Bayerisches Landessozialgericht - Urteil vom 31.05.2005 - Az.: L 15 VJ 1/04
Kosten einer Akupunkturbehandlung, die wegen Impfschadensfolgen im Bereich der Lendenwirbelsäule durchgeführt werden, sind nicht von der Versorgungsverwaltung zu übernehmen. Beschädigte haben Anspruch auf Heilbehandlung entsprechend den Vorschriften für Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist. Die Akupunkturbehandlung gehört nicht zu den Krankenkassen-Leistungen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten von Akupunkturbehandlungen, die der Kläger wegen Impfschadensfolgen hat durchführen lassen, nach den Vorschriften des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) bzw. - nunmehr (seit 01.01.2001) - dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu übernehmen.
Wegen der Folgen einer am 22.01.1976 vorgenommenen Poliomyelitis-Schluckimpfung erhielt der 1973 geborene Kläger seit Januar 1996 gemäß Bescheid vom 21.03.1996 Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 80 v.H. Als Impfschadensfolgen waren anerkannt:
Mit Neufeststellungsbescheid vom 06.12.2001 stellte der Beklagte die schädigungsbedingte MdE mit 90 v.H. fest und bezeichnete die Schädigungsfolge zu Ziffer 2. neu wie folgt: 2. Harnblasen-Mastdarmstörungen mit relativer Harn- und Kotinkontinenz mit Notwendigkeit der Einmalkatheterisierung.
Mit Schreiben vom 16.09.1998 stellte der Kläger beim Beklagten den Antrag, ihm einen Zuschuss für Akupunkturbehandlungen zu bewilligen. Er legte dazu ein Attest des Dr. W. (Zentrum für Naturheilverfahren und Biologische Therapien/Traditionelle chinesische Medizin) vom 01.09.1998 vor, wonach aus ärztlicher Sicht wegen der Beschwerden bei Zustand nach Versteifung der Gleitwirbel LWS mit bisher therapieresistenter Schmerzsymptomatik Akupunkturbehandlung zur Schmerztherapie durchzuführen sei; eine zwischenzeitliche Kontrolluntersuchung zeige eine deutliche Besserungstendenz des Schmerzbildes.
Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.11.1998 den Antrag ab: Gemäß § 11 Abs.1 Satz 2 BVG gälten die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern gegenüber verpflichtet sei, für Leistungen der Heilbehandlung nach dem BVG entsprechend, soweit das BVG nichts anderes bestimme. Da im BVG für Fälle wie den vorliegenden keine besondere Regelung getroffen sei, sei § 12 Abs.1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -) einschlägig. Aus den vom Bundessozialgericht (BSG) in mehreren Urteilen entwickelten Grundsätzen zu dieser Bestimmung ergebe sich, dass sog. Außenseitermethoden erst dann in Betracht zu ziehen seien, wenn kassenübliche Behandlungs- und Untersuchungsmethoden ("Schulmedizin") unwirksam oder nicht vorhanden seien und ein Therapieerfolg mit der Außenseitermethode medizinisch-wissenschaftlich möglich erscheine oder bereits nachgewiesen sei. Aus dem Reha-Bericht vom 22.12.1997 zur Anschlussheilbehandlung nach der Versteifungsoperation ergebe sich, dass mit herkömmlicher Therapie (balneo-physikalische Terapie in Form von Massagen, Bewegungsbädern und Einzeltrockengymnastik) eine Besserung der ursprünglichen Beschwerdesymptomatik erreicht worden sei. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass die Beschwerden des Klägers physiotherapeutischen Maßnahmen zugänglich seien. Die Kosten für Akupunkturbehandlungen könnten deshalb nicht übernommen werden.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser ein weiteres Attest des Dr. W. vom 03.12.1998 vorlegte, wonach die bisherigen und üblichen schulmedizinischen Behandlungen keinen wesentlichen Erfolg gezeigt hätten und ausgeschöpft seien, wies der Beklagte nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.1999 zurück: Es seien nicht alle in der kassenärztlichen Versorgung zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten beim Kläger ausgeschöpft worden; dies gelte insbesondere für die bei allen Schmerzen nachweislich wirksame transkutane Elektro-Nervenstimulation (TENS). Hinzu komme, dass ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis für Akupunkturbehandlungen noch nicht in ausreichendem Umfang vorliege.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben und beantragt, die Kosten der bei ihm durchgeführten Akupunkturbehandlungen im Rahmen der Heilbehandlung nach § 51 Abs.1 BSeuchG i.V.m. § 10 Abs.1 BVG zu gewähren: Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sei mit Physiotherapie oder anderen schulmedizinischen Behandlungsmethoden keine Besserung mehr zu erreichen gewesen. Erst die Akupunktur habe zu einer deutlichen Reduzierung der unerträglichen Schmerzen, die zum Teil auch die Durchführung schulmedizinischer Behandlungsmethoden wie Krankengymnastik, Massagen usw. unmöglich machten, geführt. Wenn unstreitig die Akupunktur zu einer ganz erheblichen Besserung geführt habe, könne doch nicht auf den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode abgestellt werden, die im Übrigen bereits heute in neun von zehn Schmerzambulanzen der Krankenhäuser angeboten würde und auf die sich bereits 20.000 bis 30.000 Ärzte spezialisiert hätten.
Das Sozialgericht hat die den Kläger betreffende Impfschadensakte und die Schwerbehindertenakte des Beklagten sowie verschiedene ärztliche Berichte und medizinischen Unterlagen beigezogen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Gemäß § 135 Abs.1 SGB V, der über § 11 Abs.1 Satz 2 BVG zur Anwendung käme, dürften neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Las- ten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen entsprechende Richtlinienempfehlungen abgegeben hätten. Dies sei bislang nicht der Fall. Es laufe vielmehr derzeit auf Veranlassung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ein auf drei Jahre angelegter Modellversuch zur Akupunkturbehandlung mit Nadeln.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger beim Bayer. Landessozialgericht Berufung eingelegt und - im Wesentlichen unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens und dem neuen Vortrag, die fehlende Anerkennung der Wirksamkeit der Akupunkturbehandlung durch den Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen sei vollkommen willkürlich und rechtswidrig - weiter die Übernahme der Kosten für Akupunkturbehandlungen begehrt.
Der Senat hat vom Beklagten die Impfschadensakte des Klägers beigezogen und den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers (Deutsche Angestelltenkrankenkasse - DAK) gemäß § 75 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Nach Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und verschiedener Landessozialgerichte, wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von den Krankenkassen erst dann zu erstatten seien, wenn diese in die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen aufgenommen seien, hat der Kläger die Auffassung vertreten, das bei ihm bestehende Krankheitsbild (chronische LWS-Schmerzen) falle grundsätzlich unter das derzeit (bis Juli 2005) laufende Modellvorhaben zur Akupunktur. Dass die Akupunkturbehandlungen bei ihm von einem nicht bei dem Modellversuch zugelassenen Arzt durchgeführt würden, sei nicht ihm anzulasten, sondern beruhe auf einem Verschulden des Beklagten bzw. der Beigeladenen; es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, einen an dem Modellversuch teilnehmenden Arzt aus seiner Region aufzusuchen.
Die Beigeladene hat mitgeteilt, dass Erstattungen für die Akupunkturbehandlungen des Klägers nicht geleistet worden seien und auch nicht geleistet werden könnten, da der behandelnde Arzt des Klägers nicht an dem laufenden Modellvorhaben teilnehme.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 28.01.2004 sowie des Bescheides vom 24.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.03.1999 zu verurteilen, die Kosten der bei ihm seit Juli 1998 durchgeführten Akupunkturbehandlungen zu übernehmen.
Der Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 28.01.2004 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogenen Akten/Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 61 Abs.2 BSeuchG bzw. 68 Abs.2 IfSG i.V.m. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -; die Voraussetzungen für eine Berufungsbeschränkung - § 144 Abs.1 SGG - liegen nicht vor). Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Akupunkturbehandlungen, die beim Kläger wegen Impfschadensfolgen im Bereich der Lendenwirbelsäule durchgeführt wurden, zu übernehmen. Das ist dann der Fall, wenn für den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls eine entsprechende Leistungspflicht bestünde.
Dies hat das Sozialgericht mit Recht verneint.
Gemäß § 51 Abs.1 BSeuchG (seit 01.01.2001: § 60 Abs.1 IfSG) wird wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von Impfschäden auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG gewährt. Nach §§ 10 Abs.1, 11 Abs.1 Satz 1 BVG haben die Beschädigten u.a. Anspruch auf Heilbehandlung, zu der neben anderem die ambulante ärztliche Behandlung gehört. § 11 Abs.1 Satz 2 BVG bestimmt, dass die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist, für die Heilbehandlungsleistungen nach § 11 Abs.1 Satz 1 BVG entsprechend gelten, soweit das BVG nichts anderes bestimmt.
In Abweichung von dem im Versorgungsrecht (und auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung) herrschenden Sachleistungsprinzip (§ 18 Abs.1 Satz 1 BVG) sehen die Absätze 3 und 4 des § 18 BVG in bestimmten Fällen die Möglichkeit des Kostenersatzes bei selbst durchgeführter Heil- oder Krankenbehandlung vor. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um Leistungen - hier: der Heilbehandlung (ambulante ärztliche Behandlung) - handelt, auf die grundsätzlich ein Sachleistungsanspruch im Rahmen der Versorgung bestehen kann. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 11 Abs.1 Satz 2 BVG). Davon abweichende Regelungen enthält das BVG hinsichtlich der hier in Streit stehenden ambulanten ärztlichen Heilbehandlung in Gestalt der Akupunktur nicht.
Die Akupunkturbehandlung gehört nicht zu den Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern gegenüber verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus §§ 92 Abs.1, 135 SGB V i.V.m. den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen.
Dieser Bundesausschuss hat am 16.10.2000 beschlossen, die Akupunktur in die Anlage B - nicht anerkannte Methoden - der "Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs.1 SGB V" (BUB-Richtlinien) zu übernehmen (Bundesanzeiger - BAnz - Nr.12 vom 18.01.2001). Eine Ausnahme gilt nur für die Indikationen "chronische Kopfschmerzen, chronische LWS-Schmerzen und chronische osteoarthritische Schmerzen", soweit die Behandlung in Modellversuchen, welche die vom Bundesausschuss aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, erfolgt. Dem entspricht, dass, wie das Sozialgericht dargelegt hat, die Akupunktur in der Anlage A zu den am 01.10.1992 in Kraft getretenen Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien bisher nicht als anerkannte Behandlungsmethode aufgenommen worden ist.
Vor Anerkennung einer in diesem Sinne neuen Behandlungsmethode (hier: Akupunktur mit Nadeln) durch den Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen besteht, von - hier nicht gegebenen - Ausnahmefällen abgesehen, keine Leistungspflicht der Krankenkasse für diese Behandlungsmethode (BSG, 16.09.1997, 1 RK 28/95 = SozR 3-2500 § 135 Nr.4 = BSGE 81, 54).
Da die streitgegenständlichen Akupunkturbehandlungen außerhalb des vom Bundesausschuss bis Ende Juli 2005 verlängerten Modellvorhabens (Bekanntmachung vom 16.03.2004, BAnz Nr.75 S.8561) stattfänden, ist eine Leistungsgewährung/Kostenerstattung ausgeschlossen, auch wenn die Behandlungen wegen von dem Modellvorhaben erfasster chronischer LWS-Schmerzen erfolgten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass auch dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Modellvorhabens die Akupunktur als Behandlungsmethode vom Bundesausschuss anerkannt werden sollte, eine diesbezügliche Leistungspflicht der Krankenkassen erst für die Behandlungen entsteht, die ab der Anerkennung durchgeführt werden; eine rückwirkende Leistungspflicht ist ausgeschlossen (BSG in SozR 3-2500 § 13 Nr.12).
Soweit eine Pflicht des Beklagten oder des Beigeladenen bestanden haben sollte (vgl. hierzu aber deren Einlassungen vom 04.05. und 28.04.2005), den Kläger auf das laufende Modellvorhaben und die daran beteiligten Ärzte in seiner Region hinzuweisen, resultiert aus einem diesbezüglichen etwaigen Pflichtverstoß kein Kostenerstattungsanspruch für die Akupunkturbehandlungen. Denn auch über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. hierzu z.B. BSG, 15.12.1999, B 9 V 12/99 R) lässt sich die Tatsache, dass die Akupunkturbehandlungen des Klägers bisher von einem nicht an dem Modellvorhaben beteiligten Arzt durchgeführt wurden und damit eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht auslösen können, nicht korrigieren. Über etwaige Amtshaftungsansprüche des Klägers (Art.34 GG i.V.m. § 839 BGB) gegen einen der Beteiligten hat der Senat nicht zu entscheiden; hierfür wären die Zivilgerichte zuständig (Art.34 Satz 3 GG, § 17 Abs.2 Satz 2 GVG).
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den angefochtenen Gerichtsbescheid zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.