Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts, mit der sie bei verständiger Würdigung ihres Antrages begehrt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hilfsweise bis zum 31. März 2011, zu verpflichten, für sie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" vorläufig festzustellen,

ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und hat in dem aus Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierzu hat der betreffende Antragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Ist das Begehren - wie vorliegend - auf den Erlass einer vorläufigen Regelung gerichtet, die den Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorwegnimmt, müssen besondere Gründe vorliegen, die den Erlass einer solchen Anordnung gebieten. Dies ist vorliegend der Fall.

An die Ausgestaltung des Eilverfahrens sind besondere Anforderungen zu stellen, die sich aus dem in Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verankerten Gebot effektiven Rechtsschutzes ergeben, wenn ohne die Gewährung des begehrten Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. In solchen Fällen sind die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine abschließende und nicht nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, in deren Rahmen ebenfalls die grundrechtlichen Belange des jeweiligen Antragstellers umfassend einzustellen sind. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. u. a. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 -, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -, jeweils zitiert nach juris).

Dies zugrunde gelegt, ist hier eine Folgenabwägung vorzunehmen, weil sich die entscheidungserhebliche Frage, ob die Antragstellerin die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "T" erfüllt, im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren in angemessener Zeit nicht abschließend klären lässt. Dabei geht der Senat davon aus, dass vorliegend die sich aus Artikel 19 Abs. 4 GG ergebenden besonderen Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens zu beachten sind, weil die Antragstellerin mit der Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "T" Rechtspositionen erstrebt, die letztlich dazu dienen, ihr ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, das sicherzustellen der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Der Antragstellerin drohen bei einer Versagung von Eilrechtsschutz schwere und unzumutbare Nachteile, wenn nicht auf Grund einer abschließenden Prüfung die Möglichkeit einer zeitweilig andauernden Verletzung der grundgesetzlichen Gewährleistung der Menschenwürde verneint werden kann. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall, vielmehr muss der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt werden, wofür richtiger Standort jedoch nicht das vorläufige Rechtsschutzverfahren, sondern das Verfahren der derzeit noch beim Sozialgericht anhängigen Hauptsache - S 178 SB 1753/10 - ist. Hierzu ist im Einzelnen Folgendes auszuführen:

Anspruchsgrundlage für die Erteilung des Nachteilsausgleichs "T", welcher zur Nutzung des besonderen Fahrdienstes im Land Berlin berechtigt, ist § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 22. Juni 2005 (GVBl. S. 342). Nach Satz 1 dieser Vorschrift ergibt sich die Berechtigung, den besonderen Fahrdienst zu nutzen, aus dem Feststellungsverfahren und der Bescheiderteilung mit dem Merkzeichen "T" durch das Versorgungsamt. Dafür ist nach Satz 2 der Vorschrift Voraussetzung, dass das Merkzeichen "aG", ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 vom Hundert und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen gegenüber dem Versorgungsamt nachgewiesen werden.

Für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 der zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R - m. w. N., zitiert nach juris). Hiernach sowie nach den möglicherweise ebenfalls heranzuziehenden im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen in Teil D Ziffer 3 der Anlage zu § 2 des seit dem 1. Januar 2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 in ihrer jeweils geltenden Fassung ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu gehören Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.

Ob die Antragstellerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" erfüllt, kann noch nicht abschließend festgestellt werden. Entscheidungserheblich ist insoweit insbesondere die Frage, ob die Antragstellerin, die zweifelsfrei nicht zu den in den oben genannten Bestimmungen ausdrücklich genannten Personengruppen gehört, diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Zutreffend hat das Sozialgericht diesbezüglich ausgeführt, dass eine solche Gleichstellung voraussetzt, dass die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und der Betroffene sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die genannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dabei müssen seine Leiden in ihren funktionellen Auswirkungen mit den Leiden der erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten vergleichbar sein; der Leidenszustand muss also wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten wie der Antragstellerin die Prüfung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "aG" und "T" Schwierigkeiten bereitet und eine Gesamtschau aller relevanten Umstände erforderlich ist (vgl. BSG, a. a. O.).

Dies zu Grunde gelegt, bedarf es zunächst noch weiterer Aufklärung, ob das Gehvermögen der Antragstellerin in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist. Anhaltspunkte für eine erhebliche Beeinträchtigung beim Gehen ergeben sich vorliegend aus dem Befundbericht des Arztes für Orthopädie Dr. F vom 14. Mai 2009 und seiner ärztlichen Bescheinigung vom 26. Mai 2009, den Attesten des Arztes für Orthopädie Dr. W vom 11. August 2009 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 9. Juni 2009 sowie dem Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums im M vom 4. September 2009. Danach leidet die Antragstellerin neben einer hirnorganischen und psychischen Störung u. a. an einer Gonarthrose beidseits, einem chronischen Lumbalsyndrom, einer arteriellen Hypertonie, einer diastolischen Dysfunktion und einer Polyneuropathie bei Diabetes mellitus. Beschrieben werden u. a. Schmerzen in den Beinen, den Füssen und den Kniegelenken, eine proximal betonte Schwäche der Beine sowie ein langsamer, kleinschrittig watschelnder Gang. Hinreichend konkrete Befunde, insbesondere körperliche Untersuchungsbefunde, die das Ausmaß der Bewegungs- und/oder Belastungseinschränkungen unter Angabe objektiver Werte beschreiben, liegen bisher nicht vor, um das Vorliegen einer außergewöhnlichen Behinderung abschließend prüfen zu können. Von daher ist es im Hauptsacheverfahren jedenfalls noch erforderlich, aussagekräftige Befunde zur Frage der außergewöhnlichen Gehbehinderung von den Ärzten einzuholen, die die Antragstellerin wegen ihrer orthopädischen, neurologischen und internistischen Leiden behandeln (insbesondere zu Wirbelsäule, Knie, Füße, Beinschwäche, diabetischer Polyneuropathie).

Soweit die Antragstellerin eine ausgeprägte Sturz- und Fallneigung mit hoher Eigen- und Fremdgefährung im öffentlichen Straßenland geltend macht, wird allerdings darauf hingewiesen, dass sich hieraus keine außergewöhnliche Behinderung beim Gehen ergeben dürfte. Denn aus diesen Umständen könnte nur gefolgert werden, dass die Antragstellerin beim Gehen ständig einer Begleitperson bedarf, wie der Arzt Dr. W in seinem Attest vom 11. August 2009 ausführt, nicht aber, dass die unausweichliche Wegstrecke zu verkürzen ist; dies ist aber alleiniger Zweck des Merkzeichens "aG" (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 1994 - 9 RVs 3/94 - und Urteil vom 22. April 1998 - B 9 SB 7/97 R -, jeweils zitiert nach juris). Anhaltspunkte dafür, dass zur Vermeidung einer Selbst- und Fremdgefährung die Anwesenheit einer Begleitperson nicht ausreichen könnte, sondern nur eine Beförderung im Rollstuhl sachgemäß wäre, bestehen nach den vorliegenden ärztlichen Befunden nicht.

Die aus dem Tenor ersichtliche zeitliche Begrenzung der einstweiligen Anordnung ist dem Umstand geschuldet, dass einstweiliger Rechtsschutz ausschließlich der Behebung gegenwärtiger Notlagen, nicht aber der Regelung weit in der Zukunft liegender Sachverhalte dient. Dies zugrunde gelegt, und ausgehend von der gegenwärtigen Eilbedürftigkeit der Sache ist es in Ausübung des nach § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 929 Abs. 1 ZPO eröffneten freien richterlichen Ermessens sachgerecht, die einstweilige Anordnung auf etwa vier Monate zu begrenzen. Dieser Zeitraum erscheint erforderlich, aber derzeit auch ausreichend, um im Verfahren der Hauptsache die vom Senat für geboten gehaltene weitere Sachaufklärung durchzuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.