Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 28. Dezember 2006 (Antragstellung). Zwischenzeitlich ist ein GdB von 40 ab Juli 2008 anerkannt.

Der 1962 geborene Kläger ist verheiratet, von Beruf Kaufmann und als solcher vollschichtig tätig.

Am 28. Dezember 2006 beantragte der Kläger bei dem Beklagten unter Hinweis auf einen im September 2005 manifestierten, insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eine chronische Durchfallerkrankung, eine erektile Dysfunktion und psychische Belastungen für ihn einen GdB festzustellen.

Der Beklagte holte ärztliche Berichte der behandelnden Ärzte, der Urologin H vom 22. Januar 2007, des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 14. März 2007 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. Sch vom 26. April 2007 ein. Der daraufhin veranlassten gutachtlichen Stellungnahme des Arztes für Urologie Dr. S vom 24. Juni 2007 folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2007 einen Gesamt-GdB von 30 ab dem 28. Dezember 2006 aufgrund folgender Behinderungen fest:

- Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30), 
- Impotenz (Einzel-GdB 10), 
- Darmfunktionsstörungen (Einzel-GdB 10).

Gleichzeitig stellte der Beklagte fest, dass eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ("d. E.") gegeben sei. Den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. H vom 29. September 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2007 zurück.

Der Kläger hat am 30. November 2007 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt hat. Der Kläger hat zu den Gerichtsakten eine Aufzeichnung erfolgter Blutzuckerkontrollen und von Stuhlgängen vom Februar 2008 sowie ein ärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 28. Juli 2008 zu den Gerichtsakten gereicht.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte, der Urologin Frau H vom 21. Februar 2008 sowie des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 25. Februar 2008 und 29. Mai 2009 eingeholt. In letzterem hat der Arzt Dr. J darauf hingewiesen, dass im Juli 2008 - aufgrund bestätigter Diagnose eines Diabetes mellitus Typ I (statt Typ II) - eine Umstellung der Insulintherapie von einer konservativen Insulintherapie mit zweimaliger täglicher Gabe eines Mischinsulins zu einer intensivierten Insulintherapie mit mehrfach täglichen Insulininjektionen zu den Mahlzeiten (3 x täglich) und 2 x täglichen Injektionen eines Verzögerungsinsulins (zu festen Zeiten) erfolgt sei. Der Diabetes mellitus sei trotz Diät und mehrfachen Insulininjektionen pro Tag schwer einstellbar, es komme immer wieder zu erhöhten Blutzuckerwerten; der Kläger müsse 4 x täglich seinen Blutzucker messen. Die intensivierte Insulintherapie erfordere ein festes Zeitkontingent von ca. einer halben Stunde im Ablauf eines Tages.

Der Beklagte hat zu den vom Kläger eingereichten Unterlagen sowie den Befundberichten mit gutachtlichen Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin, Medizinaldirektorin R vom 22. Januar und 14. Mai 2008 sowie mit gutachtlicher Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin Dr. G vom 6. Juli 2009 Stellung genommen, die aufgrund des Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr. vom 29. Mai 2009 unter Hinweis auf die Umstellung der Insulintherapie eine Anhebung sowohl des Einzel-GdB für den bestehenden Diabetes mellitus als auch des Gesamt-GdB auf 40 ab Juli 2008 empfiehlt.

Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2009 den Gesamt-GdB ab Juli 2008 mit 40 fest, woraufhin die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 26. August 2009 und vom 20. Oktober 2009 den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt haben.

Das Sozialgericht hat sodann den praktischen Arzt M mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt nach ambulanter Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 8. März 2010 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten sei. Der insulinpflichtige Diabetes mellitus sei dabei mit einem Einzel-GdB von 40 sowohl unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht als auch nach der Versorgungsmedizin-Verordnung und zwar auch unter Berücksichtigung des erforderlichen Therapieaufwandes zu bewerten. Aufgrund der HbA1c-Werte sei eher von einer stabilen denn von einer mäßig schwankenden Stoffwechsellage auszugehen, wobei der zur Erzielung dieser Stoffwechsellage erforderliche Aufwand (etwa eine halbe Stunde am Tag) gering bis mäßig sei. Der GdB von 40 sei insoweit an der oberen Grenze des Vertretbaren. Die Darmfunktionsstörung, die keine organische Ursache habe und nach Angaben des Klägers durch fettreiche Mahlzeiten bzw. scharfe Speisen mit der Folge von Durchfällen ausgelöst werde, sei bei einem befriedigendem Kräftezustand und unauffälligem, nicht reduziertem Ernährungszustand ohne wesentliche Beschwerden und Auswirkungen ebenso wie die behandelbare erektile Dysfunktion mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 zu bewerten.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage, den Feststellungen und der Einschätzung des Gutachters M folgend, abgewiesen.

Gegen das ihm am 4. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Juli 2010 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung eines höheren GdB weiterverfolgt.

Er ist der Ansicht, dass mit Blick auf die nunmehr seit dem 22. Juli 2010 geltende Fassung des Teils B Nr. 15.1 der Versorgungsmedizin-Verordnung der Einzel-GdB für die Diabeteserkrankung mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten sei. Mit dieser Fassung der Versorgungsmedizin-Verordnung sei die Rechtssprechung 9. Senats des Bundessozialgerichts umgesetzt worden, wonach der Therapieaufwand bei der Feststellung des GdB zu berücksichtigten sei. Aufgrund ständiger Durchfälle sei auch die Darmerkrankung höher und mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Schließlich sei bei der Gesamt-GdB-Bildung die bestehende depressive Erkrankung fehlerhaft außer Betracht geblieben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 11. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2007 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2009 zu verpflichten, für den Kläger ab dem 28. Dezember 2006 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid vom 11. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2007 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 30 ab dem 28. Dezember 2006 und als 40 ab dem 1. Juli 2008.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 (grundsätzlich) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier maßgeblich Ausgaben 2005 und 2008 - AHP 2005 und 2008) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) - nunmehr in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 17. Dezember 2010 festgelegten "versorgungsärztlichen Grundsätze" abgelöst worden sind. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG -, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.

Einzel-GdB sind entsprechend diesen Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 22; ebenso bereits Teil A Nr. 19 AHP 2005 und 2008, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) - ee) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 22, 23; ebenso zuvor AHP 2005 und 2008 Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).

Hiervon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 28. Dezember 2006. Denn den bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen wird mit dem vom Beklagten festgestellten Gesamt-GdB von 30 ab dem 28. Dezember 2006 und von 40 ab dem 1. Juli 2008 angemessen Rechnung getragen.

Der Beklagte hat die bei dem Kläger von dem Diabetes mellitus als dem führenden Leiden ausgehenden Beeinträchtigungen zu Recht mit einem Einzel-GdB von 30 ab dem 28. Dezember 2006 und von 40 ab dem 1. Juli 2008 bewertet.

Abweichend von den vorstehenden Grundsätzen legt der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des im Schwerbehindertenrecht zuständigen 11. Senats des Landessozialgerichts (vgl. Urteil des 11. Senats vom 10. Juni 2010 - Az: L 11 SB 125/09 -) bei der Beurteilung der von einem Diabetes mellitus ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2008 allerdings nicht die AHP in ihrer jeweiligen Fassung zugrunde, sondern geht insoweit von der Tabelle aus, deren Anwendung der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den zuständigen obersten Landesbehörden bis zu einer endgültigen Klärung der Frage der GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus empfohlen hat (siehe Rundschreiben des BMAS vom 22. September 2008 - IV C 3 - 48064 - 3). Diese Tabelle ist entwickelt worden, nachdem das Bundessozialgericht - BSG - mit seinem Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 -, zitiert nach juris, entschieden hatte, dass die Nr. 26.15 der AHP 2005 und 2008 nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Sie ersetzt die entsprechende Nummer in den AHP (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008 - B 9/9a SB 4/07 R -, zitiert nach juris) und sieht für die GdB-Bewertung folgende Einteilung vor:

Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20
unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzucker- senkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) 30-40
unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50

Häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu bewerten. Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.

Diese (vorläufige) Tabelle ist als Teil B Nr. 15.1 in der seit dem 1. Januar 2009 maßgeblichen Anlage § 2 VersMedV (siehe dort S. 90) - zunächst - übernommen worden und findet deshalb auch für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 weiterhin Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 SB 3/08 R -; zitiert nach juris), jedoch beschränkt auf die Zeit bis zum 21. Juli 2010 infolge der mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14. Juli 2010 zum 22. Juli 2010 in Kraft getretenen Neufassung des Teil B Nr. 15.1 der Versorgungsmedizin-Verordnung (vgl. hierzu im Einzelnen: BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 3/09 R -).

Wie das BSG in dem zitierten Urteil vom 23. April 2009 zu den in der (vorläufigen) Tabelle geregelten Vorgaben entschieden hat, können sie jedoch nicht abschließende Grundlage für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus sein. Denn sie erfassen zwar mit dem Begriff der Einstellbarkeit die für die GdB-Beurteilung wesentliche Frage, ob bei den betroffenen behinderten Menschen eine stabile oder instabile Stoffwechsellage besteht, nicht jedoch den aufgrund von § 69 Abs. 1 Satz 4 (vormals Satz 3) SGB IX darüber hinaus zwingend zu berücksichtigenden medizinisch notwendigen Therapieaufwand, der erforderlich ist, um eine bestimmte Einstellungsqualität zu erreichen. Dieser Therapieaufwand kann je nach Umfang dazu führen, dass der anhand der Einstellungsqualität des Diabetes mellitus beurteilte GdB auf den zunächst höheren Zehnergrad festzustellen ist, was nicht nur für die Zeiten bis zum 31. Dezember 2008 gilt, in denen die AHP in der Fassung der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS heranzuziehen sind, sondern auch für die Zeiten ab dem 1. Januar 2009 (bis zum 21. Juli 2010) zu beachten ist, für die die Regelungen der Anlage zu § 2 VersMedV Anwendung finden. Dass diese Regelungen in Form einer Rechtsverordnung erlassen worden sind und damit Verwaltung und Gerichte grundsätzlich binden, steht der ergänzenden Berücksichtigung des jeweiligen Therapieaufwands nicht entgegen. Denn wie das BSG mit dem Urteil vom 23. April 2009 entschieden hat, verstößt Teil B Nr. 15. 1 der Anlage zu § 2 VersMedV (vgl. Seite 90) gegen § 69 Abs. 1 Satz 4 (vormals Satz 3) SGB IX, soweit der Therapieaufwand danach nicht zu berücksichtigen ist, und bindet die Rechtsanwender nicht. Dieser Rechtsprechung des BSG schließt sich der Senat in jeder Hinsicht an.

Nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV in der seit dem 22. Juli 2010 geltenden Fassung, die nunmehr den rechtlichen Vorgaben des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX genügt (vgl. das zitierte Urteil des BSG vom 2. Dezember 2010), gelten hinsichtlich einer Diabetes mellitus Erkrankung folgende GdB-Bewertungen:

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwandes und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.

Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens 4 Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden aufgrund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (bzw. Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.

Der Begriff des Therapieaufwandes im Sinne der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG mit Urteil vom 2. Oktober 2010 ist weit auszulegen. Der Therapieaufwand muss allerdings medizinisch notwendig sein, tatsächlich durchgeführt werden und sich nachteilig auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Er beurteilt sich dabei auch für die Zeit vor dem 22. Juli 2010 anhand der neuen Bewertungsgrundsätze, wie sie in der Neufassung des Teils B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV aufgrund der 2. ÄnderungsVO anhand des Oberbegriffes "Einschnitte in die Lebensführung" zusammengefasst sind, danach, ob und wie die Planung des Tagesablaufes, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität beeinträchtigt ist. Die Intensität der Einschnitte in die Lebensführung ist dabei davon abhängig, ob der Therapieaufwand aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist oder die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in anderen Lebensbereichen wegen des zeitlichen Umfangs der Therapie erheblich beeinträchtigt wird.

Dies zugrunde gelegt hatte der Beklagte die von dem bei dem Diabetes mellitus ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen seit dem 28. Dezember 2006 bis zum 30. Juni 2008 zu Recht mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet.

Der den Kläger behandelnde Facharzt für Innere Medizin Dr. J beschreibt in seinem ärztlichen Bericht vom 14. März 2007 sowie in den Befundberichten vom 25. Februar 2008 und 29. Mai 2009 zur Bestätigung des Diabetes mellitus Typ I im Juli 2008, dass sich für die Zeit zuvor unter einer konventionellen Insulintherapie mit 2 x täglicher Gabe eines Mischinsulins stabile bis zufrieden stellende Stoffwechsellagen ergeben hätten. Erst danach sei eine unzureichende Stoffwechsellage zu verzeichnen gewesen, die zur Umstellung der Insulintherapie ab Juli 2008 geführt hätte. Angesichts dessen wird auch nach Einschätzung des Senats den Teilhabebeeinträchtigungen in Anwendung der (vorläufigen) Tabelle mit einem GdB von 30 bis zum 30. Juni 2008 angemessen Rechnung getragen. Für eine Höherbewertung ist insoweit kein Raum, weil nach der ärztlichen Auskunft des behandelnden Arztes Dr. J sich die Stoffwechsellage bis zu diesem Zeitpunkt (Ende Juni 2008) eher als stabil denn als mäßig schwankend erwiesen hat. Diesen Therapieerfolg erreichte der Kläger mit einem Therapieaufwand, dessen Umfang nicht so beträchtlich ist, als dass er dazu führen könnte, den sich aus der oben wiedergegebenen (vorläufigen Tabelle) ergebenden GdB von maximal 30 im Sinne der Rechtsprechung des BSG (um 10) zu erhöhen. Denn bis zur Umstellung auf eine intensivierte Insulintherapie im Juli 2008 waren im Regelfall mehrere tägliche Blutzuckermessungen sowie zweimalige tägliche Insulininjektionen erforderlich, deren Zeitkontingent weit unter einer halben Stunde im Laufe eines Tages betragen haben dürfte. Denn ein Zeitkontingent von einer ca. halben Stunde sah der behandelnde Arzt Dr. J erst für die Zeit ab der intensivierten Insulintherapie mit dreimal täglichen Insulininjektionen zu den Hauptzeiten sowie zweimal täglichen Insulininjektionen zu darüber hinausgehenden Zeitpunkten als erforderlich an, um den gewünschten Therapieerfolg herbeiführten zu können. Angesichts des insoweit zu vernachlässigenden Zeitaufwandes rechtfertigt sich für die Zeit bis zum 30. Juni 2008 (Therapieumstellung) kein höherer GdB als 30.

Dem Umstand, dass ab dem 1. Juli 2008 eine intensivierte Insulintherapie erfolgen musste, wird mit einer Anhebung des GdB um 10 auf 40 angemessen Rechnung getragen. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen M ist insoweit eher von einer allenfalls mäßig schwankenden Stoffwechsellage auszugehen. Das für die Insulingabe nach Angaben des Arztes Dr. J anzusetzende Zeitkontingent von ca. ½ Stunde rechtfertigt jedoch keine Höherbewertung des GdB aus Gründen des Therapieaufwandes zumal der Kläger lediglich zweimal täglich bei der Insulingabe an feste Zeiten gebunden ist, ansonsten die Insulininjektionen weitestgehend frei selbst bestimmen kann. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger darüber hinaus in der Tages- und Freizeitgestaltung wesentlich beeinträchtigt ist. Auch kann er seinen Beruf, soweit ersichtlich, ungeachtet der erforderlich werdenden Insulingaben und Blutzuckerkontrollen ohne Einschränkung vollschichtig ausüben. Insoweit folgt der Senat der Einschätzung des Sachverständigen M, dass bei einer allenfalls mäßig schwankenden Stoffwechsellage der Therapieaufwand als allenfalls gering bis mäßig zu beurteilen ist. Für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 ist der GdB für die Diabeteserkrankung daher mit maximal 40 zu bewerten.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich auch unter Berücksichtigung der zum 22. Juli 2010 in Kraft getretenen Neufassung des Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV nicht, dass der Diabetes mellitus mit einem GdB von mehr als 40 zu bewerten ist. Denn in Auswertung der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse, wie sie insbesondere durch den behandelnden Arzt Dr. J und Sachverständigen M beschrieben werden, ist trotz der täglich erforderlichen fünfmaligen Insulininjektionen nur ein halbstündiger Therapieaufwand erforderlich, wobei nur 2 Insulingaben bei ansonsten im wesentlichen freier Tagesgestaltung sowohl privater als auch beruflicher Natur zu festen Zeiten erfolgen müssen. Eine einen GdB von 50 rechtfertigende gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung ergibt sich angesichts dessen nicht.

Die bei dem Kläger bestehende chronische Darmstörung ist zutreffend mit einem GdB von 10 bewertet worden (vgl. Teil A Nr. 26.10 der AHP 2005 und 2008, S. 77, bzw. Teil B Nr. 10.2.2 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 71). Insoweit führt der Sachverständige M zutreffend aus, dass die chronische Darmstörung, die keine organischen Ursachen hat, nicht mit wesentlichen Beschwerden oder Auswirkungen verbunden ist. Denn bei dem von ihm festgestellten befriedigendem Kräftezustand und unauffälligen, nicht reduzierten Ernährungszustand beruhen die mit ihr einhergehenden Durchfälle allein darauf, dass der Kläger, wie er selbst ausführt, fettreiche Mahlzeiten oder scharfe Speisen zu sich nimmt.

Auch die bei dem Kläger bestehende erektile Dysfunktion ist jedenfalls nicht mit einem höheren Einzel-GdB als von 10 zu bewerten. Nach Teil A Nr. 26.13 AHP 2005 bzw. 2008, S. 93 bzw. Teil B Nr. 13.2 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 84, ist erst im Falle einer - hier nicht gegebenen - nachgewiesenen erfolglosen Behandlung einer Impotentia coeundi die Feststellung eines GdB von 20 gerechtfertigt.

Die vom Kläger vorgetragene bestehende Depression rechtfertigt die Festsetzung eines Einzel-GdB nicht. Soweit es sich insoweit um typische Begleiterscheinungen einer Erkrankung handelt, sind diese im Regelfall mit dem jeweils vergebenen Einzel-GdB abgegolten (vgl. Teil A Nr. 18 Abs. 8 AHP 2005 und 2008, S. 23, bzw. Teil A Nr. 2 i) der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 21). Außergewöhnliche seelische Begeleitumstände einer Erkrankung bzw. eine als selbständige Erkrankung zu wertende psychische Störung, die ihrerseits die Vergabe eines Einzel-GdB rechtfertigen könnten, lassen sich schon deshalb nicht feststellen, weil der Kläger nach Aktenlage zu keiner Zeit eine psychische Behandlung aufgenommen noch offensichtlich in Erwägung gezogen hat.

Der Gesamt-GdB ist ausgehend von dem höchsten Einzel-GdB für die Diabeteserkrankung zutreffend mit 30 für die Zeit ab dem 28. Dezember 2006 bis zum 30. Juni 2008 und für die Zeit danach mit 40 bewertet worden. Sowohl die Darmfunktionsstörung als auch die erektile Dysfunktion wirken sich angesichts ihrer Geringfügigkeit nicht GdB-erhöhend aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache. Anlass, den Beklagten zur teilweisen Kostenerstattung für das erstinstanzliche Verfahren zu verpflichten, besteht nicht. Der Beklagte hat erst im Rahmen des Verfahrens vor dem Sozialgericht aufgrund der dort vorgelegten Befundberichte des Dr. J Kenntnis von der Umstellung der Insulintherapie erlangt, die eine Höherbewertung des GdB bezüglich der Diabetes-Erkrankung rechtfertigt und insoweit unverzüglich auf die geänderte Tatsachen- und Rechtslage mit einer Anhebung des GdB auf 40 mit Bescheid vom 14. Juli 2009 reagiert.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.