Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 11 SB 235/12 - Urteil vom 21.05.2014
Eine Korrektur einer ursprünglich unrichtigen Verwaltungsentscheidung ist nur nach Maßgabe der §§ 45 und 48 SGB X möglich. Ist eine Rücknahme nach § 45 SGB X z.B. wegen Fristablaufs ausgeschlossen, kommt allein nur noch § 48 SGB X in Betracht. Durch § 48 Abs. 3 SGB X ist die Verwaltung auch im Recht der sozialen Entschädigung und im Recht der Schwerbehinderten ermächtigt, anlässlich einer nachträglichen Änderung eines Teils der maßgebend gewesenen Verhältnisse möglicherweise bestandskräftig gewordene Feststellungen über Schädigungsfolgen oder Behinderungen und über ihre Auswirkungen mit der wirklichen Sachlage in Einklang zu bringen (Abschmelzung). Dies muss aber durch Verwaltungsakt geschehen; eine sog. stillschweigende Abschmelzung ist rechtlich nicht möglich.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Zugunsten des 1953 geborenen Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 16. April 2003 einen GdB von 30 wegen degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule und operierter Bandscheibe festgestellt.
Auf einen Neufeststellungsantrag des Klägers vom 28. April 2008 hatte der Beklagte mit Bescheid vom 22. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 ab Antragstellung des Klägers einen GdB von 40 wegen
- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Versteifung von
Wirbelsäulenabschnitten, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule,
operierter Bandscheibe (Einzel-GdB: 40) und
- einer Funktionseinschränkung beider Füße (Einzel-GdB: 10)
festgestellt.
Auf einen erneuten Neufeststellungsantrag des Klägers vom 26. Juni 2009 holte der Beklagte ärztliche Auskünfte des Facharztes für Orthopädie Dr. H vom 20. Juli 2009 sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L vom 3. September 2009 ein. Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 10. Oktober 2009 ab, wobei er nunmehr zusätzlich mit Einzel-GdB von je 10 berücksichtigte
- Kopfschmerzen, - Bluthochdruck, - Herzrhythmusstörungen.
Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch holte der Beklagte ärztliche Auskünfte bei Dr. H vom 14. Januar 2010 und Dr. L vom 17. Februar 2010 ein und wies nach Eingang einer gutachtlichen Stellungnahme der Gutachterin M vom 14. März 2010 bei zusätzlicher Berücksichtigung einer Antikoagulanziendauerbehandlung mit einem Einzel-GdB von 10 den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 25. März 2010 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 1. April 2010 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Dr. H vom 17. Juni 2010, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie F vom 17. Juni 2010 und vom 25. Februar 2011 und Dr. L vom 18. Oktober 2010 eingeholt. Anschließend hat es Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei der Fachärztin für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie Dr. T vom 3. März 2012 nebst Zusatzgutachten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. W vom 14. Februar 2012.
Dr. W hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 5. Dezember 2011 Folgendes ausgeführt:
Bei dem Kläger bestünden eine persönlichkeitsabhängige Somatisierungsneigung mit persönlichkeitsabhängiger Fehlwahrnehmung und Fehlverarbeitung von Schmerzen und rezidivierend depressive Störungen, die als leichtere psychische Störungen mit einem GdB von 20 zu bewerten seien.
Dr. T hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 13. Februar 2012 folgende Einschätzung geäußert: Der Gesamt-GdB sei im Bescheid vom 4. Dezember 2008 nicht korrekt gebildet worden. Dieser wäre mit 20 zu bewerten gewesen wegen einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule in Gestalt mittelschwerer funktioneller Auswirkungen bei Spondylodese HWK6/7. Eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung sei bei den Gesundheitsstörungen, die dem Bescheid vom 4. Dezember 2008 zugrunde gelegen hätten, nicht festzustellen. Allerdings seien seit Erteilung des Bescheids vom 4. Dezember 2008 folgende Gesundheitsstörungen neu hinzugetreten:
- Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB 10
seit Juni 2009),
- Gerinnungsstörungen infolge Dauertherapie mit Antikoagulanzien (Einzel-GdB 10
seit Juni 2009),
- leichtere psychische Störungen (Einzel-GdB 20 ab ca. Dezember 2011).
Unter Berücksichtigung der Aktenlage wäre der Gesamt-GdB vor Hinzutreten der psychischen Störung mit 20 zu bewerten gewesen. Ab ca. Dezember 2011 sei dieser mit 30 einzuschätzen. Betrachte man die letzte gutachtliche Stellungnahme der Verwaltungsakte vom 14. März 2010, so sei die Zusammensetzung des Einzel-GdB für die Wirbelsäule nicht nachzuvollziehen. Einerseits würden die Funktionsstörungen wegen der operierten Bandscheiben, der Segmentversteifung und auch wegen der Degeneration als "leichtgradig" gewertet und ein GdB von 10 angegeben. Anderseits werde in der Zusammenfassung die Funktionsstörung der Wirbelsäule als schwere Beeinträchtigung in zwei Wirbelsäulenabschnitten (GdB 40) gewertet. Das sei nicht plausibel.
Das Sozialgericht hat der zuletzt nur noch auf Feststellung eines GdB von 50 ab Dezember 2011 gerichteten Klage durch Urteil vom 8. August 2012 in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Feststellung eines GdB von 40 mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2008 zwar rechtswidrig gewesen sei, was sich insbesondere aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. T ergebe, die für die Wirbelsäulenerkrankung zutreffend von einem GdB von 20 ausgegangen sei. Den demnach von Anfang an rechtswidrigen Bescheid vom 22. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 habe der Beklagte aber nicht nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben und könne dies wegen Zeitablaufs gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X auch nicht mehr. Auch einen Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X habe der Beklagte nicht erlassen. Nach Erlass des rechtswidrigen Bescheides sei es nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Denn nunmehr sei für das psychische Leiden ein Einzel-GdB von 20 festzustellen. Nach Überzeugung der Kammer sei der Beklagte nicht berechtigt, die somit spätestens ab der Untersuchung des Klägers durch Dr. W nachweisbare Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers unberücksichtigt zu lassen, um den nicht mehr rücknehmbaren Bescheid vom 22. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 zu "korrigieren". Zumindest dann, wenn das ehemals festgestellte Ausmaß einer einzigen Gesundheitsstörung das alleinige tragende Element der (Gesamt)-GdB-Feststellung gewesen sei, rechtfertige dies nicht, eine "stille Abschmelzung" in dem Sinne vorzunehmen, dass weitere, neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen solange nicht berücksichtigt würden, bis das nun für gerechtfertigt erachtete Ausmaß der Beeinträchtigung dem seinerzeit festgestellten (Gesamt-)GdB entspreche. Dies müsse auch gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine einzige neue Erkrankung hinzutrete, die das Ausmaß der bisherigen Behinderungen verstärke. Hiervon ausgehend habe das Gericht zu prüfen, ob sich der zum Zeitpunkt der Feststellung eines GdB von 40 mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2008 zugrunde liegende Gesundheitszustand durch die psychischen Störungen des Klägers soweit verschlimmert habe, dass die Erhöhung des GdB gerechtfertigt sei. Die so vorzunehmende Prüfung finde ihren Ausgangspunkt in § 48 Abs. 1 SGB X, der die Änderung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse vorschreibe, soweit eine wesentliche Änderung in den dem Verwaltungsakt zu Grunde liegenden Verhältnissen eintrete. Ausgehend von dem ursprünglich zu hoch festgesetzten Gesamt-GdB sei demnach trotz der Rechtswidrigkeit der GdB in dem Ausmaß zu erhöhen, in dem sich tatsächlich eine Änderung im Gesundheitszustand des Klägers eingestellt habe. Aufgrund dessen sei letztlich unter Zugrundelegung eines "Ausgangs"-GdB von 40 festzustellen, in welchem Umfang eine Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten sei und sich dadurch der Gesamt-GdB erhöhe. Hierbei sei festzustellen, ob sich die psychischen Störungen des Klägers zusätzlich und in einem Umfang auswirkten, dass sich ein höherer GdB begründen lasse. So wie die Sachverständige Dr. T eingeschätzt habe, dass sich die mit einem GdB von 20 bewerteten psychischen Störungen erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkten, sei auch die Kammer der Überzeugung, dass sich die von Dr. W festgestellten Störungen zusätzlich in negativer Weise insbesondere auf das Wirbelsäulenleiden auswirkten und dieses verstärkten. Die Kammer halte deshalb die Anhebung des Gesamt-GdB auf 50 für gerechtfertigt.
Gegen das ihm am 13. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. November 2012 Berufung eingelegt, die er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 21. Mai 2014 zurückgenommen hat.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 15. Oktober 2012 zugestellte Urteil am 15. November 2012 Berufung eingelegt. Ursprünglich hat der Beklagte zur Begründung ausgeführt, dass es im Rahmen der Abschmelzung keiner ausdrücklichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ursprungsbescheides bedürfe. Nach Kenntnisnahme von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. April 2013 (B 9 SB 6/12 R - juris) hat der Beklagte nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 festgestellt, dass die Bescheide vom 16. April 2003 sowie vom 4. Dezember 2008 rechtswidrig seien, als mit ihnen ein GdB von mehr als 20 festgestellt worden sei. Der GdB von 40 bleibe jedoch weiterhin festgestellt. In der Bescheidbegründung hat der Beklagte ausgeführt, dass, warum und inwieweit die genannten Bescheide rechtswidrig seien. Eine Rücknahme sei wegen Verfristung indes nicht mehr möglich. In Zukunft könne eine Erhöhung des GdB nach § 48 Abs. 3 SGB X aber nur erfolgen, wenn der dann tatsächlich angemessene GdB den unrichtig festgestellten GdB von 40 übersteige. Das gegen den Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 anhängige Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) (S 5 SB 23/14) ruht auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss des Sozialgerichts vom 3. April 2014.
Nach Hinweisen des Berichterstatters mit gerichtlichen Schreiben vom 17. Oktober 2013 und vom 19. November 2013 begründet der Beklagte seine Berufung nunmehr wie folgt: Der Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 sei zwar nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, aber gleichwohl zu beachten. Würde der Senat über die Berufung des Beklagten jetzt entscheiden, würde er über die Frage, ob die Bescheide vom 16. April 2003 und vom 4. Dezember 2008 rechtswidrig sind oder nicht, faktisch verbindlich entscheiden müssen. Die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Senat würde den Eintritt der Wirkung des § 48 Abs. 3 SGB X verhindern. Im Übrigen müsse die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 3 SGB X nicht vor Änderung der tatsächlichen Verhältnisse erfolgen. Es sei nach der Rechtsprechung des BSG möglich, über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes und die Abschmelzung in einem Bescheid zu entscheiden. Dann aber könne es nicht Voraussetzung für die Abschmelzung sein, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit noch vor Eintritt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse erfolge. Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich lediglich, dass eine Abschmelzung rückwirkend dann nicht möglich sei, wenn der GdB bereits durch Verwaltungsakt erhöht wurde. Es sei nicht plausibel, dass der Beklagte die Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Abschmelzung in einem Bescheid verfügen könne, er aber dann, wenn gegen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der früheren Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt würde, gezwungen sein solle, einen höheren als den tatsächlichen GdB festzustellen. Die einseitige Beachtung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen den Verwaltungsakt über die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer GdB-Feststellung würde dazu führen, dass auch Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen, die nach der Verfügung über die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer GdB-Feststellung einträten, zugunsten des Betroffenen zu beachten wären.
Schließlich hat der Beklagte ausgeführt, dass sich auch bei einem zugrunde gelegten Einzel-GdB von 40 für das Wirbelsäulenleiden zusammen mit dem Einzel-GdB von 20 für das psychische Leiden kein Gesamt-GdB von 50 ergebe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen hat er in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 21. Mai 2014 seine Klage für den Zeitraum vom 1. bis 4. Dezember 2011 zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist im nach Klagerücknahme noch zu überprüfenden Umfang zutreffend. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beklagten unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 10. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2010 dazu verpflichtet, zugunsten des Klägers mit Wirkung ab 5. Dezember 2011 einen GdB von 50 festzustellen.
Zur Begründung nimmt der Senat vorab Bezug auf die ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe in der angefochtenen Entscheidung, vgl. § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Darin hat das Sozialgericht knapp zusammengefasst ausgeführt, dass die Feststellung eines GdB von 40 durch Bescheid vom 22. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 bestandskräftig geworden und eine Aufhebung wegen § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X nicht möglich ist. Es hat weiter zutreffend dargelegt, dass der Beklagte zum Entscheidungszeitpunkt des Sozialgerichts keinen Abschmelzungsbescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X erlassen hat und dass der Eintritt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse daher ausgehend von dem bestandskräftigen Bescheid vom 22. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 zu bestimmen ist. Weiter hat es zu Recht ausgeführt, dass die bestandskräftige Feststellung eines GdB von 40 wegen des Hinzutretens eines psychischen Leidens mit einem Einzel-GdB von 20 ab (5.) Dezember 2011 - Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. W - auf 50 zu erhöhen ist. Denn, so das Sozialgericht zutreffend, das psychische Leiden wirkt sich verstärkend auf das Wirbelsäulenleiden aus, was sich auch aus dem Gutachten von Dr. T ergibt.
Ergänzend - insbesondere auch zum umfangreichen Berufungsvorbringen des Beklagten - merkt der Senat Folgendes an:
Die rechtlichen Ausführungen des Sozialgerichts hat das BSG inhaltlich mit seinem Urteil vom 17. April 2013 (B 9 SB 6/12 R - juris) bestätigt. Das BSG hat darin klargestellt, dass der Verwaltungsträger, der über die Höhe des GdB entschieden hat, innerhalb des durch § 39 SGB X und § 77 SGG gesetzten Rahmens in seiner Eigenschaft als Träger des Verwaltungsverfahrens gebunden ist. Damit war - daran zweifelt auch der Beklagte nicht - der Beklagte hier an seine Feststellung eines GdB von 40 durch den Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2008 gebunden.
Das BSG hat in dem genannten Urteil weiter ausgeführt, dass eine ursprünglich unrichtige Entscheidung unter Beachtung ihrer Bestandskraft grundsätzlich nicht korrigiert werden dürfe, vielmehr hierbei die Vorschriften der §§ 48 und 45 SGB X maßgeblich seien. Durch § 48 Abs. 3 SGB X sei die Verwaltung auch im Recht der sozialen Entschädigung und im Recht der Schwerbehinderten ermächtigt worden, anlässlich einer nachträglichen Änderung eines Teils der maßgebend gewesenen Verhältnisse möglicherweise bestandskräftig gewordene Feststellungen über Schädigungsfolgen oder Behinderungen und über ihre Auswirkungen mit der wirklichen Sachlage in Einklang zu bringen. Ein Feststellungsbescheid, der rechtswidrigerweise den GdB zu hoch festgestellt habe, sei entweder nach § 45 SGB X - teilweise - zurückzunehmen, oder könne, wenn dies nicht mehr möglich sei, gemäß § 48 Abs. 3 SGB X "abgeschmolzen" werden. Werde diese Möglichkeit der Abschmelzung nicht wahrgenommen, könne die unterbliebene Abschmelzung nicht bei einer zukünftigen Änderung der Verhältnisse nachgeholt werden. Weiter hat das BSG ausgeführt, dass die Korrektur der Folgen eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 3 SGB X eine entsprechende ausdrückliche Verwaltungsentscheidung voraussetze. Die Vorschrift sei wegen der erforderlichen konstitutiven Feststellung durch die Verwaltung auch nicht eigenständig durch die Gerichte dergestalt anwendbar, dass diese eine Klage auf eine höhere Leistung oder auf Feststellung eines höheren GdB von sich aus unter Hinweis auf § 48 Abs. 3 SGB X abweisen dürften. Dementsprechend dürfe die Verwaltung § 48 Abs. 3 SGB X nicht stillschweigend anwenden, sondern müsse eine förmliche Entscheidung in Gestalt eines Verwaltungsaktes treffen, der seinerseits angefochten werden könne. Konstitutiv für eine Entscheidung nach § 48 Abs. 3 SGB X sei die durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig sei.
Übertragen auf vorliegenden Fall ergibt sich nach der skizzierten Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, dass der Beklagte an die Feststellung eines GdB von 40 gebunden ist. Diese Feststellung ist aus den vom Sozialgericht dargestellten Gründen zwar von Anfang an rechtswidrig gewesen. Eine Rücknahme nach § 45 SGB X ist aber hier nicht mehr möglich, weil die Frist gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X abgelaufen ist. Der Beklagte ist daher grundsätzlich auf die Möglichkeit des § 48 Abs. 3 SGB X zu verweisen.
Der Beklagte hat während des Berufungsverfahrens mit Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 festgestellt, dass die Bescheide vom 16. April 2003 und vom 4. Dezember 2008 rechtswidrig sind, soweit mit ihnen ein GdB von mehr als 20 festgestellt wurde. Dass dieser Bescheid nicht nach § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, weil er den Bescheid vom 10. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 2010 weder ändert noch ersetzt, nehmen auch die Beteiligten an.
Die Frage ist, ob und gegebenenfalls wie sich der Erlass des Bescheides vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 auf das vorliegende Berufungsverfahren auswirkt. Die Antwort ergibt sich hier indes jedenfalls aus dem Verfahrensrecht. Denn der Kläger hat gegen den letztgenannten Bescheid Klage erhoben. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aber aufschiebende Wirkung. Das gilt gemäß § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. Da die aufschiebende Wirkung hier erkennbar nicht nach § 86a Abs. 2 SGG entfällt, hat die aufschiebende Wirkung der Klage demnach zur Folge, dass der Senat bei seiner Entscheidung über die allein im Berufungsverfahren anhängige Verpflichtungsklage den Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 nicht beachten darf. Die von dem Beklagten dagegen vorgebrachten Einwände greifen demgegenüber nicht durch, weil sie sich im Kern gegen § 86a Abs. 1 SGG wenden, dessen Anwendung aber zwingend ist. Dahinstehen kann somit, ob die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, die - wie hier - nach der wesentlichen Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, überhaupt noch eine Anwendung des § 48 Abs. 3 SGB X auf die in der Vergangenheit liegende Änderung der Verhältnisse ermöglicht, wogegen sprechen dürfte, dass nach dem bereits mehrfach zitierten Urteil des BSG vom 17. April 2013 die durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung, dass und in welchem Umfang die ursprüngliche Bewilligung oder Feststellung rechtswidrig ist, für eine Entscheidung nach § 48 Abs. 3 SGB X konstitutiv ist.
Der Senat sieht hier auch davon ab, das Verfahren nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG - gegebenenfalls analog - bis zum rechtskräftigen Abschluss über das Verfahren gegen den Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 auszusetzen. Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann danach das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der zitierten Vorschrift hier vorliegen, kann der Senat offen lassen. Denn selbst wenn sie in dem Sinne sein sollten, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen sollte, das Gegenstand des anderen Verfahrens ist, erscheint dem Senat eine Aussetzung im Rahmen seines ihm eingeräumten Ermessens hier untunlich. Denn mit dem Zuwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Bescheid vom 11. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 käme letztgenanntem Bescheid faktisch eine aufschiebende Wirkung zu, die das Gesetz aber gerade nicht vorsieht. Dazu kommt hier, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht bis zum Abschluss des hiesigen Berufungsverfahrens ruht. Eine Aussetzung des Berufungsverfahrens hätte demnach einen "Stillstand" beider Verfahren zur Folge. Im Übrigen dürfte sich der Beklagte widersprüchlich verhalten, wenn er einerseits die Aussetzung des Berufungsverfahrens anregt, er aber andererseits dem Ruhen des sozialgerichtlichen Verfahrens zugestimmt hat. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte von der ihm nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG eingeräumten Möglichkeit, die sofortige Vollziehung seines Feststellungsbescheides anzuordnen, keinen Gebrauch gemacht hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.