Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Bei der 1982 geborenen Klägerin wurde im Jahr 2007 eine chronisch-rezidivierende multifokale Osteomyelitis (CRMO) diagnostiziert. Bestätigt wurde diese Diagnose im Rahmen einer stationären Behandlung im C für Innere Medizin und Dermatologie vom 7. bis 8. Dezember 2007. Im Arztbrief zu dieser Behandlung wurde die Anamnese wiedergegeben, nach der die Klägerin über einen seit acht Jahren bestehenden Dauerschmerz in der linken Clavicula sowie Schmerzen beim Hinlegen oder auch bei Wirbelsäulenrotation im Bereich der Brustwirbelsäule klage. Seit ca. acht Jahren sei es schubweise ca. alle vier bis fünf Wochen zu verstärkten Schmerzen vor allem im Bereich der linken Clavicula gekommen, die dazu führten, dass die Klägerin ihren Kopf nicht mehr bewegen könne. Ein Schub Anfang September habe mehr als vier Wochen gedauert. In dem Arztbrief wird ein Befund über eine Ganzkörper-Szintigraphie vom 8. November 2007 wiedergegeben, nach dem multiple ossäre Herde (linke Clavicula parasternal, Brustwirbelkörper 4-7, rechte Scapulaspitze, 1. Rippe rechts ventral sowie suspekter Übergang L5/S1) vereinbar mit einer CRMO seien.

Ein medikamentöses Therapiekonzept, das die Klägerin mit dem Professor für Innere Medizin Prof. Dr. S festgelegt hatte, blieb ohne Erfolg. Prof. Dr. S diagnostizierte mit Brief vom 30. September 2008 ein Spätstadium einer linksseitigen Sternokostoklavikulären Hyperostose (SCCH) mit distruktiver SC-Arthrose, regeneriert mit Pseudoarthrose, im Rahmen einer CRMO. Daneben diagnostizierte er ein Anterior-Chestwall-Syndrom (ACW-Syndrom). Nach Versagen der medikamentösen Therapie sei nur noch ein operativer Versuch (Thorax-Chirurg) möglich. Er umschrieb den Fall als seines "Wissens bislang nahezu beispiellos".

Auf einen zwischenzeitlich gestellten Rentenantrag der Klägerin holte die Deutsche Rentenversicherung ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. T vom 28. November 2008 ein, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 21. November 2008 erstellte und in dem er zu der Einschätzung gelangte, die Klägerin könne wegen einer CRMO mit Hauptlokalisation in der linken Clavicula und einer Dekonditionierung auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter 3 Stunden täglich tätig sein.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2008 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen eines Leistungsfalles am 2. Juni 2008 für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2010.

Ihrem Weiterbewilligungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung vom 11. Februar 2010 fügte die Klägerin, die sich am 1. September 2009 einer "offen chirurgischen Synovektomie" unterzogen hatte, unter anderem eine "fachärztliche Befundung und kompetente Begutachtung des Krankheitsbildes" der Klägerin von Prof. Dr. S vom 26. Januar 2010 bei. Dieser bestätigte die Diagnose einer CRMO, hier in Form einer zu Rezidiven neigenden, meistens an mehreren und wechselnden Knochenherden auftretenden sterilen Knochenmarkentzündung, hier vom pelvino-vertebro-sternalen Lokalisationstyp, entzündlich hochaktiv geblieben im ACW-Bereich und hier verschlimmernd geprägt durch den dabei seltenen Typ der sterno-kosto-klavikulären Hyperostose (SCCH), das heiße sterile Osteomyelitis des Brustbeins und des Schlüsselbeins, links stärker als rechts, mit destruierender Entzündung der verbindenden Sternoklavikulargelenke (SC-Arthritis) und mit entzündlich bedingter Verknöcherung benachbarten Bindegewebes. Der Krankheitsverlauf bei der Klägerin sei schubweise und unberechenbar. Im Schub sei die Knochenmarkentzündung mit deren Umgebung hochaktiv, hier also jetzt und auf ungewisse Zeit das ACW-Syndrom hochempfindlich gegenüber Belastungen, Bewegungen und Erschütterungen, wobei die Schmerzen ausstrahlend die obere Region des Brustkorbes bis Halswirbelsäule und Schulterblatt ergriffen und insbesondere beide Schultern quälten, so dass der schwergradig behindernde Schulterschmerz als Hauptsymptom zu gelten habe. Die pseudoradikuläre Schmerzprojektion könne in den gesamten Arm einstrahlen und diesen für jegliche Bewegung und den Alltagsgebrauch lahmlegen, so dass das zwangsläufig absolut geschonte Schultergelenk auf Dauer mehr oder weniger versteife. Die von ihm empfohlene medikamentöse Therapie und Strahlentherapie und letzten Endes operative Therapie habe offenbar am entscheidend gestörten entzündlichen Syndrom des vorderen Brustkorbs bislang versagt, wobei die radiologische Maßnahme unterblieben und der operative Eingriff von thorax-chirurgischer Seite für sinnlos erklärt worden sei. Prof. Dr. S sprach sich für eine unbefristete Weitergewährung der Rente aus.

Die Deutsche Rentenversicherung gewährte die Zeitrente mit Bescheid vom 2. März 2010 über den 30. Juni 2010 hinaus bis zum 31. März 2012 weiter. Mittlerweile bezieht die Klägerin die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer (Bescheid vom 1. Februar 2012).

Am 15. April 2010 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Feststellungen eines Grades der Behinderung (GdB) sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme bei der Fachärztin für Innere Medizin D stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2010 wegen einer chronischen Osteomyelitis einen GdB von 50 fest und lehnte die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte ohne weitere medizinische Ermittlungen durch Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2011 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. März 2011 Klage erhoben, wobei sie zunächst auch die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt hat. Das Sozialgericht hat Befundberichte bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin K vom 6. Dezember 2012 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin D vom 22. November 2012 - jeweils mit Anlagen - eingeholt und medizinische Unterlagen bei dem H-Klinikum sowie bei der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Klinik des C für Magen-, Darm-, Nieren- und Stoffwechselmedizin beigezogen. Nach Überreichung einer fachchirurgischen Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T vom 24. Januar 2013 durch den Beklagten hat das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und orthopädische Rheumatologie Dr. M vom 12. Juni 2013 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 3. Juni 2013 erstellt hat und in dem er folgende Diagnosen mitgeteilt hat:

1. CRMO, Differentialdiagnose: SAPHO-Syndrom; gravierendes Funktionsdefizit des linken Schultergelenkes; SAPHO stehe für:
- S (Synovialitis - Gelenkschleimhautentzündung) - A (Akne - lokale entzündliche Hautveränderung) - P (Pustula - lokale eitrige Hautveränderung) - H (Hyperostose - reaktive Knochenwucherung) - O (Osteitis - sterile Osteomyelitis).
2. Schlaffer Rundrücken. 
3. Ischialgieforme Beschwerden beiderseits/Pseudoradikulärsyndrom beiderseits bei Instabilität des Beckenrings. 
4. Laxität der Kniescheiben. 
5. Muskelschwache Fußdeformitäten.

Der Gesamt-GdB betrage 50. Der GdB für die Behinderungen zu 1. und 2. betrage 40, der der Behinderungen zu 3. bis 5. 20. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" lägen vor. Es sei aber einzuräumen, dass die klassischen Beurteilungskriterien für das streitige Merkzeichen hier keine Anwendung finden sollten. Bei der Spezifität des Krankheitsbildes werde der chronische Verlauf immer wieder durch akut auftretende und den ganzen Körper erfassende Schmerzattacken temporär verstärkt. Während der Schmerzphasen sei die Gehfähigkeit eklatant beeinträchtigt; die Klägerin könne nach eigenen Angaben ihre Wohnung nicht verlassen. In Analogie zu einem Anfallsleiden sei hier von einer mittleren Anfallshäufigkeit auszugehen. In einer schmerzarmen Phase könne die Klägerin ortsübliche Wegstrecken - 2000 Meter - in etwa 30 bis 40 Minuten zu Fuß zurücklegen; dies ändere sich gravierend bei Schmerzattacken, die über Wochen andauern könnten. Der Zustand bestehe seit April 2010.

Der Beklagte hat zu dem Gutachten eine fachchirurgische Stellungnahme von Dr. T vom 1. August 2013 zu den Gerichtsakten gereicht. Diese hat gerügt, das Gangbild der Klägerin sei in dem Gutachten nicht einmal ansatzweise beschrieben worden. Die formalen Kriterien zur Anerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt, da auf Dauer kein mobilitätsbedingter GdB von 50 herleitbar sei.

Das Sozialgericht hat der auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 15. April 2010 gerichteten Klage durch Urteil vom 7. November 2013 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin an einer CRMO leide, die nicht nur auf den Schultergürtel beschränkt sei, sondern letztlich das gesamte Skelett inklusive des Beckengürtels erfasst habe. Daneben liege bei der Klägerin eine den ganzen Körper betreffende muskuläre und ligamentäre Schwäche vor, was sich in Form eines schlaffen Rundrückens, einer Instabilität des Beckenrings, der Laxität der Kniescheiben beiderseits sowie der muskelschwachen Fußdeformitäten zeige. Der Sachverständige Dr. M habe festgestellt, dass sich alle Funktionseinschränkungen auf die Gehfähigkeit der Klägerin auswirkten. Bei Schmerzattacken, die über Wochen andauern könnten, könne die Klägerin ortsübliche Wegstrecken zu Fuß nicht zurücklegen. Nach ihren Angaben träten diese Schmerzschübe in verschiedenen Abständen - alle vier bis fünf Wochen oder auch zwei Monate - auf und dauerten zwischen drei Wochen und sechs Monaten. Dadurch sei die Klägerin gegenüber einem Gesunden in ihrer privaten und beruflichen Mobilität erheblich eingeschränkt. Es sei nicht vorstellbar, wie die Klägerin bei der Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzschübe durch eine Planung ihre Lebensführung so einrichten könnte, dass sie notwendige Ortsveränderungen - etwa Lebensmitteleinkäufe - nur in schmerzfreien Zeiträumen vornehme.

Gegen das ihm am 14. November 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. November 2013 Berufung eingelegt. Im Wesentlichen meint er, die hier vorliegenden Schmerzattacken seien mit einem hirnorganischen Anfallsleiden nicht vergleichbar. Denn bei einem Anfallsleiden bestehe die Gefahr eines plötzlichen, nicht vorhersehbaren unbeherrschbaren Ereignisses mit drohendem Bewusstseinsverlust. Die hier auftretenden Schmerzattacken seien indes soweit beherrschbar, dass eine Eigen- oder Fremdgefährdung ausgeschlossen sei.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. B von der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Klinik des C vom 1. Juli 2014 nebst Ergänzung vom 9. Oktober 2014 und zahlreichen Anlagen eingeholt und die die Klägerin betreffenden Rentenakten bei der Deutschen Rentenversicherung beigezogen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für richtig. Eigen- oder Fremdgefährdung sei bei Anfallsleiden nicht erforderlich; ausreichend seien insoweit Schwierigkeiten bei der Bewältigung einer Wegstrecke.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten und die als Beiakte angelegten Kopien aus der Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung , sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist unzutreffend. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 15. April 2010 verurteilt. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2011 ist hinsichtlich der hier allein streitigen Ablehnung der Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" für den Zeitraum ab dem 15. April 2010 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin sind die §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen fordert das Gesetz eine doppelte Kausalität. Denn Ursache der beeinträchtigenden Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken. Die Wegstrecken, "die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden" und die der Schwerbehinderte infolge seiner Funktionsausfälle nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten und Gefahren bewältigen kann, sind mit zwei km bei einer Fußwegdauer von einer halben Stunde zu bemessen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 10. Dezember 1987 - 9a RVs 11/87 - juris).

Bei der Prüfung, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, sind die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in der insoweit bis heute unverändert gebliebenen Erstfassung zu berücksichtigen. Ob die "versorgungsmedizinischen Grundsätze", soweit sie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für bestimmte Merkzeichen - wie hier für das Merkzeichen "G" - betreffen, auf einer ausreichenden Verordnungsermächtigung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes beruhen, kann hier auf sich beruhen. Denn die darin geregelten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" sind auch für den Fall ihrer Teilnichtigkeit zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für die Betroffenen unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG weiter heranzuziehen (wie hier Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 2013 - L 10 SB 154/12 - juris - mit dem Hinweis, dass die Anlage zu § 2 VersMedV in Teil D Nr. 1 den in den bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht unter Teil B Nr. 30 niedergelegten Bewertungsmaßstäben entspreche).

Die Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in Teil D Nr. 1 d) - f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 7/06 R - juris). Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen (BSG, a. a. O.).

Bei Zugrundelegung der VersMedV und der Rechtsprechung des BSG liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" im Fall der Klägerin nicht vor.

Dabei ist zunächst das Krankheitsbild der Klägerin zu skizzieren, welches sich wie folgt darstellt: Hauptleiden der Klägerin ist die CRMO in der von Prof. Dr. S eingehend beschriebenen Krankheitsform. Der Krankheit zu Eigen ist deren schubförmiger Verlauf. Im Schub ist die Knochenmarkentzündung mit deren Umgebung hochaktiv und hochempfindlich gegenüber Belastungen, Bewegungen und Erschütterungen, wobei die Schmerzen ausstrahlend die obere Region des Brustkorbes bis Halswirbelsäule und Schulterblatt ergreifen und insbesondere beide Schultern betreffen. Prof. Dr. S hat den schwergradig behindernden Schulterschmerz als Hauptsymptom angegeben. Die pseudoradikuläre Schmerzprojektion kann danach in den gesamten Arm einstrahlen und diesen für jegliche Bewegung und den Alltagsgebrauch lahmlegen, so dass das geschonte Schultergelenk auf Dauer mehr oder weniger versteift. Nach der Darstellung insbesondere des Sachverständigen Dr. M leidet die Klägerin unter einem Dauerschmerz, der sich bei einem Krankheitsschub verstärkt. Die Beschwerden sind zumeist tolerierbar (vgl. auch den Arztbrief der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Klinik des C für Magen-, Darm-, Nieren- und Stoffwechselmedizin vom 25. Mai 2012). Nur während der Schmerzattacken ist die Gehfähigkeit eklatant beeinträchtigt; dann besteht nahezu Immobilität.

In der Gesamtschau ist mit dem Sachverständigen Dr. M davon auszugehen, dass die Schmerzschübe entsprechend Teil B Nr. 3.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV in mittlerer Häufigkeit auftreten. Diese Einschätzung überzeugt, weil sie der Beschwerdeschilderung durch die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Dr. M und der speziellen Anamnese entspricht, nach der ein Krankheitsschub alle zwei Monate auftritt und dann zwei Wochen "+ x Tage" dauert. Diese Angaben zu Häufigkeit und Dauer der Schmerzschübe werden im Wesentlichen auch durch die aktenkundigen medizinischen Befunde bestätigt. So wird in einem Arztbrief der Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie des C für Innere Medizin und Dermatologie vom 7. Dezember 2007 mitgeteilt, seit ca. acht Jahren komme es schubweise ca. alle vier bis fünf Wochen zu verstärkten Schmerzen, die ca. eine Woche dauerten und dazu führten, dass die Klägerin ihren Kopf nicht mehr bewegen könne. In einem Arztbrief des P-Krankenhauses vom 4. Dezember 2007 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 15. Oktober bis 26. Oktober 2007 sowie vom 30. Oktober bis 1. November 2007 wird mitgeteilt, es komme ca. alle vier bis sechs Wochen zu einem Schub, der ein bis zwei Wochen andauern könne. Dass ein Schmerzschub im Einzelfall auch länger andauern kann - so erfolgte eine stationäre Aufnahme ausweislich eines Arztbriefes der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Klinik des C für Magen-, Darm-, Nieren- und Stoffwechselmedizin vom 1. November 2010 aufgrund von seit sieben Wochen bestehenden starken Schmerzen im Bereich der Clavicula -, vermag an der Gesamteinschätzung nichts zu ändern, dass die Schmerzattacken rezidivierend und schubweise auftreten. Nur in diesen Phasen kommt die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr überhaupt in Betracht. Denn ungeachtet der Tatsache, dass die Klägerin nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M unter einer - schubunabhängig bestehenden - muskulären und ligamentären Schwäche des ganzen Körpers leidet, die sich in Form eines schlaffen Rundrückens, einer Instabilität des Beckenrings, der Laxität beider Kniescheiben und von muskelschwachen Fußdeformitäten äußert, und ungeachtet dessen, dass die Klägerin stets unter Schmerzen leidet, die außerhalb der Schubphasen indes erträglich sind, liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das streitige Merkzeichen jedenfalls außerhalb der Schubphasen nach der unmissverständlichen Wertung des Sachverständigen Dr. M nicht vor. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der in dem Befundbericht der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Klinik des C - vom 1. Juli 2014 mitgeteilten Beurteilung, wonach hinsichtlich der Gehfähigkeit "eher keine Einschränkung" außerhalb der Schubphasen bestehe.

Bei dem geschilderten Beschwerdebild liegen, was unstreitig ist, die Regelbeispiele nach Teil D Nr. 1 d) - f) der Anlage zu § 2 VersMedV nicht vor. So liegen sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 oder 40 bedingen, im Sinne des ersten und des zweiten Satzes des Teils D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV nicht vor. Auch die ausdrücklich in Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten inneren Leiden - Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3, Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades, chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie - liegen bei der Klägerin ebenso wenig vor wie hirnorganische Anfallsleiden oder hypoglykämische Schocks im Sinne von Teil D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV und die in Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Orientierungsstörungen. Dies wird durch den Sachverständigen Dr. M bestätigt, als dieser erklärt hat, dass die von ihm so bezeichneten "klassischen" Beurteilungskriterien für das Merkzeichen "G" hier keine Anwendung finden sollten und - von Dr. M unausgesprochen - auch nicht könnten.

Das Leiden der Klägerin ist mit den in den Regelbeispielen genannten Funktionsstörungen aber auch nicht vergleichbar. Dies gilt ohne weiteres, soweit es die in Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Orientierungsstörungen betrifft. Aber auch die von dem Sachverständigen Dr. M gebildete Analogie zu einem Anfallsleiden von einer mittleren Anfallshäufigkeit im Sinne des Teils D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV ist hier nicht möglich. Die Klägerin leidet nicht an Anfällen, die mit epileptischen Anfällen mittlerer Häufigkeit vergleichbar wären. Denn gemeint sind insoweit Anfälle, die mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr verbunden sind (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994 - 9 BVs 45/93 - juris; vgl. auch BT-Drs. 8/2453, S. 10: "Anfallskranke, bei denen die Gefahr besteht, dass sie plötzlich stürzen"). Die Klägerin leidet aber auch in Phasen von Schmerzschüben nicht an mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr einhergehenden Anfällen (wie hier Landessozialgericht Saarland, Urteil vom 6. November 2007 - L 5 SB 72/06 - juris). Zutreffend hat der Beklagte in seiner Berufungsbegründung insoweit ausgeführt, das Schmerzleiden der Klägerin sei beherrschbar und Eigen- oder Fremdgefährdung ausgeschlossen.

Schließlich liegt aber auch keine Vergleichbarkeit zu den in Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Beispielen vor. Zum einen kommt es, wie der dritte Satz des Teils D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV erhellt, bei den dort genannten Funktionsbeeinträchtigungen jeweils entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Das Gehvermögen in diesem Sinne ist aber selbst in Schmerzphasen bei der Klägerin nicht beeinträchtigt, weil die dann beim Gehen auftretenden Schmerzen die obere Region des Brustkorbes bis Halswirbelsäule und Schulterblatt ergreifen und insbesondere beide Schultern betreffen. Daneben ist den in Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Leiden gemeinsam, dass sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr stets bedingen. Dies erhellt auch der Wortlaut von § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wonach in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer "nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden." Diese Formulierung lässt keinen Raum für die Annahme, es sei ausreichend, dass das "Unvermögen" nur zeitweise vorliegt. Demgemäß handelt es sich bei den in Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Beispielsfällen auch ausschließlich um Dauerleiden, bei denen anzunehmen ist, dass die Beeinträchtigung des Gehvermögens dauerhaft besteht.

Soweit in der Rechtsprechung teilweise angenommen wird, es bedürfe für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" nicht einer dauernden, das heißt ständigen Bewegungseinschränkung, vielmehr reiche es aus, wenn der Behinderte an ca. 40 Prozent der Tage in seiner Geh- und Orientierungsfähigkeit eingeschränkt sei (so Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 17. Februar 1998 - L 4 SB 1351/95 -; Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2000 - S 31 (38) SB 238/99 -; beide bei juris), folgt der Senat dem aus den genannten Gründen nicht. Zudem erscheint ihm die Zugrundelegung von "ca." 40 Prozent willkürlich. Niederschlag in Gesetz, Verordnung und Rechtsprechung des BSG findet dieser Wert nicht.

Soweit zur Begründung dafür, dass eine dauernde, also ständige, Bewegungseinschränkung nicht zu verlangen sei, angeführt wird, auch Anfallskranke seien in den anspruchsberechtigten Personenkreis eingeschlossen, wobei die Rechtsprechung davon ausgehe, dass eine mittelfristige Anfallshäufigkeit bei überwiegendem Auftreten bei Tage zur Gewährung des Nachteilsausgleiches "G" ausreiche (so noch zu § 60 Abs. 1 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 17. Februar 1998 - L 4 SB 1351/95 - juris), überzeugt dies den Senat nicht. Denn mit dem Anfallsleiden - ebenso wie mit der Störung der Orientierungsfähigkeit - sind abschließend zusätzliche Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit geregelt worden, bei denen das Gehvermögen nicht betroffen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994 - 9 BVs 45/93 - juris). Der Umstand, dass ein Anfallsleiden nicht zu einer ständigen Bewegungseinschränkung führen muss, lässt also keine Rückschlüsse auf solche Leiden zu, die - wie die in Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Beispiele - eine Betroffenheit des Gehvermögens zufolge haben. Daneben übersieht die dargestellte Argumentation, dass das so gemeinte Anfallsleiden zwar während der anfallsfreien Zeit keine Störung der Bewegungsfähigkeit, dafür aber stets die Gefahr eines Bewusstseinsverlustes und einer Sturzgefahr bedingt. Wie dargelegt begründet das Leiden der Klägerin aber weder die Gefahr eines Bewusstseinsverlustes noch einer Sturzgefahr.

Hier ergeben sich auch keine sonstigen - nicht bereits unter Gleichstellungsgesichtspunkten erörterten - besonderen Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" außerhalb der in Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen.

Schließlich lässt sich das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" auch nicht aus dem Zusammenwirken der sich auf die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auswirkenden Beeinträchtigungen der Klägerin herleiten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 7/06 R -juris), weil die nach den vorstehenden Ausführungen insoweit zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen nicht so gravierend sind, dass sie in der Gesamtschau den Regelbeispielen Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV gleichgestellt werden könnten, und weil letztlich hier auch kein Fall eines Zusammenwirkens mehrerer Beeinträchtigungen vorliegt, sondern eine einzige Funktionsbehinderung - hier als Folge der CRMO - dominiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Frage, ob eine Erkrankung die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigt, die kein Anfallsleiden ist und die keine Störung der Orientierungsfähigkeit hervorruft und die bei schubweisem Verlauf nur zeitweise zur Folge hat, dass der Betroffene keine Wegstrecken zurückzulegen vermag, die im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, ist bislang ungeklärt.