Bayerisches Landessozialgericht - Urteil vom 30.06.2005 - Az.: L 15 SB 86/04
Bei einer Krebserkrankung ist der für diese Erkrankung in den AHP vorgesehene GdB erst ab dem Zeitpunkt festzustellen, in dem das Vorliegen dieser Erkrankung gesichert ist.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beim Kläger ab 01.03.2002 festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft bereits vor dem 16.11.2000, das heißt seit 04.04.2000 vorlag.
Der am 1943 geborene Kläger wurde am 11.04.2002 wegen eines Prostata-Karzinoms operiert. Im Mai 2002 stellte er erstmals beim Beklagten Antrag auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Nach Beiziehung von Befundberichten von Dr. P. (Urologe), Dr. M. (Internist) sowie Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme durch Dr. E. wurde mit Bescheid vom 27.06.2002 ein GdB von 50 wegen folgender Gesundheitsstörungen festgestellt:
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und beantragte die rückwirkende Feststellung des GdB ab 1999, weil seit damals der PSA-Wert erhöht gewesen sei. In einem weiteren beigezogenen Befundbericht vom 30.07.2002 teilte Dr. P. mit, es sei erstmals im Oktober 1999 ein erhöhter PSA-Wert mit 15,96 ng/ml festgestellt worden. Prostatabiopsien im Oktober 1999 und Juli 2001 hätten keinen Anhalt für Malignität gegeben. Nach weiterem Anstieg des PSA-Wertes auf 18,9 ng/ml sei im März 2002 eine sonogesteuerte Sextantenbiopsie durchgeführt worden, die ein mittelgradig differenziertes Prostatakarzinom gezeigt habe.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.08.2002 schlug Dr. F. vor, die Schwerbehinderteneigenschaft (frühestens) ab März 2002 festzustellen. Für den Zeitraum ab 10/1999 bis 2/2002 könne festgestellt werden:
Gesamt-GdB für diesen Zeitraum sei 10. Unter einem GdB von 20 könne jedoch keine Feststellung erfolgen. Der alleinige Nachweis eines erhöhten Laborparameters (hier PSA-Wert) rechtfertige nicht die Anerkennung einer Malignomerkrankung. Erst im März 2002 habe sich in der Biopsie ein Karzinomverdacht bestätigt.
Daraufhin erging am 29.08.2002 ein Teilabhilfebescheid, in dem der bereits festgestellte GdB von 50 rückwirkend ab 01.03.2002 angenommen wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2002 zurückgewiesen.
Der Kläger hat anschließend Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung ist ein ärztliches Attest des Urologen Dr. B. vom 10.10.2002 vorgelegt worden, wonach im Falle des Klägers anzunehmen sei, dass der Prostatatumor bereits 1999 oder früher vorhanden gewesen sei. Dafür spreche eindeutig der erhöhte Tumormarker PSA. Es ist außerdem ein Attest des Operateurs Prof. Dr. W. vom 29.10.2002 vorgelegt worden, der die Auffassung vertreten hat, dass auf Grund des histologischen Befundes und der Ausdehnung des Karzinoms mit Sicherheit davon auszugehen sei, dass dieses bereits vor November 2000 bestanden habe.
In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.02.2003 hat der Internist Dr. S. ausgeführt, dass die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) grundsätzlich nach Entfernung der Prostata bei fehlenden Miktionsstörungen / Inkontinenzbeschwerden keinen GdB (von wenigstens 10) vorsähen. Der GdB von 50 nach Entfernung eines malignen Prostatatumors werde für die Zeit der Heilungsbewährung festgestellt. Mit dem Abwarten dieses Zeitraums (beim Kläger fünf Jahre) werde der Tatsache Rechnung getragen, dass Tumorerkrankungen zu Rezidiven neigen und dass dieses Wissen für die Patienten eine außergewöhnlich belastende Situation darstelle, zu der die Operationsfolgen und eventuell postoperativ notwendige Tumortherapien wie Bestrahlung, Chemotherapie oder Hormontherapie kämen. Es solle dem Betreffenden durch den höheren GdB erspart werden, die jeweiligen Befindlichkeitsstörungen eigens geltend machen zu müssen.
Mit Schriftsatz vom 28.03.2003 hat der Kläger eingewandt, die versorgungsärztliche Stellungnahme gehe nicht auf die Feststellung der AP 1996 auf S.113 ein, wo es heißt: "Maligner Prostatatumor ohne Notwendigkeit einer Behandlung, GdB 50; auf Dauer hormonbehandelt, GdB 60."
Dr. S. hat darauf in seiner Stellungnahme vom 10.04.2003 erwidert, dass eine Tumorerkrankung als Behinderung erst ab dem Zeitpunkt des zweifelsfreien Nachweises festgestellt werden könne, auch wenn jeder entdeckte Tumor zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine Wachstumsphase hinter sich habe, die je nach Art des Tumors unterschiedlich lang sei. Die bereits von ihm erwähnte belastende Situation, die beim Wissen um eine Krebserkrankung generell unterstellt werde, führe dazu, dass selbst ein nicht behandlungsbedürftiger maligner Prostatatumor ohne wesentliche Beschwerden mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet werde. Nach dem Lehrbuch "Labor und Diagnose" seien PSA-Erhöhungen über 10 ng/ml in bis zu 25 % der Fälle auch ohne Prostatakarzinom bekannt. Zwar habe der Kläger im Oktober 1999 in Anbetracht des PSA-Werts von 15,96 ng/ml bereits von einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit ausgehen können, dass ein maligner Tumor vorliege. Aufgrund der unauffälligen Prostatabiopsien 1999 und 2000 habe andererseits der Kläger zum damaligen Zeitpunkt mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen können, dass er doch nicht an einem Tumorleiden erkrankt sei. Auch wenn die erhöhten PSA-Werte retrospektiv dem Tumor zugeordnet werden müssten, sei es nicht gerechtfertigt, den erhöhten GdB von 50 rückwirkend festzustellen, da weder 1999 noch 2000 das besonders belastende Wissen um eine Tumorerkrankung beim Kläger vorgelegen habe.
Mit Schriftsatz vom 10.06.2003 hat der Kläger ein Gutachten des Urologen Dr. B. vom 30.05.2003 vorgelegt. Darin hat dieser die Auffassung vertreten, dass der Anstieg des PSA-Werts beim Kläger spätestens am 04.04.2000 die Diagnose "Prostatakarzinom" hoch wahrscheinlich gemacht habe, auch wenn die therapierelevante histologische Bestätigung erst am 18.03.2002 habe erbracht werden können. Dies sei ein bekanntes diagnostisches Dilemma des urologischen Fachgebiets. Der GdB von 50 sei auch im Hinblick auf die häufigen urologischen Kontrollen und die psychische Belastung in der Zeitspanne 10/1999 bis 3/2002 gerechtfertigt. Der Kläger sei ab dem 04.04.2000 davon ausgegangen, einen Prostatakrebs zu haben. Er habe davon gewusst und sei davon belastet gewesen.
Darauf hat Dr. S. für den Beklagten erwidert, um die Frage, ob das im März 2002 stanzbioptisch gesicherte Karzinom schon 1999 vorhanden gewesen sei, gehe es bei der Bewertung der Behinderung "Erkrankung der Prostata (in Heilungsgewährung)" nicht. Bis März 2002 habe es lediglich eine Verdachtsdiagnose gegeben. Die beim Kläger anzunehmende gewisse Unsicherheit in den Jahren 1999/2000/2001 bezüglich des weiteren Verlaufs sei nicht mit dem Zustand gleichzusetzen, der sich an die Diagnose "Krebs" anschließe. Falls schon früher als 2002 die Diagnose Prostatakarzinom zulässig gewesen wäre, wäre bereits damals eine entsprechende Operation durchgeführt worden. Alles andere wäre sonst als Kunstfehler zu werten gewesen.
Mit Schriftsätzen vom 30.07. und 23.12.2003 hat der Kläger mitgeteilt, er sei bereits ab 04.04. 2000 psychisch außergewöhnlich belastet gewesen, da er ab diesem Zeitpunkt von einer Tumorerkrankung habe ausgehen können. Die Ungewissheit müsse in seinem Fall sogar schwerer wiegen als die Gewissheit des Bestehens der Tumorerkrankung.
Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht Regensburg die Klage abgewiesen. Für den Antrag auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (ab 1999 bzw. April 2000) sei zwar ein besonderes rentenrechtliches Interesse gegeben. Die Schwerbehinderteneigenschaft sei jedoch zu Recht erst ab März 2002 festgestellt worden. Nach den AP 1996 Nr.26.1 sei insbesondere bei malignen Geschwulsterkrankungen eine Heilungsbewährung abzuwarten. Die GdB-Werte seien in dieser Zeit auf den Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen. Das Prostatakarzinom sei beim Kläger erst im März 2002 festgestellt worden, auch wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt erste medizinische Anzeichen vorhanden gewesen seien.
Der Kläger hat dagegen mit Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht weiterhin die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft vor dem 16.11.2000 begehrt. Im Wesentlichen hat er seine bereits vorgetragenen Argumente wiederholt.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 14.10.2004 ist darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nicht aussichtsreich erscheine und der Kläger für die Zeit der Ungewissheit über seinen Gesundheitszustand bis zur konkreten Diagnose hinsichtlich seiner psychischen Beeinträchtigungen nach Nr. 26.3 der Anhaltspunkte höchstens einen GdB von 20, sicher nicht von 50 erreichen könne.
Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, eine Operation sei von ihm am 04.04.2000 abgelehnt worden, weil es neben einer radikalen Prostata-Entfernung auch andere schonendere Behandlungsmethoden gegeben habe. Es hätten aber noch keine Langzeitstudien über die neuen Techniken vorgelegen. Zur radikalen Operation habe er sich dann im April 2002 durchringen können.
Auf Anfrage des Gerichts hat der behandelnde Urologe Dr. P. mit Schreiben vom 03.12.2004 mitgeteilt, er habe dem Kläger die Diagnose eines Prostata-Ca erst am 21.03.2002, nachdem das histologische Ergebnis der Biopsie am 18.03.2002 vorlag, eröffnet. Am 11.04.2000 sei mit dem Kläger das Ergebnis der histologischen Untersuchung auf Grund der Prostatabiopsie am 04.04.2000 ausführlichst besprochen worden. Es seien keine spezifischen Behandlungsmöglichkeiten des Prostatakarzinoms erörtert worden, insbesondere deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt histologisch kein Karzinom vorgelegen habe. Der Kläger sei darüber aufgeklärt worden, in mindestens sechsmonatlichen Intervallen PSA-Kontrollen durchführen zu lassen. Dr. P. hat auch die entsprechenden Kopien seiner Karteikarten vorgelegt.
Der Kläger hat daraufhin erwidert, er habe durch entsprechende Fachliteratur im Uniklinikum Regensburg ab April 2000 zweifelsfrei von seiner Krebserkrankung gewusst. Auch mehrere Aussagen von verschiedenen Ärzten hätten seine Gewissheit bestätigt. Auf die Ungenauigkeit bei Stanzbiopsien bei noch kleinem Krebs sei er hingewiesen worden.
Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte ein versorgungsärztliches Gutachten nach Aktenlage von Dr. H. vom 02.02.2005 vorgelegt. Nach den AP 1996 bzw. 2004 Nr. 26.13 liege ein "maligner Prostatatumor ohne Notwendigkeit einer Behandlung", der mit GdB 50 zu bewerten ist, nur in Ausnahmefällen vor. Nur bei sehr alten Patienten und speziellen Einzelfällen im Tumorstadium T1 und hoch differenzierter Histologie sei eine abwartende Strategie möglich. In diesen Fällen liege in der Regel ein erhöhter PSA-Wert vor. Wesentliche weitere Funktionsbeeinträchtigungen träten tumorbedingt oft nicht in Erscheinung. In diesen Fällen bleibe der GdB auf Dauer bestehen, da keine Heilungsbewährung mit Ungewissheit über den Krankheitsverlauf nach der Behandlung, insbesondere nach der Operation bestehe. Diese Fälle, in denen eine Erkrankung nicht oder nur palliativ behandelt werde, könnten nicht auf den Fall des Klägers im Zeitraum des Reifens des Tumors und der noch unklaren Diagnose übertragen werden. Der Kläger hätte auf jeden Fall, sobald die Diagnose festgestanden wäre, operiert werden müssen. Die oben genannte Fallkonstellation "ohne Notwendigkeit einer Behandlung" betreffe nur Fälle bei bekanntem Tumor. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung habe sich zu der rückwirkenden Feststellung einer Behinderung zum 16.11.2000 geäußert und sei dabei auch auf den Fall eines Prostatakarzinoms eingegangen. Dr. H. hat eine Empfehlung des Sachverständigenbeirats vom 13.11.2002 beigefügt, die folgendermaßen lautet: "Bei der aus rentenrechtlichen Gründen notwendigen rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft kommt es allein auf die Beeinträchtigung der Teilhabe in der Gesellschaft durch einen nicht nur vorübergehend vom für das Lebensalter typischen abweichenden Zustand auf Grund einer gesundheitlichen Störung an, die für den Zeitpunkt des Stichtags nachgewiesen ist. Die Anerkennung besonderer Auswirkungen auf Grund einer zum Stichtag noch nicht erkannten Krebserkrankung ist nicht möglich."
Der Kläger hat weiterhin in einem Schreiben vom 12.03.2005 die Auffassung vertreten, dass die Krebserkrankung in seinem Fall ab 04.04.2000 erkannt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 08.06.2004 und Änderung der Bescheide vom 27.06./29.08.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2002 zu verurteilen, den GdB bei ihm vom 04.04.2000 mit 28.02.2002 mit 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 08.06.2004 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) , sie erweist sich jedoch als unbegründet.
Der Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 29.08.2002 die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erst ab März 2002 wegen einer Erkrankung der Prostata (in Heilungsbewährung) festgestellt, weil erst ab diesem Zeitpunkt die Diagnose eines malignen Tumors feststand.
Nach den AP 1996 bzw. 2004 Nr.26.13 ist ein GdB von 50 "nach Entfernung eines malignen Prostatatumors" während der Zeit der - hier dreijährigen - Heilungsbewährung vorgesehen. Dieser Begriff ist in AP Nr.18 Abs.7 dahingehend definiert, dass es sich dabei um einen Zeitraum handelt, in dem bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, der Verlauf der Genesung abgewartet werden muss. Hinzukommt, dass während dieser Zeit ein höherer GdB-Wert, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt, festgestellt wird. Für den Beklagten hat Dr. S. während des Klageverfahrens mehrfach überzeugend und zutreffend dargelegt, dass der Grund für die Feststellung eines GdB von 50 nach Diagnose und Entfernung bzw. Behandlung eines malignen Prostatatumors vor allem in der psychisch außergewöhnlich belastenden Situation zu sehen ist, die für den Erkrankten mit dem Wissen um seine Tumorerkrankung mit Rezidivneigung verbunden ist. Berücksichtigt werden außerdem die Operationsfolgen (die allerdings beim Kläger GdB-wirksam bisher nicht erkennbar sind) und eventuell notwendige postoperative Tumortherapien.
Auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 14/94) hat ausgeführt, dass Sinn der Heilungsbewährung ist, Krebskranken unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zu zubilligen, um dadurch körperliche und seelische Auswirkungen der Erkrankung während des weitgehend noch labilen postoperativen Zustands, der eine unbestimmte Zahl von körperlichen und seelischen Störungen mit sich bringt, umfassend zu berücksichtigen.
Diese Gefahr der unmittelbaren Lebensbedrohung sowie die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung setzen unverzichtbar voraus, dass die Krebserkrankung erkannt und diagnostiziert worden ist und - im Normalfall - behandelt wurde oder wird.
Der Kläger macht zwar geltend, dass er bereits ab April 2000 gewusst habe, dass bei ihm eine Krebserkrankung vorliege. Tatsächlich wurde bei ihm erstmals im Oktober 1999 ein erhöhter PSA-Wert mit 15,96 ng/ml festgestellt, ein etwa gleich hoher Wert im März 2000. Zur Abklärung wurden am 27.10.1999 und am 04.04. 2000 sonogesteuerte Sextantenbiopsien der Prostata durchgeführt, die jedoch den Karzinomverdacht zunächst nicht bestätigten. Am 18.07.2001 wurde ein PSA-Wert von 16,2 und am 04.03.2002 ein Wert von 18,9 ng/ml ermittelt. Erst die am 14.03.2002 durchgeführte erneute Biopsie bestätigte das Bestehen eines Prostatakarzinoms. Rückblickend kann zwar zweifelsfrei festgestellt werden, dass die seit Oktober 1999 erhöhten PSA-Werte mit dem im März 2002 auch histologisch gesicherten Prostatakarzinom im Zusammenhang standen. Auch wenn Dr. B. in seinem Gutachten vom 30.05.2003 zur Tumorwahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit den verschiedenen PSA-Werten feststellt, dass aus urologischer Sicht am 04.04.2000 die Ca-Diagnose zweifelsfrei im Raum gestanden sei, sie nur nicht histologisch habe bestätigt werden können, folgt daraus, dass zu diesem Zeitpunkt (anders als bei retrospektiver Betrachtung mit dem Wissensstand - positive Biopsie - vom März 2002) noch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen war, dass der Kläger an einem Prostata-Ca erkrankt war. Andernfalls hätte bereits damals operiert werden müssen; Zuwarten wäre, wie Dr. S. zutreffend dargelegt hat, ein Kunstfehler gewesen. Dass im April 2000 noch keine sichere Diagnose möglich war, stimmt mit den übrigen Feststellungen von Dr. B. (auf S.4 seines Gutachtens) und denen von Dr. S. (Stellungnahme vom 10.04.2003) überein, wonach PSA-Erhöhungen über 10 ng/ml in bis zu 29 % bzw. 25 % der Fälle auch ohne Prostatakarzinom vorkommen.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bereits vor November 2000 definitiv wusste, dass er an Krebs erkrankt sei. In seinem Schreiben vom 26.12.2004 bezog er sich lediglich auf Fachliteratur und nicht näher bestimmte Gespräche mit Ärzten. Sein Hauptansprechpartner, der behandelnde Urologe Dr. P., hat jedenfalls nachvollziehbar dargelegt, dass mit dem Kläger vor dem 21.03.2002 nicht über eine bei ihm vorliegende Krebserkrankung gesprochen worden ist und auch keine spezifischen Behandlungsmöglichkeiten erörtert worden sind. Es fällt auch auf, dass der Kläger entgegen der Empfehlung von Dr. P., den PSA-Wert halbjährlich kontrollieren zu lassen, ab März 2000 Pausen von 16 und über 7 Monaten eingelegt hat.
Die von den AP aufgestellten Voraussetzungen für die Annahme einer Heilungsbewährung und die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft können nicht auf den Zeitraum der noch nicht gesicherten Diagnose übertragen werden. Dies hat auch nachvollziehbar der Ärztliche Sachverständigenbeirat, Sektion Versorgungsmedizin, beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in seiner Empfehlung vom 13.11.2002 zum Ausdruck gebracht, wonach die rückwirkende Anerkennung besonderer Auswirkungen auf Grund einer zum Stichtag des 16.11.2000 noch nicht erkannten Krebserkrankung nicht möglich ist.
Die Höhe des GdB nach §§ 3 und 4 SchwbG bzw. §§ 2 und 69 SGB IX ergibt sich aus den AP, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten sowohl im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren zu beachten sind (vgl. BSG Urteile vom 23.06.1993 - SozR 3-3870 § 4 Nr.6 -, Urteil vom 11.10.1994 - SozR 3-3870 § 3 Nr.5 - und Urteil vom 18.09.2003 - SozR 4-3250 § 69 Nr.2 -). Für den Inhalt der AP in der jeweils gültigen Fassung sind die Beschlüsse des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung verantwortlich, die von dem zuständigen Ministerium jeweils veröffentlicht werden. Obwohl dieses Regelwerk weder ausdrücklich auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder Verwaltungsvorschrift beruht, handelt es sich dabei um ein auf Erfahrungswerte der Versorgungsverwaltung und Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft gestütztes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB, das normähnlich wirkt. Die einzelnen Vorgaben werden auch mit antizipierten Sachverständigengutachten gleichgesetzt.
Aus diesen Gründen hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.