Bayerisches LSG - Urteil vom 17. August 2004 - Az.: L 15 SB 146/03
Ein bestandkräftig festgestellter GdB kann nach § 48 SGB X wegen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse herabgesetzt werden. Ist keine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse eingetreten, kann der für eine Herzschrittmacherimplantation nach den "Anhaltspunkten" (AHP) 1983 festgestellte GdB auch nicht wegen einer - rechtlichen - Änderung durch die AHP 1996 herabgesetzt werden. Die AHP 1996 enthalten gegenüber den AHP 1983 hinsichtlich der Herzschrittmacherimplantation nämlich keine wesentliche rechtliche Änderung, sondern lediglich eine zahlenmäßige Konkretisierung der vorherigen lediglich verbalen Umschreibung.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte den GdB des Klägers wegen Änderung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) herabsetzen durfte.
Der 1965 geborene Kläger stellte erstmals im Oktober 1994 Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und machte eine schwere Herzerkrankung geltend. Der Beklagte erließ daraufhin am 30.11.1994 einen Bescheid, in dem ein GdB von 30 wegen der Behinderung "Herzschrittmacher bei Herzrhythmusstörungen nach Endomyokarditis" festgestellt wurde. Dem Bescheid lag eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. zugrunde, die eine Herzleistungsminderung oder einen Herzklappenfehler vom Grad einer Behinderung beim Kläger verneinte. Weitere Leiden vom Grad einer Behinderung hätten nicht festgestellt werden können. Im o.g. Bescheid wurde auch mitgeteilt, dass der Kläger nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung nach § 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfülle.
Mit Schreiben vom 13.10.1999 beantragte der Kläger beim Beklagte eine ab dem Jahr 2000 gültige Bescheinigung über den GdB zur Vorlage beim Finanzamt auszustellen, da die bisherige Bescheinigung Ende 1999 ihre Gültigkeit verliere. Dieser Antrag wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 19.10.1999 abgelehnt, da nach wie vor die Voraussetzungen für die Erteilung einer Einkommensteuerbescheinigung nicht vorlägen, weil die Behinderung nicht zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe, nicht auf einer typischen Berufskrankheit beruhe und nicht überwiegend durch Alterserscheinungen verursacht werde, auch wenn gemäß Bescheid vom 30.11.1994 ein GdB von 30 bestehe.
Mit Schreiben vom 05.11.1999 beantragte der Kläger "die Verlängerung der Prozente um weitere fünf Jahre". Dieser Antrag des Klägers wurde als Widerspruch aufgefasst. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.02.2000 bestätigte der Internist Dr. S. , dass keine Steuerbescheinigung erteilt werden könne, wies jedoch darauf hin, dass der 1994 festgestellte GdB von 30 nach den damals gültigen AP von 1983 noch vertretbar gewesen sei, da dort keine eindeutigen Vorgaben zur Bewertung nach Schrittmacher-Implantation vorgelegen hätten. Nach den jetzt gültigen AP 1996 (S.89) ergebe sich nur noch ein GdB von 10.
Ein beigezogener aktueller Befundbericht von Dr. G. mit Arztbrief von Dr. R. ergab, dass der Kläger Anfang November 1999 ergometrisch bis 175 Watt ohne pectanginöse Beschwerden belastbar gewesen sei und keine Befundänderung vorliege. Die Diagnosen seien seit der Schrittmacher-Implantation im Juni 1991 unverändert: Aortenklappensklerose mit beginnender Stenosierung. AV-Block Grad III nach Endomyokarditis 1991, regelrechte Schrittmacherfunktion.
Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. H. , die wegen der Behinderung "Herzschrittmacher, Herzrhythmusstörungen" einen Einzel-GdB von 10 vorschlug, sandte der Beklagte am 13.07. 2000 ein Anhörungsschreiben an den Kläger, wonach die bisher festgestellte Gesundheitsstörung - Herzschrittmacher, Herzrhythmusstörung - weggefallen sei. Somit liege kein GdB mehr von wenigstens 20 vor. Es sei beabsichtigt, nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) den Bescheid vom 30.11.1994 aufzuheben und keine Feststellung nach § 4 SchwbG mehr zu treffen.
Der Kläger wandte daraufhin ein, seine gesundheitlichen Einschränkungen hätten sich auf keinen Fall verbessert. Das Arbeitsamt habe ihn einem Schwerbehinderten gleichgestellt, damit er seinen Arbeitsplatz behalten könne. In einem beigefügten Attest teilte Dr. R. mit, dass beim Kläger seit 1984 eine geringgradige Aortenstenose bekannt sei, derentwegen ihm bislang ein GdB von 30 zuerkannt worden sei. Es habe sich diesbezüglich keine Befundänderung ergeben. Es bestehe weiterhin eine intermittierende AV-Blockierung, die den regelmäßigen Einsatz einer Herzschrittmacherstimulation des Herzmuskels erfordere. Weil es deshalb zu einer unphysiologischen Erregungsausbreitung und Kammerkontraktion komme, müsse von einer eingeschränkten Belastbarkeit ausgegangen werden. Es habe sich auch echokardiographisch bezüglich der Einengung der Aortenklappe keine Befundverbesserung gezeigt. Im Gegenteil müsse eher mit einer Zunahme infolge narbiger Schrumpfung gerechnet werden.
Dazu nahm Dr. M. am 05.12.2000 versorgungsärztlich Stellung und wies darauf hin, dass die beabsichtigte Neufeststellung in der Änderung der AP 1996 begründet sei, was aus dem Anhörungsschreiben vom 13.07.2000 nicht ersichtlich sei.
Der Beklagte sandte deshalb dem Kläger ein entsprechendes neues Anhörungsschreiben. Der Kläger erwiderte, er habe bisher keine Informationen über die Änderung der AP erhalten, auch sei seine Aortenstenose ärztlich nicht gewürdigt worden.
Am 06.03.2001 erging ein Änderungsbescheid des Beklagten, der den Bescheid vom 30.11.1994 mit Wirkung für die Zukunft in vollem Umfang aufhob. Die Implantation eines Herzschrittmachers bei Herzrhythmusstörungen bedinge bei einer Belastbarkeit von 175 Watt nur noch einen GdB von 10.
Mit seinem Widerspruch gegen diesen Änderungsbescheid wies der Kläger nochmals auf die beruflichen Konsequenzen hin. Er legte auch ein Schreiben von Dr. Z. von der Klinik H. vom 30.09.1991 vor, wonach der Kläger als Maschinenschlosser nur noch Arbeiten mit Heben bis maximal 10 bis 15 kg ohne Beeinflussung durch Induktionsströme bzw. Kälteexposition durchführen sollte. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr. M. erging am 05.10.2001 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid. Eventuell eintretende nachteilige berufliche Konsequenzen könnten bei der GdB-Festsetzung im Schwerbehindertenrecht nicht berücksichtigt werden.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut hat der Kläger weiterhin die Feststellung eines GdB von mindestens 30 beantragt.
Im Rahmen der Beweiserhebung des Sozialgerichts hat Dr. R. Arztbriefe vom 31.07.2001 und 04.09.2002 übersandt, außerdem ist ein Befundbericht von Dr. G. beigezogen worden.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.11.2003 ist der Beklagte darauf hingewiesen worden, dass ihm bereits bei Erlass des Bescheides vom 19.10.1999 bekannt gewesen sei, dass der GdB von 30 nach den AP 1996 zu hoch bewertet worden ist. Deshalb seien die Voraussetzungen für eine Herabsetzung des GdB ab 19.03.2001 nicht erfüllt, da die Jahresfrist des § 45 Abs.4 SGB X nicht eingehalten worden sei. Mit Schriftsatz vom 15.01.2003 hat der Beklagte erwidert, unabhängig davon, dass im Oktober 1999 noch nicht bekannt gewesen sei, dass sich aufgrund der zum 01.01.1997 geänderten AP ein GdB von 30 nicht mehr begründen lasse, stehe § 45 Abs.4 SGB X einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft nicht entgegen.
Das Sozialgericht hat anschließend vom Allgemeinmediziner Dr. Z. ein Gutachten vom 26.06.2003 (Terminsgutachten) eingeholt. Dieser hat bei seiner Untersuchung im Bereich des Herzens reine, regelmäßige Töne, über allen Ostien ein leises systolisches Geräusch festgestellt. Der Blutdruck im Sitzen habe bei 130/80 mmHg, die Pulsfrequenz bei 60 Min. gelegen. Nach Auffassung von Dr. Z. sei im Vergleich zum Bescheid von 1994 eine Besserung eingetreten. Die Pulsfrequenz sei jetzt regelmäßig, der Blutdruck regelrecht, über dem Herzen sei ein typisches Geräusch der verengten Herzklappe zu hören. Ausschlaggebend für den GdB von 30 im Jahr 1993 sei offensichtlich die Mitteilung der behandelnden Ärzte gewesen, dass es immer wieder zu schnellen Herzschlägen (Tachykardien) gekommen sei. Die Untersuchung des Bewegungsapparates und der Wirbelsäule des Klägers hätten eine frei bewegliche Wirbelsäule sowie eine freie Beweglichkeit der Sprung-, Knie- und Hüftgelenke ergeben.
Im Erörterungstermin am 26.06. hat der Kläger die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG beantragt, den Antrag jedoch später wieder zurückgenommen. Der GdB von 30 sei gerechtfertigt, weil der Beklagte die Jahresfrist versäumt habe und zu seinen Gunsten ein Vertrauenstatbestand eingetreten sei. Sollte diese Rechtsauffassung unzutreffend sein, sei er hilfsweise bereit, einen Vergleich dahingehend zu schließen, dass der GdB bei ihm 10 betrage.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 07.08.2003 erwidert, da eine GdB-Feststellung von unter 20 nicht möglich sei, könne ein entsprechendes Vergleichsangebot nicht abgegeben werden.
Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht am 10.11.2003 durch Gerichtsbescheid die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe nach § 48 Abs.1 SGB X zu Recht den Bescheid vom 30.11.1994 mit Wirkung für die Zukunft in vollem Umfang aufgehoben. Die geltenden AP 1996 sähen für die Gesundheitsstörung "Implantation eines Herzschrittmachers" einen GdB von 10 vor. Nachdem darüber hinaus keine wesentlichen Gesundheitsstörungen beim Kläger bestünden, sei der Bescheid des Beklagten nicht zu beanstanden.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.12.2003 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Aufhebung des Gerichtsbescheides sowie des Bescheides des Beklagten vom 06.03.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2001 beantragt.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 05.03.2004 ist darauf hingewiesen worden, dass eine wesentliche Änderung der Bewertung nach Schrittmacher-Implantation gegenüber den AP 1977 (S.191) bereits durch die AP 1983 (S.67/68) und nicht erst durch die AP 1996 (S.89) eingetreten sei. Die AP 1996 sähen zwar neuerdings einen Basis-GdB von 10 wegen des Schrittmachers vor, stellten aber im Übrigen wie schon seit 1983 auf die verbliebene Leistungsbeeinträchtigung des Herzens ab.
In der Berufungsbegründung vom 23.03.2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers entsprechend dem gerichtlichen Hinweis ebenfalls die Auffassung vertreten, dass seit dem Bescheid vom 30.11.1994 keine Änderung der AP bzw. der rechtlichen Verhältnisse eingetreten sei. Im Übrigen habe sich der gesundheitliche Zustand des Klägers seit 1994 nicht gebessert. Auch der Beklagte (insbesondere Stellungnahme von Dr. S. vom 15.02.2000) gehe nicht von einer Besserung der Herzfunktionen aus. Tatsächlich habe sich der Gesundheitszustand des Klägers durch das Hinzutreten orthopädischer Erkrankungen verschlechtert. Zusätzlich hat der Kläger ein Gutachten der Allgemeinmedizinerin Dr. L. vom 08.12.2003 vorgelegt. In diesem Gutachten wird ausgeführt, dass der Herzschrittmacher-Implantation mehrere Herzstillstände vorausgegangen seien. Im Mai letzten Jahres sei es im Rahmen eines plötzlichen und unerwarteten Schrittmacherausfalles erneut zu einer lebensbedrohlichen Situation gekommen. Batterieversagen und Kabelbruch hätten eine komplizierte Operation erfordert. Auch sei der Kläger wegen seines Herzleidens in seiner körperlichen Belastbarkeit wesentlich eingeschränkt. Seit ca. fünf Jahren bestünden chronische Beschwerden von Seiten des Bewegungsapparates. Es bestehe eine Osteochondrose und Spondylarthrose der Hals- und Lendenwirbelsäule, beginnende Gonarthrose und Retropatellararthrose beider Kniegelenke mit Innenmeniskusschaden beidseits. Ein GdB von 30 bis 50 sei daher angemessen.
Für den Beklagten hat Dr. S. versorgungsärztlich am 23.03. und 07.04.2004 Stellung genommen. Zu den Fragen im gerichtlichen Schreiben vom 05.03.2004 hat er ausgeführt, der Bewertung bei der Erstfeststellung habe allein die Abhängigkeit von einem Herzschrittmacher als Behinderung zugrunde gelegen. In den AP 1977 sei nach Herzschrittmacher-Implantation ein Mindest-GdB von 50 vorgegeben gewesen, der je nach Leistungsbeeinträchtigung bis GdB 100 angehoben werden konnte. In den AP von 1983 sei zum Herzschrittmacher lediglich festgelegt worden: "Nach Herzeingriffen - auch nach Versorgung mit einem Herzschrittmacher - ist die MdE (GdB) überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhängig". Diese Formulierung habe Interpretationsmöglichkeiten offen gelassen, zumal im gleichen Absatz vergleichbare Herzeingriffe genannt worden seien, die nicht niedriger als mit GdB 30 bewertet werden sollten. Es sei bekannt, dass im Gültigkeitszeitraum der AP 1983 die damaligen ärztlichen Gutachter die neuen AP von 1983 so verstanden hätten, dass in der Regel ein Mindest-GdB von 30 zustehe, bei zusätzlicher Leistungsbeeinträchtigung ein höherer GdB. In diesem Sinne sei auch im vorliegenden Fall die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. erfolgt, da ausdrücklich betont worden sei, dass keine Herzleistungsminderung und kein Herzklappenfehler bestehe. Die Bewertung sei nach der o.g. Formulierung der AP somit nicht zweifelsfrei objektiv unrichtig gewesen. Zum Gutachten der Allgemeinärztin Dr. L. hat Dr. S. eingewandt, diese vermenge akute kardiale Beschwerden im Rahmen eines notwendigen Batteriewechsels beim Schrittmacher mit den für das Schwerbehindertenrecht maßgeblichen anhaltenden kardiologischen Behinderungen. Ferner sei die Behauptung von Dr. L. , der Kläger benötige wegen der kardialen Erkrankung strikte körperliche Schonung, nicht nachvollziehbar. Es bestehe eine gute ergometrische Belastbarkeit bis 175 Watt. Die Angaben zu orthopädischen Funktionseinschränkungen begründeten (nach Rücksprache mit einem Fachkollegen) keine weiteren, den Gesamt-GdB beeinflussenden zusätzlichen Behinderungen auf orthopädischem Fachgebiet.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 29.04.2004 ist der Beklagte nochmals um Stellungnahme gebeten worden, ob die Bewertung der Herzerkrankung mit GdB 30 im November 1994 ohne Herzleistungsminderung den Vorgaben der AP 1983 entsprochen habe, obwohl bei Herzschrittmacher-Versorgung der GdB überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhängig zu machen gewesen sei. Auch nach den AP 1996 komme es überwiegend darauf an, wie stark die Leistungsbeeinträchtigung des Herzens sei.
Darauf hat der Beklagte (Dr.S.) erwidert, s.E. hätten die AP 1983 einen Ermessensspielraum für den ärztlichen Gutachter aufgetan, der in den AP 1996 nicht mehr gegeben sei. Auf S.67 der AP 1983 werde das Kapitel, in dem auch die Herzschrittmacher-Versorgung abgehandelt sei, damit eingeleitet, dass nach (allen) Herzeingriffen der GdB überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhänge. Es werde aber für Herzklappenprothesen, Herzwandaneurysmaresektionen und coronarchirurgische Eingriffe ein Mindest-GdB von 30 genannt. Die Therapiemöglichkeiten von 1983 könnten nicht mit dem Standard von heute verglichen werden. So seien z.B. Coronargefäßdilatationen mit dem Ballon (im Rahmen einer - einfachen - Herzkathederuntersuchung) nach einem Beschluss des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom April 1988 coronarchirurgischen Eingriffen gleichzustellen und mit einem GdB von 30 zu bewerten gewesen. Dies sei damals mit häufigen Restenosierungen begründet worden. Heute führe die Coronardilatation nicht mehr zu einem GdB von 30. Ebenso habe sich die Herzschrittmachertechnik seit 1983 deutlich verbessert. Eine analoge Bewertung zu den anderen, im gleichen Absatz mit GdB 30 bewerteten Herzeingriffen könne nicht zweifelsfrei unrichtig gewesen sein. Eine Analogie zur Bewertung einer Coronargefäßdilatation sei unter den damals zu berücksichtigenden Umständen sogar geboten gewesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, der Bescheid vom 19.10.1999/Widerspruchsbescheid vom 30.03.2001 sei nicht mehr streitig.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 10.11. 2003 sowie den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2001 aufzuheben.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 10.11.2003 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Schwerbehindertenakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
Der Beklagte war nicht berechtigt, den Bescheid vom 30.11.1994 nach § 48 SGB X wegen Änderung der AP aufzuheben und den GdB von 30 auf unter 20 herabzusetzen, weil bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses des Bescheids vom 30.11.1994 keine wesentliche Änderung wegen Besserung eingetreten ist. Außerdem enthalten die AP 1996 gegenüber den AP 1983 hinsichtlich der Herzschrittmacherimplantation keine wesentliche rechtliche Änderung, sondern lediglich eine zahlenmäßige Konkretisierung der vorherigen lediglich verbalen Umschreibung. Eine Rücknahme des Bescheids vom 30.11.1994 nach § 45 SGB X ist schon wegen Ablaufs der Frist des § 45 Abs.3 SGB X ausgeschlossen.
Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Bei den Feststellungsbescheiden nach dem SchwbG bzw. SGB IX handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Änderungen in den AP sind ebenfalls nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie rechtliche Änderungen im Sinne des § 48 SGB X zu behandeln (BSG-Urteil vom 11.10.1994 - 9 RVs 1/93).
Beim Erlass des Bescheides vom 30.11.1994 galten die AP 1983, die unter Nr.26.9 auf S.67 folgende Regelung enthielten: "Nach Herzeingriffen - auch nach Versorgung mit Herzschrittmacher - ist die MdE überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Bei Herzklappenprothesen ist die MdE nicht niedriger als 30 v.H. zu bewerten. Gleiches gilt in der Regel nach Herzwandaneurysmaresektion und coronarchirurgischen Eingriffen."
In den seit 01.01.1997 geltenden AP 1996 sind bezüglich Nr.26.9 "Krankheiten des Herzens" Änderungen vorgenommen worden. So wurde nunmehr auf S.89 unter der Überschrift "Rhythmusstörungen" festgelegt, dass die Beurteilung des GdB sich vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens richte; nach Implantation eines Herzschrittmachers betrage der GdB 10.
Nachdem in den AP 1983 offen gelassen wurde, ob bei fehlender Leistungsbeeinträchtigung nach Herzschrittmacher-Implantation überhaupt ein GdB feststellbar ist bzw. welche Höhe der GdB dann haben soll, wurde diese Unklarheit durch die AP 1996 beseitigt.
Der Beklagte / Dr. S. hat zwar insbesondere unter Hinweis auf den nach den AP 1977 noch mit MdE von mindestens 50 v.H. zu bewertenden Zustand nach Schrittmacherversorgung sowie auf den laut Beschluss des Sachverständigenbeirats vom 27.04.1988 mit GdB 30 zu bewertenden Zustand nach Ballondilatation eine analoge Bewertung der Implantation eines Herzschrittmachers mit GdB 30 verteidigt.
Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Im vorliegenden Fall, in dem nach der Herzschrittmacher-Implantation keine relevante Leistungsbeeinträchtigung mehr festgestellt wurde, war im Jahr 1994 ein GdB von 30, der überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhängig zu machen gewesen wäre, eindeutig zu hoch. Die Voraussetzungen für eine Analogie zu anderen coronarchirurgischen Eingriffen (z.B. Herzklappenprothesenoperation) lagen nicht vor, weil diese 1994 generell wesentlich schwieriger und risikoreicher für einen Patienten waren und sind als eine Herzschrittmacherimplantation. Auch der Hinweis auf den Beschluss des Sachverständigenbeirats aus dem Jahr 1988 bezüglich der Bewertung einer Ballondilatation von Coronargefäßen stellt keine schlüssige Begründung für die beim Kläger vorgenommene GdB-Bewertung dar, da einerseits die Dilatation vergleichsweise riskanter erscheint, andererseits die medizinisch-technischen Möglichkeiten im Jahr 1994 eher den Standards der AP 1996 entsprachen, als denen von 1983 oder 1988. Auch wenn der Ärztliche Dienst des Beklagten häufig allein wegen der Versorgung mit einem Herzschrittmacher einen (überhöhten) GdB von 30 vergeben haben mag, ist diese sachlich/rechtlich unzutreffende Praxis keine Rechtfertigung für die darauf gestützten Verwaltungsentscheidungen.
Der Wortlaut der AP 1996 Nr.26.9 auf S.89 zum Thema "Herzschrittmacher" bringt gegenüber den in den AP 1983 auf S.67 enthaltenen Formulierungen keine neue Regelung hinsichtlich des zustehenden GdB; die AP 1996 konkretisieren lediglich und geben in Zahlen (GdB 10) vor, was die AP 1983 bereits mit den Worten "ist die MdE überwiegend von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhängig" umschrieben haben. Es kann auch keine wesentliche Änderung darin gesehen werden, dass die AP 1996 auf S.89 unter der Überschrift "Rhythmusstörungen" vorgeben, dass sich der GdB vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens richte und nicht mehr unter den Folgen von "Herzeingriffen". Zwischen den Begriffen "vor allem" und "überwiegend" in den AP 1996/ AP 1983 kann allenfalls ein geringer gradueller, keinesfalls aber ein wesentlicher Unterschied gesehen werden. Das gilt auch für die veränderte Gliederung.
Somit wurde der angefochtene Bescheid vom 06.03.2001 zu Unrecht auf § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X gestützt, weil es an einer wesentlichen rechtlichen Änderung der Verhältnisse durch Änderung der Anhaltspunkte fehlt. Eine tatsächliche wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen im Sinn einer Besserung lag ebenfalls nicht vor und wird vom Beklagten auch nicht behauptet. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Z. ging in seinem Gutachten vom 26.06.2003 zu Unrecht davon aus, dass im Vergleich zu den Verhältnissen beim Erlass des Bescheides vom November 1994 eine Besserung eingetreten sei. Weder die Versorgungsärztin Dr. M. noch der Abschlussbericht der Klinik H. vom 11.10.1991 oder das Kreiskrankenhaus Z. im Arztbrief vom 06.03.1992 bestätigten Rhythmusstörungen, insbesondere Tachykardien. Auch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.03.2004 wird vom Beklagten eingeräumt, dass der Bewertung bei der Erstfeststellung alleine die Abhängigkeit von einem Herzschrittmacher zugrunde gelegen habe, obwohl die Behinderung im Bescheid von 1994 lautete: "Herzschrittmacher bei Herzrhythmusstörungen nach Endomyokarditis". Im Übrigen ist seit 1994 auch keine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten. Der Beklagte hat überzeugend den Angaben der Allgemeinärztin Dr. L. hinsichtlich der erforderlichen strikten körperlichen Schonung des Klägers wegen seiner kardialen Erkrankungen widersprochen. Gegen die in der Berufungsbegründung vom 23.03.2004 geltend gemachten und auch von Dr. L. bestätigten Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet, die seit fünf Jahren bestehen sollten, sprechen die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Z. , der im August 2003 eine freie Beweglichkeit der Gelenke und der Wirbelsäule festgestellt hat. Der Kläger selbst hat bei der Untersuchung lediglich angegeben, dass seine Wirbelsäule gelegentlich schmerze.
Hinzu kommt, dass eine Herabsetzung des von Anfang an überhöhten GdB von 30 auf unter 20 nur durch Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 SGB X möglich wäre. Eine Umdeutung des angefochtenen Bescheids, der ausdrücklich auf § 48 SGB X gestützt wurde in einen Bescheid nach § 45 ist nicht möglich, da die besonderen Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt sind und insbesondere die Zweijahresfrist nach § 45 Abs.3 SGB X seit Bekanntgabe des Bescheids vom November 1994 bis zum Erlass des angefochtenen Bescheids abgelaufen war.
Die Berufung war aus diesen Gründen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.