Bayerisches LSG - Urteil vom 18. Januar 2005 - Az.: L 15 SB 42/02 -


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger seit September 2000 die Schwerbehinderteneigenschaft vorliegt.

Der 1948 geborene Kläger stellte im September 2000 erstmals Antrag auf Feststellung nach § 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) - seit 01.07.2001 nach § 69 Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX) - wegen der Folgen eines kurz zuvor aufgetretenen Vorderwandinfarkts. Nach Beiziehung eines Befundberichts von dem Allgemeinmediziner Dr. K. mit einem Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 20.09.2000 erließ der Beklagte nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr. N. am 24.11.2000 einen Bescheid, mit dem als Behinderung festgestellt wurde: "Herzleistungsminderung, abgelaufener Herzinfarkt." Der Grad der Behinderung (GdB) betrage 30. Die Kniebeschwerden des Klägers seien nicht als Behinderungsleiden festzustellen, da sie keinen GdB von wenigstens 10 erreichten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und wies darauf hin, dass nach einem Befund des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in R. / Prof. Dr. N. vom 26.09.2000 die Pumpfunktion seines Herzens nur 42 % betrage.

In seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.12.2000 verwies Dr. H. auf den Kurentlassungsbericht, wonach der Kläger bis 75 Watt habe belastet werden können; der festgesetzte GdB von 30 sei daher korrekt. In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.01.2001 schlug Dr. L. als grenzwertig vertretbar einen GdB von 40 vor, da sich laut der im Kurentlassungsbericht dokumentierten Belastungsuntersuchung am Fahrradergometer (bereits ab 57 Watt) Hinweise auf eine belastungsabhängige Ischämiereaktion ergeben hätten. Der Beklagte erließ daraufhin am 25.01.2001 einen Abhilfebescheid, in dem der GdB ab 14.09.2000 auf 40 festgesetzt und als Behinderungen festgestellt wurden: "Herzleistungsminderung bei Zustand nach Herzinfarkt, Coronardilatation und Stentimplantation."

Der Kläger legte auch gegen den Abhilfebescheid Widerspruch ein und teilte mit, er fühle sich nach seinem Befinden zu ca. 80 % eingeschränkt. Er habe entsprechend seiner Herzleistung mit einem GdB von 58 gerechnet.

Daraufhin erging am 23.02.2001 ein zurückweisender Widerspruchsbescheid, in dem u.a. erklärt wurde, dass der Normwert der Auswurffraktion nur bei 55 bis 60 % liege, so dass die beim Kläger festgestellten 42 % keineswegs so schlecht seien, wie von ihm angenommen.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben und einen höheren GdB als 40 begehrt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr. K. , von dem Nuklearmediziner Dr. H. und der Internistin Dr. L. beigezogen. Sowohl in der Ergometrie als auch in der Stress-Echokardiographie waren Belastungsanstiege bis 100 Watt möglich. Es sei eine stabile Situation erkennbar, eine mäßiggradige Pumpfunktionseinschränkung der linken Herzkammer ohne Zeichen einer Links- oder Rechtsherzinsuffizienz, auch keine sicheren Zeichen einer Belastungsischämiereaktion im Stress-Echotest. Das FT-Echo habe eine geringe Dilatation des enddiastolischen Durchmessers auf 57 mm ergeben. Anschließend hat das Sozialgericht den Allgemeinmediziner Dr. Z. als Sachverständigen gehört. Dieser hat in seinem Gutachten vom 19.11.2001 aufgrund persönlicher Untersuchung des Klägers festgestellt, dieser sei als Diplom-Ingenieur und Betriebsleiter (vollschichtig) bei einer Firma, die Druckgussstahlformen produziere, tätig. Bei körperlicher Anstrengung komme es zu Atemnot und Herzstechen. Er könne in der Ebene einige Stunden gehen, bergauf nicht mehr. Er wohne zu Hause im 3. Stock, könne drei Stockwerke ohne Atemnot hinaufsteigen, wenn er etwas trage, müsse er im zweiten Stock pausieren. Jeden Abend habe er Schmerzen im rechten Sprunggelenk, sporadisch am rechten Kniegelenk. Dr. Z. hat aus folgenden Gründen den GdB von 40 bestätigt: Die nach dem Herzinfarkt des Klägers durchgeführte Herzkatheteruntersuchung habe eine Dreigefäßerkrankung ergeben. Es sei eine Aufdehnungsbehandlung des RIVA durchgeführt worden. Der Blutdruck (130/80) sei medikamentös gut eingestellt. Es lägen eine geringe Vorhoferweiterung sowie Wandbewegungsstörungen der Herzscheidewand und insgesamt eine mäßiggradige Pumpfunktionsstörung des Herzens vor. Insgesamt handele es sich um eine Herzminderleistung leichteren Grades, denn Herzbeschwerden träten erst bei stärkerer körperlicher Belastung auf. Der GdB von 40 sei eher etwas großzügig angesetzt worden. Für die Knie- und Sprunggelenksschmerzen sei kein eigener GdB möglich, da diese Gelenke frei beweglich seien.

Nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Stellungnahmefrist hat der Kläger Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. Z. erhoben und nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. N. als Sachverständigen benannt. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 105 SGG hat er vorgetragen, im Abschlussbericht der B.-Klinik sei ausgeführt worden, dass höhere Alltagsbelastungen (über 50 Watt) strikt zu vermeiden seien. Bei der geringsten Belastung steige inzwischen sein Puls über 100 Schläge pro Minute. Es sei eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten.

Das Sozialgericht Regensburg hat mit Gerichtsbescheid vom 26.03.2002 die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. Z. gestützt. Entgegen der Auffassung des Klägers habe Dr. Z. kein Belastungs- EKG durchführen müssen, da der Kläger kurz zuvor von der Kardiologin Dr. L. entsprechend untersucht worden sei. Der Bericht der B.-Klinik über den Aufenthalt des Klägers vom 23.07. bis 20.09.2000 sei überholt, weil die obengenannte Kardiologin ausdrücklich von einer stabilen Situation ausgegangen und eine Verschlimmerung nicht objektiviert worden sei. Der Antrag des Klägers nach § 109 SGG sei als verspätet abzulehnen gewesen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung bei dem Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und am 30.04.2002 zur Niederschrift beim Sozialgericht Regensburg beantragt, den Beklagten zur Feststellung eines GdB von mindestens 50 zu verurteilen.

Nach Beiziehung eines Befundberichts des Orthopäden Dr. H. , zu dem Dr. T. versorgungsärztlich Stellung genommen hat, ist auf den nochmals gestellten Antrag des Klägers nach § 109 SGG Prof. Dr. N. beauftragt worden, ein internistisches Gutachten nach Untersuchung des Klägers zu erstellen. Dieses ist mit dem Datum vom 17.02.2003 am 14.03.2003 vorgelegt worden. Aufgrund der im Krankenhaus Barmherzige Brüder R. vorliegenden Befunde und der Ergebnisse eines EKG, Belastungs-EKG und Echokardiographie am 19.12.2002 seien die Folgen des am 07.08.2000 erlittenen Herzvorderwandinfarkts zutreffend mit GdB 40 eingeschätzt.

Mit Schriftsatz vom 01.04.2003 hat der Kläger beanstandet, dass er Prof. Dr. N. nicht persönlich kennengelernt habe, sämtliche Untersuchungen habe Dr. P. durchgeführt. Er hat ferner vorgetragen, er befürchte, bei seiner beruflichen Belastung mit durchschnittlich 45 Stunden pro Woche nicht das reguläre Rentenalter von 65 Jahren zu erreichen. Sein Ziel sei es, durch Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft seine Restarbeitszeit zu verkürzen. Wegen seiner Ehescheidung 1994 habe er nur einen geringen Rentenanspruch zu erwarten.

Mit Schriftsatz vom 27.07. hat der Kläger mitgeteilt, während einer Kur in der Reha-Klinik F. der BfA in Bad S. im Juli 2003 sei eine eindeutige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes festgestellt worden. Zum Beweis hat er einen Bericht über eine Ergometerübungsbehandlung vom 02.07.2003 übersandt. In dem vom Gericht beigezogenen Entlassungsbericht vom 22.07. 2003 sind neben der Herzerkrankung und der Hypertonie als Rehabilitationsdiagnosen aufgeführt: Hyperurikämie, Hyperlipoproteinämie und rezidivierende belastungsinduzierte Gonalgie rechts bei degenerativen Veränderungen. Ein Echokardiogramm habe eine mäßige bis hochgradige Dilatation des linken Ventrikels von maximal 70 - 72 mm enddiastolisch ergeben. Ein Belastungs-EKG vom 02.07.2003 habe bei Tretkurbelarbeit im Liegen eine stufenweise Belastung von 25 bis 75 Watt erlaubt. Es sei dementsprechend ein Ergometertraining beginnend mit 25 Watt und eine Bewegungstherapie in der Herz-Kreislaufgruppe IV (25 Watt) verordnet worden. Insgesamt habe der Kläger während des Heilverfahrens 48 Watt über eine Dauer von 13 Minuten treten können. Es seien ein venöses Gefäßtraining, Entspannungstraining und ein psychologisches Einzelgespräch aufgrund geklagter Depressivität durchgeführt worden. Auch sei Einzelkrankengymnastik zur Erhöhung der schmerzfreien Wirbelsäulen- und Kniegelenksbeweglichkeit verordnet worden. Die psychologischen Untersuchungen hätten unter anderem eine klinisch relevante depressive Symptomatik ergeben. Insgesamt sei der Kläger in seinem zuletzt ausgeübten Beruf aber weiterhin vollschichtig leistungsfähig.

Der Beklagte hat nach versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Chirurgen Dr. T. und des Internisten Dr. S. keine Änderung der bisherigen Einschätzung für erforderlich gehalten.

Die im Auftrag des Senats von der Nervenärztin Dr. K. durchgeführte Untersuchung und Begutachtung des Klägers hat zwar ergeben (Gutachten vom 13.02.2004), dass die Muskelmasse des rechten Oberschenkels des Klägers (leicht) vermindert ist, jedoch ohne Nachweis von Kraftminderungen oder relevanten sensiblen Störungen. Erschwerte Steh- und Gehversuche hätten lediglich geringfügige unspezifische Unsicherheiten beim Strich-Blind-Gang ergeben. Die Wirbelsäulenfunktion sei - neuroorthopädisch untersucht - nicht wesentlich eingeschränkt. Psychopathologisch sei auffällig, dass der Kläger recht intensiv über seine Beschwerden klage, sich auch immer wieder über Heimweh (nach Sachsen), eine vorzeitige Berentung sowie einen Tinnitus äußere. Eine tiefergehende depressive Erkrankung sei trotz eines gewissen subjektiven Leidensdrucks nicht feststellbar; es würden auch weder psychopharmakologische noch psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt. Der kompensierte Tinnitus erreiche nicht das Ausmaß einer Behinderung. Eine Erhöhung des GdB von 40 sei aus Sicht der Sachverständigen nicht möglich.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2004 hat der Kläger mitgeteilt, dem gerichtlichen Vorschlag, die Berufung zurückzunehmen, nicht folgen, sondern ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG beantragen zu wollen. Mit Beweisanordnung vom 22.04.2004 ist daraufhin der Internist Dr. P. zum ärztlichen Sachverständigen ernannt worden. Bereits am 29.04. hat der Kläger ein zweiseitiges Gutachten des Dr. P. vom 22.04. vorgelegt.

Demnach hat Dr. P. den Kläger am 22.04.2004 untersucht und dabei ein EKG, eine Fahrradergometrie und ein Herzecho mit Farbdoppler durchgeführt. Es sei eine Belastung über 6 Minuten bis zu 100 Watt möglich gewesen. Die linke Kammer sei deutlich dilatiert (enddiastolisch 68,5 mm), die Pumpfunktion global mittelgradig eingeschränkt, der linke Vorhof gering vergrößert (41,5), rechte Kammer und rechter Vorhof seien normal groß. Nach Auffassung von Dr. P. sei es seit dem Herzinfarkt am 07.08.2000 zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung der Funktion der geschädigten linken Kammer gekommen. Dies zeige sich an der allmählichen Vergrößerung, die inzwischen zum Vollbild einer dilatativen Kardiomyopathie geführt habe. Entsprechend habe die Leistungsfähigkeit des Klägers abgenommen. Es bestehe regelmäßig Luftnot bei bereits mäßiger Anstrengung zum Beispiel beim Treppensteigen über ein bis zwei Stockwerke. Auch die geistige Leistungsfähigkeit sei ab der zweiten Tageshälfte reduziert. Der GdB betrage daher mindestens 50.

Nach Auffassung von Dr. S. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.05.2004 enthalte der Untersuchungsbefund von Dr. P. die wesentlichen Ergebnisse für eine kardiale Leistungsbeurteilung. Es scheine tatsächlich zu einer Vergrößerung der linken Herzkammer gekommen zu sein. Genaue Vergleiche seien jedoch nicht möglich. Allerdings werde die linksventrikuläre Pumpfunktion gleichbleibend als mittelgradig eingeschränkt beschrieben. Somit habe sich im Verlauf keine wesentliche Änderung gezeigt. Eine strenge Korrelation zwischen körperlicher Leistungsfähigkeit und Größe des linken Ventrikels sei bei gleichbleibender Pumpfunktion nicht herstellbar. Die von Dr. P. genannte Begründung für die stark reduzierte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erfülle die in den Anhaltspunkten 1996 auf Seite 87 vorgeschriebenen Voraussetzungen für eine kardiale Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung noch nicht. Die Befunde sprächen eher für eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, der der Einzel-GdB von 40 durchaus Rechnung trage.

Dr. P. hat nach zwischenzeitlichem Schriftwechsel am 22.07.2004 aufgrund der Beweisanordnung des Gerichts ein weiteres knappes (dreiseitiges) Gutachten übersandt. Zusätzlich zur Untersuchung am 22.04. hat Dr. P. den Kläger am 21.07. über zwei Stockwerke Treppen steigen lassen und nach einem Stockwerk die Herzfrequenz gemessen. Der GdB von 50 sei zumindest ab Untersuchungszeitpunkt auch deshalb begründet, weil der Kläger bereits nach Steigen über ein Stockwerk deutliche Luftnot verspürt habe.

Für den Beklagten hat am 23.08.2004 nochmals Dr. S. mit ähnlichem Ergebnis wie zuvor Stellung genommen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 20.09.2004 ist Prof. Dr. N. zur Stellungnahme aufgefordert worden, ob die Angabe des Klägers zutreffe, dass er alle Kontakte mit diesem bei der Begutachtung an Dr. P. übertragen habe. Prof. Dr. N. hat am 30.09. 2004 geantwortet, er habe die Beweisfragen aufgrund der in der Abteilung bekannten und vorliegenden Befunde, der Aktenlage und der Ergebnisse der ambulanten Untersuchung am 19.12. 2002 beantworten können. Das vom Kollegen P. angefertigte Gutachten sei von ihm nach eigener Überzeugung und Überprüfung unterzeichnet worden, ein persönliches Gespräch mit dem Kläger sei nicht erforderlich gewesen.

Zuletzt ist mit gerichtlichem Schreiben vom 03.11.2004 unter anderem ein Arztbrief der Internistin Dr. L. vom 02.08.2001 an den Beklagten übersandt und darauf hingewiesen worden, dass sich aus den Akten seit September 2000 durchaus eine deutliche Vergrößerung des Herzens des Klägers feststellen lasse.

Mit Schriftsatz vom 15.11.2004 hat der Beklagte daraufhin ein Vergleichsangebot vorgelegt, in dem er sich bereit erklärte, beim Kläger ab Juli 2003 einen GdB von 50 festzustellen. Das Angebot stützte sich auf eine Stellungnahme von Dr. S. , der unter Berücksichtigung sämtlicher aktenkundiger Herzbefunde des Klägers festgestellt hat, dass zwar die globale Pumpfunktion der linken Herzkammer über Jahre hinweg als gleichbleibend mittelgradig eingeschränkt zu beurteilen gewesen sei. Dies gelte im Wesentlichen auch für die daraus resultierende Leistungsfähigkeit des Klägers. Die Zunahme der Dilatation des linken Ventrikels von 57 mm im August 2001 auf 68 bis 72 mm ab Juli 2003 (Reha- Klinik Bad S.) stelle jedoch eine wesentliche Befundverschlechterung dar, die wohl auch mit einer Abnahme der körperlichen Belastbarkeit einhergehe. Im Entlassungsbericht vom 22.07.2003 sei der Kläger nur noch für fähig gehalten worden, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (nicht dauernd mittelschwer) vollschichtig auszuüben. Unter Ausschöpfung des gutachterlichen Beurteilungsspielraumes seien daher ein GdB von 50 ab Juli 2003 sowie das Merkzeichen "G" gerechtfertigt.

Nach versorgungsrechtlicher Prüfung hat der Beklagte in diesem Grenzfall zwar der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines Herzleidens zugestimmt, der Zuerkennung des Merkzeichens "G" aber widersprochen, weil keine ständige kardiale Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (bei Herzschäden wenigstens der Gruppe 3 nach den "Anhaltspunkten") vorliege, und am 15.11.2004 ein Vergleichsangebot nur hinsichtlich der Feststellung eines GdB von 50 ab Juli 2003 vorgelegt.

Der Kläger hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen, da ihm bereits ab August 2000 ein GdB von 50 zustehe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Regensburg vom 26.03.2002 und des Bescheids vom 24.11.2000 in der Fassung des Bescheids vom 25.01.2001 und des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2001 zu verurteilen, bei ihm ab September 2000 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 26.03.2002 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Schwerbehindertenakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§ 51 Abs. 1 Nr.7 SGG i.V.m. § 69 SGB IX, §§ 143, 151 SGG), erweist jedoch als unbegründet.

Dem Kläger steht seit seiner Antragstellung (September 2000) kein höherer GdB als 40 zu. Der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft konnte nicht erbracht werden.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 26.03. 2002 ist ebensowenig zu beanstanden wie die angefochtene Entscheidung des Beklagten. Das Vergleichsangebot des Beklagten vom 05.11.2004, wonach dieser unter Ausschöpfung seines Beurteilungsspielraums einen GdB von 50 ab Juli 2003 festgestellt hätte, wurde vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 18.01.2005 nicht mehr aufrecht erhalten, nachdem es der Kläger nicht angenommen hatte.

Die Feststellung einer Behinderung und des GdB richtete sich bis 01.07.2001 nach §§ 3 und 4 SchwbG, danach nach §§ 2 und 69 SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei gelten die gemäß § 30 Abs.1 des Bundesversorgungsgesetzes festgelegten Maßstäbe entsprechend, insbesondere sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP) 1996 und 2004 zur Bewertung des GdB heranzuziehen. Obwohl diesen Regelungen nach wie vor eine gesetzliche Ermächtigung fehlt, kommt ihnen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts rechtnormähnliche Qualität zu mit der Folge, dass die AP im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung auf alle betroffenen Bürger wie untergesetzliche Normen von Verwaltung und Gerichten zu beachten sind (BSG Urteil vom 11.10.1994, SozR 3-3870 § 3 Nr. 5; Urteil vom 18.09.2003 SozR 4-3250 § 69 Nr. 2; ferner Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.03.1995, SozR 3-3870 § 3 Nr. 6).

Der am 07.08.2000 eingetretene akute Herzvorderwandinfarkt des Klägers aufgrund eines Verschlusses eines Koronargefäßes wurde durch Rekanalisation, Ballondilatation und Stentimplantation so erfolgreich behandelt, dass nach den AP Nr.26.9 zwar eine Leistungsbeeinträchtigung des Klägers bei mittelschwerer Belastung mit einem GdB von 40 anzunehmen ist, jedoch noch nicht eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung mit der Folge der Schwerbehinderteneigenschaft. Dies steht nach Auffassung des Senats aufgrund des Gutachtens von Dr. Z. vom 19.11.2001, des Entlassungsberichts der Reha-Klinik Bad S. vom 22.07.2003 sowie der Gutachten des Internisten Dr. P. vom 22.04. und 22.07.2004 fest. Die in den AP Nr.26.9 bei Herzkrankheiten der Gruppe 3 (mit GdB 50 bis 70) geforderten Beschwerden sowie pathologischen Messdaten bereits bei Ergometerbelastung mit 50 Watt wurden bei den Untersuchungen des Klägers niemals festgestellt. Lediglich im Entlassungsbericht der B.-Klinik wurde am 20.09.2000 bei einer Belastungsechokardiographie ab 75 Watt eine Ischämiereaktion dokumentiert. Sowohl bei Dr. L. als auch in Bad S. und bei Dr. P. konnte der Kläger jeweils ergometrisch bis 75 bzw. 100 Watt belastet werden, ohne dass sich ischämietypische Veränderungen gezeigt hätten.

Zwar hat sich inzwischen eine sekundäre dilatative Kardiomyopathie beim Kläger entwickelt; der enddiastolische Durchmesser des linken Vertrikels betrug im Juli 2003 70 bis 72 mm, bei Dr. P. im April 2004 68,5 mm gegenüber 57 mm im August 2001 bei Dr. L. Der Internist und Kardiologe Dr. S. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.11.2004) kam auch - allerdings nur aufgrund einer äußerst großzügigen Betrachtungsweise - zu dem Ergebnis, dass die neu aufgetretene Linksherzdilatation als Verschlimmerung der kardialen Leistungsbeeinträchtigung anzusehen sei und ab Juli 2003 einen GdB von 50 rechtfertige. Dieser Auffassung konnte sich der Senat jedoch nicht anschließen. Denn Dr. S. hat selbst in seiner Stellungnahme vom 23.08.2004 dargelegt, dass die echokardiographisch gemessene Herzgröße für die GdB-Bewertung zweitrangig ist, da beim Kläger eine kardial bedingte Leistungsbeeinträchtigung bei bereits alltäglicher leichter Belastung nicht vorliegt. Dafür dass der Kläger trotz seines Herzleidens noch stärker belastet werden kann, spricht, dass er bei Dr. Z. angab, in der Ebene einige Stunden gehen und drei Stockwerke ohne Atemnot ersteigen zu können. In Bad S. wurde dokumentiert, dass der Kläger in der Ebene wenig Beschwerden beim Gehen hat. Er wurde dort für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeit als vollschichtig leistungsfähig angesehen. Auch die Angaben im Gutachten von Dr. P. , wonach der Kläger zwar zwei Stockwerke hochsteigen könne, jedoch nach einem Stockwerk deutlich Luftnot verspüre, spiegeln eine bessere Belastbarkeit des Klägers wieder, als sie in den AP für Herzkrankheiten der 3. Gruppe vorgegeben ist; danach müsste sich die Leistungsbeeinträchtigung bereits bei Treppensteigen bis zu einem Stockwerk zeigen. Im Übrigen sind die Werte des Klägers, die die Pumpfunktion seiner linken Herzkammer kennzeichnen, trotz der mittlerweile eingetretenen Linksherzdilatation über die Jahre hinweg gleichgeblieben bzw. sogar besser geworden. Die im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder am 26.09.2000 festgestellte Auswurffraktion von 42 % hat sich im Juli 2003 (Bad S.) auf 47 % erhöht und sich damit dem Normwert von 55 bis 60 % angenähert. Schließlich können die vom Kläger immer wieder angeführten niedrigen Belastungen mit weniger als 50 Watt beim Kreislauftrainig nicht als Beweis für die Schwere der Herzerkrankung angeführt werden. Bei einer solchen Dauerbelastung (bis 15 Minuten) auf niedrigem Niveau soll der Kreislauf trainiert werden, jedoch nicht die mögliche körperliche Belastbarkeit geprüft werden.

Neben der Herzerkrankung des Klägers, die aus o.g. Gründen noch nicht mit GdB 50 bewertet werden kann, liegen keine zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von mindestens 10 vor. Die gerichtliche Sachverständige Dr. K. stellte in ihrem Gutachten vom 13.02.2004 nachvollziehbar fest, dass beim Kläger weder eine neurologische noch eine psychische Gesundheitsstörung von Krankheitswert vorliegt. Zwar klagte der Kläger recht intensiv über seine Beschwerden, über die seine Erachtens notwendige vorzeitige Berentung und über Heimweh. Trotz eines gewissen subjektiven Leidensdrucks konnte in diesem Zusammenhang aber keine tiefergehende depressive Erkrankung des Klägers festgestellt werden. Dafür spricht auch, dass der Kläger keine entsprechende Behandlung in Anspruch nimmt. Auch konnte kein behinderndes Ausmaß des vom Kläger geltend gemachten Tinnitus ermittelt werden, insbesondere keine schwerwiegende psychische Begleitreaktion. Bei der neurologischen Untersuchung konnten weder relevante Einschränkungen der Wirbelsäulenfunktion noch relevante sensible Störungen im rechten Bein ermittelt werden. Auch Dr. Z. stellte in seinem Gutachten vom 19.11. 2001 trotz geltend gemachter Schmerzen im rechten Sprunggelenk und sporadischer Kniegelenksschmerzen rechts eine freie Beweglichkeit der Knie- und Sprunggelenke fest. Die Hüftgelenksbeweglichkeit war bei der Innenrotation war reduziert (nur bis 10 Grad möglich). Mangels Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke in anderen Bereichen ergibt sich daraus aber kein GdB von mindestens 10. In Anbetracht dieser Feststellungen, die auch insoweit mit dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik F. in Bad S. vom Juli 2003 übereinstimmen, kann den Befundbericht des Orthopäden Dr. H. , der den Kläger nur einmal im Juli 2001 untersucht hat, kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Dies hat Dr. T. in seiner im Weg des Urkundenbeweises verwerteten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.10.2002 überzeugend dargelegt.

Anzumerken ist, dass bei einem GdB unter 50 die Zuerkennung des Merkzeichens "G" von vornherein ausgeschlossen ist.

Die Berufung war aus diesen Gründen in der Sache nicht erfolgreich.

Das Gutachten von Prof. Dr. N. konnte nicht verwertet werden, weil dieser bestätigt hat, dass er sich keinen persönlichen Eindruck vom Kläger im Rahmen der Begutachtung verschafft hat. Nach dem Beschluss des BSG vom 18.09.2003 - B 9 VU 2/03 B - besteht bzgl. dieses verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Gutachtens ein absolutes Verwertungsverbot.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.