Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SF 330/15 - Kostenbeschluss vom 25.01.2016
Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung kann grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen. Nachdem der Gesetzgeber jedoch mit Wirkung zum 01.08.2013 in § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 JVEG eine Belehrungspflicht eingeführt hat, ist darauf abzustellen, ob die Belehrung im konkreten Entschädigungs- oder Vergütungsfall unterblieben ist. Es gilt hier die Vermutungsregelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG ("Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Belehrung nach Absatz 1 Satz 1 unterblieben oder fehlerhaft ist").
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt wegen der Vergütung eines von ihm im Auftrag des Gerichts erstellten Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) die Wiedereinsetzung.
In dem beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 3 SB 112/13 geführten schwerbehindertenrechtlichen Berufungsverfahren erstellte der Antragsteller im Auftrag des Gerichts (Schreiben des LSG vom 20.10.2014) ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz. Das Gutachten ging am 26.06.2015 beim LSG ein.
Mit einer auf den 03.11.2015 datierten Rechnung, beim LSG eingegangen am 05.11.2015, stellte der Antragsteller für sein Gutachten eine Rechnung über 490,- EUR.
Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 06.11.2015 eine Vergütung mit der Begründung ab, dass der Vergütungsanspruch wegen Fristversäumnis (Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß § 2 Abs.1 JVEG) erloschen sei.
Mit Schreiben vom 11.11.2015, beim LSG eingegangen am 13.11.2015, hat der Antragsteller die Wiedereinsetzung beantragt und dies damit begründet, dass ihm eine Ablauffrist für die Rechnung nicht bekannt gewesen sei. Mit Schreiben vom 12. und 19.01.2016 hat er seine Unkenntnis von der Antragsfrist bekräftigt.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 13.11.2015 wegen der Vergütung für das Gutachten im Verfahren mit dem Aktenzeichen L 3 SB 112/13, über den nicht der Kostenbeamte, sondern gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG "das Gericht" zu entscheiden hat, ist abzulehnen. Denn ein Wiedereinsetzungsgrund liegt nicht vor.
Die Rechnungsstellung durch den Antragsteller ist verfristet, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor.
1. Vergütungsantrag zu spät gestellt
Der Vergütungsanspruch für das Gutachten im Verfahren L 3 SB 112/13 war bereits erloschen, als dieser Anspruch beim LSG geltend gemacht wurde.
Der Anspruch auf Vergütung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG im Fall der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen hat. Für die Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG ist entscheidend der Rechnungseingang bei Gericht, nicht die Datierung der Rechnung oder deren Absendung durch den Vergütungsberechtigten (ständige Rspr., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 16.05.2014, Az.: L 15 SF 372/13).
Vorliegend ist das Gutachten im Verfahren L 3 SB 112/13 am 26.06.2015 beim LSG eingegangen. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Vergütungsanspruchs ist dementsprechend am 28.09.2015 (Montag) abgelaufen.
Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m.w.N.).
Dadurch dass der Kläger das Gutachten zusammen mit der Rechnung nochmals mit Eingang beim LSG am 05.11.2015 übersandt hat, hat die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des Vergütungsanspruchs nicht erneut zu laufen begonnen. Denn entscheidend ist der erstmalige Eingang des Gutachtens bei Gericht.
Ein Eingang der auf den 03.11.2015 datierten Rechnung ist für den 05.11.2015 und damit lange nach Fristablauf nachgewiesen.
2. Wiedereinsetzung
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, da ein Wiedereinsetzungsgrund nicht vorliegt.
2.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen
Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn er innerhalb der Zweiwochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung (zur Geltung dieser zeitlichen Anforderung bei allen drei im Folgenden genannten Voraussetzungen: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12), einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12) und den Vergütungs- oder Entschädigungsanspruch beziffert sowie sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).
Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 6 Satz 1 JVEG sind die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Erklärungen (Wiedereinsetzungsantrag, Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds und Bezifferung des Vergütungs- oder Entschädigungsanspruchs) zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben oder schriftlich einzureichen.
Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG nicht mehr beantragt werden.
Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Geltendmachung einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 22.04.2015, Az.: L 15 RF 17/15), da damit der vom Gesetzgeber vorgesehene Ausschluss einer Wiedereinsetzung von Amts wegen hinfällig würde (vgl. Beschluss des Senats vom 06.10.2015, Az.: L 15 SF 323/14).
2.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall
2.2.1. Fristgerechte Beantragung der Wiedereinsetzung
Der Antragsteller hat frist- und formgerecht mit Schreiben vom 11.11.2015 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.
Jedenfalls ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 06.11.2015, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post und damit für den 09.11.2015 fingiert werden kann (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 12.10.2015, Az.: L 15 SF 274/15), musste dem Antragsteller bewusst sein, dass sein Entschädigungsantrag mit der Rechnung vom 03.11.2015 zu spät gestellt worden war. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet. Diese Frist hat der Antragsteller durch den am 13.11.2015 erfolgten Eingang seines einen Wiedereinsetzungsantrag enthaltenden Schreibens vom 11.11.2015 beim LSG gewahrt.
2.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds
Bei antragstellerfreundlicher Auslegung kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller im Schreiben vom 11.11.2015 fristgerecht einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht hat, sofern sein Hinweis, dass ihm eine Ablauffrist für die Rechnung nicht bekannt gewesen sei, dahingehend interpretiert wird, dass er vorgibt, vom SG nicht auf die Antragsfrist hingewiesen worden zu sein.
2.2.2.1. Wiedereinsetzungsgrund
Die Unkenntnis der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG stellt (nur) im Fall der fehlenden Belehrung einen Wiedereinsetzungsgrund dar.
Dem in der Praxis nicht seltenen Problem, dass Entschädigungs- oder Vergütungsanträge wegen Unkenntnis der mit drei Monaten vergleichsweise kurzen Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu spät gestellt werden und eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen kann (vgl. Beschluss des Senats vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15 - mit umfassender Darstellung dieser Rechtsfrage), hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Belehrungspflicht in § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 JVEG und der Vermutungsregelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG im Rahmen des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) mit Wirkung zum 01.08.2013 Rechnung getragen. Nach der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung in § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG handelt es sich um eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, die dann einschlägig ist, wenn die Belehrung nicht oder fehlerhaft erteilt worden ist. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob der Berechtigte bereits aus anderen Verfahren oder aus dem gleichen Verfahren, dort jedoch aus anderem Anlass, Kenntnis von der Dreimonatsfrist für die Antragstellung erlangt hat oder erlangen hätte können, sodass auch eine entgegenstehende positive Kenntnis von der Antragsfrist unschädlich ist, wenn die Belehrung im konkreten Entschädigungs- oder Vergütungsfall unterblieben ist (vgl. Beschluss des Senats vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15).
2.2.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung dieses Wiedereinsetzungsgrunds
Infolge des Vortrags im Schreiben des Antragstellers vom 11.11.2015 kann bei antragstellerfreundlicher Auslegung eine fristgerechte Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds unterstellt werden.
Voraussetzung für eine fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds ist, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Dazu hat er Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen, die erklären, warum er an einem fristgerecht, d.h. innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG zu stellenden Entschädigungsantrag ohne Verschulden gehindert war.
Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist von einer Glaubhaftmachung schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründen würde, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12 - mit ausführlichen Erläuterungen auch zu verfassungsrechtlichen Aspekten).
Im vorliegenden Fall kann im Schreiben des Antragstellers vom 11.11.2015 die Geltendmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds gesehen werden, nämlich dass er wegen - dies wird zu Gunsten des Antragstellers unterstellt - einer durch eine vom LSG nicht gegebene Information über die Antragsfrist bedingten Unkenntnis der Antragsfrist diese unverschuldet versäumt habe. Dieser Vortrag reicht im Rahmen der vom Antragsteller zu erbringenden Glaubhaftmachung aus.
Lediglich zum besseren Verständnis der Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass damit noch nicht das im Sinn des § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhafte Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds nachgewiesen ist; dies ist Gegenstand der von Amts wegen durchzuführenden weiteren Ermittlungen und der dann erfolgenden Prüfung (vgl. unten Ziff. 2.2.4.).
2.2.3. Fristgerecht Bezifferung des Vergütungsanspruchs
Eine fristgerechte Bezifferung des Vergütungsanspruchs ist in der Rechnung vom 03.11.2015 zu sehen.
Der Antragsteller hat bereits vor Beginn der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 06.11.2015 in Lauf gesetzten Zweiwochenfrist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG und damit selbstverständlich vor Ablauf der genannten Frist seinen Vergütungsanspruch mit der Übersendung der Rechnung vom 03.11.2015 beziffert. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn der Antragsteller erst nach Erkennen der Fristversäumung seine Entschädigungsforderung beziffert hätte (ständige Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12).
2.2.4. Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gegeben
Der Senat hat bei den von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen feststellen müssen, dass der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft im Sinn des § 294 ZPO vorliegt.
Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG sind nicht erfüllt.
Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags im Schreiben vom 11.11.2015, der zu Gunsten des Antragstellers dahingehend interpretiert wird, dass der Antragsteller nicht über den Beginn der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG belehrt worden sei und er daher keine Kenntnis von der Antragsfrist gehabt habe, ist nachweislich falsch.
So ist dem Antragsteller zusammen mit dem Gutachtensauftrag vom 20.10.2014 ein Merkblatt für den Sachverständigen übersandt worden. In diesem Merkblatt ist ausdrücklich - zudem in Fettdruck und unterstrichen - auf Folgendes hingewiesen worden:
"Der Anspruch auf Vergütung erlischt, wenn er nicht binnen drei Monaten nach Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten beauftragt hat, geltend gemacht wird. Die Frist beginnt im Fall der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten beauftragt hat."
Der (zu seinen Gunsten unterstellte) Vortrag des Antragstellers, er habe mangels Hinweises des Gerichts keine Kenntnis von der Antragsfrist gehabt, ist damit durch das Auftragsschreiben des Gerichts vom 20.10.2014 widerlegt. Der vom Kläger vorgetragene Wiedereinsetzungsgrund ist nicht glaubhaft im Sinn des § 294 ZPO nachgewiesen. Eine darauf beruhende Unkenntnis, dass der Antragsteller das Merkblatt nicht zur Kenntnis genommen hat, würde eine verschuldete Fristversäumnis darstellen und daher keine Wiedereinsetzung begründen.
Das LSG hat als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 8 JVEG).