Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 150/06 - Urteil vom 27.05.2010
Bei Endoprothesen großer Gelenke ist eine Bewertung entsprechend der Kniegelenkendoprothesen vorgesehen. Wie bei einer Endoprothese eines Kniegelenks ist daher hier für die Ellenbogengelenkendoprothese ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen.
Tatbestand:
Streitig ist ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30.
Der 1950 geborene Kläger hatte am 07.07.1990 einen Unfall erlitten, bei dem er am rechten Arm verletzt wurde (Radiusköpfchenfraktur); mangels Versicherungsschutzes wurde der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Ein am 09.10.1991 erlittener Wegeunfall führte nicht zu einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit. Ergebnis des sozialgerichtlichen Verfahrens war, dass es nur zu einer Prellung und Schürfung des rechten Ellenbogengelenks gekommen sei und die Beschwerden des Klägers nicht zweifelsfrei auf den Unfall vom 09.10.1991, sondern allenfalls auf den Unfall vom 07.07.1990 bezogen werden könnten (Urteile des Sozialgerichts Augsburg vom 23.09.1993, S 2 U 23/93, und des Bayer. Landessozialgericht vom 05.12.2000, L 3 U 303/93).
Nach Antragstellung im Januar 1994 war für die Behinderung "schmerzhafte Funktionseinschränkungen rechtes Ellenbogengelenk nach Radiusköpfchenresektion, Einschränkungen der Unterarmdrehbeweglichkeit, Kraftminderung rechte Hand" ein GdB von 30 festgestellt worden (Bescheid vom 03.08.1994).
Aufgrund eines Neufeststellungsantrags vom 10.02.1998 wurde eine versorgungsärztliche Untersuchung durch den Chirurgen und Unfallchirurgen R. am 02.04.1998 durchgeführt: Die Beweglichkeitseinschränkung des rechten Ellbogengelenks sei bei fortgeschrittener schmerzhafter Arthrose einer Versteifung des Gelenks gleichzustellen und somit mit einem Einzel-GdB von 30 korrekt beurteilt. Die Hinweise auf ein elektrophysiologisch bislang nicht bewiesenes Carpaltunnel- bzw. Pronator-Teres-Syndrom würden ohne progrediente Muskelminderung den Einzel-GdB nicht erhöhen. Eine schwerwiegende depressive Störung, welche die Dauermedikation von Psychopharmaka oder eine ständige nervenärztliche Behandlung erfordere, liege nicht vor. Mit Änderungs-Bescheid vom 29.04.1998, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30.06.1998, wurde die weiterhin mit GdB 30 bewertete Behinderung wie folgt bezeichnet:
1. Schmerzhafte Funktionseinschränkungen rechtes Ellenbogengelenk nach Radiusköpfchenresektion, Einschränkungen der Unterarmdrehbeweglichkeit, Kraftminderung rechte Hand, Muskelminderung, Belastungseinschränkung des Schultergürtels; 2. psychovegetative Störungen.
Nachdem der Kläger am 01.09.2003 eine Neufeststellung beantragt hatte, erfolgte eine weitere versorgungsärztliche Untersuchung am 22.03.2004. Der Chirurg R. bestätigte den GdB 30 mit Einzel-GdB 30 für die Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks: Verblieben sei eine deutliche Beweglichkeitseinschränkung mit einem Streckdefizit von 30° und einem Beugedefizit von mindestens 20° bei nur endgradig eingeschränkten Unterarmumwendbewegungen, subjektiv ausgeprägtem Schmerzerleben mit Störung der Ausdauerbelastbarkeit. Die nur geringfügige Muskelminderung am rechten Arm spreche gegen einen dauerhaften Mindergebrauch. Beim An- und Auskleiden werde der rechte Arm zügig eingesetzt. Die Hörminderung sei mit einem GdB von 0, der Tinnitus mit einem GdB von 10 einzuschätzen.
Der Antrag wurde mit Bescheid vom 29.03.2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08.07.2004, abgelehnt. In den Verhältnissen, die für den früheren Bescheid maßgeblich gewesen seien, sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Der GdB betrage weiterhin 30. Die Gesundheitsstörungen seien nunmehr wie folgt zu bezeichnen:
1. Gebrauchsminderung des rechten Armes bei Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts nach Entfernung des Speichenköpfchens 2. Hörminderung beidseits mit Ohrgeräuschen (Tinnitus).
Die mit den Gesundheitsstörungen knöchern verheilter Rippenbruch links, Schleimbeutelentfernung am rechten Knie und Leistenbruchoperation links verbundenen Einschränkungen bedingten keinen GdB von wenigstens 10.
Klage zum Sozialgericht Augsburg wurde am 29.07.2004 erhoben.
Der Hausarzt Dr. R. berichtete im Befundbericht vom 29.12.2004 über eine gelegentliche Behandlung, zuletzt am 05.07.2003, und fügte Arztbriefe von 2003 bezüglich einer Hörstörung und eines Tinnitus bei. Der Kläger habe über einen Tinnitus geklagt, eine medikamentöse, physikalische oder delegierte Therapie finde nicht statt. Mit mehreren an den Kläger gerichteten Schreiben (25.01.2005, 18.05.2006, 14.06.2005, 31.08.2005) versuchte das Sozialgericht Augsburg ohne Erfolg die Ermittlungen voranzubringen. Nachdem Dr. R. auf erneute Anfrage im April 2006 mitgeteilt hatte, dass der Kläger seit 2003 nicht mehr bei ihm gewesen sei, wurde dieser aufgefordert, den Arzt zu benennen, der aktuell über die Behinderungen Auskunft geben könne (Schreiben vom 04.05.2006, 13.07.2006). Der Kläger reagierte nicht.
Nach Anhörung wurde die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.09.2006 abgewiesen. Das Gericht sei nicht in der Lage, Feststellungen zu treffen, ob im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem früheren Feststellungsbescheid zugrunde gelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch auf mehrfache Anfragen des Gerichts habe der Kläger nicht mitgeteilt, welcher Arzt nähere Auskunft über seinen Gesundheitszustand machen kann. Prüfungsmaßstab für das Gericht sei somit allein der Gesundheitszustand des Klägers gewesen, wie er sich bei der versorgungsärztlichen Untersuchung im März 2004 darstellte. Nach den damals getroffenen Feststellungen sei die vom Beklagten vorgenommene Einstufung mit einem GdB von 30 zutreffend. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 04.10.2006 zugestellt.
Dagegen hat sich der Kläger mit der Berufung vom18.10.2006 gewendet. Als "neue Erkenntnisse" hat er den Arztbrief des Chirurgen Dr. S. vom 27.10.2006, die Schmerzen im rechten Ellenbogen betreffend, und zwei Röntgenbilder vom 08.10.2006 (Ellenbogen) vorgelegt.
Im Februar 2007 wurde das rechte Ellenbogengelenk des Klägers durch eine gekoppelte Ellenbogengelenkprothese ersetzt, die Implantate wurden zementiert (Bericht des Diakoniekrankenhauses F., Chefarzt Prof. Dr. L., vom 29.02.2007).
Der Sachverständige Dr. B. hat im orthopädischen Gutachten vom 15.05.2007 die von ihm am 15.05.2007 erhobenen Befunde festgehalten und erwähnt, dass die Bemuskelung der Arme symmetrisch sei und Muskelhypotrophien weder im Bereich des Daumen- und des Kleinfingerballens noch im Bereich der Muskulatur zwischen den Mittelhandknochen nachweisbar seien. Er hat ausgeführt, dass unter Druck auf den Kanal des Ulnarisnerven zwischen ellenseitigem Oberarmknorren und dem sog. Olecranon keine für ein peripheres Nervenengpasssyndrom typischen Schmerzen bzw. Parästhesien ausgelöst werden könnten, ebenso nicht über dem tiefen Ast des Radialisnerven auf Höhe der sog. Supinatorloge.
Die Behinderungen hat der Sachverständige wie folgt bezeichnet: 1. Fortgeschrittene posttraumatisch/ postinfektiöse Arthrose des rechten Ellenbogengelenks, Z.n. Radiusköpfenresektion, aktuell Z.n. nach Implantation einer achsgeführten zementierten Ellenbogengelenkprothese, Einschränkung der Beweglichkeit in Richtung Streckung/Beugung 0/30/100°, Unterarmdrehwendungen frei, Endbewegungsschmerzen, mäßiger Reizzustand mit Kapselschwellung und Überwärmung; 2. Hochtonschwerhörigkeit wahrscheinlich aufgrund von Lärmbelastungen, Ohrgeräusche.
Die Behinderung Nr. 1 hat er für die Zeit seit der Untersuchung mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet und zur Begründung erläutert, dass in den Anhaltspunkten Endoprothesen sämtlicher großer Gelenke analog zu den Kniegelenkendoprothesen eingeschätzt würden. Für die Zeit vorher, seit September 2003, habe die Bewertung mit einem GdB von 30 am oberen Bemessungsspielraum gelegen; eine Funktionseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grads als 0/30/120° werde in den Anhaltspunkten mit einem GdB von maximal 30 eingeschätzt. Für die Behinderung Nr. 2 hat er den Einzel-GdB 10 bestätigt und stellt dazu festgestellt, dass eine Einschränkung des Hörvermögens nicht ersichtlich sei, bei der Untersuchung habe der Kläger die Umgangssprache ohne Mühe und ohne Lücken verstanden. Der Gesamt-GdB betrage daher 30, seit der Untersuchung nach Implantation einer Ellenbogengelenkprothese wie auch vorher seit September 2003.
Bei den vom Kläger vorgebrachten Einwänden gegen das Gutachten fand sich auch der Hinweis, dass kurz nach der Begutachtung eine neurologische Untersuchung bei Dr. K. stattgefunden hat (Bericht vom 18.06.2007: Verdacht auf Sulcussyndrom rechts). Der Sachverständige ist diesbezüglich um Äußerung gebeten worden. Mit ergänzender Stellungnahme vom 03.08.2009 hat er erläutert, dass bei seiner Untersuchung am 15.05.2007 und nach Aktenlage nichts auf ein Sulcus-Ulnaris-Syndrom hingewiesen habe. Durch den neurologischen Befundbericht des Dr. K. vom 18.06.2007 werde nun ein sensibles N. Ulnaris-Syndrom ohne motorische Beeinträchtigungen beschrieben, allerdings werde eine Operation empfohlen. Ein sensibles N. Ulnaris-Syndrom werde in den Anhaltspunkten in der Regel mit einem Einzel-GdB von 10 eingeschätzt, so dass sich eine Erhöhung des GdB für die oberen Extremitäten nicht ergeben würde.
Im Dezember 2008 stellte der Kläger beim zuständigen Amt einen Neufeststellungsantrag und fügte ein Gutachten des Gesundheitsamts des Landkreises P. vom 07.10.2008 zur Frage der Erwerbsfähigkeit bei, das eine sozialmedizinische Stellungnahme enthält, ohne dass Befunde mitgeteilt würden. Im Vordergrund des derzeitigen Schmerz- und Beschwerdebildes stehe ein komplexes Schmerzsyndrom in Verbindung mit einem psychovegetativen Erschöpfungs-Syndrom im Bereich des rechten Armes unklarer Genese. Klinisch sei auffällig, dass der Patient den rechten Arm, insbesondere im Bereich des rechten Ellenbogengelenks weitestgehend nicht bewege und dass auch im Bereich der rechten Hand eine massive Atrophie des rechten Daumen feststellbar sei. Der später vom Senat ergänzend angeforderte Befundbogen enthält äußerst dürftige, kaum leserliche und insgesamt nicht verwertbare Angaben.
Aktenkundig sind die vom Beklagten im Neufeststellungsverfahren angeforderten Befundunterlagen, wobei sich der Bericht der Hausärztin E. vom 17.02.2009 im Wesentlichen auf die Übermittlung von Fremdbefunden beschränkt hat.
Prof. Dr. L. hat im Bericht vom 03.03.2008 nach ambulanter Untersuchung die Diagnose wie folgt gefasst: Zustand nach Ellenbogenprothese rechter Ellenbogen bei posttraumatischer Arthrose vor einem Jahr, jetzt: persistierende Schmerzen unklarer Genese bei guter Funktion. Im Einzelnen hat er ausgeführt:
"Bei der heutigen Untersuchung findet sich ein gut bewegliches Gelenk in allen Ebenen mit einem Bewegungsausmaß von 0-10-120° und einer freien Rotation. Die Weichteile sind absolut reizlos. Neurologisch keine Defizite, die zunächst bestandenen Dysästhesien im Bereich des Nervus ulnaris sind praktisch vollständig zurückgebildet, (der Kläger) gibt diese selbst mit 5% bis 10 % an. Es besteht kein Druckschmerz, keine Instabilität, kein Stauchungsschmerz. (Der Kläger) zeigt eindrucksvoll wie er mit Druck auf die Bizepssehne den Schmerz vermeiden könne. Insgesamt sind die Angaben sehr unklar und untypisch. Einen klinisch-pathologischen Befund kann ich nicht erheben. Die kürzlich im A. durchgeführten Röntgenaufnahmen zeigen eine gut sitzende Prothese, eine Lockerung kann ich radiologisch nicht feststellen. Im Szintigramm ergab sich wohl der Verdacht auf eine Komponentenlockerung. Ich kann die Schmerzen ... nicht eindeutig zuordnen und sehe die Ursache nicht in der Ellenbogenprothese. Eine Lockerung kann ich nicht nachvollziehen ..."
Mit Schreiben vom August 2007 hat der Psychiater Dr. L. über die Vorstellung des Klägers am 27.08.2007 aufgrund einer Überweisung der Hausärztin E. berichtet. Er hat die Diagnose rezidivierende depressive Störung, derzeit leichtgradige depressive Episode gestellt. Der Patient habe den Folgetermin am 07.09.2007 nicht wahrgenommen.
Der Neurochirurg Prof. Dr. P. hat im Arztbrief vom 07.09.2007 berichtet, dass er den Patienten darüber aufgeklärt habe, dass die Sensibilitätsstörungen eindeutig nicht zum Versorgungsgebiet des Ulnaris passen würden und eine lokale Schmerzhaftigkeit in der Ellenbogengelenksregion auch nicht unbedingt von einer Ulnarisnervenbeeinträchtigung stammen müsse. Auch bei elektrophysiologisch nachgewiesener Beeinträchtigung in der Sulcusstrecke würde also eine Neurolyse und Ventralverlagerung des Nervus Ulnaris nur unsicher gegen die Beschwerden helfen können.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 06.01.2010 seiner Unzufriedenheit mit dem Gang des Verfahrens Ausdruck gegeben und deutlich gemacht hatte, dass er auf den Abschlussbericht warte, hat der Senat ihn daran erinnert, dass er mit Schreiben vom 03.11.2009 aufgefordert worden sei, die aktuell behandelnden Ärzte mitzuteilen einschließlich der Ärzte, bei denen er wegen des Ellenbogens in Behandlung (gewesen) sei. Er ist gefragt worden, ob er denn kein Interesse an weiteren Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts habe. Sollte er eine Entscheidung auf der Grundlage der bisherigen Beweisaufnahme wollen, würde der Senat einen Termin zur Gerichtsverhandlung im zweiten Quartal 2010 vorsehen. Er ist aufgefordert worden, bis 05.02.2010 Stellung zu nehmen und entweder die ihn behandelnden Ärzte mitzuteilen oder klarzustellen, dass er eine weitere Beweisaufnahme in diesem Verfahren ablehnt (Schreiben des Senats vom 11.01.2010).
Daraufhin hat der Kläger ein Gutachten des Dr. D. übersandt, nochmals Antrag auf Verschlechterung gestellt und beanstandet, dass die 30 % noch nicht bestätigt worden seien (Schreiben vom 05.02.2010). Das übersandte Gutachten betrifft die Frage der Erwerbsminderung; nicht erkennbar ist, für welchen Rentenversicherungsträger es erstattet worden ist. Der Neurologe und Psychiater Dr. D. hat im Gutachten vom 20.10.2009 auf ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachtens vom 05.01.2009 Bezug genommen und die dortigen Diagnosen wiedergegeben: "Zustand nach Ellenbogengelenksendoprothese rechts am 20.02.2007 bei posttraumatischer Ellenbogengelenksarthrose, Impingement-Syndrom rechte Schulter, Degeneratives HWS-BWS-LWS Syndrom ohne neurologische Störungen, Tinnitus. Abschließend wird geurteilt, dass eine mäßige, der Altersnorm entsprechende Verschleißerkrankung der Wirbelsäule ohne neurologische Störungen vorliege und ein regelhafter Zustand nach Ellenbogengelenksendoprothese rechts." Dr. D. hat anlässlich der durchgeführten Untersuchung festgehalten, dass keine muskuläre Atrophie der Arm- und Handmuskulatur rechts bestehe. Im psychischen Befund heißt es: "Psychisch wach, bewusstseinsklar, orientiert. Mürrisches, ablehnendes Zuwendungsverhalten, in schwäbischem Dialekt werden querulatorisch grantelnde Klagen über öffentliche Missstände vorgetragen. Keine Wahninhalte, -wahrnehmungen. Vorwiegend werden Klagen über körperliche Symptome und eine allgemeine Leistungsinsuffizienz vorgetragen. Stimmung nicht depressiv gemindert, Mimik im Verlauf leicht aufzulockern, insgesamt multiple Somatisierungsstörung."
Auf die Aufforderung, den Rentenversicherungsträger und die Rentenversicherungs-Nr. mitzuteilen, damit der Senat dort Unterlagen anfordern könne, hat sich der Kläger, ohne die gewünschten Angaben zu machen, mit Schreiben vom 16.02.2010 darüber beschwert, dass das Gericht immer neue Forderungen stelle. Er erwarte endlich mal was Positives.
Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Er beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 21.09.2006 sowie den Bescheid vom 29.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen höheren Grad der Behinderung als 30 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Anhebung des GdB von 30 sei nach den Befunden nicht gerechtfertigt. Im Vordergrund der gesundheitlichen Problematik stehe ein Schaden des rechten Ellenbogengelenks mit Einsetzung eines Kunstgelenks. Beim Kläger lägen im Bereich des rechten Armes eindeutig pathologische Werte vor, die mit einem GdB von 30 angemessen erfasst würden. Mit einem GdB von 30 werde ja gerade zum Ausdruck gebracht, dass das Kunstgelenk kein vollwertiger Ersatz im Vergleich zum ursprünglichen, gesunden Gelenk sei.
Wegen Änderung des Wohnsitzes des Klägers ist der Freistaat Bayern aus dem Rechtsstreit entlassen worden. Neuer Beklagter ist das Land Niedersachsen, vertreten durch das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie (Beschluss vom 21.08.2007).
Die Terminsmitteilung vom 07.05.2010 enthält den Hinweis, dass auch bei Ausbleiben des Klägers Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne. Mit Schreiben vom 17.05.2010 hat der Kläger Verlegung des Verhandlungstermins beantragt. Er könne den Termin nicht wahrnehmen, weil er sich wegen einer weiteren Operation seines rechten Armes wieder in stationäre Behandlung begeben müsse. Seinem Schreiben beigefügt ist der Bericht der Klinik für Unfallchirurgie, Chefarzt Prof. Dr. L., vom 06.05.2010 über eine Vorstellung des Klägers in der Notfallambulanz am 06.05.2010. Erwähnt wird eine Operation als Behandlungsoption. Geplant sei eine "Vorstellung des Falles in unserer Nachmittagsbesprechung und telefonische Information des Pat. mit ggf. Terminvergabe."
Der Senat hat dem Kläger mit Schreiben vom 19.05.2010 mitgeteilt, dass ein hinreichender Grund für die Verlegung des Termins nicht erkennbar sei, zumal er eine ärztliche Bestätigung über seine Verhinderung wegen stationärer Behandlung gerade am 27.05.2010 bislang nicht vorgelegt habe.
Beigezogen worden sind die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts Augsburg, außerdem diverse unfallversicherungsrechtlichen Prozessakten des Sozialgerichts Augsburg (S 2 U 259/92; S 2 23/93; S 9 U 322/93; S 9 U 223/93; S 9 U 8/94; S 9 R 17/91.U, S 11 R 18/94.U). Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Berufungsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Er hat zwar mit Schreiben vom 17.05.2010 wegen einer anstehenden Operation die Verlegung des Verhandlungstermins beantragt, aber trotz des Hinweises des Senats mit Schreiben vom 19.05.2010 nicht belegt, dass er gerade am Tag der mündlichen Verhandlung verhindert ist. Der Arztbrief vom 06.05.2010, den der Kläger seinem Schreiben vom 17.05.2010 beigefügt hat, erwähnt eine Operation als Behandlungsoption, ohne einen konkreten Termin für die Operation bzw. eine stationäre Behandlung zu benennen. Bei diesen Gegebenheiten sieht sich der Senat an der Verhandlung und der Entscheidung des Rechtsstreits nicht gehindert. Erhebliche Gründe im Sinn des § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung i.V.m. § 202 SGG liegen nicht vor, zumal das persönliche Erscheinen des Klägers nicht erforderlich ist und auch nicht angeordnet worden ist.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Richtiger Klagegegner ist das Land Niedersachsen. Der Wohnsitzwechsel des Klägers im Sommer 2007 hat zu einem Wechsel der Verwaltungszuständigkeit und in der Folge zu einem Beklagtenwechsel kraft Gesetzes geführt, nachdem es hier um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geht (BSG vom 30.09.2009, B 9 SB 4/08 R).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.07.2004. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Aufhebung bzw. Abänderung des Bescheids vom 29.04.1998 wegen Änderung der Verhältnisse und auf Feststellung eines höheren GdB als 30. Die entsprechenden Voraussetzungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sind nicht nachgewiesen.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grads der Behinderung ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit 01.01.2009 maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die VG lösen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab, die für die Zeit vor 01.01.2009 als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (dazu BSG vom 18.09.2003, B 9 SB 3/02 R; vom 24.04.2008, B 9/9a SB 10/06 R; BVerfG vom 06.03.1995, BvR 60/95). Die Anhaltspunkte und nunmehr die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.
Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen und in ergänzender Auswertung der weiteren aktenkundigen ärztlichen Unterlagen ist der Senat davon überzeugt, dass ein höherer (Gesamt-) GdB als 30 nicht festgestellt werden kann. Beim Kläger besteht folgende Behinderung:
1. Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks nach Radiusköpfchenresektion, Zustand nach Implantation einer Ellenbogengelenkprothese; 2. Ohrgeräusche, Schwerhörigkeit.
Wie der Sachverständige Dr. B. im Gutachten vom 15.05.2007 samt ergänzender Stellungnahme vom 03.08.2007 nachvollziehbar dargelegt hat, war die Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks vor der Operation im Februar 2007 mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend, aber auch großzügig bewertet worden. Seit der Operation im Februar 2007 ist die Behinderung weiterhin, wenn auch mit anderer Begründung, mit einem Einzel-GdB von 30 zu veranschlagen. Zu Recht nimmt Dr. B. dabei auf den vorgegebenen Bewertungsrahmen Bezug. Bei einer Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk stärkeren Grades kann ein GdB von 20 bis maximal 30 vergeben werden (Nr. 26.18 AHP). Die beim Kläger ursprünglich vorgenommene Einstufung hat den Bewertungsspielraum also voll ausgeschöpft. Bei Endoprothesen großer Gelenke ist eine Bewertung entsprechend der Kniegelenkendoprothesen vorgesehen. Wie bei einer Endoprothese eines Kniegelenks ist daher hier für die Ellenbogengelenkendoprothese ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen (Nr. 26.18 AHP, Nr. B.18.12 VG).
An dieser Bewertung ändert sich nichts dadurch, dass nach der Operation der Verdacht auf ein Ulnaris-Syndrom bestanden hat. Denn ein sensibles Ulnaris-Syndrom wäre, wie Dr. B. klarstellt, allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 einzuschätzen, so dass sich eine Erhöhung des GdB für die oberen Extremitäten nicht ergeben hätte. Im übrigen steht keineswegs fest, dass der Kläger dauerhaft an einer Ulnarisnervenbeeinträchtigung leidet. Dr. B. konnte bei seiner Untersuchung im Mai 2007 entsprechende Hinweise nicht finden. Im Bericht des Prof. Dr. L. vom 03.03.2008 ist festgehalten, dass neurologisch keine Defizite bestehen, die zunächst bestandenen Dysästhesien im Bereich des Nervus Ulnaris seien praktisch vollständig zurückgebildet. Auch der Neurochirurg Prof. Dr. P. konnte eine Ulnarisnervenbeeinträchtigung nicht bestätigen (Arztbrief vom 07.09.2007).
Die Bewertung der Ohrgeräusche, also des Tinnitus, und der (Hochton-) Schwerhörigkeit mit Einzel-GdB 10 begegnet keinen Bedenken. Die Schwerhörigkeit ist geringfügig ausgeprägt. Der Sachverständige Dr. B. konnte sich davon überzeugen, dass der Kläger während der Untersuchung in seinem Hörvermögen nicht eingeschränkt war. Er hat die Umgangssprache ohne Mühe und ohne Lücken verstanden. Wegen des vom Kläger immer wieder beklagten, allerdings nicht therapierten Tinnitus ist ein Einzel-GdB von 10 angemessen (Nr. 26.5 AHP, Nr. B.5.3 VG).
Bei einem Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks und einem Einzel-GdB von 10 für den Tinnitus (mit Hochtonschwerhörigkeit) ergibt sich ein Gesamt-GdB von 30. Denn leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (Nr. A.3.d.ee VG, Nr. 19 Abs. 4 AHP).
Der Kläger hat die Bemühungen des Senats, den Sachverhalt weiter aufzuklären, nicht unterstützt. Auch auf die deutliche Frage, ob er denn kein Interesse an weiteren Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts habe, hat er nicht konstruktiv reagiert. Nachdem die aktenkundigen ärztlichen Befunde aus der Zeit nach Erstattung des Gutachtens des Dr. B. im Mai/ August 2007 keinen Anhalt für eine rechtsrelevante Zunahme der Behinderung des Klägers bieten, musste sich der Senat nicht gedrängt fühlen, weitere Ermittlungen in Form von Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers durchzuführen, zumal mit einer angemessenen Mitwirkung des Klägers bei dem bislang gezeigten Verhalten nicht zu rechnen war.
Dies gilt ausdrücklich auch für die Frage, ob beim Kläger Beeinträchtigungen psychischer Art bestehen. Der Psychiater Dr. L. stellte im August 2007 nach Überweisung des Klägers zu ihm eine nur leichtgradige depressive Episode fest, wobei der Kläger einen für September 2007 vereinbarten Folgetermin nicht wahrnahm, er selbst also offenbar keine Behandlungsnotwendigkeit sah. Der im Gutachten des Dr. D. vom 20.10.2009 mitgeteilte psychische Befund verdeutlicht zwar das "grantelnde" Wesen des Klägers, gibt aber keinen Anhalt für die Annahme, dass psychische Störungen mit Krankheitswert vorliegen, die den GdB beeinflussen könnten.
Auch die Angaben im amtsärztlichen Gutachten vom 07.10.2008 geben keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Sie sind nicht verwertbar, weil sie nicht durch entsprechende Befunde gestützt werden, und außerdem irreführend. Das wird am Beispiel der in diesem Gutachten erwähnten "massiven Atrophie des rechten Daumens" deutlich, die sich mit aktenkundigen Befunden nicht in Einklang bringen lässt. Dr. D. hielt in seinem Untersuchungsbefund vom 20.10.2009 fest, dass eine muskuläre Atrophie der Arm- und Handmuskulatur rechts nicht bestehe. Auch vor dem Oktober 2008 wurde eine Muskelatrophie im Bereich des rechten Armes nicht beobachtet, wie der Untersuchungsbefund des Prof. Dr. L. vom 03.03.2008 und der Befund des Sachverständigen Dr. B. anlässlich der Untersuchung am 15.05.2007 belegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.