L 15 SB 22/04 Bayerisches LSG - Urteil vom 22. Juni 2004

 


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in Anbetracht seines Wohnsitzes noch Anspruch auf Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises hat.

Bei dem 1928 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 22.03.1982 nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ab 01.07.1980 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 50 v.H., d.h. die Schwerbehinderteneigenschaft fest. Dementsprechend wurde dem in München wohnenden Kläger ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt, dessen Gültigkeit bis Ende April 1987 befristet war. Bereits im Februar 1987 konnte dem Kläger ein Schreiben des Versorgungsamts München II unter seiner bisherigen Adresse in M. nicht zugestellt werden. Im April 1987 teilte dieser dem Landesversorgungsamt Bayern aus B. mit, er bitte um Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises und Rücksendung an seinen derzeitigen Aufenthaltsort in Portugal, S. . Nach Rückfrage des Beklagten beim Einwohnermeldeamt der Landeshauptstadt München wurde dann der bis Ende April 1992 verlängerte Schwerbehindertenausweis nach B. übersandt, weil der Kläger nunmehr dort seinen Hauptwohnsitz habe. Auch im März 1992 wurde der bis März 1997 verlängerte Ausweis antragsgemäß an die Gemeinde B. übermittelt.

Am 03.02.1997 beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen Ausweises und teilte zur Begründung mit, dass er seit seiner Pensionierung seinen Rentner-/Altersruhesitz nach S. in Portugal verlegt habe, wo er sich überwiegend aufhalte. Ein Schreiben des Beklagten vom 13.02.1997 an die Adresse in B. , in dem mitgeteilt wurde, dass der neue Ausweis bei der Gemeinde abgeholt werden könne, kam mit dem Postvermerk "unbekannt verzogen" zurück. Laut einer Gesprächsnotiz vom 27.05.1997 teilte der Kläger damals mit, er wohne weiterhin in B. , Portugal sei nur sein zweiter Wohnsitz. Er bitte um Ausstellung eines neuen Ausweises und Übersendung nach Portugal, was nach den Angaben des Klägers auch geschehen ist.

Am 21.06.2002 beantragte der Kläger die hier streitgegenständliche Ausstellung eines neuen Ausweises mit Eintragung des Merkzeichens "aG" infolge seiner schweren Herzerkrankung und gab an, seine neue Adresse in Portugal sei sein permanenter Altersruhesitz bzw. Aufenthaltsort.

Nachdem ihn der Beklagte in einem Anhörungsschreiben darauf hingewiesen hatte, dass bei ihm infolge seiner Wohnsitzverlegung ins Ausland gemäß § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) die Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr festgestellt werden könne und der Ausweis eingezogen werden müsse, erwiderte der Kläger, er kehre regelmäßig in die Bundesrepublik zu seinem Familienwohnsitz zurück und erhalte weiterhin Leistungen der deutschen Krankenversicherung. Er sei vom 02. bis 08.07.2002 stationär im Deutschen Herzzentrum in M. behandelt worden. Die anschließend gestellte Frage, in welchen Zeitabständen und für wie lange er sich in B. aufhalte, wollte er nicht beantworten, da es sich hierbei um seine Privatangelegenheit handle. Daraufhin erging am 14.08.2002 ein Bescheid des Beklagten, in dem der Antrag des Klägers, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen, abgelehnt wurde. Es könne auch kein neuer Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden, da hierauf kein Anspruch bestehe, weil die Voraussetzung des rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts bzw. Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland (§ 2 Abs.2 SGB IX) nicht mehr erfüllt sei.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, weil er keineswegs seinen alleinigen Wohnsitz und Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nach Portugal verlegt habe. Im Übrigen sei er auch in Deutschland wahlberechtigt.

Eine zweimalige Nachfrage bei der Gemeinde B. ergab, dass sich der Kläger überwiegend in Portugal aufhalte und in B. nur noch seine Ehefrau gemeldet sei. Eine nochmalige Rückfrage nach den Zeiträumen, in denen sich der Kläger in Deutschland bzw. Portugal aufhalte, beantwortete dieser einerseits mit nachdrücklichem Hinweis auf Art. 11 des Grundgesetzes sowie dahingehend, dass er sich (un)regelmäßig, aber mehr als sechs Monate jährlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte.

Der Widerspruch des Klägers wurde anschließend mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2002 zurückgewiesen. Aus den Angaben des Klägers gehe hervor, dass er gemäß § 30 Abs.3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) seinen Wohnsitz in Portugal genommen habe. Art. 11 Abs.1 Grundgesetz beziehe sich nur auf die Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik.

Mit Schriftsatz vom 07.01.2003 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben und vorgetragen, er halte sich über unbestimmte, längere Zeiträume in Portugal und nicht überwiegend regelmäßig in der BRD auf. Er habe am 15.05.1997 einen Schwerbehindertenausweis erhalten, dessen Verlängerung und Erweiterung um das Merkzeichen "aG" er begehre. Das portugiesische Fremdenamt habe eine auf wenige Jahre begrenzte Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer für ihn für erforderlich gehalten; in diesem Zusammenhang sei wohl aus Versehen von einem Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung B. ohne sein Wissen eine Abmeldung nach Portugal vorgenommen worden. Er könne seine regelmäßigen Aufenthalte in der BRD beweisen, weil es sich ab 1998 ausschließlich um stationäre mehrwöchige Krankenhausaufenthalte gehandelt habe (z.B. Krankenhaus M. , Uniklinik G. , Deutsches Herzzentrum M. , Herzklinik Bad N.). Somit sei sein Lebensmittelpunkt weiterhin Deutschland.

Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht München am 08.01.2004 die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Das Sozialgericht hat keinen Anlass gesehen, die angefochtenen Bescheide des Beklagten zu beanstanden, da aus den Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren hervorgehe, dass er sich nur zu kurzfristigen Krankenbehandlungen in der Bundesrepublik Deutschland und im Übrigen überwiegend in Portugal aufhalte. Diese Einschätzung werde durch die Auskunft der Einwohnermeldestelle der Gemeinde B. vom 26.09.2002 bekräftigt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und weiterhin eine Verlängerung des Schwerbehindertenausweises sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" begehrt. Die Auskunft der Gemeinde B. , wonach er nicht mehr dort gemeldet sei, beruhe wohl auf einem Irrtum. Vielleicht sei dort ein falscher Eindruck entstanden, als er eine Lebensbescheinigung für seine Rentenversicherung beantragt habe. Seine Ehefrau sei noch dort wohnhaft. Die Ehe bestehe seit 49 Jahren und dort, wo seine Frau sei, halte er sich in der Regel in seinem fortgeschrittenen Alter ebenfalls auf, d.h. entweder in der BRD oder in Portugal. Er gehe davon aus, dass eine siebenstellige Zahl von Bundesbürgern es mit ihrem Alterswohnsitz ebenso handhaben würden. Es sei unverständlich, weshalb das Sozialgericht von nur kurzfristigen Krankenhausaufenthalten in der BRD ausgehe. Mit Schriftsatz vom 16.04.2004 hat der Kläger ergänzend darauf hingewiesen, dass die Niederlassungsfreiheit für alle Europäer ein wichtiger Grundsatz des Europarechts sei, der durch Gesetze grundsätzlich nicht eingeschränkt werden dürfe (Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 11.03.2004). Eine Ausnahme hiervon sei nur dann möglich, wenn dies aus überragenden Gründen erforderlich sei. Solche Gründe gebe es in seinem Fall mit Sicherheit nicht. Ihm sei bereits vor über 22 Jahren ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden. Sein Feriendomizil in südlicher Region sei hauptsächlich medizinisch begründet.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 27.04.2004 eingewandt, die Niederlassungsfreiheit gelte nur im Zusammenhang mit selbstständiger Erwerbstätigkeit und sei hier nicht einschlägig. Der Kläger solle konkret schildern, welche Zeiträume er in den letzten Jahren in Portugal bzw. in Deutschland verbracht habe und welche Planungen für die Zukunft bestünden.

Mit Schriftsatz vom 24.05.2004 hat sich der Kläger nochmals auf die Niederlassungsfreiheit für Europäer und das seines Erachtens einschlägige Urteil des EuGH berufen. Er habe keine Planung für die Zukunft, da er 76 Jahre alt und schwer krank sei. Er benötige den Schwerbehindertenausweis mit Vermerk "aG", um (Park)Plätze, die für Schwerbeschädigte reserviert sind, einnehmen zu können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 08.01.2004 und des Bescheids vom 14.08.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2002 zu verurteilen, seinen Schwerbehindertenausweis zu verlängern und ihm außerdem das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.01.2004 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogene Akte des Beklagten, die Akte des vorangegangenen Klageverfahrens und die Berufungsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zwar zulässig (§§ 51 Abs.1 Nr.7, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); sie ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht München hat zu Recht die Entscheidung des Beklagten bestätigt, wonach der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft und damit auch nicht auf Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises hat, weil davon auszugehen ist, dass sich sein Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt nicht mehr im Geltungsbereich des SGB IX, d.h. in der Bundesrepublik Deutschland, befindet.

Nach § 2 Abs.2 SGB IX vom 19.06.2001 (Bundesgesetzblatt I S.1046) sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs haben.

Nach § 30 Abs. 3 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Aus dem Antrag des Klägers auf Verlängerung seines Schwerbehindertenausweises vom Februar 1997 und aus seiner Klagebegründung vom Januar 2003 geht hervor, dass er 1982 (d.h. im 54. Lebensjahr) berufsunfähig wurde und dass er sich seit dieser "Pensionierung" überwiegend in seiner als Altersruhesitz gedachten Eigentumswohnung in Portugal zusammen mit seiner Ehefrau aufhält.

Seit Februar 1997 wurde der gesamte Schriftwechsel im Verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich über die portugiesische Adresse des Klägers abgewickelt. Auf dem Antragsvordruck vom Juni 2002 erklärte der Kläger im Übrigen ausdrücklich, die portugiesische Adresse bezeichne seinen permanenten Altersruhesitz-/Aufenthaltsort.

Selbst wenn nach der vom Beklagten eingeholten Auskunft die Ehefrau des Klägers noch unter der Anschrift H. in B. gemeldet ist, und demnach dort für das Ehepaar noch eine Wohnmöglichkeit gegeben wäre, hat der Kläger doch mit seinen Ausführungen in der Klage- und der Berufungsbegründung deutlich gemacht, dass er aus gesundheitlichen Gründen seit seiner Pensionierung seinen Lebensmittelpunkt nach Portugal verlegt hat. Die von ihm angeführten Gründe, die für die Beibehaltung seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland sprechen sollen, überzeugen nicht. Die angegebenen stationären und ambulanten Krankenbehandlungen in der Bundesrepublik bezogen sich jeweils nur auf Zeiträume von wenigen Tagen oder Wochen. Der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Klägers befindet sich faktisch dauerhaft in Portugal, weil der Kläger zeitlich überwiegend dort lebt. Die nach § 30 Abs.3 SGB I maßgebenden tatsächlichen Umstände, wonach er schon seit gesundheitsbedingter Beendigung seiner Berufstätigkeit Wohnungseigentum im klimatisch für ihn geeigneteren Ausland erworben hat, sprechen ebenfalls für seinen dortigen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt es auf die objektiv feststellbaren tatsächlichen Umstände und nicht etwa auf einen Domizilwillen des Betreffenden an (Hauck/Haines, SGB I Rdnr. 10 zu K § 30 m.w.N.). Anders als nach § 7 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann nach dem Sozialgesetzbuch eine Person nur einen Wohnsitz im Sinne des Sozialrechts innehaben. (BSG, Urteil vom 29.06.1995 SozR 3-6050 Art. 71 Nr.8). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, nicht dagegen der erklärte Wille des Einzelnen und auch nicht die polizeiliche Meldung.

§ 30 Abs.1 SGB I enthält (unter dem Vorbehalt über- und zwischenstaatlichen Rechts nach § 30 Abs.2 SGB I) für alle Sozialleistungsbereiche als Anspruchsvoraussetzung das sog. Territorialitätsprinzip, wonach sozialrechtliche Ansprüche nur von Personen geltend gemacht werden können, die in der Bundesrepublik Deutschland wohnen oder sich gewöhnlich aufhalten. Dieser Grundsatz wurde in § 2 Abs.2 SGB IX wiederholt. Er widerspricht in dem hier streitgegenständlichen Zusammenhang weder dem in Art. 11 Grundgesetz noch dem in Art. 18, 39 ff. EG-Vertrag verankerten Grundrecht der Freizügigkeit. Nach der erstgenannten Vorschrift genießen alle Deutschen im ganzen Bundesgebiet Freizügigkeit, d.h. sie dürfen sich an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets aufhalten oder Wohnsitz nehmen und aus- oder einreisen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Jarass/Pierot, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage, Rdnr. 2 zu Art. 11). Art.18 Abs. 1 EG-Vertrag enthält außerdem für jeden Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten, vorbehaltlich der im EG-Vertrag und den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen, frei zu bewegen und aufzuhalten.

Der EuGH hat in dem wohl vom Kläger angesprochenen Urteil vom 11.03.2004 (Az.: C-9/02) zur Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG-Vertrag) entschieden, eine französische Gesetzesbestimmung, in der zur Vorbeugung gegen Steuerflucht festgelegt wurde, dass latente, noch nicht realisierte Wertsteigerungen von Wertpapieren besteuert werden, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, verstoße gegen die vorrangige, unmittelbar geltende Vorschrift des Art. 43 EG-Vertrags. Danach sind Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten etc. verboten. Das Verbot beziehe sich sowohl darauf, dass der Aufnahmemitgliedsstaat eine Inländerbehandlung des Ausländers sichern soll, als auch darauf, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedsstaat nicht behindern dürfe.

Der Kläger kann im vorliegenden Fall keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG-Vertrag geltend machen, weil er durch § 2 Abs. 2 SGB IX im Zusammenhang mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Portugal keine Nachteile hinnehmen müsste.

Auch wenn der Kläger wegen des in § 2 Abs. 2 SGB IX geforderten Inlandswohnsitzes in Folge seines Umzugs in einen anderen EU-Mitgliedsstaat nach deutschem Recht seinen Anspruch auf erneute Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises verliert, kann darin kein Verstoß gegen europäisches Recht gesehen werden.

Weder Art. 15 der Europäischen Sozialcharta noch Art. 4 Abs. 2 a, 10 und 10 a der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 über Wanderarbeitnehmer noch Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft können herangezogen werden. Die letztgenannten Verordnungen beziehen sich entweder auf Arbeitnehmer, die Ansprüche auf Geldleistungen in einem Mitgliedsland erworben haben und diese in ihr Wohnsitzland "exportieren" wollen oder auf Arbeitnehmer, die im fremden Mitgliedsstaat die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer beanspruchen. Auch wenn der EuGH den Arbeitnehmerbegriff in Art. 42 EG-Vertrag und in der Verordnung Nr. 1408/71 extensiv sozialrechtlich auf alle Personen ausgedehnt hat, die gegen ein Risiko im Bereich eines Systems der sozialen Sicherheit versichert sind (Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch des Europäischen Arbeits- und Sozialrechts, 2002, § 14 Rdnrn. 17 und 18), lassen die o.g. Regelungen die hier zur Entscheidung stehende Problematik unberührt.

Grund und Berechtigung für die Anknüpfung des Schwerbehinderten-Feststellungsverfahrens an den Inlandswohnsitz bzw. -aufenthaltsort ist der Gedanke, dass nur diejenigen Personen einen Leistungsanspruch haben sollen, die in die Rechte und Pflichten des nationalen Sozialverbunds eingebunden sind, insbesondere einerseits steuerpflichtig andererseits berechtigt sind, steuerfinanzierte Nachteilausgleiche als Behinderte zu erhalten (Hanau/Steinmeyer/Wank a.a.O. § 32 Rdnrn. 65 und 89). Hinzukommt, dass dadurch eine mehrfache Inanspruchnahme dieser Sozialleistungen vermieden wird. Auch das vielfach relativ umfangreiche Ermittlungsverfahren zur Feststellung der nicht nur vorübergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen eines Behinderten und die meist für fünf Jahre eintretende Dauerwirkung einer Feststellung, die nach §§ 1, 69 Abs. 5 SGB IX dazu dienen soll, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe der Behinderten am Leben in der Gesellschaft durch Inanspruchnahme von Leistungen und von sonstigen Hilfen zu fördern, sprechen für eine Anknüpfung an den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und gegen einen Feststellungsanspruch von Personen, die sich nur kurzfristig in der Bundesrepublik aufhalten.

Unabhängig von dem nach deutschem und europäischem Recht bestehenden Anspruch auf Freizügigkeit war somit der deutsche Gesetzgeber nicht gehindert, den Anspruch auf (deklaratorische) Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Territorialitätsprinzip auf Personen zu beschränken, die in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft Wohnsitz genommen haben bzw. sich nicht nur vorübergehend dort aufhalten. Es besteht kein Anlass, an der Rechtmäßigkeit dieser räumlichen und persönlichen Einschränkung der sozialrechtlichen Einstandspflicht der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Behinderten zu zweifeln (vgl. Hauck/Haines a.a.O. Rdnr. 2 zu § 30).

Mangels Anspruchs des Klägers auf Einleitung des Neufeststellungsverfahrens nach § 69 SGB IX war auch nicht zu prüfen, ob ihm das Merkzeichen "aG" zusteht.

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.