L 18 SB 117/02 Bay. LSG - Beschluss vom 19. November 2004
Erledigt sich ein Rechtsstreit in einem Schwerbehindertenverfahren, weil in einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung eine MdE gemäß § 69 Abs. 2 SGB IX (eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung ist nicht zu treffen, wenn eine solche Feststellung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung [ ...] getroffen worden ist), festgestellt wird, so ist für den Umfang der außergerichtlichen Kostenerstattung in dem Schwerbehindertenverfahren die Bindungswirkung der anderweitigen Feststellung maßgeblich.
Gründe
I.
Im Hauptsacheverfahren war streitig, ob für die Behinderungen des Klägers ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 70 festzustellen ist.
Bei dem Kläger waren mit Abhilfebescheid vom 10.06.1997 Behinderungen mit einem GdB von 60 über den 02.11.1996 hinaus festgestellt. Er beantragte am 31.05.1999 die Feststellung eines höheren GdB. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2000 ab. Das Sozialgericht hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 07.11.2002 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten aufzuheben und seine Behinderungen mit einem GdB von mindestens 70 zu bewerten. Zur Begründung hat er auf den während des Klageverfahrens S 2 U 284/02 vor dem Sozialgericht Nürnberg ergangenen Bescheid des Gemeindeunfallversicherungsverbandes vom 24.01.2003 hingewiesen, womit ihm wegen eines Unfalles ab 01.12.2000 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. gewährt worden war. Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten des PD Dr. L. vom 12.09.2003 eingeholt. Dieser hat statt eines bislang mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten psychovegetativen Syndroms eine stärker behindernde Störung mit einem Einzel-GdB von 30 angenommen, den Gesamt-GdB aber weiterhin mit 60 eingeschätzt. Der Berichterstatter des Senats hat, nachdem der Kläger weitere Gutachten den o.g. Unfall betreffend vorgelegt hatte, einen Gesamt-GdB von 70 bzw. 80 für gerechtfertigt bzw. denkbar gehalten (Schreiben des Senats vom 19.09.2003 und 27.10.2003). Der Beklagte hat an dem Gesamt-GdB von 60 festgehalten (Schriftsatz vom 17.12.2003 unter Verweisung auf versorgungsärztliche Stellungnahmen vom 07.11.2003 und 15.12.2003).
Der Gemeindeunfallversicherungsverband gewährte dem Kläger mit Ausführungsbescheid vom 31.03.2004 eine Verletztenrente nach einer MdE von 70 v.H. für die Zeit vom 01.12.1998 bis 30.11.2000 sowie nach einer MdE von 80 v.H. auf Dauer für die Zeit ab 01.12.2000. Der Beklagte stellte dem Kläger auf dessen Antrag vom 02.03.2004 einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis aus. Der Kläger hat daraufhin das Berufungsverfahren für erledigt erklärt und beantragt, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Der Beklagte hält eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge in Höhe von 5/10 für angemessen, da der Ausgang des Rechtsstreits aus seiner Sicht offen gewesen sei. Im Berufungsverfahren hätte ein höherer GdB als 60 im Hinblick auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen nicht festgestellt werden können. Die Verletztenrente nach einer höheren MdE als 60 v.H. sei auch nicht durch ein sozialgerichtliches Urteil, sondern lediglich vergleichsweise gewährt worden.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass ihm in der Hauptsache sehr wohl ein höherer GdB als 60 hätte zuerkannt werden müssen. Eine weitere Beweisaufnahme hätte möglicherweise einen höheren GdB ergeben.
II.
Die Entscheidung des Senats ergeht gemäß § 155 Abs. 2 Nr. 5 SGG durch den Vorsitzenden. Wenn die Hauptsache für erledigt erklärt wird, ist der Berichterstatter wieder zuständig (Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 7.Auflage, § 155 RdNr. 7a). Nach der internen Geschäftsverteilung des 18. Senats endet die Bestellung der Berichterstatter mit der Abschlussverfügung des Vorsitzenden in der Hauptsache (vgl. § 155 Abs. 4 SGG).
Der Kostenantrag des Klägers ist begründet. Der Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten beider Rechtzüge in vollem Umfang zu erstatten.
Nach § 193 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG ist auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden, wenn der Rechtsstreit auf andere Weise als durch Urteil beendet wird. Das Gericht trifft seine Entscheidung nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Ausgangs des Verfahrens sowie der Gründe für seine Einleitung und Erledigung. Der vermutliche Verfahrensausgang ist anhand des bisherigen Sach- und Streitstandes summarisch festzustellen (BSG SozR Nr 4 zu § 193; Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage, § 193 RdNr 13).
Der Rechtsstreit ist durch die Erledigterklärung des Klägers beendet. Die Kostenentscheidung ist vorliegend von der gesetzlichen Regelung des § 69 Abs 2 Sozialgesetzbuch 9.Buch (SGB IX) geprägt. Danach ist eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung nicht zu treffen, wenn eine solche Feststellung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung [ ...] getroffen worden ist, es sei denn, dass der behinderte Mensch ein Interesse an anderweitiger Feststellung [ ...] glaubhaft macht (a.a.O. Satz 1). Eine Feststellung nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des GdB (a.a.O. Satz 2).
Nach seiner Zielsetzung dient § 69 Abs. 2 SGB IX allein der Verwaltungsvereinfachung und dem Schutz des Behinderten, dem eine weitere Begutachtung zur Feststellung der Höhe des GdB erspart werden soll, wenn bereits ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren zur Feststellung der MdE durchgeführt worden ist (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.06.2000, Az: L 7 SG 193/00, Behindertenrecht 2003, 67-68). Die Vorschrift soll einen doppelten Verwaltungsaufwand für die Wiederholung einer bereits erfolgten Feststellung entbehrlich machen (LSG für das Land Niedersachsen, Urteil vom 26.05.2000, Az: L 9 SG 247/98, juris Nr.: KSRE009820509). Nur wenn der Behinderte ein berechtigtes Interesse an einer abweichenden Feststellung der MdE-Festsetzung geltend macht, ist das Verfahren nach § 69 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.
Der Kläger hat vorliegend den Rechtsstreit nach der Feststellung der MdE durch den Unfallversicherungsverband nicht mehr fortgeführt. Dadurch ist kraft Gesetzes eine Bindung des Beklagten an die Feststellungen des Gemeindeunfallversicherungsverbandes eingetreten. Für eine abweichende GdB-Feststellung war daher kein Raum mehr. Dies hat zur Folge, dass der Rechtsstreit entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mehr "offen" war.
Erledigt sich ein Rechtsstreit in einem Schwerbehindertenverfahren, weil schon in einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung eine MdE gemäß § 69 Abs. 2 SGB IX festgestellt worden ist, so sind für den Umfang der außergerichtlichen Kostenerstattung die Bindungswirkung der anderweitigen Feststellung und das Feststellungsbegehren des Klägers im Schwerbehindertenrechtsstreit maßgeblich.
Der Kläger ist mit seinem Klage- und Berufungsbegehren sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch der Höhe nach voll durchgedrungen. Sein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 70 für die Zeit vom 01.12.1998 bis 30.11.2000 sowie eines GdB von 80 für die Zeit ab 01.12.2000 bestand bereits zum Zeitpunkt des Antrages auf Neufeststellung vom 31.05.1999. Dies ergibt sich aus der rückwirkenden Verwaltungsentscheidung des Gemeindeunfallversicherungsverbandes vom 31.03.2004 und deren Bindungswirkung für den Beklagten gemäß § 69 Abs. 2 SGB IX. Der Kläger hat im Klage- und Berufungsverfahren die Feststellung eines GdB von mindestens 70 begehrt. Die Verwaltungsentscheidung des Gemeindeunfallversicherungsverbandes billigte dem Kläger eine MdE-Höhe zu, die der vom Kläger im Klage- und Berufungsverfahren begehrten GdB-Festsetzung entsprochen bzw. sie überschritten hat. Für eine Kostenquotelung besteht daher kein Raum. Dass die in der Unfallstreitsache festgesetzte MdE-Höhe auf einem Vergleich der Beteiligten beruhte, hat keine Auswirkung auf die Kostenverteilung in der Schwerbehindertenstreitsache. Ob eine Kostenquotelung zu erfolgen hat, orientiert sich ausschließlich am Klage- und Berufungsbegehren in der Schwerbehindertenstreitsache.
Nach alledem waren dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge in vollem Umfang aufzuerlegen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).