L 18 SB 45/04 Bay.  LSG - Urteil vom 5. Oktober 2004


Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger das Merkzeichen aG - außergewöhnliche Gehbehinderung - zusteht.

Bei dem 1947 geborenen Kläger sind mit Änderungsbescheid vom 27.08.1999 folgende Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt: 1. Gelenkrheumatismus, entzündlich progredient mit erheblichen Funktionsstörungen an Ellenbogengelenken, Hand- und Finger gelenken sowie Kniegelenken, Minderbelastbarkeit der Wirbel säule, unfallbedingte Minderbelastbarkeit beider Beine und Kniegelenke sowie des linken Unterarmes 2. Bluthochdruck, Rhythmusstörungen, Herzleistungsminderung. Das Merkzeichen G war zuerkannt.

Am 10.11.2000 beantragte der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens aG und begründete dies u.a. damit, dass er die Autotür beim Einsteigen in das Auto und beim Aussteigen aus dem Auto weit öffnen müsse und daher auf die Benutzung eines Behindertenparkplatzes angewiesen sei. Er könne sich nur mit großer Anstrengung und mit erheblichen Schmerzen außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Nach ca. 700 Meter sei er unbedingt zu einer Sitzpause gezwungen. Er fügte seinem Antrag u.a. ein orthopädisches Gutachten des Dr. R. vom 10.07.2000 bei. Bei dieser Begutachtung hatte der Kläger angegeben, dass nach ca. 20 Minuten Gehbelastung Schmerzen im Bereich des linken Kniegelenkes aufträten, die ihn hinderten, längere Strecken zu laufen.

Der Beklagte ließ von Dr. H. eine ärztliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 14.05.2001 erstellen. Diese bewertete die Behinderung zu 1 im Bescheid vom 27.08.1999 mit einem Einzel-GdB von 90 und die Behinderungen zu 2 mit einem solchen von 20. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verneinte sie, da der Kläger bei der Begutachtung vom 10.07.2000 angegeben habe, nach ca. 20 Minuten Gehbelastung Beschwerden von Seiten der Kniegelenke zu bekommen. Von einer außergewöhnlichen Gehbehinderung könne bei einem solchen Gehvermögen nicht gesprochen werden. Der Beklagte lehnte daraufhin die Zuerkennung der Merkzeichen aG und B mit Bescheid vom 22.05.2001 ab. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger u.a. vor, dass eine Strecke von ca. 700 Meter für ihn zu Fuß nur unter äußersten Beschwerlichkeiten zurückzulegen sei, zusätzliches Gewicht, wie Einkäufe, würden die Schmerzen beim Gehen unzumutbar erhöhen. Sein Gehen sei stark verlangsamt. In 10 Minuten könne er auf ebener Strecke nur eine Entfernung von etwa 200 Meter zurücklegen. Bei noch weiteren Distanzen werde das Gehen immer langsamer und quälender. Er legte ein ergänzendes fachärzliches Gutachten des Dr. R. vom 09.08.2001 vor, wonach seine maximale Gehdauer im ausgeruhten Zustand nur noch 10 bis 15 Minuten betrage. Des Weiteren legte er ein nervenärztliches Gutachten des Dr. M. vom 11.08.2001 vor. Bei dieser Begutachtung hatte der Kläger angegeben, wegen Belastungsschmerzen in den Gliedmaßen nie weiter als 700 Meter gehen zu können und dies auch nur einmal am Tag. Bei einem zweiten Gang träten die Schmerzen schon nach wenigen Minuten auf. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme der Dr. H. vom 09.11.2001 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2001 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg hat der Kläger die Gewährung der Merkzeichen B und aG begehrt. Er hat vorgetragen, dass sein Gehvermögen auf etwa 10 Minuten mit einer Gehstrecke von ca. 300 Meter abgenommen habe. Es verstoße gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot Behinderter, wenn bei der Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung die örtlichen Verhältnisse außer Betracht blieben. Die nächste Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel sei ca. 700 Meter von seiner Wohnung entfernt und er benötige wegen seiner Behinderung einen größeren Parkraum. Das Sozialgericht hat von dem Orthopäden Dr. C. ein Gutachten vom 04.11.2003 eingeholt. Bei der Begutachtung hat der Kläger angegeben, "ein paar 100 Meter, ca. 1/4 Stunde insgesamt, selbstständig zurücklegen zu können". Der Weg zur Wohnung bis zur Bushaltestelle betrage ca. 700 Meter, diesen Weg könne er allenfalls in ausgeruhtem Zustand zurücklegen. Dr. C. hat das Gangbild des Klägers ohne Stockbenutzung als erheblich behindert angesehen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und aG hat Dr. C. verneint. Das Merkzeichen aG liege deshalb nicht vor, weil der Kläger noch in der Lage sei, Wegstrecken bis zu 700 Meter selbstständig unter Benutzung von Gehstöcken zurückzulegen. Es sei auch nicht zu erwarten, dass sich dieser Funktionszustand in der nächsten Zeit drastisch verschlechtern werde.

Der Kläger hat sich gegen das Gutachten des Dr. C. gewandt (Schriftsatz vom 17.12.2003) und insbesondere gerügt, dass der Sachverständige auf die Schmerzproblematik bei Druckbelastung auf die Gelenke nicht eingegangen sei. Die Beteiligten haben einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass sich der Beklagte verpflichtete, unter Abänderung des Bescheides vom 22.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2001 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B zuzuerkennen. Das Sozialgericht hat die Klage im Übrigen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, er habe zu Fuß zur Begutachtung bei Dr. C. ca. 400 Meter zurückgelegt. Auf dem letzten Drittel des Weges hätten die Schmerzen beständig zugenommen. Sein Gang- und Stehbild sei von Beugekontrakturen beider Knie geprägt. Dies führe zu einer erheblichen Fehlbelastung im Bewegungsablauf des Gelenkes unter dem Gewicht des Körpers. Die Entlastung durch die Stockbenutzung könne aufgrund der Minderbelastbarkeit der Hände und Ellenbogengelenke nur unzulänglich geschehen. Es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn - wie im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.12.2002 Az: B 9 SB 7/01 R geschen - mobilere Behinderte, wie Doppelunterschenkelamputierte, die Behindertenparkplätze benutzen dürften, nicht mehr zu Vergleichszwecken herangezogen würden. Mit Schreiben vom 26.07.2004 hat der Kläger seine bisherigen Entfernungsangaben bzgl seiner maximal zurücklegbaren Fußstrecke von 700 Meter auf knapp über 500 Meter reduziert und beantragt, eine Ergänzung des Gutachtens Dr. C. vom 04.11.2003 zu veranlassen. Realistisch sei eine Geh- und Stehzeit im Alltagsleben von ca. 10 Minuten. Nach schätzungsweise 200 - 300 Meter brauche er auf jeden Fall eine erste Sitzpause zum Ausruhen. Die öffentliche Gewalt sei gemäß Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu Ausgleichsmaßnahmen auch für schwer Gehbehinderte wie ihn verpflichtet, da die allgemeine Tendenz zur Schaffung und Ausweitung von Fußgänger-, Anlieger- und sonstigen verkehrsberuhigten Zonen den allgemeinen Parkraum immer mehr einschränke. Dadurch würden schwer Gehbehinderte ohne Behindertenparkausweis in ihrer Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeit in unzumutbarer Weise beeinträchtigt.

Der Beklagte hat an seiner ablehnenden Entscheidung festgehalten und ausgeführt, dass örtliche Gegebenheiten bei der Beurteilung des Gehvermögens nicht berücksichtigt werden könnten.

Im Erörterungstermin vom 05.10.2004 hat der Kläger zu den Ausführungen des Dr. C. im Gutachten vom 04.11.2003 "Der Weg von der Wohnung bis zur Bushaltestelle betrage 700 Meter, diesen könne er allenfalls im ausgeruhten Zustand zurücklegen" erklärt, der Gutachter habe seinen folgenden weiteren Sachvortrag nicht berücksichtigt: "Die Schmerzen sind von Anfang an da, natürlich nehmen diese aber zu und sind nach 100 Meter so stark, dass ich eine Sitzpause benötige. Wenn keine Sitzmöglichkeit an dieser Stelle besteht, muss ich unter Aufbietung aller Kräfte mit zusammengebissenen Zähnen weiterlaufen, bis ich mich hinsetzen kann."

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden einverstanden erklärt und auf die Herstellung der Öffentlichkeit verzichtet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.03.2004 in Ziff I aufzuheben und ihm das Merkzeichen aG zuzusprechen sowie die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.03.2004 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Klägers und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis mit den Beteiligten durch den Berichterstatter des Senats (§ 155 Abs 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz ). Die Beteiligten konnten auf die Befolgung der Vorschriften über die Öffentlichkeit in der mündlichen Verhandlung wirksam verzichten (BSG SozR 3-1500 § 61 Nr 1).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat - wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat - keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens aG.

Nach § 3 Abs 1 Nr 1 der 4. Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Ausweisverordnung SchwbG-SchwbAwV) vom 15.05.1981 war in den Ausweis des Schwerbehinderten das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der Schwerbehinderte außergewöhnlich gehbehindert im Sinne von § 6 Abs 1 Nr 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist (s. Nr 11 der zu § 46 StVO erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VV) vom 20.07.1976 BAnz 1976, Nr 142 S 3). Sie erlaubte Parkerleichterungen für Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung und nannte unter II.1 folgende Voraussetzungen der Ausnahmegenehmigung: Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung auch aufgrund von Erkrankungen dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Diese VV ist in der - zu Nr 11 unveränderten - Fassung vom 28.10.1998 (BAnz 1998, Nr 246 b) gemäß Art 84 Abs 2 GG als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung neu erlassen worden (BAnz 2001, Nr 21, S 14/19). Sie bleibt in ihrem Bestand mithin unberührt vom Wegfall der Ermächtigung des Bundesministeriums für Verkehr zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften in § 6 Abs 1 StVG idF des Gesetzes vom 11.09.2002 (BGBl I, 3574; BSG vom 10.12.2002 B 9 SB 7/01 R).

Da der Kläger nicht zu einer der in der VV beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört, kann er nach den Kriterien dieser Norm nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn er diesem Personenkreis gleichzustellen ist. Für eine solche Gleichstellung hat das BSG in ständiger Rechtsprechung den folgenden Maßstab entwickelt: Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr 11 Abschn II 1 Satz 2 1.HS aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mir fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 23 und SozR 3-3250 § 69 Nr 1). Im Einzelfall erscheint es jedoch schwierig zu entscheiden, wann diese Forderung erfüllt ist. Bei dem beispielhaft aufgeführten schwerbehinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen handelt es sich in Bezug auf ihr Gehvermögen offenbar nicht um einen homogenen Personenkreis. Es erscheint sogar möglich, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen aufgrund eines günstigen Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines nicht Behinderten erreichen, was namentlich bei körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Orthopädietechnik der Fall sein mag (so dass diese nicht einmal als erheblich beeinträchtigt in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr anzusehen wären - so BSG SozR 3250 § 69 Nr 1). Solche Besonderheiten sind nicht geeignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer Schwerbehinderten mit dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis richtet. Denn entweder handelt es sich bei Personen, die zwar nach der Art der Behinderung zu einer der aufgeführten Gruppen zählen, jedoch tatsächlich die Voraussetzungen des Obersatzes (Bewegung außerhalb des Kraftfahrzeuges nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung) nicht erfüllen, um Ausnahmefälle (aaO). Dann ist ihre Einbeziehung in den Kreis der Begünstigten unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung hinzunehmen. Oder es hat sich die Gehfähigkeit einer größeren Zahl von Angehörigen einer bestimmten Gruppe, also auch von typischen Vertretern derselben - etwa durch Fortentwicklung der Orthopädietechnik - verbessert, da sie nach dem allgemeinen Maßstab bzw im Vergleich mit anderen genannten Personengruppen nicht als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden können Dann ist ihre beispielhafte Nennung in der VV zu Unrecht erfolgt. In diesem Fall könnte die betreffende Gruppe nicht mehr im Rahmen der Gleichstellung anderer behinderter Menschen zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter verändert sich deshalb nicht. Er muss sich (weiterhin) strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren (so aaO). Diese Personen können sich insbesondere nicht auf die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter berufen (aaO). Das BSG hat im genannten Urteil die für das Merkzeichen aG geforderte große körperliche Anstrengung dann als gegeben angesehen, wenn ein Behinderter die von ihm nach 30 Metern einzulegende Pause deshalb macht, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann.

Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich aber griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (aaO). Es gibt keinen exakten Beurteilungsmaßstab, um den berechtigten Personenkreis nach dem gesteigerten Energieaufwand beim Gehen abzugrenzen. Auch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugt dazu grundsätzlich nicht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zwar die Wegefähigkeit im Schwerbehindertenrecht (Merkzeichen G) im Rentenversicherungsrecht (im Rahmen der Prüfung von Erwerbsunfähigkeit) nach einer zumutbar noch zurücklegbaren Wegstrecke von 2000 Metern in 30 Minuten bzw von 500 Metern in 7,5 Minuten bestimmt (BSGE 62, 273, 277 ff und BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10). Die Instanzgerichte haben im Anschluss daran versucht, mit 100 Metern zumutbarer Wegstrecke auch eine Grenze für aG zu markieren (vgl Aufzählung von LSG-Urteilen aaO). Das BSG betont jedoch, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein Schwerbehinderter sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen B e d i n g u n g e n ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegen muss (so aaO).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens aG beim Kläger bei Würdigung des Gutachtens des Dr. C. und der vom Kläger angegebenen möglichen Gehstrecke nicht vor.

Der Kläger kann sich nicht auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes berufen, weil Doppelunterschenkelamputierte im Einzelfall über ein besseres Gehvermögen als er verfügen. Der Senat schließt sich insoweit der o.g. Rechtsprechung des BSG an. Der Maßstab zur Gleichstellung in der VV nicht genannter Gehbehinderter muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das BSG in seiner früheren Rechtsprechung die Gruppe der Doppelunterschenkelamputierten als Vergleichsmaßstab deshalb herangezogen hat, weil eine große Zahl dieser Personengruppe häufig unter Stumpfbeschwerden leidet und dann in der Fortbewegung auf Schwerste behindert ist (vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 22). Hierauf stellen die VV aber - insoweit typisierend - ab (aaO).

Nach den Feststellungen des vom Sozialgericht gehörten Dr. C. ist die Gehfähigkeit des Klägers zwar erheblich eingeschränkt. Beim Kläger besteht auf dem Boden einer chronischen Polyarthritis und wegen unfallbedingter Brüche der beiden Oberschenkel und Knie eine fortgeschrittene Kniegelenksarthrose links mehr als rechts. Erschwerend kommt eine mangelhafte Belastbarkeit beider Arme aufgrund einer beidseitigen Minderbelastbarkeit der Ellenbogengelenke und beider Handgelenke hinzu. Es kann aber dahingestellt bleiben, welche Restgehstrecke beim Kläger tatsächlich gegeben ist. Die Angaben des Klägers zur Restgehstrecke differieren innerhalb des letzten halben Jahres zwischen 400 und 100 Meter. Auch wenn der erkennende Senat davon ausgeht, dass das Gehvermögen des Klägers lediglich 100 Meter ohne Unterbrechung beträgt, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens aG nicht vor. Nach den Bekundungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist sein Gehvermögen nicht bereits auf den ersten Metern so stark eingeschränkt, dass ihm eine Fortbewegung nur mit großer körperlicher Anstrengung möglich ist. Gegen eine solche Annahme spricht auch die noch im Mai 2004 angegebene Gehstrecke von mehreren 100 Metern, ohne dass zwischenzeitlich eine Verschlimmerung des Gesundheiteitszustandes geltend gemacht worden ist.

Auf die im Hinblick auf die Behinderung des Klägers wünschenswerte Größe eines Parkplatzes kommt es bei der Frage, ob der Kläger außergewöhnlich gehbehindert ist, ebenfalls nicht an. Die Notwendigkeit eines vermehrten Platzbedarfes beim Ein- und Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug stellt kein Kriterium für die Zuerkennung des Merkzeichens aG dar. Zum Ausgleich derartiger Nachteile ist die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen worden. Sie ist vielmehr dazu gedacht, den Schwerbehinderten mit dem PKW möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen. Der Umfang der Vergünstigungen verdeutlicht, dass nicht die Schwierigkeit bei der Benutzung des gewöhnlichen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu bestimmten Zielen straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen (BSG SozR 3870 § 3 Nr 28).

Auch aus dem Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG kann nicht hergeleitet werden, dass die Vorschriften, die die Gewährung von Nachteilsausgleichen, insbesondere das Merkzeichen aG regeln, extensiver ausgelegt bzw großzügiger gehandhabt werden müssen. Die Vorschrift bezweckt zwar die Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft, und sie enthält ein Gleichheitsrecht zu Gunsten Behinderter sowie einen Auftrag an den Staat auf die gleichberechtigte Teilhabe Behinderter hinzuwirken, aus ihr lassen sich aber keine konkreten Rechte oder Ansprüche auf bestimmte Begünstigungen oder auf eine extensive oder großzügige Handhabung der die Voraussetzungen solcher Vergünstigungen regelnden gesetzlichen Vorschriften herleiten (Orientierungssatz Nr 1 LSG Berlin, Urteil vom 19.11.1996, Az: L 13 Vs 75/96, juris KSRE024101619, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 28.05.1997, Az: 9 BVs 69/96, juris Nr KSRE024071619). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Nach alledem steht dem Kläger ein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht zu. Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.