Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 33/14 - Beschluss vom 13.10.2014
Ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH) ist in der Regel begründet, wenn das Gericht von Amts wegen Ermittlungen einleitet. Das gilt aber nicht, wenn die vom Gericht durchgeführten Ermittlungen allein deswegen veranlasst worden sind, weil der PKH begehrende Beteiligte unzutreffende Angaben gemacht hat und die Ermittlungen nur dazu erforderlich waren, die Unrichtigkeit des Vortrags zu belegen. Denn in einem solchen Fall hat nur der tatsächlich unzutreffende Vortrag des Beteiligten den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich wären.
Gründe
I.
Zugrunde liegt ein Rechtsstreit aus dem Schwerbehindertenrecht. Streitig ist, ob beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.
Mit Bescheid vom 11.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2012 stellte der Beklagte beim Kläger einen GdB von 30 fest. Dem lagen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde: Funktionsbehinderung des oberen Sprunggelenks links, Funktionsstörung durch Klumpfuß beidseits (beidseits operiert), Funktionsstörung durch Zehenfehlform beidseits, Belastungsbeschwerden.
Im dagegen angestrengten Klageverfahren ist dem Kläger mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2014 ein GdB von 40 ab dem 29.05.2012 (Antragstellung) zugesprochen worden. Grundlage dieser Entscheidung sind vom Gericht eingeholte ärztliche Befundberichte sowie ein Gutachten des Chirurgen Dr. S. vom 18.11.2013 gewesen.
Gegen den Gerichtsbescheid haben die Bevollmächtigten des Klägers Berufung eingelegt und Prozesskostenhilfe beantragt. Sie haben die Berufung damit begründet, dass der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt sei. Schon im erstinstanzlichen Verfahren sei auf die psychischen Probleme des Klägers hingewiesen worden. Auch seien entsprechende Unterlagen nachgereicht worden. Die Ausführungen des (chirurgischen) Sachverständigen, dass der Kläger bei der Untersuchung psychisch unauffällig gewesen sei, seien keine verwertbare gutachterliche Stellungnahme.
II.
Prozesskostenhilfe (PKH) ist nicht zu gewähren, da eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der Berufung nicht besteht.
Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Aussicht auf Erfolg ist unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bezüge auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.1979, Az.: 1 BvL 97/78). Verfassungsrechtlich ist es zwar nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung von PKH davon abhängig gemacht wird, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Aussicht auf Erfolg soll aber nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet, dass PKH nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, Az.: 2 BvR 94/88). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann nicht nur die Behandlung schwieriger Rechtsfragen im PKH-Verfahren zu einer unzulässigen Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens führen. Auch Beweiserhebungen oder Beweiswürdigungen müssen daraufhin untersucht werden, ob sie den Rahmen des PKH-Verfahrens sprengen. So darf PKH nicht verweigert werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008, Az.: 1 BvR 1807/07).
Dies bedeutet im Gegenschluss, dass die Gewährung von PKH wegen fehlender hinreichender Aussicht auf Erfolg dann abzulehnen ist, wenn unter Zugrundelegung objektiver Maßstäbe die Beweisaufnahme nach Lage der Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem für den Betroffenen negativen Ergebnis führen wird oder wenn die Beweisaufnahme bereits abgeschlossen ist und alles auf ein Scheitern des Begehrens in der Sache hindeutet. Gleiches gilt, wenn nach objektivem Maßstab eine Beweisaufnahme überhaupt nicht erforderlich ist und das Ergebnis des Verfahrens für den Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ sein wird (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 03.05.2012, Az.: L 15 SB 53/12 B PKH).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Aussicht auf Erfolg ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts; auf einen früheren Zeitpunkt, nämlich den Zeitpunkt der Entscheidungsreife, ist nur dann abzustellen, wenn die Entscheidung durch das Gericht grundlos verzögert worden ist und sich zwischenzeitlich die Sach- oder Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers geändert hat (vgl. Beschluss des Senats vom 08.08.2011, Az.: L 15 SB 107/11 B PKH; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl. 2012, § 73 a, Rn. 7d).
Im vorliegenden Fall kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass eine hinreichende Aussicht auf Erfolg für die Berufung nicht besteht und daher die Bewilligung von PKH abzulehnen ist.
Mit dem erstinstanzlichen Gutachten des Dr. S. ist eine überzeugende Grundlage für die Entscheidung vorhanden. Irgendwelche fundierten Hinweise darauf, dass dieses Gutachten unzutreffend wäre oder die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nicht vollständig würdigen würde, gibt es nicht.
Die Einwendungen der Bevollmächtigten des Klägers, dass beim Kläger eine psychische Erkrankung vorliege, die bislang nicht gutachtlich zutreffend bewertet worden sei und die zu einem GdB von 50 führe, ist nicht plausibel. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass der Kläger im Zeitraum seit der Antragstellung unter einer psychischen Erkrankung leiden würde, die von Relevanz für die Beurteilung des GdB sein könnte.
Zwar hat der Kläger im Rahmen der Begutachtung durch Dr. S. diesem gegenüber angegeben, dass er psychische Störungen habe, die mit den Veränderungen am Fuß zusammenhängen würden. Der Sachverständige selbst hat aber derartige psychische Beeinträchtigungen nicht feststellen können. Diese Einschätzung des Sachverständigen wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass er Facharzt für Chirurgie, nicht aber für Psychiatrie ist. Denn allein aus der Facharztbezeichnung kann nicht darauf geschlossen werden, dass dem Sachverständigen jegliche Kenntnisse zur Beurteilung fachfremder Gesundheitsstörungen fehlen würden (vgl. Beschluss des Senats vom 08.08.2011, Az.: L 15 SB 107/11 B PKH).
Dass die Feststellung des Dr. S. zum psychischen Gesundheitszustand des Klägers zutreffend ist, ergibt sich auch daraus, dass es keinerlei Befundberichte gibt, die auf eine aktuelle psychische Erkrankung hindeuten würden. Sofern die Bevollmächtigten des Klägers im Erörterungstermin vom 18.11.2013 vor dem Sozialgericht psychotherapeutische Befunde übergeben haben, datieren diese aus dem Jahr 2003 und 2004. Später, insbesondere im Zeitraum ab Antragstellung, ist der Kläger nicht mehr entsprechend fachärztlich behandelt worden.
Dass beim Kläger keine GdB-relevanten psychischen Beschwerden vorliegen, folgt zudem aus dem vom Senat eingeholten Befundbericht des behandelnden Hausarztes des Klägers vom 20.05.2014. Dieser hat ausdrücklich darüber berichtet, dass er keine psychischen Auffälligkeiten gefunden habe. Es ist für den Senat daher nicht nachvollziehbar, wie die Bevollmächtigten des Klägers auf ausdrückliche Nachfrage des Senats vom 25.03.2014 im Schriftsatz vom 03.04.2014 ausführen können, dass sich der Hausarzt des Klägers um den Kläger auch im Rahmen der psychischen Beschwerden gekümmert habe. Tatsächlich liegen - so die Angaben des Hausarztes des Klägers - keine psychischen Beschwerden vor.
Ein Anspruch auf PKH ergibt sich auch nicht daraus, dass der Senat hinsichtlich der psychischen Beschwerden einen Befundbericht vom behandelnden Arzt eingeholt hat und damit in die Ermittlungen von Amts wegen eingetreten ist. Zwar ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Einleitung von Ermittlungen von Amts wegen durch das Gericht einen Anspruch auf PKH begründet. Dies gilt aber dann nicht, wenn die vom Gericht durchgeführten Ermittlungen allein deswegen veranlasst worden sind, weil die PKH begehrende Partei unzutreffende Angaben gemacht hat und die Ermittlungen nur dazu erforderlich waren, die Unrichtigkeit des Vortrags zu belegen. Denn in einem solchen Fall hat, wie sich durch die Ermittlungen und damit im Nachhinein gezeigt hat, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden. Vielmehr hat in einem solchen Fall nur der tatsächlich unzutreffende Vortrag der Partei zunächst den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich wären. Dass sich dieser Eindruck erst nachträglich als falsch herausgestellt hat, kann nicht dazu führen, dass PKH zu gewähren wäre. Würde man dies anders sehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass sich ein Kläger durch das Aufstellen unrichtiger Behauptungen PKH verschaffen könnte, die ihm tatsächlich wegen fehlender Erfolgsaussichten nicht zustehen würde. Dass ein derartiges Ergebnis als Belohnung falscher oder unlauterer Angaben nicht akzeptabel wäre, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Für eine weitere Begutachtung des Klägers besteht daher vorliegend kein Anlass.
Wegen der fehlenden Erfolgsaussichten kann PKH nicht gewährt werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).