Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 18 B 426/06 AS - Beschluss vom 29.05.2007
Die Beschwerde gegen eine im Beschlusswege ergangene Kostengrundentscheidung stellt eine besondere Angelegenheit i.S. von § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) dar. So sind nach § 18 Nr. 5 RVG besondere Angelegenheiten jedes Beschwerdeverfahren und jedes Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, soweit sich aus § 16 Nr. 12 RVG nichts anderes ergibt. Das Vergütungsverzeichnis zum RVG regelt in Teil 3 Nr. 3501 eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung, wenn in den Verfahren - wie hier - Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Die früher zu § 116 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vertretene Auffassung, dass alle Nebenverfahren wie auch Beschwerdeverfahren grundsätzlich mit der für das Betreiben des sozialgerichtlichen Verfahrens in einem Rechtszug entstandenen Gebühr abgegolten sind, ist damit nicht mehr haltbar.
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für die Untätigkeitsklage zu tragen.
Richtiger Beklagter und Beschwerdegegner ist das als Arbeitsgemeinschaft des Landes Berlin und der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit entsprechend der Rahmenvereinbarung vom 26. August 2004 (Amtsblatt von Berlin Nr. 61 vom 31. Dezember 2004, S. 4908 ff) gegründete und nach § 70 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähige JobCenter (vgl. BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - und vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R -, veröffentlicht in juris, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das Rubrum war insoweit von Amts wegen zu berichtigen.
Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren - wie hier - anders als durch Urteil endet. Die Entscheidung ist nach sachgemäßem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen ist in erster Linie, wie der Rechtsstreit nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bei summarischer Prüfung voraussichtlich ausgegangen wäre (st. Rspr. des BSG, vgl. z. B.: BSG SozR 3-1500 § 193 Nrn. 2, 9, 10). Ferner kann trotz fehlender Erfolgsaussicht ein Kostenerstattungsanspruch aus dem Gesichtspunkt des Veranlassungsprinzips gegeben sein (BVerwG NJW 1965, 1732; LSG Bremen Breithaupt 1987, 523, 525; vgl. auch BSG, Urteil vom 25. März 2003 – B 1 KR 17/01 R = BSGE 91, 32, 38). Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage gilt zudem grundsätzlich, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstattet, sofern die Klage nach den in § 88 SGG genannten Sperrfristen erhoben wurde. Dies gilt, weil der Kläger mit einer Bescheiderteilung vor dem gesetzlichen Fristablauf rechnen darf, sofern nicht die Beklagte einen zureichenden Grund für die Untätigkeit hatte und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hatte oder er ihm bekannt war (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2007 - L 6 B 102/07 AL -, veröffentlicht in juris, unter Bezug auf Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 193 Rn. 13c, m.w.N.).
Hiervon ausgehend hat der Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für die Untätigkeitsklage zu tragen; denn der Beklagte hat Anlass zur Erhebung der Untätigkeitsklage geboten. Der schriftliche Widerspruch der Klägerin vom 11. Mai 2005 gegen den Bescheid des Beklagten vom 12. April 2005 ist am 13. Mai 2005 bei dem Beklagten eingegangen. Die Untätigkeitsklage vom 02. November 2005 ist deutlich nach Ablauf der Sperrfrist des § 88 Abs. 2 SGG erhoben worden. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Juli 2005, mit dem der Beklagte dem Widerspruch unter Abänderung der Bescheide vom 12. April 2005 und 27. Juni 2005 abgeholfen hatte, ist der Klägerin nach ihrem Vortrag nicht zugegangen. Obgleich dem Beklagten die Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt war, war der Abhilfebescheid entgegen der Regelung des § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) direkt an die Klägerin adressiert worden. Bei Zweifeln über den Zugang des Verwaltungsaktes hat die Behörde aber den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2 Satz 2 HS 2 SGB X). Dieser Nachweis kann nicht geführt werden. Aus der Verwaltungsakte lassen sich weder das Datum der Absendung des Abhilfebescheides noch der Zugang ersehen. Weitere Ermittlungen sind vom Gericht im Rahmen einer Kostengrundentscheidung und erst recht im Rahmen einer Beschwerde nicht mehr anzustellen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 13d). Auch hat die Klägerin nach eigenem Vortrag vor Erhebung der Untätigkeitsklage durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 12. Juli 2005 und 02. September 2005 an ihren Widerspruch erinnert und im Schreiben vom 02. September 2005 eine Untätigkeitsklage angekündigt. Hierauf hat der Beklagte in keiner erkennbaren Weise reagiert. Der fehlende Nachweis des Zugangs des Abhilfebescheides sowie die bestehenden Zweifel über den Zugang und die vorherige schriftliche Erinnerung der Klägerin an die Bescheidung vor Erhebung der Untätigkeitsklage rechtfertigen dann die Auferlegung der Kosten für die Untätigkeitsklage (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06. März 2006 - L 30 B 168/04 AL -, veröffentlicht in juris).
Es war auch eine gesonderte Entscheidung über die Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren zu treffen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. März 2007 - L 5 B 3/06 VG -, veröffentlicht in juris, m.w.N.). Denn die Beschwerde gegen eine im Beschlusswege ergangene Kostengrundentscheidung stellt eine besondere Angelegenheit i.S. von § 18 Nr. 5 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) dar. So sind nach § 18 Nr. 5 RVG besondere Angelegenheiten jedes Beschwerdeverfahren und jedes Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, soweit sich aus § 16 Nr. 12 RVG nichts anderes ergibt. Das Vergütungsverzeichnis zum RVG regelt in Teil 3 Nr. 3501 eine Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit über die Beschwerde und die Erinnerung, wenn in den Verfahren - wie hier - Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Die früher zu § 116 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vertretene Auffassung, dass alle Nebenverfahren wie auch Beschwerdeverfahren grundsätzlich mit der für das Betreiben des sozialgerichtlichen Verfahrens in einem Rechtszug entstandenen Gebühr abgegolten sind, ist damit nicht mehr haltbar (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. November 2006 - L 6 B 221/06 SB -, veröffentlicht in juris).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).