Landessozialgericht Baden-Württemberg - Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A - Beschluss vom 22.09.2004
1. Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich damit, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufwandte, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich waren.
2. Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG allerdings davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt.
Gründe:
I.
In dem beim Senat anhängigen Berufungsverfahren L 12 RJ 1296/04 geht es um die
Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Auf Antrag der Klägerin
nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat mit Schreiben vom
01.07.2004 beim Antragsteller unter Beifügung von ca. 800 Blatt Akten ein
internistisch-rheumatologisches Fachgutachten in Auftrag gegeben, das dieser
unter dem Datum des 05.08.2004 auf insgesamt 41 Seiten erstattet hat. Dabei hat
er auf 30 Seiten die Anamnese und die Befunde sowie die Auswertung der Fragebögen
dargestellt und auf insgesamt neun Seiten die Beweisfragen des Senats (ohne
deren Wiederholung) beantwortet.
Mit seiner Rechnung vom 20.08.2004 hat der Antragsteller zunächst die Vergütung
von 21,5 Stunden zu je 60 EUR zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer und
Versandauslagen begehrt. Auf Nachfrage des Senats hat er seine Rechnung überprüft
und wie folgt spezifiziert:
Aktenstudium 4,25 Stunden Untersuchung mit Anamneseerhebung 4,25 Stunden Diktat
von Anamnese und Befunden einschließlich Auswertung der Fragebögen (letzteres
2,25 Stunden) 6,5 Stunden Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen
einschließlich Diktat 3,25 Stunden Korrektur 2,5 Stunden Insgesamt 20,75
Stunden
Bei einem Stundensatz von 60 EUR und (aufgerundet) 21 Stunden ergebe sich ein
Betrag von 1260,00 EUR. Zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer (201,60 EUR) und
Versandauslagen inklusive Porto (15,00 EUR) betrage die Rechnungssumme 1476,60
EUR.
Der Antragsgegner hat gegen eine Vergütung in dieser Höhe keine Einwände
erhoben.
II.
Im vorliegenden Fall finden die Regelungen des Gesetzes über die Vergütung von
Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern
sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen
Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz,
JVEG) Anwendung, weil der Gutachtensauftrag nach dem 30.6.2004 an den
Antragsteller erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG).
Im Hinblick auf das neue Kostenrecht hält der Senat nach § 4 Abs. 1 JVEG eine
gerichtliche Festsetzung der Vergütung von Amts wegen für angemessen und er
entscheidet deshalb - § 4 Abs. 7 JVEG sieht eine Entscheidung des
Einzelrichters nur über einen Antrag auf richterliche Festsetzung vor - in
voller Besetzung.
Die Vergütung ist antragsgemäß in Höhe von 1476,60 EUR festzusetzen.
Grundlage des Vergütungsanspruches ist § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG. Danach erhält
der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach
Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für
jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene
Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung
der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des
sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages.
A. Stundenzahl
Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich damit, dass sich die Anzahl der zu vergütenden
Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur
Erstattung des Gutachtens aufwandte, sondern daran, wie viele Stunden für die
Erstattung des Gutachtens erforderlich waren. Insoweit ist keine Änderung der
Rechtslage gegenüber dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und
Sachverständigen (ZSEG) eingetreten. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden
Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG - nicht
auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Auch hängt
die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des
jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu
bestimmen (Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 22. Aufl., § 3 Rdnr. 21).
Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG allerdings davon
ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich
aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung
verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren.
Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der
Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Voraussetzung ist
allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer
eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur
dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung entsprechend der
Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Merkblatt, das er zusammen mit dem
Gutachtensauftrag erhält, mitgeteilt werden. Sofern der Sachverständige
innerhalb des durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmens bleibt oder
diesen Rahmen nur geringfügig überschreitet, wird er antragsgemäß entschädigt.
Verlangt er erheblich mehr als die sich nach der Plausibilitätsprüfung
ergebenden Stunden vergütet, muss diese Überschreitung nachvollziehbar sein,
entweder aufgrund ohne weiteres erkennbarer oder auf Grund vom Sachverständigen
vorgetragener besonderer, eine Abweichung von den allgemeinen Erfahrungswerten
rechtfertigender Umstände. Lässt sich die (erhebliche) Überschreitung nicht
nachvollziehen, können nur die auf Grund der Plausibilitätsprüfung
ermittelten Stunden vergütet werden.
In der bisherigen Praxis der Kostenbeamten und des Senats wurde zur Feststellung
der zu entschädigenden Stundenzahl und der hierzu erforderlichen Prüfbarkeit
der Abrechnung eine Aufgliederung der geleisteten Stunden nach Aktenstudium,
Anamnese und Untersuchung, Abfassung des Gutachtens sowie Diktat und Korrektur
verlangt und der Beurteilung zu Grunde gelegt. Für das Aktenstudium wurde im
Regelfall für die Durchsicht von 150 bis 200 Aktenblättern eine Stunde für
erforderlich gehalten. Es handelte sich hierbei um einen Erfahrungssatz aus dem
richterlichen Bereich, der auch berücksichtigte, dass für den medizinischen
Sachverständigen nur bestimmte Aktenteile von Interesse sind, die er
herauszusuchen und zu erfassen hat, soweit es für die Beantwortung der
Beweisfragen notwendig ist. Für die Abfassung des Gutachtens fanden sich grundsätzlich
keine fiktiven Sätze, insbesondere konnte die Seitenzahl des Gutachtens und
speziell die auf die Beurteilung entfallende Seitenzahl nicht mehr als ein ganz
grober Anhaltspunkt sein. Maßgeblich war in erster Linie der Inhalt des
Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die Gewissenhaftigkeit der
Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt. Dieser Teil umfasste die
eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung
im Hinblick auf die Beweisfragen sowie die diktatreife Vorbereitung des
Konzepts. Durchsicht und Korrektur des Gutachtens erforderten nach Auffassung
des Senats einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde für sechs Gutachtensseiten.
Dies berücksichtigte, dass der wesentliche Teil der mit einem Gutachten
verbundenen gedanklichen Arbeit bereits im Rahmen der Abfassung des Gutachtens
erfolgt und mit dieser Leistung auch abgegolten war.
Unausgesprochen ebenfalls Berücksichtigung fand bei diesen Überlegungen, dass
die Stundensätze nach dem ZSEG viele Jahre nicht erhöht wurden, sodass die
Entschädigung der Sachverständigen zunehmend außer Verhältnis zu den
allgemeinen Kosten, insbesondere den sonstigen Stundensätzen außerhalb des
ZSEG geriet. Dementsprechend sah es der Senat als sachgerecht an, bei der zu
entschädigenden Stundenzahl eine gewisse Großzügigkeit walten zulassen.
Mit Inkrafttreten des JVEG und der damit verbundenen erheblichen Erhöhung der
Stundensätze ist der letztgenannte Aspekt entfallen. Zudem berücksichtigte die
bisherige Rechtsprechung des Senats nicht den Wandel der Arbeitstechniken,
insbesondere nicht die Tatsache, dass die Abfassung der Beurteilung und die
Beantwortung der Beweisfragen regelmäßig nicht mehr getrennt von deren Diktat,
sondern in einem einheitlichen Arbeitsschritt erfolgt. Häufig werden auch
bereits während der Aktendurchsicht der Akteninhalt bzw. während der Anamnese
und Untersuchung die entsprechenden Angaben und Befunde diktiert. Es ist daher
nicht auszuschließen, dass die bisherige Aufgliederung teilweise zu einer
Doppelvergütung von Stunden führte. Dementsprechend hält der Senat zur Prüfung
der nach dem JVEG verlangten Vergütung eine Aufgliederung nach Aktenstudium
einschließlich Diktat der Aktenlage (soweit für die Erstellung des Gutachtens
erforderlich), Untersuchung mit Anamnese einschließlich Diktat (sofern während
der Untersuchung diktiert), Abfassung des Gutachtens unterteilt in Diktat der
Anamnese und Befunde (soweit nicht bereits während der Untersuchung diktiert)
und Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat sowie
Korrektur für notwendig. Der Antragsteller ist hierauf in dem ihm mit dem
Gutachtensauftrag übersandten Merkblatt hingewiesen worden und er hat seine
zuletzt erstellte Rechnung auch entsprechend gestaltet.
Schließlich bedürfen die vom Senat bisher zu Grunde gelegten Erfahrungswerte
der Konkretisierung. So ist bei der Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für
das Gutachten erforderlichen Akteninhalts auch das Ausmaß der
gutachtensrelevanten Aktenteile (einschlägige Befundberichte der behandelnden
Ärzte, Vorgutachten, Rehabilitationsberichte, Beschwerdeschilderungen
beispielsweise in der Widerspruchs-, Klage- und Berufungsbegründung) zu berücksichtigen.
Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich
zu Grunde. Danach ist - bei Gutachten auf Grund ambulanter Untersuchung - für
bis zu 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil bei der
Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat
anzusetzen.
Zu differenzieren ist auch im Bereich des zeitlichen Aufwandes für das Diktat
der Anamnese und der Befunde gegenüber der Beurteilung. Denn anders als das
Diktat von Anamnese und Befunden stellt die Beurteilung und die Beantwortung der
Beweisfragen die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und
deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen dar. Dementsprechend ist der
zeitliche Aufwand für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen
einschließlich Diktat wesentlich höher anzunehmen, als die Wiedergabe von
Anamnese und den erhobenen Befunden. Auch insoweit verfügt der Senat über
Erfahrungswerte und hält beim außerhalb der Untersuchung erfolgtem Diktat von
Anamnese und Befunden einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für acht Seiten
im Falle der Darstellung standardisiert erhobener Anamnese und Befunde (häufig
in orthopädischen Gutachten) bzw. einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für
sechs Seiten bei ausführlicher und komplizierterer Darstellung (beispielsweise
in psychiatrischen Gutachten) für akzeptabel. Für die Beurteilung und die
Beantwortung der Beweisfragen (ohne deren Wiedergabe) dagegen ist weiterhin in
erster Linie der Inhalt des Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die
Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt, maßgeblich.
Bei durchschnittlich komplizierten Ausführungen ohne Wiederholungen ist - auch
dies entspricht Erfahrungswerten aus der (auch kosten-) richterlichen Praxis -
ein Zeitaufwand von einer Stunde für zweieinhalb Seiten nicht zu beanstanden. Für
die Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht sieht der Senat einen
Zeitaufwand von einer Stunde für zwölf Seiten als angemessen an. Dabei legt
der Senat hinsichtlich der Zeichendichte die vom Gesetzgeber für die Schreibgebühren
vorgegebenen Grundsätze (ca. 2700 Anschläge einschließlich Leerzeichen pro
Seite, vgl. BTDrs. 15/1971 Seite 184) zu Grunde.
Im vorliegenden Fall sind 21 Stunden zu vergüten.
Dabei sieht der Senat im Rahmen der Plausibilitätsprüfung für das
Aktenstudium bei ca. 800 Blatt Akten und ohne eine Wiedergabe des Akteninhalts
3,5 Stunden (statt der vom Antragsteller angegebenen 4,25 Stunden), für
Untersuchung und Anamnese 4,25 Stunden und für die Auswertung der Fragebögen
2,25 Stunden als angemessen an. Bei der Beurteilung des Zeitaufwandes für das
Diktat der 30 Seiten Anamnese und der Befunde berücksichtigt der Senat, dass
diese Seiten z. T. nicht vollständig beschrieben sind und deswegen nur
teilweise der Standardseite von 2700 Anschlägen entsprechen. Der Senat hält
insoweit einen Abzug von vier Seiten für angemessen. Für die Abfassungs- und
Diktatgeschwindigkeit legt der Senat angesichts der sich stellenden Problematik
einer Fibromyalgie und der deshalb erforderlichen relativ komplizierten
Darstellung sechs Seiten pro Stunde zu Grunde, sodass sich ein Zeitaufwand von
4,3 Stunden errechnet. Bei den neun Seiten Beurteilung und Beantwortung der
Beweisfragen hält der Senat zum Zwecke der Umrechnung auf Standardseiten einen
Abzug von 1,5 Seiten für erforderlich. Im Rahmen der Plausibilitätsprüfung
und bei einem Zeitaufwand von einer Stunde für zweieinhalb Seiten ergeben sich
für die Vergütung dieses Teiles des Gutachtens drei Stunden. Für die
Korrektur der so errechneten 33,5 Standardseiten zuzüglich zwei Seiten mit
kurzer Wiedergabe der Aufgabenstellung und der Beweisfragen legt der Senat bei
einem Zeitaufwand von einer Stunde für zwölf Seiten insgesamt drei Stunden zu
Grunde.
Die Plausibilitätsprüfung führt damit zu folgendem Ergebnis:
Aktenstudium 3,5 Stunden Untersuchung und Anamnese 4,25 Stunden Auswertung der
Fragebögen 2,25 Stunden Abfassung und Diktat von Anamnese und Befunden 4,33
Stunden Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat 3,0
Stunden Korrektur 3,0 Stunden Insgesamt 20,33 Stunden
Die vom Antragsteller geltend gemachte Anzahl von 20,75 Stunden überschreitet
die vom Senat nach Plausibilitätskriterien ermittelte Stundenzahl von 20,33
Stunden um weniger als 10% und damit nur geringfügig. Dementsprechend sind dem
Antragsteller - gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 JVEG nach Aufrundung - 21 Stunden zu
vergüten.
B. Stundensatz
Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 für jede Stunde ein
Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1
bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen
ist.
In Anlage 1 des JVEG werden die medizinischen Gutachten ihrem Schwierigkeitsgrad
entsprechend in die bereits genannten drei Honorargruppen M 1, M 2 und M 3
eingeteilt, wobei sich der Gesetzgeber an den verschiedenen Gegenständen
medizinischer Gutachten und ihrem Umfang orientiert hat und die Vergütung damit
aufwandsbezogen gestaltet haben will (BTDrs. 15/1971 Seite 186). Im Einzelnen
lautet die Regelung (soweit der Bereich der Sozialgerichtsbarkeit betroffen sein
könnte):
Gegenstand medizinischer und psychologischer Gutachten Honorar M1 Einfache
gutachtliche Beurteilungen, insbesondere· zur Minderung der Erwerbsfähigkeit
nach einer Monoverletzung 50 EUR M2 Beschreibende (Ist-Zustands-) Begutachtung
nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge
mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem
Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten· in Verfahren nach dem SGB IX,· zur
Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität,· zu spurenkundlichen oder
rechtsmedizinischen Fragestellungen mit Befunderhebungen (z.B. bei Verletzungen
und anderen Unfallfolgen), 60 EUR M3 Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad
(Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder
differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder
Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten· zum
Kausalzusammenhang bei problematischen Verletzungsfolgen,· in Verfahren nach
dem OEG,· in Verfahren nach dem HHG,· zur Geschäfts-, Testier oder Prozessfähigkeit,·
zu Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen
Schwierigkeiten,· zu rechtsmedizinischen, toxikologischen und spurenkundlichen
Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden Todesursachenklärung,
ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit. 85
EUR
Die in Anlage 1 des JVEG vorgenommene Aufteilung von Gutachten nach den aufgeführten
Sachgebieten ist für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit nicht praktikabel.
Insbesondere fehlt eine erkennbare Zuordnung von Gutachten aus dem Bereich der
gesetzlichen Rentenversicherung, dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB
VI). Gerade auf diesem Sachgebiet hat der Antragsteller sein Gutachten
erstattet.
Schon die Behauptung in der Begründung zum Gesetzentwurf, die Aufzählung in
der Anlage 1 erfasse die in der Praxis wichtigsten Sachgebiete, also
Sachgebiete, aus denen am häufigsten Sachverständige herangezogen würden (BTDrs.
aaO, Seite 182), trifft nicht zu. So werden beispielsweise Gutachten in
Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) aufgeführt, obwohl derartige
Gutachten sehr selten sind. Demgegenüber werden die im Bereich der
Sozialgerichtsbarkeit häufigsten Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung (SGB VI) nicht erwähnt.
Insbesondere lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen,
dass die in der Anlage 1 erwähnten Begriffe Minderung der Erwerbsfähigkeit
oder Invalidität Gutachten nach dem SGB VI erfassen sollen.
Der Begriff der Invalidität deutet auf die Invalidenversicherung hin, einen
Regelungsbereich in der früheren Reichsversicherungsordnung, der schon 1957
durch die Rentenversicherung der Arbeiter ersetzt wurde. Danach und bis zum
31.21.2000 war für die Gewährung einer Rente wegen Einschränkungen der
Erwerbsfähigkeit nicht mehr das Bestehen von Invalidität maßgebend, sondern
das Vorliegen von Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Seit dem 01.01.2001 ist eine
volle oder teilweise Erwerbsminderung - für eine Übergangszeit auch wegen
Berufsunfähigkeit - maßgebend.
Der Begriff Minderung der Erwerbsfähigkeit ist - was den Bereich der
Sozialgerichtsbarkeit betrifft - ein rechtstechnischer Begriff aus dem Bereich
der gesetzlichen Unfallversicherung (Siebtes Buch des Sozialgesetzbuches - SGB
VII -), aber auch aus dem Bereich des sozialen Entschädigungsrechts,
insbesondere der Kriegsopferversorgung (Bundesversorgungsgesetz - BVG -) und der
Opferentschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). In Fällen aus
diesen Bereichen sind aber regelmäßig auch medizinische Kausalzusammenhänge
zu klären. Gleichwohl werden Gutachten zum Kausalzusammenhang ebenso wie
Gutachten in Verfahren nach dem OEG - obwohl ohnehin seltener - in der Anlage 1
des JVEG ausdrücklich aufgeführt. Dies wäre nicht erforderlich, wenn der
Begriff Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB VII und/oder des
sozialen Entschädigungsrechts auszulegen wäre. Ein Bezug zum SGB VI jedenfalls
ist auszuschließen, weil die wegen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu
gewährenden Renten dort unter dem Begriff Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
zusammengefasst sind.
Dementsprechend kann nach Wortlaut und Systematik der gesetzlichen Regelung
nicht davon ausgegangen werden, dass die Begriffe Invalidität und Minderung der
Erwerbsfähigkeit die dargestellten sozialrechtlichen Bereiche betreffen. Möglicherweise
sind Bezüge zum privaten Versicherungssektor beabsichtigt.
Auch im Übrigen bestehen Unklarheiten über die im Gesetz verwendeten Begriffe.
So ist beispielsweise unklar, was unter speziellen Kausalzusammenhängen sowie
unter problematischen Verletzungsfolgen zu verstehen sein soll und ob sich die
"besonderen Schwierigkeiten" in Honorargruppe M 3 nicht nur auf
Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auch auf Berufskrankheiten beziehen.
Die Begründung zum Gesetzentwurf verweist in diesem Zusammenhang lediglich
darauf, dass die Zuordnung der gutachtlichen Leistungen zu den Honorargruppen
den Vorschlägen der Bundesärztekammer folgten (BTDrs. aaO, Seite 186). Die
diesbezüglichen Ermittlungen des Senats haben keine weiteren Erkenntnisse
gebracht. Das Bundesministerium der Justiz hat mitgeteilt, dass den Vorschlägen
der Bundesärztekammer keine Begründung beigegeben gewesen sei und diese
Vorschläge im Wesentlichen übernommen worden seien. Die im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens beteiligten Körperschaften hätten keine Einwände
hinsichtlich der Zuordnung zu den Honorargruppen erhoben. Die Bundesärztekammer
hat angegeben, lediglich die drei Kategorien M 1, M 2 und M 3 vorgegeben zu
haben. Die beratenden medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und
Berufsverbände hätten diese Kategorisierung durch die Aufzählung von
Gutachtentypen ergänzt. Diese Umstände deuten auf weniger
gesetzessystematische als vielmehr interessenorientierte Motive der maßgeblichen
Einfluss nehmenden Einrichtungen bei gleichzeitigem partiellen Kontrollverzicht
der eigentlich zur Gesetzgebung berufenen Institutionen hin.
Damit ist festzustellen, dass Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung in keiner Honorargruppe der Anlage 1 des JVEG genannt sind.
Betrifft das Gutachten einen Gegenstand, der in keiner Honorargruppe genannt
ist, ist das Gutachten gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG unter Berücksichtigung der
allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich
vereinbarten Stundensätze einer Honorargruppe nach billigem Ermessen
zuzuordnen. Hintergrund dieser Regelung ist die Vorstellung, dass auch die
Einteilung der Gruppen nach der Anlage 1 diesem Maßstab folge (BTDrs. aaO,
Seite 182). Dies trifft indessen für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit
nicht zu, weil die medizinischen Sachverständigengutachten, die in
Angelegenheiten eingeholt werden, die zum Zuständigkeitsbereich der
Sozialgerichtsbarkeit gehören, typischerweise entweder von den zuständigen Behörden
oder den Sozialgerichten eingeholt werden. Ein außerbehördlicher oder außergerichtlicher
Markt ist dementsprechend nicht vorhanden. Folgerichtig wird an anderer Stelle
der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes (BTDrs. aaO, Seite 186, zu Anlage
1) angegeben, als Ausgangsniveau für die Höhe der Stundensätze diene zur
Vermeidung unverhältnismäßig hoher Anhebungen des Vergütungsniveaus die
bisherige Entschädigungspraxis der Justiz. Allerdings bewegte sich diese Entschädigungspraxis
nach dem bisher maßgebenden Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und
Sachverständigen im dort geregelten Entschädigungsrahmen zwischen 25 und 52
EUR. Damit hilft hier § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG nicht weiter.
Im Ergebnis ist jedenfalls für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit die Aufzählung
der Gutachtentypen in der Anlage 1 des JVEG unvollständig und wenig
praktikabel. Erkennbar ist aber die grundsätzliche Abstufung der Honorargruppen
nach dem Schwierigkeitsgrad des Gutachtens. Dementsprechend sieht sich der Senat
gehalten, seine bisherige, ebenfalls nach dem Schwierigkeitsgrad der Gutachten
abgestufte Rechtsprechung zu den Stundensätzen auf das neue Recht ergänzend
und konkretisierend zu übertragen.
Es gilt daher:
Einfachere gutachtliche Beurteilungen mit einer Vergütung nach Honorargruppe M
1 (50 EUR) sind medizinische Gutachten, bei denen die Diagnose zu beurteilender
Gesundheitsstörungen verhältnismäßig leicht zu stellen ist und die
Beweisfragen ohne sonderliche Mühe zu beantworten sind, insbesondere wenn die
Beurteilung durch antizipierte Sachverständigengutachten (Anhaltspunkte) oder
einschlägige Tabellenwerke erleichtert wird. Hierunter fallen etwa · augen-
und ohrenfachärztliche Gutachten zur Frage des Ausmaßes einer Seh- oder Hörminderung
sowie · Gutachten unabhängig vom Sachgebiet (also auch die unten genannten
"Zustandsgutachten") ohne schwierige Diagnostik, wenn die Beurteilung
- z.B. bei einer Monoverletzung - im Wesentlichen auf Zustand oder Funktion
eines Organs (Organpaares) bzw. Körperteiles gerichtet ist und keine
komplizierten Überlegungen anzustellen sind.
Gutachten mit einer Vergütung nach der Honorargruppe M 2 (60 EUR) sind die
typischen in der Sozialgerichtsbarkeit eingeholten Gutachten, die
durchschnittliche Anforderungen stellen. In diese Gruppe fällt daher der Großteil
der von den Sozialgerichten eingeholten Gutachten. Gutachten mit
durchschnittlicher Schwierigkeit sind solche, bei denen die diagnostischen oder
die ätiologischen Fragen oder die Beurteilung des Leistungsvermögens
eingehendere Überlegungen erfordern. Hierbei handelt es sich · vor allem um
sog. "Zustandsgutachten", in denen das Leistungsvermögen des
Untersuchten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung, der
Arbeitslosenversicherung oder im Bereich des Schwerbehindertenrechts/SGB IX und
· die Leidensbesserungen oder -verschlimmerungen bei Neufeststellungen in der
gesetzlichen Unfallversicherung oder im sozialen Entschädigungsrecht unter Berücksichtigung
von Vorgutachten und Vorbefunden zu erörtern sind sowie · Gutachten aus dem
Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung oder des sozialen Entschädigungsrechts,
wenn die zu klärenden Kausalfragen keine besonders schwierigen Überlegungen
erfordern, insbesondere wenn sich die Beantwortung der Kausalfragen ohne
kritische Auseinandersetzung allein an den Standardwerken der
unfallmedizinischen Literatur (z.B. Schöneberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit; Izbicki/Neumann/Spohr, Unfallbegutachtung)
orientiert. Hierzu gehören dann auch die in der Anlage 1 des JVEG aufgeführten,
im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit zwar denkbaren, aber kaum anzutreffenden
Gutachten zu spurenkundlichen oder rechtsmedizinischen Fragestellungen mit
Befunderhebungen (z.B. bei Verletzungen und anderen Unfallfolgen)
Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad nach der Honorargruppe M 3 (85 EUR)
liegen vor, wenn der Sachverständige umfassende und vielseitige bzw.
vielschichtige Überlegungen anstellen muss. Die Schwierigkeiten können mit den
diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen, aber auch andere Gründe
haben, z.B. durch eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder
anamnestischer Angaben bedingt sein. In erster Linie sind hier ·
Zusammenhangsgutachten in der gesetzlichen Unfallversicherung und im sozialen
Entschädigungsrecht einzuordnen, die sich im notwendigen Umfang mit den im
Schrifttum vertretenen wissenschaftlichen Meinungen im Gutachten
auseinandersetzen sowie · Zustandsgutachten bei sehr komplizierten, widersprüchlichen
Befunden und entsprechenden Schwierigkeiten bei deren diagnostischer Einordnung.
In diese Honorargruppe gehören auch die in der Anlage 1 des JVEG beispielhaft
aufgeführten Gutachten in Verfahren nach dem HHG, zur Geschäfts- oder Prozessfähigkeit
und Gutachten zu rechtsmedizinischen, toxikologischen und spurenkundlichen
Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden Todesursachenklärung,
ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit,
sofern der eingangs dargestellte hohe Schwierigkeitsgrad vorliegt.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei einer nach dem Schwierigkeitsgrad völlig
gleichmäßigen Abstufung die betragsmäßig ungleichmäßige, aber vom Gesetz
verbindlich vorgegebene unterschiedliche Vergütung der Honorargruppen von 50
EUR über 60 EUR bis zu 85 EUR nicht nachvollziehbar erscheinen würde. Soweit
in der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrs. aaO) in diesem Zusammenhang auf den
Umfang der Gutachten verwiesen und eine aufwandsbezogene Ausgestaltung der Vergütung
behauptet wird, wird nach Auffassung des Senats vernachlässigt, dass sich der
Umfang der Inanspruchnahme des Sachverständigen und damit sein Aufwand in
erster Linie an der typischerweise ebenfalls vom Schwierigkeitsgrad des
Gutachtens abhängigen Anzahl erforderlicher und zu vergütender Stunden zeigt.
Vor diesem Hintergrund erfordert eine Vergütung nach Honorargruppe M 3 einen
gegenüber Gutachten, die nach Honorargruppe M 2 vergütet werden, deutlich höheren
Schwierigkeitsgrad, wobei sich dieser Schwierigkeitsgrad gerade aus den
Darlegungen im Gutachten entnehmen lassen muss. Es genügt daher für eine Vergütung
nach Honorargruppe M 3 nicht, dass ein schwieriges Gutachten in Auftrag gegeben
wurde. Aus dem Gutachten selbst muss sich vielmehr ergeben, dass der Sachverständige
die geforderten vielseitigen bzw. vielschichtigen Überlegungen auch anstellte
und wodurch diese veranlasst wurden.
Damit ist der vom Antragsteller geltend gemachte Stundensatz von 60 EUR nicht zu
beanstanden. Denn es handelt sich vorliegend um ein typisches
"Zustandsgutachten" im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung.
Im Ergebnis errechnet sich somit aus 21 zu vergütenden Stunden und einem
Stundensatz von 60 EUR, der gesetzlichen Mehrwertsteuer und der Auslagen von 15
EUR eine Vergütung in Höhe von 1476,60 EUR.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).