L 12 U 3685/04 KO-A LSG Baden Württemberg - Beschluss vom 15. September 2004

 


Gründe

I.

In dem im 7. Senat anhängigen Berufungsverfahren L 7 U 3124/03 sind die Folgen Arbeitsunfälle streitig, insbesondere auf nervenärztlichem Fachgebiet. Auf Antrag des dortigen Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat die Berichterstatterin, nachdem der Kläger einen Kostenvorschuss in Höhe von 1000 € eingezahlt hatte, den Antragsteller, u.a. Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, mit Schreiben vom 29.7.2004 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um Erstattung eines Gutachtens auf Grund ambulanter Untersuchung des Klägers gebeten.

Mit Schreiben vom August 2004 hat der Antragsteller um Bestätigung gebeten, dass das Gutachten nach der Honorargruppe M 3 honoriert werde, da er es aus betriebswirtschaftlichen Gründen zu anderen Sätzen nicht anfertigen könne und die Kriterien erfüllt seien. Als weiteres Problem stelle sich, dass sich die bisher für ihn tätigen Schreibbüros weigern würden, zu den geltenden Vergütungssätzen zu schreiben. Ohne entsprechende Klärung vorab sei er nicht in der Lage, das Gutachten zu erstatten.

Der Kläger hat sich mit einer Vergütung des Antragstellers nach Honorargruppe M 3 einverstanden erklärt.

Der Antragsgegner hält eine vorherige Kostenzusage über eine Vergütung nach Honorargruppe M 3 nicht für möglich.

 

II.

Der Antrag führt zu einer vorläufigen Zuordnung des verlangten Gutachtens in Honorargruppe M 3. Soweit der Antragsteller eine entsprechende Vergütungszusage hinsichtlich der Schreibgebühren verlangt, wird der Antrag zurückgewiesen.

Rechtsgrundlage des Antrag auf Festsetzung des Stundensatzes ist § 9 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG), das hier Anwendung findet, weil der Gutachtensauftrag nach dem 30.6.2004 an den Antragsteller erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG). Danach erfolgt die Festsetzung der Vergütung unter anderem dann durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte, hier also der Sachverständige, dies beantragt. Dieser Antrag ist nach § 9 Abs. 1 Satz 5 JVEG bereits vor der Abrechnung zulässig, solange - wie hier - der Sachverständig seinen Vergütungsanspruch noch nicht geltend machen kann.

Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 JVEG in voller Besetzung, weil der Einzelrichter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen hat.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 JVEG für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 €, je nachdem, welcher Honorargruppe (M l bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen ist.

Keine Bedeutung kommt hier § 13 JVEG zu. Nach Abs. 1 dieser Regelung können sich die Parteien dem Gericht gegenüber mit einer bestimmten oder abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung einverstanden erklären. In diesem Fall ist diese Vergütung zu gewähren, wenn ein ausreichender Betrag an die Staatskasse gezahlt ist. Nach Abs. 2 Satz 1 genügt die Erklärung einer Partei, wenn das Gericht zustimmt. Die Zustimmung soll nur erteilt werden, wenn das Eineinhalbfache des Honorares nicht überschritten wird (Satz 2).

Diese Bestimmung ist jedoch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. Zur entsprechenden früheren Regelung in § 7 ZSEG hat der -Senat dies bereits entschieden (Beschluss vom 28.4.2003, L 12 RJ 1168/03). Hieran hält der Senat auch für das neue Kostenrecht fest. Denn wegen der Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens in den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Fällen trägt die Staatskasse die Verfahrenskosten und damit auch die Vergütung des Sachverständigen. Vereinbarungen zwischen den Prozessbeteiligten zu Lasten der Staatskasse sind jedoch nicht zulässig. Dies gilt auch im Anwendungsbereich des § 109 SGG, denn auch hier besteht die Möglichkeit, dass die Staatskasse die Kosten der Begutachtung nachträglich zu übernehmen hat. § 13 JVEG ist - ebenso wie es § 7 ZSEG war - auf das zivilrechtliche Verfahren zugeschnitten. Damit ist das vom Kläger erklärte Einverständnis mit einer Vergütung des Antragstellers nach Honorargruppe M 3 unerheblich. Die Höhe des Stundensatzes richtet sich ausschließlich nach den gesetzlichen Bestimmungen.

In Anlage 1 des JVEG werden medizinische Gutachten ihrem Schwierigkeitsgrad entsprechend in die bereits genannten drei Honorargruppen M 1, M 2 und M 3 eingeteilt, wobei sich der Gesetzgeber an den verschiedenen Gegenständen medizinischer Gutachten und ihrem Umfang orientiert hat und die Vergütung damit aufwandsbezogen gestaltet haben will (BTDrs. 15/1971 Seite 186). Im Einzelnen lautet die Regelung (soweit hier von Interesse):

Gegenstand medizinischer und psychologischer Gutachten

 

Honorar
M1 Einfache gutachtliche Beurteilungen, insbesondere
  • zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung
50 €
M2 Beschreibende (Ist-Zustands-) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere Gutachten
  • zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität
60 €
M3  Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere Gutachten
  • zum Kausalzusammenhang bei problematischen Verletzungsfolgen,
  • zu Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen Schwierigkeiten
85 €


Allerdings weisen diese Regelungen verschiedene Unklarheiten auf. So ist beispielsweise unklar, was unter speziellen Kausalzusammenhängen sowie unter problematischen Verletzungsfolgen zu verstehen sein soll und ob sich die "besonderen Schwierigkeiten" bei der Honorargruppe M 3 nicht nur auf Minderung der Erwerbsfähigkeit sondern auch auf Berufskrankheiten beziehen. Erkennbar ist aber die grundsätzliche Abstufung der Honorargruppen nach dem Schwierigkeitsgrad des Gutachtens.

Dabei ist nach Auffassung des Senats insbesondere bei der Abgrenzung zwischen den vorliegend in erster Linie in Betracht kommenden Honorargruppen M 2 und M 3 auch zu berücksichtigen, dass bei einer nach dem Schwierigkeitsgrad völlig gleichmäßigen Abstufung die betragsmäßig ungleichmäßige, aber vom Gesetz verbindlich vorgegebene unterschiedliche Vergütung der Honorargruppen von 50 € über 60 € bis zu 85 € nicht nachvollziehbar erscheinen würde. Soweit in der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrs. aaO) in diesem Zusammenhang auf den Umfang der Gutachten verwiesen und eine aufwandsbezogene Ausgestaltung der Vergütung behauptet wird, wird nach Auffassung des Senats vernachlässigt, dass sich der Umfang der Inanspruchnahme des Sachverständigen und damit sein Aufwand in erster Linie an der typischerweise ebenfalls vom Schwierigkeitsgrad des Gutachtens abhängigen Anzahl erforderlicher und zu vergütender Stunden zeigt. Vor diesem Hintergrund erfordert eine Vergütung nach Honorargruppe M 3 einen gegenüber Gutachten, die nach Honorargruppe M 2 vergütet werden, deutlich höheren Schwierigkeitsgrad; wobei sich dieser Schwierigkeitsgrad gerade aus den Darlegungen im Gutachten entnehmen lassen muss, z.B. in Form vielseitiger bzw. vielschichtiger Überlegungen. Es genügt daher für eine Vergütung nach Honorargruppe M 3 nicht, dass ein schwieriges Gutachten in Auftrag gegeben wurde. Aus dem Gutachten selbst muss sich vielmehr ergeben, dass der Sachverständige den von der Honorargruppe M 3 geforderten hohen Schwierigkeitsgrad zu bewältigen hatte und entsprechende gedankliche Anstrengungen unternahm.

Diese Überlegungen zeigen, dass eine verbindliche Festlegung des Stundensatzes erst erfolgen kann wenn das Gutachten vorliegt. Denn erst dann steht fest, ob der Sachverständige mit seinem Gutächten die Anforderungen der jeweiligen Honorargruppe erfüllt. Die vorn Gesetzgeber vorgesehene Vorabentscheidung über den Stundensatz steht daher systemimmanent unter dem Vorbehalt der späteren Überprüfung im Rahmen der Vergütungsabrechnung.

Ein anderes Verständnis der gesetzlichen Regelung - verbindliche Beurteilung nach dem erteilten Gutachtensauftrag und dem Akteninhalt - würde zu unvertretbaren Ergebnissen führen. So wäre es insbesondere nicht nachvollziehbar, dass derjenige Sachverständige, bei dem zwar ein Gutachten zu besonders schwierigen Kausalitätsfragen angefordert wurde, der aber keine dementsprechenden Überlegungen anstellte, gleichwohl nach der Honorargruppe M 3 vergütet wird. Vergleichbares gilt für jene Fallkonstellationen, in denen der Senat eine besondere Schwierigkeit der Kausalfragen bejaht, die Beantwortung der gestellten Kausalfragen für den Sachverständigen auf Grund dem Senat nicht bekannter Umstände (z.B. neuester Forschungsergebnisse oder anderer, einen Kausalzusammenhang von vorneherein ausschließender Diagnosestellung) aber besonders leicht fällt oder - umgekehrt - der Senat die Kausalfragen als nicht schwierig beurteilt, der Sachverständige sich dagegen bei der Gutachtenserstellung vor für den Senat unerwartete Schwierigkeiten gestellt sieht (z.B. weil bislang eindeutige Forschungsergebnisse zwischenzeitlich in Zweifel gezogen werden bzw. vom Sachverständigen eine andere, den Kausalzusammenhang nicht ausschließende Diagnose gestellt wird). Schließlich würde diese gegenteilige Auffassung im Extremfall dazu führen, dass zur Frage, ob besondere Kausalfragen zur erörtern sind, eigentlich ein Gutachten eingeholt werden müsste.

Im Ergebnis erweist sich damit die gesetzliche Regelung über die Vorabentscheidung als wenig praktikabel. Auch der Sinn einer solchen Vorabentscheidung erscheint fraglich. Die Regelung soll es - so die Begründung des Gesetzentwurfes - dem Sachverständigen ermöglichen, schon sehr frühzeitig, u. U. sogleich nach seiner Ernennung und damit schon vor Aufnahme der ihm übertragenen Aufgaben, Klarheit über die kostenmäßige Bewertung der von ihm erwarteten Leistungen und damit gleichzeitig über einen für seinen Gesamtanspruch wesentlichen Bemessungsfaktor zu erlangen (BTDrs. 15/1971 Seite 182) Allerdings ist nicht erkennbar, welchen - die zusätzliche Belastung und die erhebliche Verzögerung der Sachaufklärungsarbeit der Gerichte rechtfertigenden - Vorteil der Sachverständige aus einer solchen, wegen des erwähnten Vorbehaltes eingeschränkten Klarheit hat. Jedenfalls kann er den Gutachtensauftrag nicht deshalb ablehnen, weil ihm der Stundensatz zu niedrig ist. Er ist vielmehr nach § 407 der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet.

Gleichwohl hat eine Entscheidung des Senats zu ergehen. Angesichts der vom Antragsteller zu beantwortenden Kausalitätsfragen und der von ihm zu würdigenden Vorgutachten sind umfassende und vielschichtige Überlegungen und Darlegungen im Gutachten zu erwarten, die eine Zuordnung zur Honorargruppe M 3 rechtfertigen können. Vorbehaltlich der Überprüfung im Rahmen der Vergütungsabrechnung wird das Gutachten der Honorargruppe M 3 zugeordnet.

Soweit der Antragsteller auch eine Vorabentscheidung über die zu erstattenden Schreibgebühren begehrt, ist der Antrag unzulässig. Denn eine derartige Vorabentscheidung sieht das Gesetz nicht vor. § 9 Abs. 1 Satz 5 JVEG gilt ausschließlich für den Stundensatz. Lediglich am Rande ist deshalb darauf hinzuweisen, dass der in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG geregelte Ersatz für Schreibauslagen Höchstsätze enthält und keine höheren Zahlungen zulässt. Dabei hat der Gesetzgeber auch berücksichtigt, dass mit dem JVEG eine insgesamt erhebliche Erhöhung der Gesamtvergütung erfolgt ist (BTDrs. 15/1971 Seite 184).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).