Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von 30 ab dem 10. November 2006 (Änderungsantrag).

Der 1969 geborene Kläger ist ledig und von Beruf Elektromonteur. Im Jahre 2009 hat der Kläger eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten erfolgreich abgeschlossen.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Juni 2006 stellte der Beklagte der gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dipl-Med. W vom 29. April 2006 folgend wegen einer bestehenden Funktionsbehinderung beider Kniegelenke einen Gesamt-GdB von 20 ab Antragstellung am 06. März 2006 fest; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) lägen nicht vor.

Mit Änderungsantrag vom 10. November 2006 beantragte der Kläger aufgrund einer Verschlimmerung der Kniegelenksbeschwerden die Neufeststellung des GdB und die abermalige Zuerkennung des Merkzeichens "G" und nahm insoweit insbesondere auf den von der Deutschen Rentenversicherung Brandenburg eingeholten ärztlichen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 16. Oktober 2006 Bezug. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2007 nach Einholung von ärztlichen Auskünften des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 07. Dezember 2006 und der Fachärztin für Innere Medizin R vom 23. Juni 2007 den gutachtlichen Stellungnahmen des Arztes F vom 16. Januar 2007 und der Ärztin M vom 31. Juli 2007 folgend ab.

Der Kläger hat am 05. Oktober 2007 Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von mindestens 30 begehrt hat.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte, der Fachärztin für Dermatologie Dr. P vom 11. März 2008, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. L vom 11. März 2008, des Facharztes für Orthopädie Dr. W vom 12. März 2008 und der Fachärztin für Innere Medizin R vom 22. März 2008 eingeholt. Das Sozialgericht hat sodann den Leitenden Medizinaldirektor Dr. A mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt nach ambulanter Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 04. August 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 30. Dezember 2008 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB mit 20 zu bewerten sei. Es bestünde aufgrund der durchgeführten klinischen und röntgenologischen Untersuchung eine beginnende Gon- und Retropatellararthorse beidseits mit leichter Funktionsbehinderung beider Kniegelenke bei bekanntem Knorpelschaden, jedoch ohne anhaltende Reizerscheinungen. Eine Reizkniebildung mit massiver Weichteilschwellung, Überwärmung, Ergussbildung und Schmerzen bis hin zum Funktionsausfall sei nicht vorhanden. Außergewöhnliche Schmerzzustände bestünden nicht. Die Kniegelenksbeschwerden seien daher mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der daneben bestehende nutritiv-toxische Leberparenchymumbau sei ohne höhergradige Funktionsstörung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten: er wirke sich jedoch nicht GdB-erhöhend aus.

Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht sodann gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie des Krankenhauses D Prof. Dr. F mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt in seinem Gutachten vom 30. September 2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. Februar 2010 zu der Einschätzung, dass bei dem Kläger eine chronische retropatellare Arthrose beider Kniegelenke bei ausgeprägten Knorpelschäden ohne Bewegungseinschränkungen gegeben sei. Es bestünden anhaltende Reizerscheinungen in Form von den von dem Kläger vorgetragenen Schmerzen. Insoweit bestünden außergewöhnliche Schmerzen unter Berücksichtigung der vorhandenen Kapselschwellung an beiden Kniegelenken. Der Gesamt-GdB sei aufgrund dieser Funktionsbeeinträchtigung mit 30 zu bewerten.

Zu den eingeholten Befundberichten und Gutachten hat der Beklagte mit gutachtlichen Stellungnahmen der Versorgungsärztin Dr. H vom 22. April 2008 und vom 01. Dezember 2009 Stellung genommen.

Mit Urteil vom 22. April 2010 hat das Sozialgericht Cottbus die Klage, den Feststellungen und der Einschätzung des Sachverständigen Dr. A folgend, abgewiesen. Der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. F sei nicht zu folgen. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. F für eine Höherbewertung insbesondere auf bestehende Schmerzen abstelle, überzeuge seine Einschätzung nicht, weil er sich insoweit allein auf die Angaben des Klägers beziehe. Diese Angaben des Klägers seien jedoch widersprüchlich. Denn es sei für die Kammer nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger einerseits über erhebliche Schmerzen klage, andererseits anlässlich der Untersuchung durch Prof. Dr. F jedoch angegeben habe, keine Schmerzmittel einzunehmen. Überdies dürften bestehende Schmerzen nicht, wie von den Sachverständigen Prof. Dr. F angenommen, als anhaltende Reizerscheinungen zu qualifizieren sein. Derartige anhaltende Reizerscheinungen in Form sichtbarer Veränderungen an den Kniegelenken seien nämlich nicht gegeben.

Gegen das ihm am 03. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01. Juli 2010 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung eines höheren GdB von nunmehr 30 weiterverfolgt.

Zur Begründung beruft er sich auf das eingeholte Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F Soweit in dessen Gutachten vermerkt sei, dass keine Medikamente eingenommen würden, beruhe die Angabe auf einem Missverständnis. Anlässlich der Begutachtung sei er, der Kläger, danach gefragt worden, ob ihm Schmerzmedikamente verschrieben worden seien. Dies habe er verneint. Denn entweder seien die Medikamente wie Ibruprofen oder verwandte Salben wie Voltaren nicht verschreibungspflichtig oder sei die Kostenübernahme von der Krankenkasse - wie das bis 2005 von dem behandelnden Arzt Dr. W verordnete Medikament Dona 200 (S) - abgelehnt worden. Im Übrigen beruft sich der Kläger auf ein Urteil des 13. Senats des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2003 (Az: L 13 SB 11/01). Danach sei ein Gesamt-GdB von 30 bei einer Funktionsbeeinträchtigung eines Kniegelenkes mit einem Einzel-GdB von 20 und des anderen Kniegelenkes mit einem Einzel-GdB von 10 anerkannt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 22. April 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für den Kläger ab dem 10. November 2006 einen Grad der Behinderung von 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid vom 26. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 20 ab dem 10. November 2006.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als 6 Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend der streitgegenständlichen Zeit ab dem 10. November 2006 in den Fassungen von 2005 und - zuletzt - 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 (BGBl I S. 2904), festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP - ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre - abgelöst haben. Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Ziffer 19 Abs. 3 der AHP 2005 und 2008 (Seite 25) bzw. Teil A Ziffer 3 c der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 22) ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Dies zugrunde gelegt hat der Kläger, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 ab dem 10. November 2006. Das vorliegend allein GdB-relevante Kniegelenksleiden ist zutreffend mit 20 bewertet worden, so dass sich auch der festzustellende Gesamt-GdB hierin erschöpft.

Nach Teil A Ziffer 26.18 AHP 2005 und 2008 (S. 126 f.) bzw. nach Teil B Ziffer 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV (siehe Seite 117) sind Funktionsbeeinträchtigungen des Kniegelenkes, wie sie hier allein in Betracht kommen können, mit folgendem GdB zu bewerten:

Bewegungseinschränkung im Kniegelenk

geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig 0 - 10 beidseitig 10 - 20

mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-10-90) einseitig 20 beidseitig 40

stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-30-90) einseitig 30 beidseitig 50

Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen

einseitig ohne Bewegungseinschränkung 10 - 30 mit Bewegungseinschränkung 20 - 40

Dies zugrunde gelegt rechtfertigt sich im Falle des Klägers kein höherer (Gesamt-)GdB als 20. Auch der Senat folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. A, der in seinem Gutachten anhand der von ihm vorgenommenen klinischen und röntgenologischen Untersuchungen überzeugend ausgeführt hat, dass allenfalls leichte Bewegungseinschränkungen, mithin solche geringen Ausmaßes, gegeben seien. In Anwendung vorgenannter Bewertungsmaßstäbe rechtfertigt sich angesichts einer bestehenden beidseitigen Bewegungseinschränkung der Kniegelenke geringen Ausmaßes ein GdB von maximal 20. Nichts anderes ergibt sich unter Beachtung der Feststellungen und Bewertungen des Sachverständigen Prof. Dr. F, der insoweit ausführt, dass Bewegungseinschränkungen nicht gegeben seien.

Eine Höherbewertung lässt sich auch unter Berücksichtigung der unstreitig bestehenden ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke (hier einer Chondromalacia patellae Stadium II) nach Maßgabe vorgenannter Bewertungsgrundsätze nicht begründen. Insoweit fehlt es bereits am Erfordernis bestehender anhaltender Reizerscheinungen. Hierunter sind, worauf bereits das Sozialgericht in seiner Entscheidung zutreffend hingewiesen hat, sichtbare Veränderungen an den Kniegelenken in Form von Überwärmungen, Schwellungen oder Ergüssen zu verstehen, die zumindest längerfristig vorhanden sind (vgl. hierzu auch Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 20. Mai 2003 - Az: L 13 SB 11/01 - zitiert nach juris.). Derartige Reizerscheinungen anhaltender Art in Form von Weichteilschwellungen oder Ergussbildungen konnten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. A nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung nicht festgestellt werden. Solche ergeben sich auch nicht unter Berücksichtigung der Feststellungen, wie sie durch den Sachverständigen Prof. Dr. F getroffen worden sind, nicht. Zwar führt dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Februar 2010 aus, dass auch eine Kapselschwellung an beiden Kniegelenken vorhanden gewesen sei. Dies führt jedoch bei einer Gesamtbetrachtung der erhobenen medizinischen Feststellungen nicht dazu, dass von anhaltenden Reizerscheinungen ausgegangen werden kann. Insbesondere werden durch diese Feststellung die substantiierten Erhebungen des Sachverständigen Dr. A nicht in Frage gestellt.

Für eine Höherbewertung gibt das Gutachten des Prof. Dr. F auch ansonsten keinen Anlass. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. F auf anhaltende Schmerzzustände Bezug nimmt, lassen sich damit weder anhaltende Reizerscheinungen begründen noch kommt ihnen sonst eine selbstständige Gdb-Relevanz zu. Denn die mit einer Funktionsbeeinträchtigung jeweils einhergehenden (üblichen) Schmerzen bzw. Schmerzzustände sind im Rahmen der GdB-Bewertung nach Maßgabe der in der jeweiligen GdB-Tabelle niedergelegten Sätze bereits berücksichtigt. Zwar rechtfertigen ggf. außergewöhnliche Schmerzzustände eine Höherbewertung (vgl. auch hierzu Teil A Ziffer 18 Satz 8 AHP 2005 bzw. 2008, S. 23 f.) bzw. Teil A Ziffer 2 j der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 21). Außergewöhnliche Schmerzzustände sind jedoch weder belegt noch erkennbar. Dass sich der Kläger wegen bestehender Schmerzen in spezieller ärztlicher Behandlung befindet, hat er nicht vorgetragen und lässt sich auch nicht den vorgelegten medizinischen Unterlagen entnehmen. Außergewöhnliche Schmerzen sind auch nicht dadurch belegt, dass der Kläger gerade nicht verschreibungspflichtige Medikamente und Salben wie Ibuprofen und Voltaren zur Schmerzlinderung verwendet. Gleiches gilt hinsichtlich des offensichtlich verschreibungspflichtigen Medikamentes Dona 200 (S). Denn dieses Medikament, das durch den behandelnden Orthopäden Dr. W bis 2005 verschrieben wurde, dient nach dessen ärztlicher Auskunft vom 07. Dezember 2006 zur chondroprotektiven Therapie. Unter einer solchen Therapie ist aber eine Behandlung der Gelenkarthrosen mit knorpelschützenden und knorpelerhaltenden Arzneimitteln zu verstehen. Damit dient das verordnete Medikament nicht primär der Schmerzbekämpfung, sondern zum Erhalt bzw. zum Schutz der Knorpelsubstanz. Eine Schmerzlinderung ist insoweit allenfalls ein Nebeneffekt dieses Medikamentes. Überdies lassen die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F nicht auf das Vorliegen außergewöhnlicher Schmerzen schließen. Der Sachverständige beschränkt sich in seiner ergänzenden Stellungnahme allein darauf diese zu bejahen, ohne seine Einschätzung näher zu begründen. Dies wäre aber angesichts der bis dahin im Verfahren getroffen medizinischen Feststellungen geboten gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.