Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SF 131/10 B E - Beschluss vom 25.08.2010
Eine Kürzung der Verfahrensgebühr auf 170 Euro mit der Begründung, dass die Prozesskostenhilfebewilligung und die Beiordnung erst ab einem Zeitpunkt nach Klageerhebung wirken, ist nicht gerechtfertigt. Mit seiner Beiordnung hat der Anwalt ein normales Klageverfahren in zeitlich gedrängter Weise zu führen. Im übrigen ist eine mit dem Zeitpunkt der Beiordnung begründete Kürzung der Verfahrensgebühr ohnehin nicht zulässig , denn das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bietet keine Grundlage für eine Betrachtungsweise, die auf eine Quotelung der Gebühr hinauslaufen würde. Insbesondere lässt sich eine solche Kürzung nicht darauf stützen, dass bei der Abwägung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der im gesamten Verfahren aufgewendete Arbeits- und Zeitaufwand zu würdigen, nicht nur der Arbeits- und Zeitaufwand nach dem Wirksamwerden der Beiordnung.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Verfahrensgebühr, die dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht.
Im Klageverfahren am Sozialgericht Bayreuth S 15 AS 662/09 ging es um ungekürzte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die die Klägerin seit Klageerhebung am 03.07.2009 vertretende Rechtsanwältin teilte am 16.11.2009 mit, dass sie die Klägerin nicht mehr vertrete. Am 12.11.2009 zeigte der Beschwerdeführer an, dass er die anwaltliche Vertretung der Klägerin übernommen habe, und legte die am 10.11.2009 unterzeichnete Prozessvollmacht vor. Kurz vorher hatte das Sozialgericht einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage für 25.11.2009 anberaumt. Am 18.11.2009 begründete der Beschwerdeführer die Klage, stellte Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung und reichte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Das Sozialgericht bewilligte Prozesskostenhilfe ab 18.11.2009 und ordnete den Beschwerdeführer bei (Beschluss vom 25.11.2009). Im Erörterungstermin am 25.11.2009 schlossen die Beteiligten einen verfahrensbeendenden Vergleich, wobei sich die Beklagte auch verpflichtete, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu einem Drittel zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 26.11.2009 stellte der Beschwerdeführer Kostenerstattungsantrag für Prozesskostenhilfe. Die Vergütung für seine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe bezifferte er auf 845,76 Euro und legte dabei eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250 Euro zugrunde (außerdem: Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200 Euro, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190 Euro, Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 12 Euro, Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 6,67 Euro, Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20 Euro, Dokumentenpauschale für 120 Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG 32,05 Euro: netto 710,72 Euro, zzgl. 19 % MWSt 135,04 Euro: brutto 845,76 Euro; davon ein Drittel die Beklagte). Im Januar 2010 teilte er dem Sozialgericht mit, dass die Beklagte mittlerweile einen Betrag von 281,92 Euro angewiesen habe.
Die Kostenbeamtin setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren am 14.04.2010 auf 430,50 Euro fest:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 170,00 Euro Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 190,00 Euro Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG 12,00 Euro Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7008 VV RVG 6,67 Euro
Zwischensumme: 598,67 Euro 19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 113,75 Euro
Rechtsanwaltsgebühren brutto 712,42 Euro abzüglich Zahlung der Beklagten 281,92 Euro
Gesamt 430,50 Euro
Zur Kürzung der Verfahrensgebühr führte die Kostenbeamtin aus, dass diese sich zwar im gesetzlich gesteckten Gebührenrahmen bewege, aber überhöht sei. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit (Klagebegründung mit Antrag PKH und Vorlage PKH-Unterlagen, Vorbereitung auf den Termin, Entgegennahme PKH-Beschluss) sowie der Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin und deren Einkommensverhältnisse sei die Gebühr auf 170 Euro festzusetzen. Zu beachten sei hierbei, dass der Prozessbevollmächtigte erst mit Schreiben vom 12.11.2009 ins Verfahren eingetreten sei. Zwar werde die Mittelgebühr für das gesamte Verfahren als angemessen erachtet, jedoch sei die vorhergehende Tätigkeit (Klage zur Fristwahrung mit Antrag PKH, Klagebegründung 2,25 Seiten mit PKH-Unterlagen, Entgegennahme Terminsmitteilung) von einer anderen Anwältin geleistet worden, so dass die Gebühr reduziert werden müsse. Im übrigen wurde die Dokumentenpauschale nicht anerkannt.
Mit der Erinnerung hat der Beschwerdeführer begehrt, die Verfahrensgebühr antragsgemäß in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Richtig sei, dass die Tätigkeit des beigeordneten Anwalts einen Anspruch gegen die Staatskasse nur für Tätigkeiten nach dem Wirksamwerden der Beiordnung begründet. Allerdings begründe jede Tätigkeit nach Wirksamwerden der Beiordnung und Auftragserteilung den Anspruch auf die Verfahrensgebühr. Unschädlich sei, dass der Gebührentatbestand auch schon vor der Beiordnung verwirklicht worden sei. Die Verfahrensgebühr könne im Verlauf eines Rechtsstreits mehrfach vom Rechtsanwalt ausgelöst werden, sie könne aber nur einmal geltend gemacht werden.
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 30.04.2010 die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.04.2010 als unbegründet zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen. Die Verfahrensgebühr sei hier nach Nr. 3102 VV RVG zu bemessen, denn der Erinnerungsführer habe die Klägerin nicht schon im Widerspruchsverfahren, sondern erstmals im Klageverfahren vertreten. Die Gebühr bewege sich in einem Rahmen zwischen 40 Euro und 460 Euro, die Mittelgebühr betrage 250 Euro. Die Voraussetzungen für den Ansatz der Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr seien unter Berücksichtigung der zeitlich beschränkten Beiordnung nicht gegeben. Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG entstehe die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Nach Absatz 3 entstehe die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Termin. Die Auffassung, dass die Verfahrensgebühr durch jeden Einzelakt des Anwalts (vor und nach seiner Beiordnung) neu entstehe und auch durch die Wahrnehmung eines Termins neu entstehe, erscheine angesichts dieser klaren normativen Regelung wenig hilfreich. Dem erkennenden Gericht sei auch keine Rechtsgrundlage bekannt, derzufolge nach einer PKH-Bewilligung und Beiordnung die bereits durch "das Betreiben des Geschäfts" entstandene Verfahrensgebühr in derselben Angelegenheit nochmals entstehen könnte. Jede erstmalige anwaltliche Aktivität in derselben Angelegenheit führe zum Entstehen der Gebühr für das "Betreiben des Geschäfts" und damit der Verfahrensgebühr. Jede nachfolgende anwaltliche Aktivität sei eo ipso Teil des schon früher begonnenen "Betreibens" einer bereits entstandenen Verfahrensgebühr und könne demnach selbst nicht mehr gebührenbegründend, sondern allenfalls gebührenerhöhend wirksam sein. Die Sperrwirkung des § 122 ZPO greife nicht, soweit anwaltliche Gebührenforderungen bereits für Zeiten vor der Wirksamkeit der PKH-Bewilligung und Beiordnung bestünden. Der Anwalt könne seine Gebühr nur einmal in Höhe von insgesamt 100 % geltend machen, habe also nicht gegen den Mandanten einen Anspruch von 50 % der ihm nach § 14 RVG zustehenden Verfahrensgebühr und zusätzlich gegenüber der Staatskasse einen weiteren Anspruch in Höhe von 100 % derselben Gebühr. Für das gesamte Verfahren wäre unstreitig die Mittelgebühr von 250 Euro die angemessene Gebühr. Der Anspruch des Anwalts gegen die Staatskasse bestimme sich aber gemäß § 48 Abs. 1 RVG nach der zeitlich beschränkten PKH-Bewilligung und Beiordnung laut Beschluss des Hauptsachegerichts vom 25.11.2009. Die Höhe der Gebühr sei also nach § 14 RVG aufgrund des hier erst ab 18.11.2009 zu berücksichtigenden Sachverhalts zu bestimmen. Beim Eintritt des Erinnerungsführers ins Verfahren am 18.11.2009 sei die Klage bereits anhängig und ausführlich begründet gewesen und die von der Klägerin abzugebenden Erklärungen und Informationen dem Gericht bereits vorgelegt gewesen. Der Erinnerungsführer habe ab seiner Beiordnung am 18.11.2009 nochmals eine Klagebegründung vorgelegt sowie unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie seine Beiordnung beantragt. Nach dem Termin habe der Erinnerungsführer nur noch das Protokoll und den PKH-Beschluss vom 25.11.2009 in Empfang genommen. Eine darüber hinausgehende Aktivität des Erinnerungsführers sei nicht erkennbar. Die Teilnahme am Termin und auch der Abschluss des Vergleichs seien anderweitig über die Termins- und Einigungsgebühr bereits berücksichtigt worden. Eine Doppelberücksichtigung der Terminswahrnehmung und des Vergleichsabschlusses auch bei der Verfahrensgebühr sei nicht zulässig. Die Dauer des Verfahrens habe für den Erinnerungsführer ab dem Wirksamwerden der PKH-Bewilligung und seiner Beiordnung bis zum Abschluss dieser Angelegenheit nur wenige Tage gedauert. Die von der Kostenbeamtin vorgenommene Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe von 170 Euro sei angemessen, aber auch ausreichend und offensichtlich nicht zu beanstanden.
Mit der am 05.05.2010 eingelegten Beschwerde wird weiterhin die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr verlangt. Die Auffassung des Sozialgerichts sei fehlerhaft. Das Sozialgericht verkenne die Rechtsfolgen, die an den Zeitpunkt der PKH-Bewilligung zu knüpfen seien.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.04.2010 aufzuheben, den Festsetzungsbeschluss vom 14.04.2010 abzuändern und über die festgesetzten Kosten hinaus die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr zuzüglich und Mehrwertsteuer zu erstatten.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er schließt sich den Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vollinhaltlich an. Außerdem wird auf die Ausführungen der Staatskasse im Beschwerdeverfahren L 15 SF 303/09 B E hingewiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch statthaft, nachdem das Sozialgericht Bayreuth die Beschwerde im angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG).
Die Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr (250 Euro), so dass sich sein Vergütungsanspruch auf insgesamt 525,70 Euro beläuft (678,67 Euro netto zzgl. 19 % MWSt 128,95 Euro = 807,62 Euro, abzüglich der von der Beklagten angewiesenen 281,92 Euro). Über den am 10.08.2009 festgesetzten Betrag hinaus sind an den Beschwerdeführer aus der Staatskasse also weitere 95,20 Euro zu leisten (Differenz zwischen 525,70 Euro und 430,50 Euro).
Der Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse auf Vergütung der Verfahrensgebühr ergibt sich aus § 45 Abs. 1, § 48 Abs. 1, § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3102 VV RVG. Der Beschwerdeführer kann nach diesen Vorschriften die Gebühren und Auslagen verlangen, die sich aus seiner Tätigkeit seit Wirksamwerden der Beiordnung am 18.11.2009, dem im Prozesskostenhilfebewilligungs- und Beiordnungsbeschluss vom 25.11.2009 bezeichneten Zeitpunkt, ergeben. Die Verfahrensgebühr ist dadurch ausgelöst worden, dass der Beschwerdeführer die Klage mit einem auf den 16.11.2009 datierten und bei Gericht am 18.11.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Nach dem 18.11.2009 ist die Verfahrensgebühr erneut angefallen, als der Beschwerdeführer den Gerichtstermin am 25.11.2009 wahrgenommen und beim verfahrensbeendenden Vergleichsabschluss mitgewirkt hat. Denn die Verfahrensgebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG) und entsteht damit bei jeder Tätigkeit, die der Rechtsanwalt aufgrund des Prozessführungsauftrags vornimmt. Der Umstand, dass die anwaltliche Tätigkeit im Termin am 25.11.2009 auch die Terminsgebühr und die Einigungsgebühr ausgelöst hat, hindert die Entstehung der Verfahrensgebühr nicht. Die Vorbemerkung 3 VV RVG enthält zwar verschiedene Anrechnungsregeln, beispielsweise auch für das Zusammentreffen der Verfahrensgebühr mit der Geschäftsgebühr, eine Anrechnung im Verhältnis Verfahrensgebühr einerseits und Terminsgebühr und Einigungsgebühr andererseits ist aber nicht vorgesehen. Die im angefochtenen Beschluss vertretene gegenteilige Auffassung des Sozialgerichts Bayreuth überzeugt nicht. Aus dem Umstand, dass die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr in den amtlichen Erläuterungen (Vorbemerkung 3 Abs. 2 und 3 VV RVG) definiert werden, folgt nicht, dass die Wahrnehmung eines Termins nicht auch zum "Betreiben des Geschäfts" gehört.
Dem Anspruch auf Vergütung der Verfahrensgebühr aus der Staatskasse steht nicht entgegen, dass vor dem Wirksamwerden der Beiordnung am 18.11.2009 nicht der Beschwerdeführer, sondern eine andere Anwältin die Klägerin vertreten hat. Der beigeordnete Anwalt erhält alle diejenigen Gebühren, die seit seiner Beiordnung erstmals oder wiederholt entstehen (Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 48 RVG, Rn. 89). Mit Senatsentscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22.07.2010 (L 15 SF 303/09 B E) ist klargestellt worden, dass der Anspruch auf Vergütung der Verfahrensgebühr aus der Staatskasse nicht daran scheitert, dass die Verfahrensgebühr schon mehrfach vor dem Wirksamwerden der Beiordnung ausgelöst worden ist. Der Vergütungsanspruch gemäß §§ 45, 48 RVG entsteht bei (erneuter) gebührenauslösender Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Wirksamwerden der Beiordnung. Dies gilt unabhängig davon, ob der beigeordnete Rechtsanwalt schon vor der Beiordnung als Wahlanwalt tätig war (so im Verfahren L 15 SF 303/09 B E) oder wie hier die Vertretung erst später und in einem Zeitpunkt übernommen hat, der dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung entspricht.
Es besteht keine Veranlassung, die vom Beschwerdeführer bestimmte Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr für unbillig und nicht verbindlich anzusehen. Wie beantragt ist die Mittelgebühr in Höhe von 250 Euro festzusetzen, bei einem nach Nr. 3102 VV RVG gegebenem Gebührenrahmen von 40 Euro bis 460 Euro. Bei Betragsrahmengebühren im Sinn des § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 und 4 RVG). Um Streit über die billige Gebühr nach Möglichkeit zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Nach überwiegender Auffassung wird ihm bei der Bestimmung der billigen Gebühr ein gewisser Spielraum zugestanden, wobei Abweichungen von bis zu 20 % im Allgemeinen noch als verbindlich angesehen werden. Für "Normalfälle" bzw. "Durchschnittsfälle", in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt, ist die Mittelgebühr zugrunde zu legen (zum Ganzen Gerold/ Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 14 Rn. 4 ff., 10 ff.; Hartmann, a.a.O. § 14 RVG, Rn. 14 ff., 23 f.; BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R; vgl. auch Strassfeld, NZS 2010, S. 253, 254 f.). Das Hauptsacheverfahren ist unstreitig als Normalfall einzuordnen. Insoweit entspricht dies auch der Einschätzung des Sozialgerichts Bayreuth, das im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, dass für das gesamte Verfahren die Mittelgebühr die angemessene Gebühr sei. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers waren von durchschnittlicher Art. Bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist zwar normalerweise von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen, denen jedoch regelmäßig eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit gegenübersteht (BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, Leitsatz Nr. 3).
Die in der Kostenfestsetzung vom 14.04.2010 erfolgte Kürzung der Verfahrensgebühr auf 170 Euro mit der Begründung, dass die Prozesskostenhilfebewilligung und die Beiordnung erst ab 18.11.2009 wirken, ist nicht gerechtfertigt. Seit seiner Beiordnung hat der Beschwerdeführer ein normales Klageverfahren in zeitlich gedrängter Weise geführt, sieht man einmal vom Akt der Klageerhebung ab. Im übrigen ist eine mit dem Zeitpunkt der Beiordnung begründete Kürzung der Verfahrensgebühr ohnehin nicht zulässig (so aber LSG Schleswig-Holstein vom 17.07.2008, L 1 B 127/08 SK). Denn das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bietet keine Grundlage für eine Betrachtungsweise, die auf eine Quotelung der Gebühr hinauslaufen würde. Insbesondere lässt sich eine solche Kürzung nicht darauf stützen, dass bei der Abwägung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der im gesamten Verfahren aufgewendete Arbeits- und Zeitaufwand zu würdigen, nicht nur der Arbeits- und Zeitaufwand nach dem Wirksamwerden der Beiordnung (Bayer. LSG vom 22.07.2010, L 15 SF 303/09 B E; LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.09.2008, L 19 B 21/08 AS, juris Rn. 29; OLG Oldenburg, 12.02.2007, 6 W 165/06; im Ergebnis auch LSG Thüringen vom 06.03.2008, L 6 B 198/07 SF).
Maßgeblich fällt dabei ins Gewicht, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz aus Gründen der Kostengerechtigkeit und der Vereinfachung vom Grundsatz der Pauschgebühr beherrscht wird. Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Der Rechtsanwalt wird also nicht für jede einzelne Tätigkeit vergütet, sondern erhält Pauschgebühren. Die Gebühren entstehen durch jede weitere Erfüllung des Gebührentatbestands erneut, wobei der Anwalt die Gebühren in jeder Gerichtsinstanz nur einmal fordern kann (vgl. § 15 Abs. 2 RVG; dazu Gerold/ Schmidt, a.a.O. § 15 Rn. 2; Hartmann, a.a.O. § 15 RVG Rn. 1, 4, 5, VV 3100 Rn. 11, 13 a.E.). Mit dieser Systematik unvereinbar ist eine Handhabung, die mit einer Auflistung der einzelnen anwaltlichen Tätigkeiten vor und nach der Beiordnung einhergeht, um dann den Umfang der Kürzung der Verfahrensgebühr abhängig vom Beiordnungszeitpunkt zu bestimmen.
Entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung des Sozialgerichts greift die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG) sehr wohl auch "für Gebührenforderungen bereits für Zeiten vor der Wirksamkeit der PKH-Bewilligung und Beiordnung". Nach dieser Vorschrift bewirkt die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, dass die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen können. Die Forderungssperre gegenüber dem Mandanten gilt für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren (so BGH vom 21.02.2008, I ZR 142/06; vgl. auch OLG Oldenburg vom 12.02.2007, 6 W 165/06; OLG München vom 21.09.1990, 11 W 2427/90; FG Düsseldorf vom 28.01.2008, 14 Ko 3929/07 KF; Thomas/ Putzo, Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2010, § 122 Rn. 3; Zöller, Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2010, § 122 Rn. 11; Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 122 Rn. 17). Die auf § 122 ZPO gestützte Argumentation des Sozialgerichts betrifft allerdings ohnehin nicht die hier vorliegende Fallkonstellation, da der Beschwerdeführer vor seiner Beiordnung nicht schon als Wahlanwalt tätig war.
Die Entscheidung trifft der Einzelrichter im Sinn des § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG, nachdem die maßgeblichen Rechtsfragen durch eine Entscheidung des Senats geklärt worden sind (Beschluss des Bayer. LSG vom 22.07.2010, L 15 SF 303/09 B E).
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).