Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 11 SB 107/11 - Urteil vom 24.04.2013
Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung liegt vor, wenn der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der behinderte Mensch eine Wegstrecke von 100 bis 200 Metern innerhalb von fünf bis zehn Minuten zurücklegen kann.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Das damals zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales B - Versorgungsamt - (nachfolgend: Versorgungsamt) stellte zugunsten des 1942 geborenen Klägers mit Bescheid vom 26. Mai 2008 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) fest. Dem GdB lagen folgende Einzel-GdB zugrunde:
- Harnblasenerkrankung in Heilungsbewährung (Einzel-GdB: 50),
- degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit langanhaltenden
Nervenwurzelreizerscheinungen und Funktionsstörungen nach ventraler
Spondylodese L5/S1 (Einzel-GdB: 40),
- koronare Herzerkrankung, zwei
Mal Ballondilatation eines Gefäßes, Angina pectoris (Einzel-GdB: 30),
- multipler Gelenksverschleiß (Einzel-GdB: 30),
- depressives Syndrom mit psychovegetativen Störungen (Einzel-GdB: 20),
- obstruktive Atemwegserkrankung (Einzel-GdB: 20),
- Nierenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB: 20),
- Kniegelenksverschleiß, Verschleiß und Bewegungseinschränkung des linken
Großzehengrundgelenkes (Einzel-GdB: 10).
Die Feststellung des Vorliegens unter anderem der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" lehnte das Versorgungsamt ab.
Am 4. November 2008 ging bei dem Versorgungsamt ein Antragsformular mit den Begehren auf Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) ein, den das Versorgungsamt nebst Akten an den mittlerweile zuständigen Beklagten weiterleitete. Der Beklagte holte einen Befundbericht bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. T vom 4. März 2009 und eine versorgungsärztliche Stellungnahme bei dem Versorgungsarzt G vom 6. April 2009 ein und lehnte den Antrag des Klägers vom 4. November 2008 mit Bescheid vom 15. April 2009 ab. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch holte der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin S vom 14. Juli 2009 ein und wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 10. August 2009 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 2. September 2009 Klage erhoben, mit der er die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" begehrt. Seiner Klageschrift hat der Kläger eine ärztliche Bescheinigung von Dr. T vom 31. August 2009 beigefügt. Während des Klageverfahrens hat der Kläger dem Sozialgericht Arztbriefe der Ärztinnen für Radiologie und Strahlenheilkunde Dres. C u. a. vom 16. Juni 2008 und des Röntgeninstituts vom 8. April 2010 sowie einen Befundbericht aus der orthopädischen Fachsprechstunde des O vom 3. August 2010 übermittelt.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Dr. T 16. März 2010 und vom 18. März 2011 sowie bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M vom 8. November 2010 eingeholt und einen Arztbrief des O vom 11. Februar 2011 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 2. bis 13. Februar 2011 beigezogen.
Der Beklagte hat dem Sozialgericht versorgungsärztliche Stellungnahmen der Versorgungsärztin und Sozialmedizinerin Dr. H vom 7. Januar 2010 und vom 6. Mai 2010 sowie der Fachärztin für Chirurgie Dr. W vom 30. März 2011 übermittelt.
Das Sozialgericht hat die auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" gerichtete Klage durch Urteil vom 12. April 2011 abgewiesen, weil sich den vorliegenden medizinischen Unterlagen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das begehrte Merkzeichen nicht entnehmen ließen.
Gegen das ihm am 25. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Juni 2011 Berufung eingelegt. Unter anderem hat er ausgeführt, ein von ihm dringend benötigter und auch ärztlich verordneter Rollstuhl sei ihm am 12. April 2011 geliefert worden.
Der Senat hat Befundberichte bei dem Facharzt für Innere Medizin Dr. H vom 28. Oktober 2011, Dr. T vom 2. November 2011 (Eingangsdatum beim Senat), dem Neurochirurgen und Schmerztherapeuten Dr. B vom 10. November 2011, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S vom 20. November 2011, dem Facharzt für Urologie R vom 22. November 2011 und Dr. M vom 15. Januar 2012 eingeholt.
Der Beklagte hat zu den Befundberichten eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Versorgungsärztin Dr. W vom 16. Februar 2012 übermittelt.
Der Senat hat ein Gutachten nach Aktenlage bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 24. Mai 2012 eingeholt, in dem Dr. Hartmann ausgeführt hat:
Bei dem Kläger lägen folgende Gesundheitsstörungen vor:
- degenerative Wirbelsäulenveränderungen nach Fusionsoperationen
L4/5 mit langanhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen,
- depressives
Syndrom mit psychovegetativen Störungen,
- chronisches Schmerzsyndrom
mit psychischen und somatischen Faktoren,
- Kniegelenksverschleiß
nach Meniskusoperationen,
- Zustand nach Blasenkarzinom mit
nachfolgenden Nierenfunktionseinschränkungen,
- obstruktive
Atemwegserkrankung,
- koronare Herzkrankheit.
Der GdB betrage wegen der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit langanhaltenden Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB: 40), der koronaren Herzerkrankung (Einzel-GdB: 30), dem depressiven Syndrom mit psychovegetativen Störungen (Einzel-GdB: 20), der obstruktiven Atemwegserkrankungen (Einzel-GdB: 20), dem Kniegelenksverschleiß (Einzel-GdB: 10) sowie der Harnblasenerkrankung (Einzel-GdB: 50) 100. Die Wirbelsäulenerkrankung und der Kniegelenksverschleiß wirkten sich negativ auf die Gehfähigkeit aus. Gegebenenfalls führe auch der vermehrte Harndrang zu einem eingeschränkten Aktionsradius, dies müsse jedoch urologisch gutachtlich geklärt werden, falls dies relevant sei. Ein mobilitätsbedingter GdB von 80 bestehe nicht. Der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis der querschnittsgelähmten, doppeloberschenkelamputierten, doppelunterschenkelamputierten, hüftexartikulierten und einseitig oberschenkelamputierten Menschen, die dauernd außerstande seien, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien. Sämtliche vorliegenden Befundberichte, die nicht nur Diagnosen wiedergäben, sondern auch die Funktionen und Fähigkeiten beschreiben würden, dokumentierten allenfalls eine mittelschwere Einschränkung der Gehfähigkeit. Die Berichte der Behandler, die eine Wegstrecke von 20 bis 50 bis 70 Metern dokumentierten, bezögen sich auf die Angaben des Klägers, ohne diese Angaben mit validen Befunddokumentationen zu unterlegen. Die Gehfähigkeit des Klägers sei nicht auf das schwerste eingeschränkt. Eine detaillierte Beschreibung des Gangbildes sei nur mit einer klinischen und körperlichen Untersuchung möglich. Die vorliegenden Befunddokumentationen schlössen das Vorliegen einer solchen Einschränkung der Gehfähigkeit aus.
Der Senat hat weiter ein fachorthopädisches Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. K vom 26. November 2012 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 21. November 2012 erstellt hat. Der Sachverständige hat für das orthopädische Fachgebiet folgende Erkrankungen des Klägers mitgeteilt:
- chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom, rezidivierende
Lumboischialgie links bei Zustand nach ventraler Spondylodese L5/S1 (1996) und
dorsoventraler Spondylodese L3-S1, Dekompression L3-S1 sowie Foraminotomie L5/S1
links (02/2011) mit mittelgradiger bis starker Belastungsminderung,
- Impingement-Syndrom des linken Schultergelenkes ohne aktuelles Funktionsdefizit,
- Epicondylopathia humeri radialis rechts mit geringem
Funktionsdefizit (Behandlungsfall),
- Metatarsalgie links bei Hallux
valgus und Hallux rigidus, Hallux valgus rechts, Senk-Spreizfuß beidseits mit
aktuell mittelgradigem Funktionsdefizit,
- Verdacht auf sensible
Polyneuropathie beider Füße.
Der Einzel-Grad der Behinderungen auf fachorthopädischem Gebiet werde wie folgt eingeschätzt: Der Einzel-GdB für die Erkrankung der Lendenwirbelsäule werde mit 40 entsprechend mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen eingeschätzt. Die Funktionseinschränkungen resultierten aus der Erkrankung der Lendenwirbelsäule mit den Folgen einer Fusionsoperation in drei Segmenten (GdB 30) und erhöhten sich auf 40 aufgrund der hiermit in Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen infolge einer Wurzelkompression im linken Bein. Eine Höherbewertung erscheine angesichts des Betroffenseins lediglich eines Wirbelsäulenabschnitts und des Fehlens eines funktionell relevanten neurologischen Defizits nicht angemessen. Besonders schwere oder schwerste Beeinträchtigungen, die eine veränderte Bewertung rechtfertigen würden, ließen sich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht nachweisen. Der Einzel-GdB für die Erkrankung der Füße werde mit aktuell 20 entsprechend statischen Auswirkungen stärkeren Grades eingeschätzt. Der Einzel-GdB für die Polyneuropathie betrage 10, für die Erkrankungen des linken Schultergelenkes und des rechten Ellenbogengelenkes sei je kein Einzel-GdB feststellbar. Der GdB für Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet werde mit 50 eingeschätzt. Hier sei zu berücksichtigen, dass sich die aus der Erkrankung der Lendenwirbelsäule resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen und die der Füße gegenseitig negativ im Hinblick auf die Geh- und Stehfähigkeit des Klägers auswirkten. Ein mobilitätsbedingter GdB von 80 liege nicht vor. Die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Der Kläger sei nach eigenen Angaben seit ca. neun Monaten an zwei Unterarmgehstützen mobilisiert. Die Notwendigkeit der Gehhilfen begründe er mit den Schmerzen im linken Fuß und ausdrücklich nicht mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule und/oder des übrigen linken Beines. Sein persönliches Leistungsprofil gebe der Kläger wie folgt an: Er könne ca. eine Stunde sitzen, 30 Minuten stehen und fünf Minuten gehen. Dann träten eine Gefühllosigkeit und ein Kältegefühl im linken Bein, insbesondere im Bereich des Oberschenkels auf, die eine Pause erforderten. Zudem habe er erhebliche Angst vor einem Sturz. Auch auf Nachfrage gebe der Kläger ausdrücklich an, dass ihn nicht Schmerzen, sondern das Kältegefühl und die Gefühllosigkeit zur Unterbrechung der Gangabwicklung zwängen. Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung hätten sich auf orthopädischem Fachgebiet weder klinisch noch radiologisch Anhaltspunkte finden lassen, die die Gehfähigkeit des Klägers in dem von ihm angegebenen Maße oder in dem Maße limitierten, dass ihm das Zurücklegen von einer Wegstrecke von zum Beispiel 100 bis 200 Metern innerhalb von fünf bis zehn Minuten nicht möglich wäre. Auch bei der gutachterlichen Untersuchung habe der Kläger an den Gehstützen eine Strecke von 50 Metern bedächtig und ohne Pause zurückgelegt. Zum Erreichen der gutachterlichen Praxis sei der Kläger zudem sieben Treppenstufen mit Mühe und unter größerer Anstrengung gestiegen. Zur Bewältigung sei keine fremde Hilfe notwendig gewesen. Zusammenfassend lägen bei dem Kläger Erkrankungen insbesondere der Wirbelsäule und des linken Fußes vor, die die Fortbewegungsfähigkeit einschränkten. Objektivierbare Befunde auf orthopädischem Fachgebiet, die eine Fortbewegung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges ermöglichten, hätten sich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht erheben lassen. Die Notwendigkeit des Benützens eines Rollstuhls bestehe nicht.
Der Kläger hat sich gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. K in einem Schriftsatz vom 25. Dezember 2012 gewendet, zu dem sich der Sachverständige ergänzend unter dem 15. Januar 2013 geäußert hat.
Der Kläger beantragt schriftlich und sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. April 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 15. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2009 zu verpflichten, bei ihm ab dem 4. November 2008 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der angefochtene Bescheid vom 15. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seit dem 4. November 2008.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, wobei Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung die in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) enthaltenen Regelungen sind. Nach Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Dazu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R - juris). Dabei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecken ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 SB 7/01 R - juris).
Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV enthält zu dem Merkzeichen "aG" folgende Aussagen:
a) Für die Gewährung von Parkerleichterungen für schwer behinderte Menschen nach dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist die Frage zu beurteilen, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt. Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.
b) Als schwer behinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
c) Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.
Ob und inwieweit zur Beurteilung des Vorliegens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ergänzend die vorstehenden Bestimmungen in Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV heranzuziehen sind, kann dahinstehen. Denn ungeachtet der Frage, ob die Regelungen der Vers-MedV zum Merkzeichen "aG" rechtswirksam erlassen worden sind (vgl. hierzu verneinend: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juli 2010 - L 8 SB 3119/08 - und Beschluss vom 9. Mai 2011 - L 8 SB 2294/10 - beide bei juris), liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für den von dem Kläger begehrten Nachteilsausgleich auch ohne Berücksichtigung dieser Regelungen nicht vor. Dabei ist anzumerken, dass die Ausführungen in Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV unter Buchstabe a) für den vorliegenden Fall keine nennenswerten Aussagen enthalten und die Ausführungen unter Buchstabe b) denen in Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO wortgleich entsprechen. Inwieweit die Ausführungen unter Buchstabe c) im Verhältnis zu denen im Abschnitt II Nr. 1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO strengere Maßstäbe aufstellen, kann vorliegend offen bleiben, weil vorliegend auch ohne Zugrundelegung dieser Maßstäbe eine außergewöhnliche Gehbehinderung im Rechtssinne nicht besteht.
Bei dem Kläger liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" nicht vor. Er zählt nicht zum Kreis der Querschnittsgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind. Er ist auch kein schwerbehinderter Mensch, der dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen ist. Denn die Gehfähigkeit des Klägers ist nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt und er kann sich auch nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 erster Halbsatz VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen fortbewegen.
Für die Beurteilung einer Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig jedoch weder quantifizieren noch qualifizieren. Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen, wie die Anlage zu § 2 VersMedV im Übrigen auch, nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Die für den Nachteilsausgleich "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "aG" reichen irgendwelche Erschöpfungszustände zudem nicht aus. Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder die Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u. a. aus der Dauer der erforderlichen Pausen sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Pausen ist im Hinblick auf die von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteile vom 29. März 2007 - B 9a SB 1/06 R und 5/05 R -, jeweils zitiert nach juris). Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, dass die für das Merkzeichen "aG" geforderte große körperliche Anstrengung gegeben sein dürfte, wenn der Betroffene bereits nach einer Wegstrecke von 30 Metern wegen Erschöpfung eine Pause einlegen muss (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 SB 7/01 R - juris).
Nach Maßgabe der genannten Grundsätze ist der Kläger nach Auswertung der vorliegenden Sachverständigengutachten nicht außergewöhnlich gehbehindert. Dabei muss der Senat nicht entscheiden, inwieweit das vom BSG aufgestellte Erfordernis, sich mit fremder Hilfe oder unter großer Anstrengung "praktisch von den ersten Schritten außerhalb [des] Kraftfahrzeuges" zu bewegen, mit der zuletzt genannten "30-Meter-Grenze" in Einklang zu bringen ist. Denn der Kläger kann sich nicht nur mit fremder Hilfe oder unter großer Anstrengung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Er kann andererseits aber auch jedenfalls 50 Meter ohne Pause zurücklegen, ehe er frühestens eine Pause benötigt. Insgesamt beträgt seine zumutbare Gehstrecke mit Pausen mindestens 100 bis 200 Meter (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2000 - B 9 SB 9/01 R - juris, wo das dortige LSG "in den Entscheidungsgründen [ ...] im Wesentlichen [ausgeführt hatte], der Kläger könne noch Wegstrecken von 100 bis 300 m zurücklegen").
Im Rahmen der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. K hat der Kläger mit Gehstützen 50 Meter zwar bedächtig, aber ohne Pause zurückgelegt. Eine Wegstrecke von 100 bis 200 Metern kann der Kläger nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. K innerhalb von fünf bis zehn Minuten zurücklegen. Das Gangbild des Klägers ohne Gehstützen beschreibt der Sachverständige als bedächtig und linkshinkend. Der linke Fuß werde nur im Außenbereich aufgesetzt und abgerollt, der linke Großzehenballen werde nicht belastet. Die Schrittlänge sei verkürzt. Der rechte Fuß werde regelrecht belastet, der Abrollvorgang sei gering verkürzt. Mit Gehstützen sei das Gangbild deutlich flüssiger, der linke Fuß werde hierbei ebenfalls nur unvollständig abgerollt. Die Schrittlänge sei gering verkürzt. Der Abrollvorgang des rechten Fußes sei harmonisch. Diese Ausführungen überzeugen, weil sie mit den objektivierbaren Befunden auf orthopädischem Fachgebiet korrespondieren. Denn Dr. K hat keine solchen Befunde erheben können, die den Schluss zulassen, der Kläger könne sich dauernd nur noch mit fremder Hilfe oder unter großer Anstrengung fortbewegen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass sich auf die Gehfähigkeit des Klägers Erkrankungen der Lendenwirbelsäule mit Auswirkungen auf das linke Bein sowie der Füße, vom Sachverständigen nachvollziehbar bewertet mit Einzel-GdB von 40 (vgl. Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.18, Seite 115 f., der für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 maßgeblichen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht in der Fassung 2008 - nachfolgend nur AHP) und 20 (vgl. Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.18 AHP, Seite 127), gesamt 50, auswirkten, diese Erkrankungen die Gehfähigkeit des Klägers aber nicht auf das Schwerste beeinträchtigten. Die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. K wird durch die Einwände des Klägers in seinem Schriftsatz vom 25. Dezember 2012 nicht erschüttert. Dr. K hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Januar 2013 überzeugend mit den Einwänden des Klägers auseinandergesetzt. Insbesondere hat er nochmals bekräftigt, dass sich objektivierbare Befunde, die den Vortrag des Klägers über das Beschwerdeausmaß stützen würden, nicht haben verifizieren lassen. Die von dem Kläger in seiner Stellungnahme vom 25. Dezember 2012 beschriebenen "einschießenden" Schmerzen in die Zehengelenke seien, so der Sachverständige, zwar möglich, rechtfertigten aber keine veränderte Einschätzung der Gesamtsituation, zumal durch die Benutzung der Unterarmgehstützen eine ausreichende Entlastung des linken Fußes gelinge. Die von dem Kläger beschriebenen "wandernden Schmerzfelder" im linken Bein in Form von starkem Brennen rechtfertigen nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen ebenfalls nicht die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Ebenfalls überzeugend hat Dr. K seine Einschätzung bekräftigt, dass der Kläger an den Unterarmgehstützen ausreichend mobilisiert ist, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger diese aufgrund der Fuß- oder der Rückenschmerzen verwendet. Auch im Hinblick auf etwaige neurologische Defizite im Bereich der unteren Extremitäten sind die ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen überzeugend, der - gestützt auch auf den Arztbrief des C-Klinikums vom 5. August 2011, wo im Übrigen ein sicheres Gangbild des Klägers beschrieben wird - nachvollziehbar erklärt hat, aus der bei dem Kläger bestehenden Polyneuropathie lasse sich keine außergewöhnliche Gehbehinderung ableiten.
Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. K steht schließlich in Übereinstimmung mit dem nach Aktenlage erstellten Gutachten des Sachverständigen Dr. H vom 24. Mai 2012, aber auch mit der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. M, der das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" in seinem Befundbericht für das Sozialgericht vom 8. November 2010 ausdrücklich verneint hat. Schließlich wird auch in dem Arztbrief des O vom 11. Februar 2011 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 2. bis 13. Februar 2011 im Entlassungsbefund mitgeteilt, dass der Kläger ohne Gehhilfe auf der Ebene und der Treppe mobilisiert sei.
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass auch die nicht-orthopädischen Leiden des Klägers, namentlich dessen Harnblasenerkrankung, die koronare Herzerkrankung, das depressive Syndrom mit psychovegetativen Störungen, die Nierenfunktionseinschränkung und die obstruktive Atemwegserkrankung die Zuerkennung des begehrten Merkzeichens nicht rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.