Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG -) hat.

Im Dezember 1999 stellte der 1961 geborene Kläger, der bis zu einer im Jahre 2005 durchgeführten Geschlechtsumwandlung eine Frau mit dem Vornamen K. war, einen Antrag nach dem OEG wegen HWS-Distorsion sowie diverser Prellungen. Ein Anspruch nach dem OEG war zuvor durch die AOK B. im November 1999 bei der Beklagten geltend gemacht worden (Erstattungsanspruch). Unmittelbarer Anlass waren körperliche Angriffe am 6. und 7. November 1999 durch die 1968 geborene H. (im Folgenden Sch.). Die tätlichen Übergriffe bildeten jedoch lediglich den Höhepunkt von Belästigungen und Übergriffen, die im August 1998 begonnen hatten. Sch. hatte den Kläger 1995 kennengelernt, als sie kurzfristig an einem von dem Kläger geleiteten Selbstverteidigungskurs für Frauen (Wendo) teilnahm. Sch. hatte damals den Wunsch, eine Liebesbeziehung zu dem Kläger einzugehen, auf den der Kläger jedoch nicht einging. An einem Abend im August 1998 erschien Sch. in der Wohnung des Klägers und machte auf den Kläger sowie eine ebenfalls in der Wohnung anwesende Freundin einen sehr verwirrten Eindruck. Sie hantierte auch mit einem Messer, welches die beiden Frauen der Sch. abnahmen. Als alle anschließend den Sozialpsychiatrischen Dienst aufsuchten, machte die Sch. dann plötzlich einen ganz normalen Eindruck, so dass keine Maßnahmen getroffen wurden. In der Folgezeit versuchte Sch. in immer stärker werdendem Maße, Kontakt zu dem Kläger aufzunehmen, indem sie diesen mehrfach täglich telefonisch sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit (an der Universität I.) anrief. Ab Oktober 1998 steigerten sich die Anrufe dahingehend, dass bereits auf dem Anrufbeantworter etwa 35 Anrufe täglich eingingen. Diese hatten oft obszönen und sexuellen Inhalt. Sch. tauchte daneben auch regelmäßig vor der Haustür des Klägers auf, klingelte und verlangte zunehmend zur Tages- und Nachtzeit den Einlass in die Wohnung. Unter anderem klingelte Sch. auch an Wohnungstüren von Nachbarn des Klägers, die sich anschließend bei dem Kläger beschwerten. Weitere Nachstellungen ereigneten sich in der Uni-Mensa, wo Sch. täglich versuchte, sich dem Kläger zu nähern; auch dieses Verhalten führte in der Umgebung des Klägers zu erheblichen Irritationen. Als Folgen verstärkten sich bei dem Kläger ab Herbst 1998 - vorher in geringerem Maße vorhandene - Schlafstörungen, ferner entwickelten sich ein Gefühl permanenter Bedrohung und eine psychische Erschöpfung.

Von März 1999 an zeigte das Verhalten der Sch. eine zunehmende aggressive Tendenz. Sch. beschädigte mehrfach das Auto des Klägers; sie zerstach einen Reifen, schlug Beulen in das Auto und brach die Antenne mehrfach ab. Im Mai 1999 versetzte Sch. dem Kläger von hinten einen Schlag mit einem Aktenordner. Der Kläger nahm in dieser Zeit Kontakt zur Polizei auf. Nachdem am 26. Juli 1999 eine Anzeige aufgenommen worden war (wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung), wurde der Sch. durch die Polizei untersagt, sich in die Nähe des Klägers zu begeben bzw. in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Diese Maßnahme führte allerdings nur zu einer kurzfristigen Verringerung der Belästigungen. In der Nacht vom 5. zum 6. November 1999 erwartete die Sch. den nach Hause zurückkehrenden Kläger, folgte diesem in Richtung Hauseingang und versetzte ihm mit einem unter der Jacke versteckt gehaltenen Gegenstand einen heftigen Schlag auf den Kopf. Der Kläger fiel nieder und war für eine kurze Zeit bewusst- und erinnerungslos. Bei dem anschließenden Versuch des Klägers, ins Haus zu gelangen, entwickelte sich eine heftige körperliche Auseinandersetzung. Nachdem der Kläger die Polizei hatte rufen können, konnte die tätliche Auseinandersetzung beendet werden. Der Kläger litt in der Nacht unter Kopfschmerzen und starker Übelkeit und suchte am Vormittag des 6. November 1999 das K.-Krankenhaus (RKK) auf, wo eine schwere Schädelprellung, eine Thoraxprellung rechts und Distorsionen des linken Kniegelenks und des linken Zeigefingers diagnostiziert und behandelt wurden.

Am 7. November 1999 wartete die Sch. erneut vor der Wohnung des Klägers. Nachdem dieser aus seinem Pkw ausgestiegen war, kam die Sch. aus einem Gebüsch und schlug ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht. Dieser konnte jedoch in seine Wohnung flüchten. Erst aufgrund des Herannahens der von dem Kläger herbeigerufenen Polizei ließ Sch. davon ab, gegen die Tür zu treten und lautstark Einlass zu verlangen. Sie wurde in Gewahrsam genommen und anschließend aufgrund mehrerer Beschlüsse des Amtsgerichts I. in der Psychiatrischen Abteilung des K. untergebracht. Aufgrund des weiteren Überfalls vom 7. November erlitt der Kläger eine Gesichtsschädelprellung und eine Nasenbeinprellung. Ferner kam es bei einem der beiden Überfälle zu einer Verletzung des linken Ellenbogens, welche zu einer chronischen Irritation des Ellennervens sowie einer Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks führte.

Nach dem Urteil des Landgerichts I. (Schwurgericht) vom 28. September 2000 (Az.) lag bei der Sch. eine seit Jahren bestehende paranoide Schizophrenie vor, die zu einem ausgeprägten Wahnsystem geführt hat und die mit plötzlich auftretenden aggressiven Durchbrüchen verbunden war. Angesichts dieser Erkrankung ging das Gericht davon aus, dass Sch. keine Einsichtsfähigkeit in das Unrecht der Handlungen gehabt habe (Schuldunfähigkeit). Als Maßregel ordnete das Gericht eine mindestens ein Jahr andauernde Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Die Beklagte veranlasste nach Eingang des Antrags des Klägers diesen, im Hinblick auf die unterschiedlichen Tattage einen zweiten Antrag zu stellen. Sie holte im Rahmen der Antragsbearbeitung neben dem Urteil des Landgerichts I. und dem Krankenhausbericht des RKK einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. L. vom 26. Januar 2001 ein. Darin wurde eine psychogene Reaktion bei chronischer Bedrohungssituation über Jahre hinweg, als Folge einer körperlichen Tätlichkeit am 6. November 1999, angegeben; weiter erwähnt wurden die körperlichen Folgen der Tätlichkeiten. Nach einem Befundbericht der Allgemeinärztin M. liegen bei dem Kläger Beschwerden im linken Ellenbogengelenk, in der linken Schulter und der Halswirbelsäule vor, ferner leidet er unter Schlafstörungen und unter rezidivierender Unruhe und Angst. In dem Befundbericht der Neurologin Dr. N. vom 6. Februar 2001 wurden neurologische Schäden an der linken Schulter, am linken Arm sowie im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule beschrieben. Der Befundbericht der Diplom-Psychologin O. vom 23. Februar 2001 weist eine Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Angststörung und Schlafstörung aus.

Die Beklagte holte ferner ein Gutachten von der Neurologin/Psychiaterin Dr. P. vom 20. April 2001 ein. Gegenüber der Gutachterin schilderte der Kläger, seit Herbst 1998 hätten Schlafstörungen erheblich zugenommen. Er habe ein Gefühl permanenter Bedrohung gehabt. Psychisch habe er sich erschöpft gefühlt, in der Zeit vor November 1999 sei es auch zu Suizidgedanken gekommen. Die Sch. habe im Übrigen mehrfach seine Wohnungstür eingetreten und sich Zugang zu seiner Wohnung verschafft; einmal habe sie in den Kleidern des Klägers in dessen Bett gelegen. Aber auch nach der Verhaftung der Täterin habe er weiter Ängste gehabt, die im Zusammenhang mit dem Strafverfahren noch einmal besonders aufgelebt seien. Er leide weiterhin unter Platzängsten. Ferner sei seine Sexualität seit der Nachstellung durch die Sch. belastet. Die Gutachterin stellte folgende Diagnosen: ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung; posttraumatisches Sulcus-ulnaris-Syndrom links mit Sensibilitätsstörungen im abhängigen Ulnarisbereich. Die Gutachterin gab weiter an, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf psychischem Gebiet könne bezogen auf die speziellen Schädigungen vom 6. und 7. November 1999 nicht abgegrenzt werden. Die Störungen im Bereich des linken Arms seien mit einer MdE von 10 v. H. zu bewerten.

Seitens des Versorgungsärztlichen Dienstes der Beklagten (Sozialmedizinerin Dr. Q.) wurde in Stellungnahmen vom 2. Mai 2001, 20. Juli 2001 und 6. November 2001 die Auffassung vertreten, die Distorsionen der Halswirbelsäule sowie die Schädel- und Gesichtsprellungen seien abgeheilt. Ein Schaden am rechten Knie sei nicht anzunehmen. In psychischer Hinsicht liege jedoch eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, für welche - falls diese als Schädigungsfolge anzuerkennen sei - die MdE in dem ersten Jahr ab Antragstellung noch höher einzuschätzen sei.

Mit Bescheid vom 8. November 2001 (Az.) erkannte die Beklagte ein "Sulcus-ulnaris-Syndrom links mit sensiblen Störungen" als Schädigungsfolge nach dem OEG mit Anspruch auf Heilbehandlung ab 6. November 1999 an. Einen Anspruch auf die Zahlung einer Rente lehnte sie mit der Begründung ab, die Schädigungsfolgen bedingten keine rentenberechtigende MdE von mindestens 25 v. H. Mit einem weiteren Bescheid vom 8. November 2001 (Az.) lehnte die Beklagte Beschädigtenversorgung wegen weiterer, am 6. bzw. 7. November 1999 erlittener Gesundheitsstörungen ab, da diese folgenlos ausgeheilt seien; in der Vergangenheit entstandene Heilbehandlungskosten würden aber insoweit erstattet. Bezüglich wiederkehrender Blockierungen der kleinen Wirbelgelenke im HWS- und BWS-Bereich sei ein ursächlicher Zusammenhang nicht gegeben, das Gleiche gelte für die wesentliche, ausführlich beschriebene posttraumatische Belastungsstörung.

In den sich anschließenden Widerspruchsverfahren reichte der Kläger einen Bericht der Ärztin M. vom 11. Januar 2002 ein. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12. Februar 2002 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Zur Begründung gab sie (im Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2002) an, das posttraumatische Sulcus-ulnaris-Syndrom führe nicht zu einer MdE von mindestens 25 v. H. In ihrem weiteren Widerspruchsbescheid vom 12. Juni führte die Beklagte aus, die Angst- und Unruhezustände sowie Schlafstörungen seien zwar Folgen des sogenannten "Stalkings", nicht jedoch der zwei körperlichen Angriffe vom 6. und 7. November 1999. Insgesamt erfülle das "Stalking" mangels eines tätlichen Angriffs nicht die Voraussetzungen des OEG. Die Widerspruchsbescheide wurden am 17. Juni 2002 abgesandt.

Der Kläger hat am 17. Juli 2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und geltend gemacht, er habe Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von 30 v. H. ab Dezember 1999; die posttraumatische Belastungsstörung müsse als OEG-Schädigungsfolge anerkannt werden.

Das SG hat von dem Neurologen/Psychiater Dr. R. ein Gutachten vom 6. Januar 2004 eingeholt. Der Sachverständige hat (nach Untersuchung im November 2003) angegeben, die seitens des Klägers geschilderten Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule, des Schulter-Nackenbereichs und geklagte einschießende schmerzhafte Empfindungen beim Heben des linken Armes in die Horizontale könnten nicht sicher den körperlichen Angriffen vom 6./7. November 1999 zugeordnet werden; insoweit sei die Einholung eines orthopädischen Gutachtens zu empfehlen. Der Teilausfall des Nervus ulnaris bedinge eine MdE von 10 v. H. Die posttraumatische Belastungsstörung sei ab November 1999 mit einer MdE von 40 v. H. und ab dem Untersuchungszeitpunkt mit einer MdE von 30 v. H. zu bewerten. Durch die Überfälle vom 6./7. November 1999 sei es zu einer besonderen Traumatisierung gekommen. Jedoch hätten die langfristigen Nachstellungen insgesamt zu einer deutlichen Verstörtheit, Verängstigung und Beunruhigung mit Veränderungen der Persönlichkeit geführt.

Ein weiteres Gutachten hat das SG von dem Chirurgen Privat-Dozent Dr. S. eingeholt. Unter dem 24. Juni 2004 hat dieser die Auffassung vertreten, über die bereits anerkannten Schädigungsfolgen hinaus seien keine dauerhaften und schwerwiegenden Verletzungen festzustellen.

Seitens der Beklagten ist zu den eingeholten Gutachten eine weitere Stellungnahme ihres Ärztlichen Dienstes (Dr. Q.) vom 6. August 2004 eingereicht worden. Darin wird die Gesamt-MdE ab Antragstellung mit 40 v. H. und ab Begutachtung durch Herrn Dr. R. (November 2003) mit 30 v. H. eingeschätzt.

Das SG Bremen hat die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die über einen längeren Zeitraum hinweg erlebten Nachstellungen stellten keinen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des OEG dar. Auch wenn die Gesamtheit dieser Handlungen zu einer fortbestehenden posttraumatischen Belastungsstörung geführt habe, sei ein auf die Vorfälle vom 6. und 7. November 1999 zurückzuführender Anteil nicht näher abzugrenzen. Das Sulcus-ulnaris-Syndrom allein bedinge keine MdE von 25 v. H.

Gegen dieses ihm am 28. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. Mai 2005 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er weist auf ein Urteil des SG Münster vom 27. September 2001 (S 10 VG 15/00) hin und trägt vor, er habe durch die langwährenden psychischen und physischen Beeinträchtigungen körperliche und seelische Schäden erlitten. Ein tätlicher Angriff könne auch in Handlungen gesehen werden, die der Willensbeugung, dem Zwang, der psychischen Beeinflussung oder der Einschränkung der Bewegungsfreiheit dienten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe auch einen gewaltlosen Kindesmissbrauch als tätlichen Angriff definiert und dabei die Verletzung der körperlichen Integrität des Kindes in den Vordergrund gestellt. Hinzuweisen sei auch auf das im Jahre 2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz, welches u. a. Strafandrohungen für Fälle vorsehe, in denen Körper, Gesundheit oder Freiheit einer Person beeinträchtigt würden oder in denen mit solchen Beeinträchtigungen gedroht werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 28. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 8. November 2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11. und 12. Juni 2002 zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolge nach dem Opferentschädigungsgesetz eine "posttraumatische Belastungsstörung" anzuerkennen und Versorgungsleistungen ab dem 1. November 1999 nach einer MdE von 40 v. H. und ab 1. Dezember 2003 nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt zur Berufungserwiderung vor, der Begriff des tätlichen Angriffs fordere eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung. Bei körperlosen Belästigungen wirke nur der unerwünschte Kontakt auf das Opfer ein. Dieser Kontakt sei aber nicht auf eine körperliche Einwirkung gerichtet.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az.) und das erwähnte Urteil des SG Münster beigezogen. Der Inhalt der Verwaltungsakte und der Prozessakte - Az. L 13 VG 7/05, S 28 VG 31/02 -, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG und auf Gewährung von Versorgungsleistungen aufgrund einer rentenberechtigenden MdE.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Diese Anspruchsvoraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt.

Der Kläger ist Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person geworden. Der Angriff auf den Kläger bestand hier nicht nur in den Handlungen der Sch. vom 6. und 7. November 1999, sondern vielmehr in deren vielfältigen und langandauernden Handlungen, die mit einer Bedrohung mittels eines Messers im August 1998 begannen und mit dem Überfall vom 7. November 1999 endeten. Die Sch. hat in natürlichem Sinne vorsätzlich gehandelt, das Handeln war in Ermangelung von Rechtfertigungsgründen rechtswidrig.

Unter einem tätlichen Angriff ist entsprechend der Begriffsdefinition in §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) eine in feindlicher Willensrichtung und in strafbarer (d. h. mit Strafe bedrohter) Weise unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung zu verstehen (herrschende Auffassung, s. BSG vom 14.2.2001, BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 18). Zwar fällt nicht jedes gegen das Ansehen und die Ehre des Opfers gerichtete Verhalten unter den Begriff des tätlichen Angriffs, auch wenn damit - wie das BSG im Zusammenhang mit "Mobbing" am Arbeitsplatz ausgeführt hat (a. a. O.) - eine psychische Erkrankung des Opfers ausgelöst wird. Denn nach dem OEG sollen vom Grundgedanken her nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden. Da Delikte wie Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung (§§ 185, 186, 187 StGB), die das Rechtsgut der Ehre und des Ansehens verletzen, auch ohne Einwirkungen auf den Körper und damit ohne Tätlichkeiten begangen werden können, lässt das BSG die Erfüllung von beliebigen Straftatbeständen nicht ausreichen, um einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG anzunehmen. Andererseits ist die Erfüllung von Tatbeständen des StGB Voraussetzung für die Annahme eines tätlichen Angriffs, da ein gesellschaftlich missbilligtes, jedoch noch nicht strafbares Verhalten jedenfalls nicht tatbestandsbegründend sein soll (BSG a. a. O.).

Anders als beim "Mobbing" wird beim sogenannten "Stalking" in aller Regel die Schwelle zum kriminellen Unrecht jedoch deutlich überschritten. Dies gilt insbesondere für das sogenannte "schwere Stalking", unter welches Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen von Opfern selbst oder Dritter, tatsächliche körperliche Angriffe und sexuelle Belästigungen fallen (Heinz, Zentralblatt für Sozialversicherung 2005, 266, 267). Nach geltendem Recht ergibt sich eine Strafbarkeit von fortgesetzten Belästigungen, Nachstellungen und Übergriffen der hier jedenfalls in Teilbereichen vorliegenden Art bereits nach den §§ 223, 240, 185 ff. StGB (Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung etc.). Es wäre auch - unabhängig von strafrechtlicher Dogmatik - nicht sachgerecht, jedes einzelne Element für sich zu betrachten und nur die isoliert auf einzelne Tathandlungen zurückzuführenden Gesundheitsstörungen zu entschädigen. Es handelt sich jedenfalls nach natürlicher Betrachtungsweise und nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung um ein einheitliches Phänomen. Dass derartiges Verhalten und der darin liegende Unrechtsgehalt einheitlich zu betrachten und ggf. zu sanktionieren ist, folgt auch aus § 4 des nunmehr geltenden Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) vom 11.12.2001 (BGBl. I 2001, 3513). Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer bestimmten gerichtlichen Anordnungen zuwider handelt. Eine solche Anordnung ist nach § 1 Abs.1 Satz 1 Gewaltschutzgesetz durch das Zivilgericht auf Antrag zu treffen, wenn eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt. Dies gilt nach § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes entsprechend bei anderen Formen der Nachstellung. Auch wenn zum Zeitpunkt der Nachstellungen der Sch. dieses Gewaltschutzgesetz noch nicht in Kraft war, hat hier jedoch immerhin die Polizei Veranlassung zu einem staatlichen Einschreiten gesehen.

Darüber hinaus gibt es gesetzgeberische Bestrebungen, das "Stalking" durch Schaffung einer neuen Strafvorschrift zu bekämpfen. Nach dem Entwurf eines "Stalking-Bekämpfungsgesetzes" (BT-Drucks. 15/5410) soll in das StGB ein neuer Straftatbestand eingefügt werden, nämlich der Tatbestand der "schweren Belästigung" (§ 238 StGB). In § 238 Abs. 1 des Entwurfes ist vor allem das nachhaltige Belästigen erfasst. Abs. 2 enthält einen Qualifikationstatbestand für Taten, mit denen der Täter das Opfer in die Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung bringt, wobei nach der Begründung ein somatisch objektivierbarer pathologischer Zustand genügt (BT-Drucks. 15/5410, S. 7). Abs. 3 normiert schließlich weitere Qualifikationstatbestände für Taten, durch die der Täter das Opfer körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. Wenn auch seitens der Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 des Grundgesetzes erhoben worden sind, ist gleichzeitig die Absicht geäußert worden, einen eigenen Entwurf eines Straftatbestandes zur Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes von Opfern beharrlicher Nachstellung zu entwickeln (Stellungnahme der Bundesregierung a. a. O. S. 9).

Die Täterin Sch. hat durch die langanhaltenden und immer intensiver werdenden Belästigungen des Klägers fortgesetzt jedenfalls u. a. der vorsätzlichen bzw. der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne der §§ 223, 229 StGB objektiv Strafgesetze verletzt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine Körperverletzung nicht nur durch eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit begangen werden kann, sondern auch durch nachhaltige Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens (s. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. 2006, § 223 Rn. 3f.). Bei dem Kläger ist es zu körperlichen und seelischen Schädigungen im Sinne von Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie zu erheblicher psychischer Labilisierung mit Selbstmordgedanken gekommen, wie den überzeugenden Ausführungen in den Gutachten der Fachärztin Dr. P. vom 20. April 2001 und des Sachverständigen Dr. R. vom 6. Januar 2004 zu entnehmen ist. Es kann im vorliegenden Falle offen bleiben, ob eine erhebliche Verletzung der körperlichen Integrität (vgl. dazu Heinz, a. a. O., 266, 268) schon dann anzunehmen wäre, wenn ausschließlich verbale Belästigungen des Klägers erfolgt wären. Das Verhalten der Sch. gegenüber dem Kläger beschränkte sich jedoch nicht auf bedrohlich wirkende verbale und beleidigende Handlungsweisen, sondern erstreckte sich auch auf mehrfache direkte körperliche Übergriffe, zunächst durch das Schlagen mit einem Aktenordner und schließlich im November 1999 durch heftige Attacken mittels eines Gegenstands bzw. mittels der Fäuste. Damit ist jedenfalls auch das Erfordernis eines direkten tätlichen Angriffs i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt. Ob es daneben noch zu weiteren Übergriffen in Form von Hausfriedensbruch durch Eintreten der Wohnungstür und unerlaubtes Betreten der Wohnung des Klägers gekommen ist, ist angesichts des gesamten Bedrohungs- und Gewalt-Szenarios nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

Bei dem Kläger ist es zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der langanhaltenden Nachstellungen mit ihren unterschiedlichen Formen von Übergriffen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen, die ab November 1999 zu einer MdE von 40 v. H. und ab November 2003 zu einer MdE von 30 v. H. geführt hat. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Gutachten der Neurologin/Psychiaterin Dr. P. vom 20. April 2001, der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. Q. vom 2. Mai 2001, dem Gutachten des Neurologen/Psychiaters Dr. R. vom 6. Januar 2004 und der weiteren Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. Q. vom 6. August 2004. Wenn auch Frau Dr. Q. im Anschluss an das Gutachten Dr. R. zunächst von "schweren Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten" im Sinne der Nr. 26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", 1996 herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, ausgegangen ist, hat sie an dieser Einschätzung jedenfalls im Anschluss an das Gutachten Dr. R. nicht mehr festgehalten. Es ist aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. R. davon auszugehen, dass auch mehrere Jahre nach der besonderen Belastungssituation noch erhebliche die Lebensqualität beeinträchtigende psychische Beschwerden vorliegen. Diese waren allerdings in den ersten vier Jahren nach den Gewalttaten noch deutlich stärker. Da die psychischen Gesundheitsstörungen und die dadurch bedingte MdE bei dem Kläger ganz erheblich im Vordergrund stehen und die weitere Gesundheitsstörung nur geringfügig ist, schließt sich das Gericht schließlich hinsichtlich der Gesamtbewertung der MdE für die körperlichen und die seelischen Schädigungsfolgen der Einschätzung der Sozialmedizinerin Dr. Q. in ihrer Stellungnahme vom 6. August 2004 an, wonach sich die Gesamt-MdE durch das Sulcus-ulnaris-Syndrom nicht erhöht. Der Leistungsbeginn ergibt sich aus § 1 Abs. 1 OEG i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 1,2 BVG, der Beginn der verminderten Leistung aus § 1 Abs. 1 OEG i. V. m. § 60 Abs. 4 Satz 1 BVG.

Nach allem war der Berufung des Klägers stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden (§ 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG).