Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Mit Bescheid vom 25. Februar 2008 hatte der Beklagte bei der Klägerin den Grad der Behinderung auf 40 angehoben. Am 14. August 2009 stellte die Klägerin einen Antrag auf Neufeststellung, den der Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 ablehnte. Er ging hierbei von folgenden Behinderungen aus:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30),
2. psychosomatische Störungen (Fibromyalgie-Syndrom) (Einzel-GdB 20),
3. Bandscheibenschaden, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Neuruppin hat die Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. F vom 3. September 2012 eingeholt, die den GdB auf 40 eingeschätzt hat. Die Sachverständige hatte hierbei folgende Behinderungen der Klägerin festgestellt:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30),
2. Fibromyalgie-Syndrom (Einzel-GdB 20),
3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10),
4. Harninkontinenz (Einzel-GdB 10).

Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Sozialgericht den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S angehört, der im Gutachten vom 22. September 2014 den GdB bei der Klägerin auf 50 eingeschätzt hat. Der Sachverständige legte hierbei folgende Behinderungen zugrunde:

1. depressive Störung, psychosomatische Erkrankung (Einzel-GdB 20),
2. Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40),
3. Wirbelsäulenfunktionsstörung bei Verschleiß, Bandscheibenleiden und Nervenreizung (Einzel-GdB 20),
4. Asthma bronchiale (Einzel-GdB 10).

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. März 2015 abgewiesen. Es ist hierbei im Wesentlichen der Gutachterin Dr. F gefolgt.

Mit der Berufung gegen diese Entscheidung hat die Klägerin ihr Begehren zunächst weiterverfolgt, während des Berufungsverfahrens aber auf die Feststellung eines GdB von 50 beschränkt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 3. März 2015 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 11. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 14. August 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Der Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab dem 14. August 2009.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Der bei der Klägerin bestehende Diabetes mellitus bedingt im streitgegenständlichen Zeitraum einen Einzel-GdB von 40. Der Bewertungsmaßstab ergibt sich aus Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV:

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Zwar führt die an Diabetes erkrankte Klägerin eine intensive Insulintherapie durch, bei der sie pro Tag viermal die Blutzuckerwerte misst, die Ergebnisse dokumentiert und pro Tag viermal eine den Blutzuckerwerten, der mit der Nahrung zugeführten Energiemenge und der körperlichen Betätigung angepasste Insulindosis injiziert, jedoch hat der Sachverständigen Dr. S, wie er nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten dargelegt hat, die zusätzlich erforderliche gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung der Klägerin nicht feststellen können. Ein Einzel-GdB von 50 kommt deshalb nicht in Betracht. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen als mittelgradig bewerteten Güte der Stoffwechseleinstellung und der rezidivierend auftretenden Unter- und Überzuckerungen, die in den umfangreichen Dokumentationen der Klägerin aufgeführt sind, ein Einzel-GdB von 40 in Ansatz zu bringen. Der Einschätzung der Sachverständigen Dr. F, dass der Diabetes mellitus lediglich einen Einzel-GdB von 30 bedinge, folgt der Senat nicht, da die Sachverständige hierbei darauf abgestellt hat, dass diabetische Folgeschäden an Nieren, Gefäßen und Nerven nicht nachgewiesen seien. Derartige Folgeerkrankungen werden von den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht als Voraussetzung für die Zuerkennung eines Einzel-GdB gefordert. Sie sind, wenn sie zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führen, zusätzlich zu berücksichtigen.

Die Bewertung der psychosomatischen Erkrankung der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 20 steht zwischen den Beteiligten - zu Recht - nicht im Streit.

Unter Berücksichtigung der Vorgaben in Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV ist die Bewertung der Wirbelsäulenleiden der Klägerin durch den Beklagten mit einem Einzel-GdB von 20 nicht zu beanstanden.

Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für den Diabetes mellitus ist nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf die mit jeweils einem Einzel-GdB von 20 zu bewertende psychosomatische Erkrankung und das Wirbelsäulenleiden, die nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S in einer deutlichen negativen Wechselwirkung zueinander stehen, um einen Zehnergrad heraufzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.