Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG".

Der 1962 geborene Kläger (Kl.) erlitt im Jahre 1993 einen Motorradunfall mit drittgradig offener Unterschenkelmehrfragmentfraktur rechts. In der Folgezeit entwickelten sich Komplikationen wie eine Osteomyelitis. Es folgten weitere Motorradunfälle, die abermals zu Frakturen sowie zu einer massiven Schädigung des rechten Knies führten. Ab 2003 entwickelte der Kl., der sich auch in psychiatrischer Behandlung befand, ein Schmerzsyndrom im rechten Bein und ließ sich dieses im Wege eines selektiven Eingriffs am 07.03.2006 im Kreiskrankenhaus D. im Bereich des Oberschenkels amputieren. Seitdem ist der Kl. am rechten Bein mit einer C-Leg-Prothese versorgt.

Dem Kl. waren zunächst mit Bescheid vom 17.02.1994 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 und das Merkzeichen G anerkannt worden. Ein wegen der Ablehnung des Merkzeichens aG eingelegter Widerspruch war mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.1995 zurückgewiesen worden. Vor der Amputation war der Kl. vom Beklagten (Bekl.) zuletzt mit Änderungsbescheid vom 06.02.2003 mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 und dem Merkzeichen G unter Ablehnung des Merkzeichens aG eingestuft worden. Nach der Amputation beantragte der Kl. am 18.04.2006 die Erhöhung des GdB sowie die Eintragung der Merkzeichen aG und B. Mit Änderungsbescheid vom 07.11.2006 erhöhte der Bekl. den GdB ab dem 18.04.2006 auf 80, stellte weiterhin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest, lehnte aber die übrigen Merkzeichen - insbesondere die vom Kl. beantragten Merkzeichen B und aG - ab. Folgende Gesundheitsstörungen wurden festgestellt: 1. Verlust des Beines rechts im Oberschenkel: Einzel-GdB 70 2. Seelische Störung: Einzel-GdB 20 3. Funktionsbehinderung des Handgelenkes links, Aufhebung der Unterarmdrehbeweglichkeit: Einzel-GdB 20 4. In Fehlstellung knöchern verheilter Schlüsselbeinbruch rechts: Einzel-GdB 20

Nach weiteren Motorradunfällen und einer Operation der rechten Schulter Ende Januar 2009 beantragte der Kl. am 26.02.2009 die Erhöhung seines GdB auf 100 und die Feststellung des Merkzeichens aG sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern ("Bayern-aG"). Diesen Antrag lehnte der Bekl. mit Bescheid vom 13.05.2009 ab.

Am 04.05.2010 beantragte der Kl. erneut die Zuerkennung der Merkzeichen B und aG sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern ("Bayern-aG"). Er gab an, dass sich Gesundheitsstörungen weder verschlimmert hätten noch neu aufgetreten seien. Mit Bescheid vom 11.08.2010 lehnte der Bekl. den Antrag vom 04.05.2010, den Bescheid vom 07.11.2006 aufzuheben und eine neue Feststellung zu treffen, ab, weil in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 07.11.2006 vorgelegen hätten, keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eingetreten sei. Der GdB betrage nach wie vor 80. Weder die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG noch diejenigen für das Merkzeichen B noch die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern ("Bayern-aG") lägen vor.

Gegen diesen Bescheid legte der Kl. am 25.08.2010 Widerspruch ein. Dabei stellte er mit Anwaltsschreiben vom 21.10.2010 klar, dass sich der Widerspruch ausschließlich auf die Zuerkennung des Merkzeichens aG richte. Mit diesem Schreiben hat der Kl. seinen Anspruch auf das Merkzeichen aG damit begründet, dass er bei einer Körpergröße von 1,90 m und einer Oberschenkelprothese rechts aus dem Fahrzeug nur dann ein- und aussteigen könne, wenn er die Fahrertüre komplett öffne. Nur Behindertenparkplätze seien hierfür breit genug.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2010 wies der Bekl. den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Gründen heißt es, der GdB sei mit 80 richtig festgestellt. Die Voraussetzungen des Merkzeichens aG seien nicht gegeben.

Gegen den Widerspruchsbescheid, der am 08.11.2010 versandt wurde, hat der Kl. am 07.12.2010 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben.

Der Kl. hat vorgebracht, er müsse sich beim Ein- und Aussteigen vollkommen gestreckt aus dem Auto herausziehen bzw. in das Auto hineinlassen. Hierzu müsse die Fahrertüre komplett geöffnet werden. Die Möglichkeit hierzu sei nur auf Behindertenparkplätzen gewährleistet. Zudem sei es schon vorgekommen, dass er zwar beim Aussteigen die Tür weit genug öffnen, aber später nicht mehr einsteigen konnte, weil inzwischen ein anderes Auto zu nahe an seiner Fahrertüre geparkt hatte. Beruflich sei er als Qualitätsmanager einer Firma, die Leitern herstelle, viel mit dem Auto unterwegs. Es sei für ihn nicht immer leicht, einen Parkplatz zu finden, der auf der Fahrerseite nicht zugeparkt werden könne. Derzeit sei er darauf angewiesen, einen Parkplatz am rechten Straßenrand zu finden.

Das SG hat den Orthopäden und Chirurgen Dr. E. zum Sachverständigen ernannt, der in seinem Gutachten vom 09.05.2011 den vom Bekl. festgesetzten Gesamt-GdB von 80 bestätigt hat bei folgenden Gesundheitsstörungen: 1. Verlust des rechten Beins im Oberschenkel: Einzel-GdB 70 2. Seelische Störung: Einzel-GdB 20 (Bewertung fachfremd übernommen) 3. Funktionsbehinderung des Handgelenks links: Einzel-GdB 20 4. Schlüsselbeinbruch rechts, in Fehlstellung verheilt, Teilsteife rechte Schulter: Einzel-GdB 10 Die Oberschenkelprothese sitze sehr gut. Das Gangbild sei trotz Prothesengebrauchs fast ohne Hinken. Lediglich ein leichtes Aufschaukeln des Beckens rechts sei zu beobachten. Die Stumpfverhältnisse seien gut.

Die Zuerkennung des Merkzeichens aG hat der Sachverständige befürwortet. Ein bestimmter Öffnungswinkel der Fahrertür sei zwingend notwendig, damit der Kl. seinen Pkw verlassen bzw. in ihn einsteigen könne. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben seien Behindertenparkplätze so dimensioniert, dass die Tür weit genug geöffnet werden könne. Das Verwehren einer derartigen Parkmöglichkeit würde für den ohnehin deutlich behinderten Kl. einen weiteren Verlust seiner Mobilität und auch seiner beruflichen Einsetzbarkeit bedeuten.

Der Kläger hat beim SG beantragt, den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 11.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2010 zu verurteilen, beim Kl. das Merkzeichen aG festzustellen, hilfsweise festzustellen, dass der Kl. die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern ("Bayern-aG") erfüllt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.06.2011 (Az. S 8 SB 646/10) abgewiesen. Soweit die Klage auf Zuerkennung des Merkzeichens aG gerichtet sei, sei sie unbegründet. Maßgeblich sei insoweit allein die Gehfähigkeit. Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen seien nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen einer Sonderparkberechtigung für den Freistaat Bayern ("Bayern-aG") sei die Klage unzulässig. Erstens fehle es an der Durchführung eines Vorverfahrens, weil der Kl. seinen Widerspruch ausdrücklich auf das Merkzeichen aG beschränkt habe. Zweitens wäre ein entsprechender Anspruch gegenüber der zuständigen Straßenverkehrsbehörde geltend zu machen; die im Rahmen der Prüfung durch die Straßenverkehrsbehörde einzuholende gutachterliche Stellungnahme des Beklagten stelle ein Verwaltungsinternum dar, das nicht zulässiger Gegenstand einer sozialgerichtlichen Klage sein könne.

Der Kl. hat gegen den Gerichtsbescheid, der ihm am 22.06.2011 zugestellt worden ist, am 20.07.2011 Berufung eingelegt.

Mit seiner Berufung wiederholt der Kl. die bereits erstinstanzlich vorgebrachten Argumente und verweist zusätzlich auf das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten.

Der Kl. beantragt, 

den Gerichtsbescheid des SG vom 20.06.2011 und den Bescheid des Bekl. vom 11.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2010 aufzuheben und den Bekl. zu verurteilen, seine Bescheide vom 07.11.2006 und vom 13.05.2009 zurückzunehmen, soweit darin das Merkzeichen aG verneint wurde, und unter Abänderung des Bescheides vom 06.02.2003 dem Kl. das Merkzeichen aG zuzuerkennen.

Der Bekl. 

beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung des Kl. ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Zu entscheiden ist dabei nur noch über den Hauptantrag betreffend das Merkzeichen aG. Den zunächst bis in die Berufungsinstanz weiter verfolgten Hilfsantrag betreffend die Feststellung der Voraussetzungen des "Bayern-aG" hat der Kl. nach Hinweis des Gerichts in die von ihm in der mündlichen Verhandlung am 29.02.2012 gestellten Anträge nicht aufgenommen und damit die Berufung insoweit zurückgenommen.

Die Klage betreffend das Merkzeichen aG ist zulässig. Die Bestandskraft (§ 77 SGG) der Bescheide vom 07.11.2006 und vom 13.05.2009, mit denen jeweils unter anderem das Merkzeichen aG abgelehnt wurde, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Der Kl. hat diesbezüglich nämlich einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt. Zwar ist fraglich, ob der Neufeststellungsantrag vom 04.05.2010 in dieser Hinsicht auszulegen war, da dieser Antrag keine Begründung enthielt, insbesondere der neue Eintritt oder die Verschlimmerung von Gesundheitsstörungen explizit verneint wurden. Spätestens im Widerspruchsverfahren hat der Kl. jedoch durch Anwaltsschreiben klargestellt, dass es ihm um eine Überprüfung der bisherigen Einstufung nicht wegen einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen Umstände geht, sondern weil die Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen rechtlich nicht richtig gewertet worden seien. Dies ist vor dem Hintergrund von zwei bereits bestandskräftig abgelehnten Neufeststellungsanträgen nach § 48 SGB X als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X auszulegen, der im Widerspruchsbescheid inhaltlich abgelehnt wurde.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger kann nicht vom Bekl. gemäß § 44 SGB X die Rücknahme seiner Bescheide vom 07.11.2006 und vom 26.02.2009 verlangen, soweit der Bekl. darin abgelehnt hat, die vor der Amputation ergangenen Bescheide, insbesondere den letzten Änderungsbescheid vom 06.02.2003, gemäß § 48 SGB X insoweit abzuändern, als darin das Merkzeichen aG verneint worden war.

Durch die Amputation des rechten Oberschenkels am 07.03.2006 hatten sich nämlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Bezug auf die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht wesentlich geändert. Denn trotz der Schwierigkeiten des Kl. beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto steht dem Kl. das Merkzeichen aG nicht zu.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 SGB IX. Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.

Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Eine Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung findet sich in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, neu bekannt gemacht am 26.01.2001, BAnz 2001, Nr. 21, S. 1419), und zwar dort in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Dieselben Kriterien enthält Teil D Nr. 3 Buchst. b der als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Ergänzend bestimmt Teil D Nr. 3 Buchst. c Versorgungsmedizinische Grundsätze: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist.

Personen, die nicht zu den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehören, können nach den Kriterien dieser Vorschrift nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Vorschrift aufgeführten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23; BSG, Urteil vom 10.12.2002 Az. B 9 SB 7/01 R Ls. 2 und Rdnr. 20 bei juris = BSGE 90, 180). Dabei werden die Anforderungen dadurch nicht abgesenkt, dass in einzelnen der beispielhaft aufgeführten Gruppen, insbesondere bei den Doppelunterschenkelamputierten, mithilfe moderner Prothetik bei Zusammentreffen besonders günstiger Umstände eine nahezu normale Bewegungsfähigkeit erreicht werden kann. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz, dass sich die Betroffenen wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können, orientieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO. Rdnr. 21). Die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter muss deshalb außer Betracht bleiben.

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG im Fall des Kl. nicht gegeben. Einseitig Oberschenkelamputierte werden in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO als Fallgruppe nicht genannt, und eine Gleichstellung mit den darin genannten Gruppen von schwerst gehbehinderten Menschen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kl. nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. E. sehr gut prothetisch versorgt ist und ein fast normales Gangbild aufweist.

Auch die Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto, das nur gelingt, wenn sich die Türe auf der Fahrerseite komplett öffnen lässt, rechtfertigen nicht die Zuerkennung des Merkzeichens aG.

Zwar ist dem Kl. einzuräumen, dass die mit der Anerkennung des Merkzeichens aG verbundenen erweiterten Möglichkeiten, einen für ihn geeigneten Parkplatz zu finden, für seine Behinderung eine spürbare Erleichterung bedeuten würde. Auf der Grundlage der Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) hat der Verordnungsgeber in § 45 Abs. 1b Nr. 2 StVO den Straßenverkehrsbehörden die Befugnis eingeräumt, die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung oder anderer - hier nicht in Frage kommender - Beeinträchtigungen zu treffen; die Anlage 2 Abschnitt 3 zur StVO sieht hierfür die Ergänzung der Zeichen 314 (Parken) und 315 (Parken auf Gehwegen) um ein Zusatzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild vor. Diese Behindertenparkplätze müssen gemäß Abschnitt IX Rdnr. 18 zu § 45 Abs. 1 bis 14 VwV-StVO i. V. m. DIN 18024-1 so gebaut werden, dass an der Längsseite des Fahrzeugs eine Bewegungsfläche mit einer Breite von 1,50 m bleibt. Damit ist bei einem Behindertenparkplatz immer gewährleistet, dass der Kläger sein Fahrzeug so einparken kann, dass sich die Fahrertüre unabhängig von anderen Fahrzeugen, die vorschriftsmäßig parken, bis zum Anschlag öffnen lässt. Darüber hinaus hätte der Kl. mit dem Merkzeichen aG die Möglichkeit, Parkerleichterungen in Form von Befreiungen von Haltverboten nach Abschnitt I zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO zu erlangen. Die dadurch verfügbaren zusätzlichen Parkplätze wären zwar nicht zwangsläufig behindertengerecht, würden aber seine Möglichkeiten, einen für ihn geeigneten Parkplatz zu finden, erhöhen.

Das Bundessozialgericht hat in einem vergleichbaren Fall - in dem der Kl. wie hier nur ein- und aussteigen konnte, wenn die Wagentür vollständig geöffnet war - mit Urteil vom 03.02.1988 (Az. 9/9a RVs 19/86 = SozR 3870 § 3 Nr. 28) entschieden, dass das Merkzeichen aG nicht zuerkannt werden könne. Der Gesetzgeber habe durch die Formulierung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung insoweit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Zum Ausgleich von Nachteilen beim Ein- und Aussteigen habe der Bundesminister für Verkehr die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie sei vielmehr dazu gedacht, den Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen. Der Nachteilsausgleich solle allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeute zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen sei. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steige die Anzahl der Benutzer. Diesem Umstand könne nur begrenzt mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden, denn mit jeder Vermehrung der Parkflächen werde dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne. Das Landessozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 20.04.2004 (Az. L 13 SB 30/03) ebenfalls das Merkzeichen aG im Falle eines Schwerbehinderten verneint, der zum Ein- und Aussteigen die Fahrertür vollständig öffnen musste; die Schwierigkeiten des Klägers seien nämlich nicht durch seine eingeschränkte Fortbewegungsfreiheit, sondern durch die Beschaffenheit des Parkraums verursacht. Mit Urteil vom 05.07.2007 (Az. B 9/9a SB 5/06 R Rdnr. 21) hat das BSG seine Auffassung bekräftigt, dass Schwierigkeiten beim Verlassen des Kraftfahrzeugs für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ohne Bedeutung seien, zumal sie von der Art und Ausstattung des Fahrzeugs abhingen.

Der Senat schließt sich der zitierten Rechtsprechung an. Sowohl die Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung als auch die Befreiungen von Haltverboten für diesen Personenkreis verfolgen in erster Linie den Zweck, möglichst kurze Gehstrecken vom Parkplatz bis zum Ziel zu ermöglichen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn der Kreis der Berechtigten so eng wie möglich gezogen wird, weil ein besetzter Behindertenparkplatz für denjenigen, der einen Parkplatz sucht, ebenso wenig wert ist wie gar keiner. Deshalb müssen bei der Überlegung, ob ein schwerbehinderter Mensch, der den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO genannten Gruppen von schwerst Gehbehinderten nicht gleichzustellen ist, aber Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen aus dem Pkw hat, das Merkzeichen "aG" erhalten soll, nicht nur dessen Vorteile bei der Benutzung von Behindertenparkplätzen sondern auch die aus der Ausweitung des Benutzerkreises resultierenden Nachteile berücksichtigt werden. Bei der Wertung der Vorteile des Kl. ist zu beachten, dass dieser zwar größere Schwierigkeiten als ein gesunder Mensch hat, einen für ihn geeigneten Parkplatz zu finden, aufgrund seiner guten Gehfähigkeit seine Möglichkeiten hierzu aber immer noch wesentlich besser sind als die der schwerst Gehbehinderten, die nur eine Wegstrecke von wenigen Metern zu Fuß zurücklegen können und denen ein wesentlich kleinerer Radius zur Parkplatzsuche als dem Kl. zumutbar ist. Der Kl. kann beispielsweise sowohl alle am Straßenrand liegenden Parkplätze benutzen als auch Parkplätze, die auf einer Seite keinen Nachbarplatz haben oder die in Parkhäusern neben Stützpfeilern liegen, so dass der Abstand zum Nachbarn zwangsläufig groß genug bleibt. Darüber hinaus hätte der Kl. die Möglichkeit, durch Benutzung eines Fahrzeugs mit Schiebetür auf der Fahrerseite die Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen zu umgehen. Fahrzeuge mit Schiebetür auf der Fahrerseite sind zwar serienmäßig nur sehr selten zu haben (z.B. Peugeot 1007), jedoch ist ein Umbau sonstiger Wagen durch Spezialfirmen möglich und kann unter bestimmten Voraussetzungen auch von der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe finanziert werden (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 1 und § 33 Abs. 8 Nr. 1 SGB IX i. V. m. § 7 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung). Diese Möglichkeit, sein Problem durch die Wahl eines entsprechenden Fahrzeugs vollständig zu lösen, unterscheidet die Situation des Kl. von derjenigen der schwerst Gehbehinderten grundlegend. Auch sind die Möglichkeiten des Kl., öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, nicht eingeschränkt. Damit sind die aus der Benutzung von Behindertenparkplätzen resultierenden Vorteile für den Kl. jedenfalls wesentlich geringer als für diejenigen Personengruppen, die sich nur wenige Meter zu Fuß fortbewegen können und deshalb dringender auf einen möglichst nahe gelegenen Parkplatz angewiesen sind. Auf der anderen Seite bestünde die Gefahr, dass der Kreis der Berechtigten erheblich ausgeweitet würde, wenn allein die Notwendigkeit, die Türe vollständig beim Ein- und Aussteigen zu öffnen, ausreichen würde, um einen Anspruch auf das Merkzeichen aG auszulösen; insbesondere wäre dann zu erwarten, dass auch viele Menschen mit Wirbelsäulenproblemen oder Adipositas in den Genuss dieses Merkzeichens gelangen würden, was die Chancen der schwerst Gehbehinderten, einen günstig gelegenen Parkplatz zu erhalten, drastisch verringern könnte. Da also auf der einen Seite die Situation des Kl. bei der Parkplatzsuche erheblich besser ist als die der schwerst Gehbehinderten und umgekehrt bei Einbeziehung von Personen, die lediglich Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen haben, eine erhebliche Ausweitung des Personenkreises zu erwarten wäre, die Anspruch auf das Merkzeichen aG haben, ist eine solche Ausweitung abzulehnen. Der Senat sieht deshalb keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abzuweichen. Die Klage ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).