L 13 SB 9/03 LSG Berlin - Urteil vom 18. Mai 2004

 


Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "aG" - außergewöhnliche Gehbehinderung - erfüllt.

Der 1952 geborene Kläger hatte 1958 einen Verkehrsunfall mit ausgedehnten Weichteilverletzungen im Bereich des linken Beines erlitten, die mehrfache Hauttransplantationen erforderten. Ihm war zuletzt mit Bescheid vom 22. November 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1989 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen "G" - erhebliche Gehbehinderung - zuerkannt worden.

Er stellte im Januar 2001 nach einer Oberschenkelamputation links infolge eines Weichteiltumors einen Neufeststellungsantrag und beantragte die Zuerkennung des Merkzeichens "aG", da er sich nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb eines Fahrzeugs bewegen könne.

Der Beklagte zog die Entlassungsberichte des U.klinikums B.F. vom 25. September 2000 und 1. Februar 2001 sowie der B.-Klinik über einen stationären Aufenthalt vom 9. Mai bis zum 13. Juni 2001 bei. Darin wird der Kläger als vollschichtig leistungsfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen, überwiegend im Sitzen, ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Ersteigen von Leitern und Gerüsten, ohne Anforderung an die Gang- und Standsicherheit und ohne häufiges Bücken angesehen. Als Rehabilitationsergebnis ist vermerkt, der Kläger habe berichtet, dass er sich insgesamt gekräftigt fühle, seine maximale Gehdauer auf eine Stunde angestiegen sei und er in den täglichen Verrichtungen komplett selbständig sei, Treppensteigen sei auch möglich. Es sollte ambulant die Umstellung auf die endgültige Prothese erfolgen.

Der von dem Beklagten mit einem Gutachten beauftragte Arzt für Chirurgie Dr. S. schilderte in seinem Gutachten vom 29. August 2001 das Gangbild mit zwei Unterarmgehstützen und einer benutzten Interimsprothese als kleinschrittig und schwerfällig. Es liege ein Verlust des Oberschenkels im Bereich des proximalen Drittels mit erheblich ungünstigen narbigen Verziehungen und erheblicher Hyperkeratose mit rezidivierendem Aufbrechen der Narbenregion und Entleerung von Lymphflüssigkeit vor. Der Einzel-GdB für den Beinverlust und der Gesamt-GdB betrügen 80. Dr. S. gelangte zu dem Ergebnis, nach den Anhaltspunkten wäre mit der Beinprothese nur das Merkzeichen "G" zu gewähren. Allerdings könne der Kläger auf einem normalen Parkplatz aufgrund der Beinprothesensituation nicht ein- und aussteigen. Er sei aber auf seinen Pkw angewiesen, zumal er wieder seine überwiegend sitzende Tätigkeit aufgenommen habe. Deshalb sei die Berechtigung zum Nutzen der Schwerbehindertenparkplätze zwingend erforderlich. Prüfärztlich sei dies zu genehmigen, wenn es dann nur über "aG" sein könne, dann sei bei Unzulänglichkeit des Schwerbehindertengesetzes dieses zu gewähren.

Daraufhin stellte der Beklagte im Bescheid vom 26. September 2001 als Behinderungen

  1. Verlust des linken Beines mit sehr kurzem Oberschenkelstumpf und ungünstigen Narbenverhältnissen, Kniegelenksverschleiß rechts
  2. Ellenbogengelenksverschleiß links nach Oberarmbruch

mit einem Gesamt-GdB von 80 fest, wobei er das Leiden zu a) mit einem GdB von 80, das Leiden zu b) mit einem GdB von 10 bewertete. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" seien nicht erfüllt.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger mit einem Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. B. vom 17. Oktober 2001. Danach sei der Kläger mit der Dauerprothese versorgt, es bestehe aber eine ganz ausgeprägte Gehbehinderung und Gangunsicherheit. Weitere Änderungen an der Prothese seien erforderlich. Der Kläger sei bei den erforderlichen Fußwegen sehr stark behindert.

Durch Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die für die Feststellung des Merkzeichens erforderlichen Funktionsbeeinträchtigungen lägen nicht vor.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht einen Befundbericht von Dr. B. vom 4. Juni 2002 eingeholt, der eine geringe Besserung bei Anpassung der Oberschenkelprothese links angab. Zur Zeit würden zwei Unterarmstützen erforderlich sein. Die Wegstrecke sei auch mit Gehhilfen erheblich verkürzt. Anschließend hat das Sozialgericht den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. X. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom 28. Juni 2002 hat Dr. X. angegeben, im Untersuchungszimmer sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, statisch sicher ohne Gehstützen zu laufen. Es habe vielmehr eine deutliche Unsicherheit bestanden. Mit einem Gehstock könne der Kläger im Untersuchungszimmer raumgreifend laufen, benutze allerdings zum Erreichen der Untersuchungsräume zwei französische Gehstützen. Hierfür gäbe es aber nach dem Ergebnis der Untersuchung keine entsprechende medizinische Begründung, da eine wesentliche statische Unsicherheit objektiv nicht feststellbar gewesen sei und am rechten Bein völlig regelrechte Verhältnisse vorlägen. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung bestehe bei dem Kläger nicht. Wenn er die Auffassung vertrete, dass er nur unter erheblicher Einschränkung seines körperlichen Leistungsvermögens sich fortbewegen könne, widerspreche er seinen eigenen Angaben, indem er eine Gangleistung von etwa einer halben Stunde angebe und ausführe, Baustellen besuchen zu können.

Dagegen hat der Kläger eingewandt, er könne nicht zwischen regulär parkenden Wagen aus seinem Wagen aussteigen, da er die Fahrertür nicht weit genug öffnen könne, um so auszusteigen, wie es ihm nur möglich sei. Auf normalen Gehwegen könne er wegen der Unebenheiten ausschließlich mit zwei Gehhilfen laufen. Im Büro benutze er häufig und immer öfter lediglich eine Gehhilfe, dabei komme es sehr häufig zu "Beinah-Stürzen". Der 200 m weite schlechte Gehweg zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte sowie Treppen über zwei Stockwerke im Neubau seiner Firma seien für ihn derartig anstrengend, dass er sich danach erst einmal mehrere Minuten erholen müsse. Sowohl seinen Kollegen als auch seinen Freunden und Verwandten sei aufgefallen, dass er X-Beine habe und seine Prothese beim Gehen nach innen abknicke, so dass der gesamte Gang unkontrollierbar wirke.

Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 3. Dezember 2002 verurteilt, dem Kläger unter Änderung der angefochtenen Bescheide das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen. Entgegen der Bewertung des gerichtlichen Gutachters sei der Kläger in seiner konkreten Lebenssituation außergewöhnlich gehbehindert im Sinne der Nr. 31 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (Anhaltspunkte 1996). Sinn und Zweck der zu gewährenden Parkerleichterungen sei es, den Behinderten Wegstrecken zu verkürzen, woraus folge, dass die Einschränkungen, die sich nicht aus der Einschränkung des Gehvermögens ergäben, sondern auf andere Schwierigkeiten zurückzuführen seien, nach dem eindeutigen Wortlaut für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs nicht ausreichen würden. Dennoch sei die Anerkennung des Merkzeichens "aG" im vorliegenden Fall angesichts des am 1. Juli 2001 eingeführten Sozialgesetzbuchs (SGB) IX geboten. Zwar habe der Gesetzgeber mit den §§ 68 ff SGB IX die Regelung des Schwerbehindertengesetzes ohne wesentliche inhaltliche Änderung übernommen. Das Schwerbehindertenrecht diene aber der Verwirklichung der im ersten Teil des SGB IX normierten Rechte von behinderten Menschen und sei in diesem Sinne auszulegen. Die funktionale Gesundheit sei beeinträchtigt nicht nur bei einem Defekt der Funktionen und Strukturen des menschlichen Organismus, sondern auch bei einer Beeinträchtigung der Aktivitäten aller Art des Betroffenen, der Teilhabe an ganz verschiedenen Lebensbereichen. Dem müsse sich die Auslegung der Anhaltspunkte als untergesetzliches Recht unterordnen. Zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehörten auch berufliche Aktivitäten. Um dieser weiter nachzugehen sei der Kläger auf die zur Verfügungstellung von Parkplatzerleichterungen angewiesen. Der Kläger habe durch den Wechsel aus einer im zweiten Stock liegenden Wohnung in unmittelbarer Nähe seines Arbeitsplatzes in eine Wohnung im Hochparterre selbst einen Beitrag dafür geleistet, dass er trotz seiner Behinderung weiter erwerbstätig sein könne. Da er nunmehr den Weg zur Arbeit aber nicht zu Fuß zurücklegen könne, sei er in höchstmöglichem Maße auf zielnahe Parkplätze angewiesen. Dies sei auch deshalb erforderlich, weil der Kläger in der Lage sei, statisch sicher ohne Gehstütze trotz Gebrauchs seiner Prothese unter Zuhilfenahme eines Gehstocks zu laufen. Die Vernachlässigung der Straßenflächen in Berlin führe zwangsläufig dazu, dass gehbehinderte Menschen in ihrer Bewegungsfähigkeit weiter eingeschränkt würden. Zu der Einschätzung, dass die Fortbewegungsfähigkeit des Klägers trotz nur einseitiger Oberschenkelamputation doch so erheblich eingeschränkt sei, wie dies bei Doppeloberschenkelamputierten der Fall sei, sei die Kammer gerade auch in Anbetracht des Umstandes gekommen, dass sie den Kläger vor der Verhandlung zufällig in einer Pause auf dem Gang habe beobachten können, ohne dass dieser es bemerkt habe. Dabei sei festgestellt worden, dass das Gangbild des Klägers trotz des Gebrauchs von Gehhilfen unkontrolliert wirke, das linke amputierte Bein deutlich nach innen einknicke, das Gangbild insgesamt nur sehr eingeschränkt raumgreifend wirke. Im Hinblick darauf, dass der Kläger auch Baustellentermine wahrzunehmen habe, sei es vertretbar und als Einzelfallentscheidung geboten, eine außergewöhnliche Gehbehinderung anzunehmen.

Gegen das ihm am 20. Januar 2003 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 24. Januar 2003 eingegangenen Berufung. Die Auffassung, durch das SGB IX werde die Möglichkeit geschaffen, berufliche Belange bei der Gewährung von Merkzeichen zu berücksichtigen, lasse außer Acht, dass die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz festgelegten Maßstäbe einzuhalten seien. Diese sähen eine Berücksichtigung besonderer beruflicher Belange nicht vor, da dies sonst zu einer unausgewogenen Beurteilung der behinderten Menschen untereinander führe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Dezember 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, dass die Kammer ihre Entscheidung ausdrücklich als Einzelfallentscheidung ausgewiesen habe, so dass sich die Frage einer unausgewogenen Beurteilung der behinderten Menschen untereinander nicht stelle.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.


 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Auf die Berufung des Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.

Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die Versorgungsämter neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung).

Nach Nr. 11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte. Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 22 und § 4 Nr. 23) müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Verwaltungsvorschrift ausdrücklich genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Die Gehfähigkeit muss so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Hierzu hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass sich das Restgehvermögen begrifflich weder quantifizieren noch qualifizieren lasse. Insbesondere tauge eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke grundsätzlich nicht als Beurteilungsmaßstab, weil die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen dies ihm nur noch möglich sei, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Die Voraussetzungen liegen deshalb bei Personen vor, die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können, wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen (BSGE 90, 180 ff.).

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger zwar in seiner Gehfähigkeit stark beeinträchtigt ist, das Gehvermögen aber noch nicht in so ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, dass er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen fortbewegen kann, wie der in der Verwaltungsvorschrift genannte Personenkreis. Schon Dr. S. hat die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" bei dem Kläger nicht mit dem Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen begründet, obwohl er das Gangbild mit zwei Unterarmgehstützen und einer benutzten Interimsprothese als kleinschrittig und schwerfällig angesehen hat. Zum damaligen Zeitpunkt war die Gehfähigkeit noch zusätzlich durch eine Hyperkeratose mit rezidivierendem Aufbrechen der Narbenregion eingeschränkt. Selbst unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist Dr. S. nicht zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger könne sich nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen. Ergänzend war zu berücksichtigen, dass der Kläger nach den Feststellungen von Dr. B mit einem Gehstock im Untersuchungszimmer raumgreifend habe laufen können.

Auch unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers gegen das Gutachten von Dr. X. konnte der Senat nicht zu der Überzeugung gelangen, dass sich der Kläger nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges fortbewegen kann. Er hat vor allen Dingen darauf abgestellt, dass er zwischen regulär parkenden Wagen nicht aus seinem Wagen aussteigen könne. Des Weiteren hat er angegeben, auf normalen Gehwegen wegen der Unebenheiten ausschließlich nur mit zwei Gehhilfen laufen zu können. Zu der Tatsache, dass er während der Reha-Maßnahme ca. eine Stunde gelaufen sei, hat er ausgeführt, dass die Wege dort in einem Zustand seien, der mit keinem der ihm bekannten Bürgersteige vergleichbar sei, da sie ebenmäßig und in einem sehr guten Zustand seien. Außerdem habe sich etwa jede 10 Meter eine Bank und somit regelmäßig eine Rastmöglichkeit gefunden, die er aufgrund seines Zustandes "des Öfteren" habe nutzen müssen. Hierbei handelt es sich um eine Schwierigkeit bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums bzw. des Straßenraums, die nicht dem Schutzbereich der durch das Merkzeichen "aG" auszugleichenden Behinderung unterfällt. Sinn und Zweck der Ausnahmegenehmigung ist es nämlich, den Schwerbehinderten mit dem Kfz möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen. Der Umfang der Vergünstigungen verdeutlicht, dass nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu bestimmten Zeiten straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 3. Februar 1988, Breithaupt 1988, 951). Wenn der Kläger angegeben hat, dass das Ein- und Aussteigen behinderungsbedingt die Möglichkeit erfordere, die Autotür möglichst weit zu öffnen, handelt es sich um eine Schwierigkeit bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, die nicht dem Schutzbereich der durch das Merkzeichen "aG" auszugleichenden Behinderung unterfällt. Denn dieses Bedürfnis ließe sich nur bei der Benutzung der regelmäßig breiteren Parkhäfen verringern, während die Nutzung von Parkplätzen am Straßenrand nicht die erforderliche Erleichterung für den Kläger brächte. Dies verdeutlicht, dass es sich bei den Schwierigkeiten des Klägers um einen Umstand handelt, der nicht seiner behinderungsbedingt eingeschränkten Fortbewegungsfähigkeit geschuldet ist, sondern allein der Beschaffenheit des Parkraums bzw. des Straßenzustands.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger geltend gemacht hat, nach der Benutzung von zwei Treppen, ca. 200 m schlechtem Gehweg und zwei Stockwerken im Neubau seiner Firma sei er dermaßen angestrengt, dass er sich erst einmal mehrere Minuten akklimatisieren müsse. Denn es ist davon auszugehen, dass in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkte schwerbehinderte Menschen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen. Die für "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) gegeben, wenn der Behinderte bereits nach 30 Metern eine Pause deshalb machen müsse, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln müsse. Hierfür ergibt sich nach dem gesamten Akteninhalt kein Anhaltspunkt, da der Kläger sich grundsätzlich noch in der Lage sieht, Baustellentermine wahrzunehmen, wenn die Baustelle begehbar ist.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann ein Anspruch des Klägers in diesem Einzelfall auch nicht aus der Tatsache abgeleitet werden, dass das Schwerbehindertenrecht in das Sozialgesetzbuch eingegliedert worden ist. Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach Abs. 1, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs im Hinblick auf die Tatsache, dass das SGB IX verstärkt auf die Teilhabe am Arbeitsleben abstellt, kann daraus nicht hergeleitet werden, sondern der Katalog der zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Leistungen ist in § 33 SGB IX aufgeführt. Dass allein auf die gesundheitlichen Merkmale abzustellen ist, ergibt sich auch aus folgender Kontrollüberlegung. Würde darauf abgestellt, dass der Kläger zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auf das Merkzeichen "aG" angewiesen ist, hätte dies zur Folge, dass die Anspruchsvoraussetzungen für das Merkzeichen wegfallen würden, wenn der Kläger diesen Arbeitsplatz verlieren würde, obwohl in seinen gesundheitlichen Verhältnissen keine Änderung eingetreten wäre.

Die Berufung ist somit erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.