten ein GdB von 40 anzusetzen. Für die weiteren Nachteilsausgleiche hat er das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen verneint. Im Übrigen hat er ausgeführt: Aufgrund der vermutlich vorliegenden, nur leichten Debilität, der erheblichen psychischen Überlagerung mit Fixierung auf eine 100%-ige Schwerbehinderung mit mehreren Nachteilsausgleichen und des zusätzlich vermutlichen Aggravationsverhaltens ließe sich die Quantität der jeweiligen orthopädischen Behinderungen nur schwer abschätzen. Vielfach korrespondiere die so erheblich demonstrierte Bewegungsbehinderung nicht mit den radiologischen Befunden. Der Einzel-GdB könne deshalb nur grob geschätzt und nicht genau definiert werden.

Dr. W., der den Kläger bereits 1999 untersucht und damals einer intellektuellen Retardierung im Grenzbereich zur Debilität mit seelischer Unausgeglichenheit, sozialen Anpassungs- und Einordnungsschwierigkeiten einen GdB von 50 zugemessen hat (Gutachten vom 11.05.2000 - S 31 SB 86/00 SG Düsseldorf), hat nunmehr eine intellektuelle, im oberen Bereich der Debilität liegende Retardierung sowie persönlichkeitsbedingte soziale Anpassungs- und Einordnungsschwierigkeiten mittelgradigen Ausmaßes mit einem GdB von 60 bewertet. Mit einem Intelligenzquotienten von 70 ergebe sich nach den AHP Nr. 26.3 ein GdB von 30 bis 40, der wegen der persönlichkeitsbedingten Anpassungs- und Einordnungsschwierigkeiten auf 60 zu erhöhen sei. Seit 1987 habe sich hinsichtlich der querulatorischen Verhaltensweise im Zusammenhang mit dem Versorgungsbegehren eine Zuspitzung ergeben; diesem sei mit dem Vorschlag eines etwas höheren GdB Rechnung getragen worden. Das Vorliegen der Voraussetzungen von Nachteilsausgleichen hat der Sachverständige verneint und darauf hingewiesen, dass aufgrund der an allen Gliedmaßen kräftig entwickelten Muskulatur, der besonders an den Fußsohlen massiven Beschwielung wesentliche körperliche Schontendenzen im Alltag auszuschließen seien. Die Angaben zum Alltagsverhalten und der Ernährungszustand der Muskulatur, der Handflächen und Fußsohlen unterstrichen den Eindruck, dass die Schon- und Versagungshaltung auf die gutachtlichen Untersuchungssituationen begrenzt und somit der willentlichen Steuerung keineswegs entglitten seien.

Dr. G. hat einen Diabetes mellitus mit einem GdB von 10 bei diabetesadaptierter Kost und Behandlung mittels Biguaniden beschrieben. Einer chronischen Nebenhöhlenentzündung hat er einen GdB von 10 zugemessen; den GdB von 20 für eine Hörminderung, die sich bei normaler gesprochener Sprache in ruhigen Praxisräumen nicht auswirke, hat er bestätigt. Unter Berücksichtigung der Feststellungen der Dres. Ta. und W. hat er den Gesamt-GdB mit 80 eingeschätzt. Unabhängig von den auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen bestünden Beschwerden an Wirbelsäule und Schultergelenken, so dass er den Gesamt-GdB mit 80 beurteile; die HNO-ärztlichen Gesundheitsstörungen würden sich weniger auswirken. Nachteilsausgleiche hat der Sachverständige verneint.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Vorprozessakten des SG Düsseldorf S 3 RJ 202/97, S (37)38 Vs 48/94, S 38 Vs 274/96, S 38 SB 20/99 und S 31 SB 86/00 (L 7 SB 183/00 LSG NRW) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zum Teil begründet.

Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist die Berufungsfrist eingehalten. Der Kläger hat das am 17.07.2993 per einfachen Brief versandte Urteil des SG am 29.07.2004 erhalten. Mit diesem tatsächlichen Zugang gilt das Urteil als an diesem Tag zugestellt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 189 Zivilprozessordnung (ZPO)); die am 07.08.2003 eingelegte Berufung ist damit rechtzeitig.

Eine andere formgerechte Zustellung des Urteils lässt sich nachweisen. Die vom SG zuvor versuchte Zustellung mittels Übergabeeinschreiben mit Rückschein ist zwar grundsätzlich zulässig (vgl. dazu Humpert in Berliner Kommentare, Sozialgerichtsgesetz, § 135 Anm. 4), es ist aber nicht zu erkennen, dass die Zustellung wirksam erfolgt ist. Ein Rückschein, der die Zustellung nachweist (§ 175 Satz 2 ZPO) liegt nämlich nicht vor. Eine wirksame Ersatzzustellung oder eine Zustellungsverweigerung (§§ 180, 181 und 179 ZPO) ist nicht festzustellen. Im Übrigen wäre die einmonatige Rechtsmittelfrist des § 151 Abs. 1 SGG selbst unter Zugrundelegung der erstmaligen Urteilsabsendung am 02.07.2003 (frühestens) erst am 04.08.2003 abgelaufen (der 2. bzw. 3. August fielen auf ein Wochenende) und wäre dem Kläger auf sein Vorbringen in der Berufungsschrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) zu gewähren, da er wegen der nachgewiesenen stationären Behandlung in der E.-Klinik vom 29.07. bis 06.08.2003 ohne Verschulden verhindert war, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, und er dies an dem Tag des Wegfalls des Hinderungsgrunds auch geltend gemacht hat.

Die Berufung ist indes nur insoweit begründet, als ein GdB von 90 festzustellen ist. Insoweit ist der Kläger durch die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten beschwert. Er hat nämlich Anspruch auf Feststellung eines GdB von 90.

Im Übrigen hat das SG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen; denn der Kläger hat weder Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 90 noch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Nachteilsausgleiche.

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung abzuändern, soweit sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.

Eine solche wesentliche Änderung ist in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 08.10.1976 vorgelegen haben, eingetreten; dementsprechend ist der GdB ab Antragstellung im April 2004 auf 90 zu erhöhen.

Anders als das SG sieht der Senat den Bescheid vom 08.10.1976 als den im Rahmen des § 48 SGB X zugrunde zulegenden Vergleichsbescheid an. Denn allein dieser Bescheid, mit dem erstmals eine Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz getroffen und die MdE mit 80 festgestellt wurde, stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Sämtliche übrigen Bescheide des Beklagten beschränken sich darauf, das Begehren des Klägers auf Feststellung eines höheren GdB abzulehnen und haben damit keine Dauerwirkung. Soweit der Beklagte in der Begründung seiner Entscheidungen weitere Gesundheitsstörungen aufgenommen hat, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Werden solche Gesundheitsstörungen bzw. Diagnosen in den Bescheidtext übernommen, fehlt der Entscheidung ein rechtlich relevanter Regelungscharakter. Die gestellte Diagnose ist lediglich eine zur Begründung von Entscheidungen geeignete Tatsache; sie fasst die Gesamtheit der Behinderungen unter einen Begriff und begründet so die Verwaltungsentscheidung, die aber allein den Grad der Behinderung betrifft (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 06.12.1989 - Az.: 9 RVs 3/89 -, SozR 3870, § 4 SchwbG Nr. 3).

Die 1976 getroffenen Feststellungen des Beklagten beruhen allein auf der Angabe des Dr. C. vom 07.09.1976, dass der Kläger seit Geburt an einer - von dem Beklagten als "Hirnschädigung mit Leistungsbeeinträchtigung" verstandenen - Debilität leide. Dass andere Gesundheitsstörungen in die Beurteilung des Beklagten eingeflossen sind, ist ebenso wenig ersichtlich, wie dass andere Gesundheitsstörungen mit Einfluss auf den Gesamt-GdB bestanden.

Dass in der der Gesundheitsstörung "Hirnschädigung mit Leistungsbeeinträchtigung" eine wesentliche Änderung i.S. einer Besserung eingetreten sein könnte, lässt sich bereits von der Natur des Erkrankung her nicht herleiten. Im Übrigen hat der Beklagte wiederholt die GdB-Beurteilung mit dem Ergebnis überprüft, dass zwar die damalige Feststellung als dem Kläger wohlwollend angesehen, aber mangels Besserung als nicht abänderbar beurteilt wurde (s. insbesondere Gutachten vom 23.06.1990, Gutachten vom 02.08.1996, versorgungsärztliche Stellungnahme vom 30.11.2000).

Seit 1976 sind bei dem Kläger indes weitere Gesundheitsstörungen hinzugetreten, nämlich im Wesentlichen ein Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom, eine Periarthropathie beider Schultergelenke, eine Arthrophie beider Hüftgelenke, eine Arthrophie beider Kniegelenke, Knick-Senk-Füße beiderseits, eine chronische Nebenhöhlenentzündung, ein Diabetes mellitus, ein Augenleiden sowie eine Hörminderung. Zudem haben sich die Auswirkungen der intellektuellen Retardierung mit persönlichkeitsbedingten sozialen Anpassungs- und Einordnungsschwierigkeiten nach der Beurteilung des Sachverständigen Dr. W. verstärkt.

Diese Änderungen sind wesentlich; sie rechtfertigen die Erhöhung des GdB auf 90, aber nicht auf 100.

Bei der Neufestsetzung im Rahmen einer auf § 48 Abs. 1 SGB X gestützten Aufhebung wegen einer Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen handelt es sich zwar nicht um eine reine Hochrechnung des im alten Bescheid festgestellten Gesamt-GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Leiden (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2000, B 9 SB 3/00 R, SozR 3-1300 § 45 Nr. 43 mit Verweis auf BSGE 81, 50 = SozR 3-3870 § 3 Nr. 7). Zumindest dann, wenn das ehemals festgestellte Ausmaß einer einzigen Gesundheitsstörung das alleinige tragende Element der (Gesamt)-GdB-Feststellung war, rechtfertigt dies es aber nicht, eine "stille Abschmelzung" in dem Sinne vorzunehmen, dass weitere, neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen solange nicht berücksichtigt werden, bis das nun für gerechtfertigt erachtete Ausmaß der Beeinträchtigung dem seinerzeit festgestellten (Gesamt-)GdB entspricht. Richtigerweise hätte der Beklagte in diesem Fall, wenn er eine Fehlerhaftigkeit des Bescheides von 1976 annehmen sollte, nach § 48 Abs. 3 SGB X den nach seiner Auffassung 1976 tatsächlich vorliegenden GdB feststellen können und müssen. Nach dieser Vorschrift darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt - wie hier - nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann, und eine Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Diese Vorschrift findet auch im Schwerbehindertenrecht hinsichtlich der Feststellung des (Gesamt-)GdB entsprechende Anwendung, obwohl es sich dabei nicht um eine "Leistung" handelt (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2000, a.a.O.). Da der Beklagte den Bescheid von 1976 nicht mehr rechtswirksam zurücknehmen kann und auch keine "Abschmelzung" vorgenommen hat, ist dem Kläger eine gesicherte Rechtsposition erwachsen, die nicht dadurch geschmälert werden darf, dass weitere Änderungen zu seinen Gunsten nicht berücksichtigt werden.

Die o.a. eingetretenen Änderungen führen zu einer Steigerung des bereits 1976 festgestellten Gesamtausmaßes der Beeinträchtigung. Dies ergibt sich aufgrund der Beurteilung des Dr. G., der den zusätzlichen Gesundheitsstörungen - insbesondere des Achsenskeletts - deswegen eine den Gesamt-GdB beeinflussende Wirkung zumisst, weil diese im Wesentlichen unabhängig von den durch die intellektuelle Retardierung sowie die persönlichkeitsbedingten sozialen Anpassungs- und Einordnungsstörungen hervorgerufenen Beeinträchtigungen bestehen, insbesondere aber aus der Beurteilung des Dr. W., der eine Verschlechterung des psychischen Leidensbildes angibt.

Allerdings hält der Senat aufgrund dieser Änderungen eine Erhöhung des Gesamt-GdB um "lediglich" 10 für gerechtfertigt.

Der Sachverständige Dr. W. bekundet eine Verschlechterung des psychischen Leidensbildes durch eine hypochondrisch gefärbte Schon- und Versagungsverhaltung mit begleitenden und emotionalen Reaktionen; dazu beschreibt er neben massiven Vorwürfen gegenüber verschiedenen Behörden die Angabe von Schmerzen und Beschwerden verschiedenster Organsysteme und Körperregionen. Dies deckt sich mit den Angaben des Sachverständigen Dr. Ta., dass aufgrund der Debilität und einer erheblichen psychischen Überlagerung mit Fixierung auf eine 100%-ige Schwerbehinderung mit mehreren Nachteilsausgleichen sowie des zu vermutenden Aggravationsverhaltens sich die Quantität der jeweiligen orthopädischen Behinderungen nur schwer abschätzen ließe und die demonstrierten Bewegungsbeeinträchtigungen nicht mit den radiologischen Befunden korrespondierten. Dementsprechend hat auch der Sachverständige Dr. W. eine Überschneidung von "Psychischer Erkrankung" und Funktionsstörungen von Seiten der Funktionssysteme "Rumpf", "Arme" und "Beine" angenommen.

Diese überzeugenden Ausführungen führen zwar zu einer Einschränkung der Auffassung des Dr. G., dass die Beeinträchtigungen insbesondere des Achsenskeletts von den auf neurologisch-psychischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen unabhängig seien; dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass insbesondere die Gesundheitsstörungen des Achsenskeletts bei der Bildung des Gesamt-GdB vollständig unberücksichtigt bleiben müssen.

Der Senat vermag der Beurteilung des Sachverständigen Dr. Ta., der dem Funktionssystem "Rumpf" einen GdB von 30 und den Funktionssystemen "Arme" und "Beine" jeweils einen GdB von 20 zumisst, nicht vollends zu folgen. Die Einschätzung des Sachverständigen leidet unter dem von ihm selber erkannten Mangel, dass aufgrund des Verhaltens des Klägers eine Funktionsprüfung der Wirbelsäule, Arme und Beine nahezu nicht möglich war und damit letztendlich auch keine verwertbaren Befunde vorliegen. So hat der Kläger z.B. Brust- und Lendenwirbelsäule trotz Aufforderung in keiner Weise bewegt. Dies rechtfertigt indes nicht die Feststellung einer schweren Bewegungsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 30, zumal die radiologischen Befunde die demonstrierte Beeinträchtigung nicht erklären können. Im Übrigen ist allein aufgrund radiologischer Befundung kein GdB festzustellen, da hierfür vorrangig das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung maßgebend ist. Dem radiologischen Befund kommt im Wesentlichen insoweit Bedeutung zu, als er dazu beitragen kann, bei der klinischen Untersuchung festgestellte Funktionsbeeinträchtigungen zu bestätigen bzw. zu widerlegen oder zumindest in Frage zu stellen. Deshalb kann auch der Umstand, dass radiologisch eine Bandscheibenprotusion der Halswirbelsäule bzw. ein kleiner Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule festgestellt werden konnten, für sich keinen GdB rechtfertigen, sondern nur Beschwerdeangaben des Probanden verifizieren. Auch bei der Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung der Schultergelenke hat der Sachverständige Dr. Ta. ebenfalls auf die Unsicherheit der Objektivierung genauer Bewegungsausschläge hingewiesen. Zudem hat er radiologisch keine Veränderungen festgestellt, die die von dem Kläger gezeigte Einschränkung beim Anheben der Arme sowohl nach vorne als auch zur Seite auf eine Höhe unter die Horizontale erklären könnten. Auch die kräftige Ausbildung der Oberarmmuskulatur spricht gegen wesentliche Funktionseinschränkungen der Schultergelenke. Gleiches gilt hinsichtlich der Beine, die ebenfalls eine kräftige Ausbildung sowohl der Ober- als auch der Unterschenkelmuskulatur aufzeigen; eine wesentliche Beeinträchtigung mit Schonhaltung ist damit ausgeschlossen. Auch die radiologischen Befunde (Kniegelenke unauffällig - Hüftgelenke: leichte Dysplasie) erklären ebenso wie die übrigen Befunde (keine Deformität, keine Entzündungszeichen, kein Erguss) nicht die von dem Kläger gezeigte Bewegungseinschränkung (Knie kaum zu beugen).

Dennoch ist aber die vom Sachverständigen Dr. W. beschriebene Verschlechterung des "psychischen Leidensbildes" (Erhöhung des GdB um 10) bei der Bemessung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die nach der Beurteilung des Dr. W. einen GdB von 20 bedingende ungünstige Kombination der vermehrten Rundung der Brustwirbelsäule und der massiven Adipositas in Verbindung mit - im Umfang allerdings nicht verifizierbaren und damit keinen höheren Einzel-GdB als 20 rechtfertigenden - Beschwerden aufgrund Bandscheibenprotusion bzw. Bandscheibenvorfalls. Diese Veränderungen rechtfertigen die Erhöhung des Gesamt-GdB auf 90. Ein höherer GdB kommt allerdings nicht in Betracht, da die dem Funktionssystem "Rumpf" zugeordneten Beschwerden sich - wie ausgeführt - zumindest teilweise mit den Auswirkungen des neurologisch-psychiatrischen Leidensbildes überschneiden.

Die übrigen Gesundheitsstörungen (Arthrophie beider Hüftgelenke, Arthrophie beider Kniegelenke, Knick-Senk-Füße beiderseits, chronische Nebenhöhlenentzündung, Augenleiden, Diabetes mellitus) bedingen nach der Einschätzung aller Sachverständigen, auf deren Gutachten insoweit verwiesen wird, jeweils allenfalls einen GdB von 10. Weder an den Hüft- noch Kniegelenken konnten Funktionseinschränkungen festgestellt oder sonstige stärker beeinträchtigende pathologischen Befunde erhoben werden (s.o.); ein höherer GdB als jeweils 10 kommt damit nicht in Betracht. Knick-Senk-Füße mit statischen Auswirkungen geringen Gerades bedingen einen GdB von 10 (AHP Nr. 26.18); gleiches gilt für chronische Nebenhöhlenentzündungen leichten Grades, d.h. - wie hier - ohne wesentliche Neben- und Folgeerscheinungen (AHP Nr. 26.6), und einen mit Biguaniden ausreichend einstellbaren Diabetes mellitus (AHP Nr. 26.15). Die Sehminderung mit Gläserkorrektur beträgt 1,0 und bedingt damit keinen GdB. Bedenken gegen die Beurteilung des Beklagten, dennoch einen GdB von 10 wegen Gesichtsfelddefekten im oberen Bereich und konjunktivalen Reizzuständen in Ansatz zu bringen, bestehen nicht. Auch dem Funktionssystem "Arme" kann nur ein GdB von 10 zugemessen werden, da insoweit keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen sind (s.o.).

Diese Gesundheitsstörungen sind jedoch ohne Einfluss auf den Gesamt-GdB. Nach Nr. 19 Abs. 4 AHP führen nämlich zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Gesichtspunkte, die ein Abweichen von diesem Erhöhungsverbot (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000, B 9 V 8/00 R) rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und werden weder von dem Kläger noch von den Sachverständigen dargetan. Ein Ausnahmefall i.S. der AHP (eine Funktionsbeeinträchtigung wirkt sich auf eine andere besonders nachteilig aus) liegt nicht vor.

Auch die Hörminderung, die von dem Beklagten mit einem GdB von 20 bewertet wurde, ist ohne Einfluss auf den Gesamt-GdB. Es kann dahin stehen, ob dieser GdB angesichts des von dem den Kläger behandelnden Dr. Tx. mitgeteilten Hörverlustes von 20 bzw. 15 %, der noch einer Normalhörigkeit entspricht (AHP Nr. 26.5), zutreffend ist; denn selbst unter Zugrundelegung der Feststellungen des Beklagten ergibt sich kein höherer GdB. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es nämlich vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dementsprechend besteht kein Ansatzpunkt dafür, von der Beurteilung des Sachverständigen Dr. G. abzuweichen, der der Hörminderung "weniger" Einfluss auf den Gesamt-GdB zumisst. Eine Erhöhung ist nicht gerechtfertigt, da sich der Hörverlust - wie der Sachverständige ausgeführt hat - zumindest im normalen Gespräch in ruhigen Räumen nicht bemerkbar macht.

Nachteilsausgleiche stehen dem Kläger nicht zu. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 17.06.2003 (§ 153 Abs. 2 SGG) und führt ergänzend aus:

Auch im Berufungsverfahren hat keiner der gehörten Sachverständigen festzustellen vermocht, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G", "B" "RF" und "H" vorliegen. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Nachteilsausgleichs "G". Ein Regelfall der AHP Nr. 30 Abs. 3 liegt nicht vor; es ist auch keine den in den AHP genannten Regelfällen auch nur angenäherte Beeinträchtigung zu erkennen. Dies bestätigt auch der Sachverständige Dr. Ta., der weder für die Beeinträchtigungen der Lendenwirbelsäule einen GdB von 50 noch für die der unteren Extremitäten einen GdB von 40 gegeben sieht. Soweit der Sachverständige angibt, der Kläger benötige für eine ortsübliche Wegstrecke 1 bis 1,5 Stunden, vermag der Senat dieser Beurteilung - ohne weitere Würdigung der daraus ggf. resultierenden Folgen - nicht zu folgen. Wie bereits ausgeführt konnte der Sachverständige wegen des Verhaltens des Klägers eine Funktionsprüfung der Wirbelsäule, Arme und Beine nahezu nicht durchführen und damit letztendlich auch keine verwertbaren Befunde erheben. Dementsprechend ist die o.a. Beurteilung mangels hinreichender Beurteilungsgrundlage nicht nachvollziehbar. Insbesondere spricht aber - eindeutig - gegen eine wesentliche Einschränkung der Fortbewegungsfähigkeit des Klägers, dass - wie auch schon das SG ausgeführt hat - aufgrund der an allen Gliedmaßen kräftig entwickelten Muskulatur, der besonders an den Fußsohlen massiven Beschwielung wesentliche körperliche Schontendenzen im Alltag auszuschließen sind (so auch der Sachverständige Dr. W). Die Angaben zum Alltagsverhalten und der Ernährungszustand der Muskulatur, der Handflächen und Fußsohlen unterstreichen, dass die von dem Kläger gezeigte Schon- und Versagungshaltung auf die gutachtlichen Untersuchungssituationen begrenzt und somit der willentlichen Steuerung keineswegs entglitten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG; dem Obsiegen des Klägers kommt keine kostenrelevante Bedeutung zu.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.